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Die zweite Säule droht zum  Regulierungsmonster  zu werden
Marco Betti, zvg.

Die zweite Säule droht zum
Regulierungsmonster
zu werden

Politik und Behörden belasten die Pensionskassen mit immer mehr und immer detaillierteren Vorschriften. Der Nutzen ist gering, die Kosten tragen die Versicherten. Eine To-Do-Liste zum Ausmisten.

Regeln, Gesetze und Vorschriften verfolgen uns jeden Tag. Sie betreffen nahezu alle Aspekte unseres Lebens. Gesetze schaffen die Grundlage für Rechtssicherheit. Sie entscheiden darüber, wie Verträge geschlossen, Streitigkeiten beigelegt und Straftaten geahndet werden. Dies gilt für das Strafrecht, das Zivilrecht, das Arbeitsrecht, das Wirtschaftsrecht und natürlich auch die berufliche Vorsorge.

Daher ist es wichtig, dass Gesetze sorgfältig ausgearbeitet und regelmässig überprüft werden, um sicherzustellen, dass sie den Bedürfnissen und Werten der Gesellschaft entsprechen.

Als das Gesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) vor bald 40 Jahren in Kraft trat, waren wir uns einig: Dank der zweiten Säule werden wir die soziale Sicherheit verbessern und allen Versicherten die gewohnte Lebenshaltung garantieren können.

Selbstverständlich waren sich alle darüber im klaren, dass auch das BVG, wie jedes andere Gesetz, laufend den veränderten gesellschaftlichen und strukturellen Realitäten angepasst werden muss. Leider hat die Vergangenheit gezeigt, dass auch unbestrittene (aber unbequeme) Tatsachen zuweilen nicht ausreichen, um das Volk von einer Richtungsänderung zu überzeugen. So wurde es an zwei Abstimmungen verpasst, die Umwandlungssätze für Altersrenten zu senken, was angesichts der zunehmenden Lebenserwartung und schwächerer Kapitalmärkte ein Gebot der Stunde ist.

Der Ball liegt aber nicht nur bei den Stimmbürgern, sondern insbesondere bei der Politik, der beruflichen Vorsorge die Freiheiten zu lassen, die sie als wichtige und effiziente Säule unseres Vorsorgesystems benötigt, um ihren Auftrag erfüllen zu können.

Mehraufwand ohne Mehrwert

Statt Unterstützung durch die Politik und die Aufsichtsbehörden zu erfahren, wird das berufliche Vorsorge­wesen fortlaufend mit neuen Vorschriften und Gesetzen eingedeckt. Viele kommen dabei durch die Hintertüre. Ein Beispiel dafür ist das totalrevidierte Datenschutzgesetz, das per 1. September dieses Jahres in Kraft gesetzt wurde.

Mit der Zustimmung kam das Parlament einer Forderung der EU nach, damit für die Schweiz die grenzüberschreitende Datenübermittlung auch künftig ohne zusätzliche Anforderungen möglich und somit die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EU erhalten bleibt. Welche Konsequenzen das neue Datenschutzrecht für die Pensionskassen hat, die nicht oder nur selten von einer grenzüberschreitenden Datenübermittlung betroffen sind, hat das Parlament nicht berücksichtigt. Das BVG selbst kennt bereits strenge gesetzliche Normen im Umgang mit schützenswerten Personendaten. Bis heute gab es diesbezüglich auch nie Probleme.

Für die Pensionskassen brachte die Umsetzung des neuen Datenschutzrechts einen unverhältnismässigen Aufwand mit sich, ohne Zusatznutzen für die Versicherten. Ganz im Gegenteil. Erste Analysen zeigen, dass sich die Aufwendungen im Schnitt um 3 Franken pro versicherte Person erhöhen werden. Wenn wir von 4,5 Millionen Versicherten ausgehen, reden wir von immerhin 13,5 Millionen Franken Mehrkosten im Jahr. Geld, das den Versicherten fehlen wird.

Illustration von Corina Vögele.

Ein Dickicht von Behörden

Aber nicht nur die Politik macht den Pensionskassen öfters das Leben schwer. Die berufliche Vorsorge strotzt nur so von Aufsichtsgremien und Kontrollbehörden, die sich mit grosser Regulierungsfreude in die Belange der Pensionskassen einbringen. So untersteht jede Pensionskasse je nach Standort einer der acht regionalen Aufsichtsbehörden. Diese wiederum unterstehen der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV), die sich zum Ziel gesetzt hat, eine einheitliche Aufsichtspraxis im «System der beruflichen Vorsorge» durchzusetzen. Als eine von den Weisungen des Parlaments und des Bundesrates unabhängige Behörde tut sie sich aber mit ihrer Positionierung schwer und stösst die Pensionskassen und ihre Verbände immer wieder vor den Kopf.

Das jüngste Beispiel ist eine Mitteilung der OAK BV, die eine neue Verzinsungsobergrenze für die Guthaben der Versicherten für Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen vorschreibt. Die ohne Mitwirkung der Betroffenen erlassene Regelung sorgt für einen kollektiven Aufschrei unter den Pensionskassen und Verbänden. Für einmal ist man sich in der Branche einig: Es gibt überhaupt keinen Anlass für eine Verschärfung der bisherigen Regelung und einen weiteren Eingriff in den Ermessungsspielraum der Pensionskassen.

Die zunehmende Bürokratie und Überregulierung bindet Ressourcen, schadet der Effizienz und verursacht unverhältnismässig hohe Kosten. Zudem fühlen sich die Stiftungsräte der Pensionskassen, denen von Gesetzes wegen auch Arbeitnehmervertreter angehören, von der stetig steigenden Komplexität der Aufgaben überfordert und sind daher immer weniger bereit, dafür die Verantwortung zu übernehmen.

 

Zusammen für bessere Regeln

Wie also kann die Politik eine Überregulierung vermeiden oder reduzieren? Einen Anstoss geben können die folgenden Empfehlungen. Sie stammen aus der Privatwirtschaft, wo die Einhaltung zur Selbstverständlichkeit geworden ist.

 

  1. Ziele setzen und Folgen abschätzen: Gesetze und Vorschriften müssen klare und spezifische Ziele verfolgen. Vor dem Erlass müssen Gesetzgeber und Behörden die erwarteten Ergebnisse und die Notwendigkeit der Regel klar definieren. Zudem müssen die Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft beurteilt werden. Diese Analyse hilft, mögliche negative Auswirkungen einer übermässigen Regulierung zu identifizieren.

 

  1. Kosten-Nutzen-Analyse: Bevor eine neue Verordnung in Kraft tritt, muss eine gründliche Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt werden. Dies bedeutet, dass die geschätzten Kosten durch die erwarteten Vorteile und Ziele kompensiert werden. Die Regelung sollte nur dann übernommen werden, wenn der Nutzen die Kosten rechtfertigt.

 

  1. Überprüfung und Bewertung: Bestehende Gesetze und Vorschriften sollten regelmässig überprüft und bewertet werden, um sicherzustellen, dass sie relevant, wirksam und effizient bleiben. Veraltete oder unwirksame Regelungen sind zu überarbeiten oder ganz aufzuheben.

 

  1. Einfachheit und Klarheit: Gesetze und Vorschriften sollten so einfach und klar wie möglich verfasst werden, um Missverständnissen und unnötiger Bürokratie vorzubeugen. Juristischer Fachjargon und komplizierte Formulierungen sind zu vermeiden.

 

  1. Konsultation der Interessengruppen: Die Ansichten und Bedenken der Stakeholder sollten in den Gesetzgebungsprozess einbezogen werden. Dies trägt dazu bei, dass Gesetze die Bedürfnisse und Realitäten der Betroffenen widerspiegeln.

 

  1. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit: Gesetze und Vorschriften müssen so gestaltet sein, dass sie sich an veränderte Umstände und Entwicklungen anpassen. Regulierungsbehörden sollten die Möglichkeit haben, Vorschriften bei Bedarf mit Zustimmung der Betroffenen zu ändern oder aufzuheben.

 

  1. Transparenz: Der Gesetzgebungsprozess und dieLogik hinter den Vorschriften müssen transparent sein, damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Gesetzgebung gestärkt wird.

 

Um eine übermässige Regulierung auch im BVG zu vermeiden, muss die Politik kontinuierliche Anstrengungen unternehmen und sicherstellen, dass Gesetze und Vorschriften notwendig, wirksam und verhältnismässig sind. Dieser Prozess erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Aufsichtsbehörden, Pensionskassen, Branchenverbänden und der Öffentlichkeit. Nur so kann der Staat sicherstellen, dass die Regulierung den Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht und gleichzeitig die Rechte und Freiheiten der Bürger respektiert.

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