Die Zeit nach der Zeitung
Seit Jahrzehnten befindet sich der Anteil der Zeitungsleser im Sinkflug.
Das Jahr 2012 war ein dunkles Jahr für die Printmedien. In Deutschland sind es die Titel «Frankfurter Rundschau» und «Financial Times Deutschland», die das neue Schicksal der Tageszeitungen ereilte – Schliessung und Schluss mit lustig. Aufgaben oder Fusionen von Regionaltiteln sind derweil so alltäglich geworden, dass sie kaum noch Beachtung finden.
Seit Jahrzehnten befindet sich der Anteil der Zeitungsleser im Sinkflug. Schon bald gehört nicht einmal mehr jeder zweite zu ihnen. Die täglich in die Zeitungslektüre investierte Zeit liegt bei gerade noch 20 Minuten – das ist weit weniger, als Rundfunk und Internet für sich beanspruchen. Zeitungsredaktionen rentieren kaum noch. Und je weniger sie rentieren, desto williger sind die Verleger, ihre Betriebe zusammenzulegen. Die Konsequenz liegt auf der Hand: gleichförmige Erzeugnisse – auch wenn sie unterschiedliche Namen tragen.
Kein Wunder also, dass in Politik und Praxis eine
Debatte um die Medien- und Meinungsvielfalt tobt. Ist die Zeitung nicht ein Grundpfeiler der Demokratie? Steht sie nicht seit dem 19. Jahrhundert für eine informierte, aufgeklärte Öffentlichkeit und politische Meinungsbildung? Links wie rechts sorgt man sich um Volk und Vaterland, wenn nur mehr Ringier, Tamedia und NZZ die Schweizer Bürger mit ihrer täglichen Dosis Druckerschwärze versorgen.
Vielsagend ist die Art, in der linke wie rechte Kreise auf das Zeitungssterben reagieren.
So fordern Kurt Imhof und SP-Frontmann Cédric Wermuth – beide «Monat»-Autoren – eine Milliarde Franken jährlicher Subvention. Sie soll nicht nur das Überleben, sondern vor allem die – am besten gleich durch Imhof und Wermuth definierte – Qualität des Printjournalismus retten. Einer Branche läutet das Totenglöcklein, wenn die Sozialdemokratie nach strukturerhaltenden Subventionen ruft.
Anders die konservative Reaktion: hier greift man in gut unternehmerischer Tradition zum eigenen Geldbeutel und investiert. Unter dem Dach der MedienVielfaltHolding haben sich bürgerliche Persönlichkeiten zusammengeschlossen, um in gemeinsamer Anstrengung der serbelnden «Basler Zeitung» neuen Atem einzuhauchen. Die Rettungsaktion stiess jedoch auf an Hysterie grenzende Kritik, nachdem eine Beteiligung Christoph Blochers – ebenfalls «Monat»-Autor – publik wurde. Intransparente Transaktionen hin oder her – der Name Blocher vermag in der Schweiz jeder Debatte die rationale Basis zu entreissen.
Das ist schade, denn die Suche nach der richtigen Reaktion auf das Zeitungssterben verdient eine rationale Antwort. Links wie rechts scheint heute der Eindruck vorzuherrschen, die Funktion der Tageszeitung sei an ihr Medienformat gebunden. Es mutet im Jahr 2013 geradezu absonderlich an, dass die Quantität bedruckten toten Holzes beziehungsweise die Minuten ihm gewidmeter Aufmerksamkeit ein Indiz für die Aufgeklärtheit des demokratischen Diskurses sein soll.
Im 19. Jahrhundert wurden Fahrzeuge im wesentlichen durch den Kraftstoff Heu angetrieben. Die Anzahl täglich verkaufter Kubikmeter Heu verrät uns jedoch heute nichts über den Umfang und die Qualität individueller Mobilität. Warum? Weil die Funktion individueller Mobilität längst nicht mehr durch die Pferdekutsche erfüllt wird. Das nennt sich Innovation und Fortschritt. Mäzenatentum mag in dieser Situation einen romantischen Charme versprühen. Strukturerhaltende Subventionen erweisen sich zuverlässig als schmerzhaft und teuer. Aufhalten können jedoch beide den technologischen Wandel nicht.
Innovationen, die sich durchsetzen, haben eine positive Eigenschaft: Sie befriedigen die Bedürfnisse der Menschen besser und effizienter als zuvor. Statt der Tageszeitung in Sorge um Meinungsvielfalt und Demokratie nachzutrauern, tun wir darum gut daran, den Blick nach vorne zu richten. Die Chancen neuer, offener und partizipativer Kommunikationstechnologien sind gross. Aufklärung, Debatte und Meinungsbildung werden morgen sicher anders aussehen als heute. Das ist schmerzhaft für die gute alte Tageszeitung. Aber gut für ihre Nutzer.