Die Wirtschaft geht auf Tuchfühlung zum Volk
Alte Zugpferde der politischen Schweiz wagen einen kommunikationsstrategischen Neustart.
In der politischen Schweiz galt früher eine ungeschriebene Regel: Legen Sie sich nicht mit der Wirtschaft an. Denn fuhren deren Interessenvertreter einmal im Abstimmungskampf die Kanonen aus, hatten es ihre Gegner in der Regel schwer: Für die Sicherung des «Wirtschaftsstandorts Schweiz» war das Stimmvolk gar bereit, eine zusätzliche Ferienwoche abzulehnen. Die Zugkraft der Wirtschaft hat jedoch nachgelassen: 2017 fing sie mit knapp 60 Prozent Nein zur Unternehmenssteuerreform III eine schallende Ohrfeige ein, 2022 scheiterten die Abschaffung der Stempelsteuer sowie der Verrechnungssteuer auf inländische Obligationen. Die Wirtschaft hat den Draht zum Volk verloren – wie unter auseinandergelebten Eheleuten muss man sich abermals kennenlernen.
Die neu lancierte Plattform «Wir, die Wirtschaft» will das Verständnis wiederherstellen. Im Zentrum steht dabei ein Dialogtag am 13. Mai 2023, an welchem 58 ausgewählte Personen an der KV Business School in Zürich miteinander über die Zukunft sinnieren. Die Personengruppe kommt aus allen Sprachregionen, Berufszweigen und Altersgruppen, was gemäss Medienmitteilung die Repräsentation einer «Schweiz im Kleinen» erlaubt. Initiantin ist die Beratungsfirma Sensor Advice, finanziell mitgetragen wird das Vorhaben von zahlreichen gewichtigen Unternehmen (zum Beispiel Nestlé, Novartis oder Google), aber auch von etablierten politischen Akteuren wie etwa Economiesuisse und dem Arbeitgeberverband – den alten Zugpferden also, die das Land aufs Neue von ihrer Vitalität überzeugen müssen. (jb)