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Die Wägsten und die Besten

Was macht eigentlich einen guten Bundesrat aus?

Bundesrat Willi Ritschard (SP, 1974–83) mochte mich nicht besonders und ich ihn auch nicht. Aber er war einer der besten Bundesräte seit Beginn der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Etwa gleichzeitig war Kurt Furgler im Amt (CVP, 1972–86). Er allerdings war nicht hervorragend, ebensowenig wie sein Parteikollege Flavio Cotti (1987–99). Sehr gut wiederum waren Nello Celio (FDP, 1967–73) und Ernst Brugger (FDP, 1970–78). Auch Jean-Pascal Delamuraz (FDP, 1984–98) gehört in diese Gruppe. Wäre Christoph Blocher (SVP, 2004–07) länger in der Landesregierung verblieben, hätte er dieser wahrscheinlich ebenfalls seinen Stempel aufgedrückt. Pascal Couchepin (FDP, 1998–09) hätte ein Jahrhundertbundesrat werden können; aber ihm fehlte es an Bescheidenheit und Selbstdisziplin.

Gerade jetzt, im Spätsommer 2010, wird wieder einmal heftig über das Wunschprofil von Bundesräten diskutiert. Es sind vor allem die National- und Ständeräte, die sich – neben den Medien – diesem Zeitvertreib hingeben. Als ob nicht gerade sie es wären, die sich in der Wirklichkeit mit ihren Intrigen, mit ihrer Vorstösseflut und ihrer Disziplinlosigkeit selber als besonders zweit- und drittklassig erweisen! Bessere eidgenössische Räte wären für das Land wahrscheinlich wichtiger als ein besserer Bundesrat.

Natürlich erscheint der Bundesrat zur Zeit als besonders schwach. Aber das hat weniger mit seiner Zusammensetzung zu tun als mit der Tatsache, dass er, mit dem Drang eines jeden ans nächste Mikrophon und mit seinem Heer wetteifernder Kommunikatoren (und mit der entsprechenden Ausschlachtung vor allem durch die Sonntagsmedien), viel öffentlicher agiert als seine Vorgänger. Gewiss, auch früher gab es Streitigkeiten und grobe Schnitzer. Aber das breite Publikum vernahm kaum etwas von ihnen; denn sie waren noch nicht das Futter der Unterhaltungsindustrie, zu der der grosse Teil der Medien heute mutiert hat.

An Reformvorschlägen gibt’s seit Jahrzehnten immer dasselbe zu hören: eine zweistufige Landesregierung mit Ministern oder Staatssekretären auf der zweiten Stufe. Die erste, der Bundesrat, würde sich dann wieder kollegial ums Regieren kümmern. Das Dumme dabei ist nur, dass das Schöne am Regieren der Entscheid über Personen und Details ist. Das Resultat wäre also, dass die Bundesräte sich weiterhin ins Tagesgeschäft einmischten und so alles beim alten bliebe. Bloss die Gehälter für die erste und die zweite Stufe würden wachsen.

Der andere Vorschlag ist jener des mehrjährigen Bundespräsidenten, «wie das bei den andern ja auch üblich ist». Doch auch hier wird grosszügig die schweizerische Realität übersehen. Das konsensuale Regierungssystem, das es nur in der Schweiz gibt, verträgt sich nicht mit der Richtlinienkompetenz, die ausländische Regierungschefs haben. Ohne eine solche Führungszuständigkeit bringt die Mehrjährigkeit des Bundespräsidiums jedoch nichts. Oder höchstens weitere Intrigen und Streitereien. In der Schweiz, wo aus Gründen des regionalen, pluralistischen und sprachlichen Gleichgewichts die Bäume nicht höher als der Wald wachsen dürfen, hat zudem der Starke nur dann eine Chance, wenn er besonders bescheiden auftritt, ob nun während eines oder während mehrerer Jahre.

Und da gibt es auch noch das Detail, dass nicht alle Bundesratsmitglieder gleichermassen fähig sind. Der damalige Nationalratspräsident Ulrich Bremi fragte mich einmal, ob ich mich nicht in einem Artikel für ein mehrjähriges Bundespräsidium einsetzen wolle. Ich fragte zurück, wie angenehm ihm ein mehrjähriger Bundespräsident A.O. wäre. Bremi fand die Antwort unfair. Und sie war es wohl auch.

Diese Diskussionen um organisatorische Reformen lenken ab vom eigentlichen Problem. Es sollte eigentlich augenfällig sein, dass das Versagen vor allem im Zusammenhang mit im weiteren Sinne aussenpolitischen Problemstellungen auftritt, von Flughafenfragen bis zur Zusammenarbeit mit der EU. Und hier werden vor allem zwei Schwachstellen deutlich.

Zum einen überschätzen die Schweizer Bundesräte ihr Verhandlungstalent. Bundesrat Hans-Rudolf Merz sagte mir in diesem Zusammenhang einmal, er kenne eben seine ausländischen Kollegen persönlich. Aber Apérotrinken ist noch kein Kennen. Man muss nur mit schweizerischen Diplomaten reden, die bei solchen Treffen dabei waren, um zu erfahren, wie tapsig sich Bundesräte zu verhalten pflegen. Dazu kommt dann auch noch der Mangel an nationalem Selbstbewusstsein, der den Schweizern eigen ist.

Als zum Beispiel vor kurzem der belgische EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy Bundespräsidentin Doris Leuthard in Sachen bilaterale Zusammenarbeit öffentlich abkanzelte, benutzte sie die Gelegenheit nicht, mit gleicher Münze zurückzuzahlen, sondern gab sich brav und verständnisvoll. So wird man nicht ernstgenommen. Ich habe es schon mehrmals gesagt: der Schweizer Igel darf nicht meinen, er könne geliebt werden. Aber respektiert zu werden, das ist ein erreichbares Ziel.

Wenn nun zwei Bundesratsersatzwahlen anstehen, so ist es eine Leerformel zu sagen, man solle die Besten wählen – die Wägsten und Besten, wie man früher sagte –, wenn man sich nicht gleichzeitig Gedanken darüber macht, was das denn nun heisse. Was ist ein guter Bundesrat?

Da gibt es zunächst einmal eine ganze Reihe von Kriterien, die die Auswahl einschränken, sie allerdings anderseits damit auch wieder erleichtern: die Parteizugehörigkeit, die Sprache, die regionale Herkunft, die politische Erfahrung, und so weiter. Davon soll im folgenden nicht die Rede sein. Wichtig scheinen mir vor allem zwei Eigenschaften zu sein: die Führungskompetenz und die Fähigkeit, Vertrauen zu schaffen.

Führungskompetenz ist natürlich wertvoll. Aber sie wird eher überbewertet. Zum einen ist es für eine führungsstarke Persönlichkeit gar nicht so einfach, den Parcours bis zur Nomination erfolgreich zu durchlaufen. Die Kollegen sollten einem zwar zutrauen, den Laden führen zu können. Aber allzu bestimmt darf man dabei auch wieder nicht auftreten. Mittelmass eben auch hier.

Was geschehen kann, wenn ein sehr erfahrener und selbstbewusster Mann ans Ruder kommt, durfte Christoph Blocher erfahren (dort gab allerdings das provokative Verhalten einiger Parteifreunde nach den Nationalratswahlen den knappen Ausschlag für die Abwahl). Doch Führungskompetenz läuft auch noch an einer andern Barriere auf. Bei den meisten Geschäften führen Bundesräte ihre Verwaltung nämlich gar nicht, sondern werden von dieser mehr oder weniger subtil geführt. Der Chef kommt und geht; die Verwaltung bleibt. Der Departementschef ist dann das Sprachrohr seiner Mitarbeiter.

So gingen etwa viele der bei Krankenkassen und Ärzten unpopulären Entscheide Pascal Couchepins auf einen überforderten Chef des Bundesamtes für Gesundheitswesen zurück. Für Couchepin blieb die Rolle des Sündenbocks. Zudem sind die meisten Bundesräte, die vorher vielleicht nie mehr als eine Sekretärin «geführt» haben, unerfahren im Umgang mit einer direkten Umgebung, die nur allzuoft aus devoten Kriechern besteht. Widerspruch erfahren sie keinen, weil sie ihn auch nicht dulden, wie das etwa bei Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf besonders deutlich ist. Von der in diesem Zusammenhang segensreichen Institution des Hofnarren haben sie noch nie etwas gehört.

Wichtiger noch als Führungsfähigkeiten ist jedoch die Gabe, Vertrauen zu schaffen. Vertrauen des Volkes in seine Institutionen. Das Parlament kann das nicht. Es ist dafür zu heterogen und zu gross. Die Regierung – in den Kantonen ist das ähnlich – ist die Schnittstelle zwischen Volk und Staat. Wenn man der Regierung traut, hat man auch Vertrauen in den politischen Prozess. Und damit komme ich zurück auf den Beginn dieses Textes. Willi Ritschard war ein guter Bundesrat, weil er die Sprache der Bürger sprach und weil seine Zuhörer überzeugt waren, er glaube auch selber, was er sagte. Bei Kurt Furgler hingegen konnte man immer wieder hören: «Ja, dem muss man nur auf die Augen sehen; der könnte genausogut das Gegenteil behaupten.» Authentizität heisst das Wort, um das es hier geht. Ein guter Bundesrat strahlt selbstsichere Glaubwürdigkeit aus. Das ist das Wichtigste.

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