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Die «Volkspension» ist ein Angriff auf das Dreisäulensystem
Illustration von Niels Blaesi.

Die «Volkspension» ist ein
Angriff auf das Dreisäulensystem

Die Forderung der Jungsozialisten ist ein schlecht getarnter Versuch, die eigenen ideologischen Ziele zu erreichen. Dafür gäbe es jedoch einfachere Massnahmen, für die man nicht ein erfolgreiches Modell opfern müsste.

Die Schweizer Jungsozialisten haben an ihrer Jahresversammlung im vergangenen Februar eine Resolution verabschiedet, die eine «Volkspension» fordert. Die Idee sieht im Kern vor, dass die heutige berufliche Vorsorge (zweite Säule) und die gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a) aufgehoben werden und dafür die AHV (erste Säule) ausgebaut wird. Diese Idee ist radikal und stellt das heutige Dreisäulensystem der Schweiz grundlegend in Frage. In diesem Artikel zeigen wir auf, welche Erwägungen im Zusammenhang mit dieser Idee aus vorsorgeökonomischer Sicht unbedingt angestellt werden sollen. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie viel Leistung bei Pensionierung aus einem heute einbezahlten Beitragsfranken hervorgeht.

Die berufliche Vorsorge (zweite Säule) und die private Vorsorge (Säule 3a) erfolgen im Kapitaldeckungssystem. Bei der beruflichen Vorsorge bedeutet dies, dass mit den Beiträgen ein Kapital angespart wird, welches bei Pensionierung ­bezogen wird (als Kapital oder Rente). Jeder Versicherte spart dabei individuell sein eigenes Kapital an, das ihm später zur Finanzierung seiner Altersrente dient. Das Kapital wird in ein diversifiziertes Anlageportfolio investiert. Die darauf erzielten Renditen kommen – nach Berücksichtigung von Verwaltungskosten – den Versicherten zugute. Diese tragen aufgrund der Kapitalgarantie des BVG die Risiken von Marktschwankungen nicht unmittelbar. Die reale durchschnittliche Rendite pro Jahr ­betrug seit Einführung des BVG 1985 rund 3,5 Prozent.1

Tiefere «biologische Rendite»

Die erste Säule basiert auf dem Umlagesystem, bei welchem die heutigen Beitragszahler die derzeitigen Rentenbezüger ­direkt finanzieren. Da das Geld nicht angelegt wird, besteht auch keine Rendite analog zur beruflichen Vorsorge. Jedoch hilft es dem Umlagesystem, wenn die Bevölkerung wächst oder die Löhne ansteigen, denn dadurch könnten (theoretisch) mit dem gleichen Beitragssatz immer höhere Renten finanziert werden. Das Wachstum der Lohnsumme, das sich aus dem individuellen Lohnanstieg und dem Wachstum der beitragszahlenden Bevölkerung zusammensetzt, wird darum auch «biologische Rendite» genannt. Diese basiert im Wesentlichen auf dem Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern und ist vergleichbar mit der Kapitalmarktrendite in der zweiten Säule. Das Risiko besteht auch hier, dass die biologische Rendite tief oder sogar negativ ausfällt, zum Beispiel weil die Fertilität oder Einwanderung zurückgeht. Seit 1985 lag die biologische Rendite (real) bei rund 1,5 Prozent und damit deutlich unter der Kapitalmarktrendite in der zweiten Säule.2

Auch für die Zukunft ist zu erwarten, dass die Rendite in den Kapitaldeckungssystemen der zweiten und dritten Säule über derjenigen des Umlagesystems der ersten Säule liegen wird. Was die Risiken betrifft, sind die Systeme schwer vergleichbar. Zwar unterliegt die Kapitalmarktrendite jährlichen Schwankungen. Diese gleichen sich jedoch langfristig aus und die Rendite ist ausserdem stark diversifiziert über verschiedene Arten von Investitionen, auch geografisch. Demgegenüber setzen das Umlagesystem der AHV und damit auch die «Volkspension» im Wesentlichen auf eine Karte: das Bevölkerungswachstum. Bei diesem bestehen berechtigte Zweifel, insbesondere was die Nachhaltigkeit betrifft. Die Fertilitätsrate in der Schweiz befindet sich auf einem historischen Tiefstand. Zudem hat die Beschränkung der Einwanderung inzwischen in diversen politischen Lagern an Popularität gewonnen.

«Das Umlagesystem der AHV und damit auch die ‹Volkspension› setzen im Wesentlichen auf eine Karte: das ­Bevölkerungswachstum.»

Wenig überraschend kommen diverse Studien zum Schluss, dass eine Altersvorsorge basierend auf einem Mix von Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren die besten Ergebnisse hervorbringt.

Weit entwickelte Vorsorgesysteme können durch die Integration beider Systeme das Risiko besser verteilen und ­langfristig hohe Leistungen erzielen. Der Rückbau oder die Schwächung der kapitalgedeckten Säulen muss in diesem Kontext als Rückschritt angesehen werden, der die Altersvorsorge vieler Menschen verschlechtert.

Massiv mehr Umverteilung

Die zweite zentrale Erwägung ist die Umverteilung von Personen mit höheren Einkommen zu Personen mit tieferen Einkommen. In der ersten Säule (AHV) ist diese Umverteilung ­explizit vorgesehen und entsprechend hoch. So bezieht eine grosse Mehrheit der Versicherten mehr aus der AHV, als sie einzahlt, wobei die Differenz durch Versicherte mit höheren Einkommen finanziert wird. In der beruflichen Vorsorge ist diese Art der Umverteilung grundsätzlich nicht vorgesehen und entsprechend sehr gering. In der Säule 3a findet keine Umverteilung statt.

Würden die heutigen Beiträge der zweiten und dritten Säule mit der Einführung einer «Volkspension» in die AHV umgeleitet, so würde die Umverteilung von hohen zu tiefen Einkommen auf einen Schlag massiv zunehmen. Doch die Idee der Volkspension geht noch weiter und sieht gar einen progressiven Anstieg der Beiträge mit dem Einkommen vor.

Die Volkspension der Juso sieht weiter neue mögliche Finanzierungsquellen durch Massnahmen wie «eine Bundessteuer auf grosse Vermögen oder auf Erbschaften» oder eine «Abgabepflicht auf Kapitalerträgen wie Dividenden, Zinsen und weiteren Kapitalgewinnen» vor. Es bestehen eine Reihe von Argumenten für oder gegen diese Massnahmen. Allerdings haben sie nichts mit dem Vorsorgesystem zu tun.

Beim Übergang von einem Kapitaldeckungssystem zu einem Umlagesystem ist die wichtige Frage, wie mit dem bereits angesparten Kapital umgegangen wird. Eine Möglichkeit ist, das bisherige Kapital weiterzuführen, jedoch ohne weitere Beiträge einzuzahlen, à la Freizügigkeitskonto. Dies wird als «Freezing» bezeichnet und hat den Vorteil, dass die bisherigen, teilweise auch freiwillig angesparten Alterskapitalien den Versicherten nicht weggenommen werden.

Faktische Enteignung

In der Idee der Volkspension der Juso wird hingegen angedeutet, dass das Vermögen der beruflichen Vorsorge in die AHV «überführt» werden soll. Bei der Beurteilung dieser Idee muss dringend berücksichtigt werden, dass das Vermögen der beruflichen Vorsorge zum Grossteil aus Sparguthaben besteht, welche einzelnen Versicherten gehören, und diese unter anderem durch Beiträge der Versicherten angespart wurden. Viele Versicherte haben ausserdem einen wesentlichen Teil ihres privaten Vermögens freiwillig in das Sparguthaben via Einkäufe eingebracht. Eine Überführung des Vermögens in die AHV käme somit faktisch einer Enteignung gleich.

Eine ähnliche Situation erlebte beispielsweise Ungarn in 2010, als die Regierung ein Gesetz verabschiedete, das die Rückführung aller Einzahlungen in das staatliche Renten­system anordnete. Dies führte dazu, dass die Arbeitnehmer gezwungen waren, ihre bisher in private Pensionsfonds investierten Gelder ins staatliche System zu transferieren. Die Reformen in Ungarn haben letztendlich die Nachhaltigkeit nicht verbessert, sondern zum Abbau des sozialen Versorgungs­systems beigetragen.

Die Idee der Volkspension würde das heutige System in vielerlei Hinsicht radikal umstellen. Auf die Rendite des ­Kapitalmarktes – ein zuverlässiger und essenzieller dritter Beitragszahler – würde verzichtet, sowohl bei hohen als auch tiefen Einkommen. Dafür würde alles auf das Bevölkerungswachstum der Schweiz gesetzt – ohne Berücksichtigung der Nachhaltigkeit. Es ist davon auszugehen, dass die Idee der Volkspension eigentlich nur dem Wunsch nach mehr Umverteilung entspringt. Dafür gäbe es jedoch weitaus einfachere und effizientere Massnahmen, ohne dass dafür das Vorsorgesystem der Schweiz plattgemacht werden müsste.

Die «Volkspension» der Juso entpuppt sich bei genauem Hinschauen als Sammelsurium von Ideen der politischen ­Linken zur Erhöhung der Umverteilung – dies kann man gut ­finden oder nicht. Dass man für deren Umsetzung die Opferung eines der besten Vorsorgesysteme der Welt in Erwägung zieht, grenzt jedoch an Sadismus. Oder doch Masochismus? Denn eine Verschlechterung des Systems betrifft alle Versicherten.

  1. CS-PK-Index und Baumann & Koller (2018): Die berufliche Vorsorge im Tiefzins­umfeld.

  2. Bundesamt für Statistik und Baumann & Koller (2018): Die berufliche Vorsorge im Tiefzinsumfeld.

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