Die Visionäre der SRG
Die SRG hat es verstanden, den technologischen Wandel und den trägen Rechtssetzungsprozess gleichzeitig zu ihrem Vorteil zu nutzen. Mit einer Vorwärtsstrategie hat sie Fakten geschaffen, die ihre Zukunft sichern – auf Kosten des demokratischen Prozesses.
Das Internet kann beileibe nicht als neues Phänomen bezeichnet werden. Dennoch wird es in unserer «neuen» Bundesverfassung von 1999 (BV) und im Radio- und Fernsehgesetz von 2006 (RTVG) mit keinem Wort erwähnt. Vielmehr ging der Bundesrat noch im Jahr 2003 davon aus, dass Angebote im Internet die traditionellen Massenmedien «mittelfristig nicht ablösen werden». Der Verfassungs- und Gesetzgeber konzentrierte sich gleichsam auf das traditionelle Radio und Fernsehen; man sah kein Problem darin, dass die SRG im Internet «mit einer eigenen Website präsent» sei und dort «publizistische Aktivitäten» im Sinne einer ergänzenden Crossmedia-Strategie entfaltet.
Im Gegensatz zu den politischen Entscheidträgern muss die SRG wohl schon früh erkannt haben, dass das klassische «lineare» – also zeitlich angesetzte – Fernsehen ein Auslaufmodell ist («TV as you know it»). Ohne die Fehlvorstellungen des Gesetzgebers zu korrigieren, hat die SRG das ihr zugestandene Nadelöhr ins Internet ohne grosses Aufsehen genutzt und kontinuierlich erweitert. Heute könnte sie potenziell ihre gesamten Aktivitäten ins Netz verlagern. Die Finanzierung dieses Angebots über eine Medienabgabe konsolidiert damit bloss noch eine langfristig angelegte politische Strategie.
Ein Leistungsauftrag für «Radio und Fernsehen»
Während die privaten Printmedien für ihre wichtige Rolle bei der Entstehung liberaler Rechtsstaaten mit weitgehender Freiheit belohnt wurden, hat der Verfassungsgeber die elektronischen Massenmedien an die enge Kandare genommen. Der Staat darf dabei die elektronischen Massenmedien nicht nur regulieren, beispielsweise aus Gründen des Jugendschutzes. Weil der Verfassungsgeber dem Radio und Fernsehen eine potenziell gefährliche Breitenwirkung und Suggestivkraft zuschreibt, formuliert er für diese Medien darüber hinaus einen spezifischen «Leistungsauftrag» (Service public), dessen Erbringung staatlich finanziert werden kann. Das Internet ist von diesem Service-public-Auftrag nicht explizit erfasst.
Trotz diesem bewusst zwischen «Radio und Fernsehen» und «anderen Formen» von elektronischen Medien differenzierenden Verfassungswortlaut sehen manche Juristen die SRG auch für die Grundversorgung im Internet in der Pflicht. Dass die SRG im Internet dieselbe Bedeutung haben soll wie die Fernsehanstalten in den frequenzknappen 1950er Jahren, ist jedoch kaum nachzuvollziehen. Doch wer zeitlebens einem wohlwollenden Staat gegenüberstand, kann dazu neigen, die mediale Vielfalt vielleicht eher durch private Marktmacht bedroht zu sehen; solche Personen dürften in der Ordnung der Medienmärkte wohl ganz allgemein eine Staatsaufgabe erblicken.
Eine solche Haltung erscheint als blauäugig. Dessen ungeachtet kann sich auch der machtkritische Autor dieses Beitrags vorstellen, dass der SRG eine gewisse Rolle im Internet zukommen könnte, allein schon aufgrund ihres äusserst beachtlichen audiovisuellen Archivs. In diesem Fall müsste sich aber der Gesetzgeber damit befassen, ob und inwieweit er auch im Internet eine kommunikative Grundversorgung sicherstellen will. Indem er sich dieser Diskussion – bewusst oder unbewusst – verschliesst, macht er sich zum Objekt einer Entwicklung, die heute vor allem von der SRG getrieben wird.
Der Gesetzgeber beschränkt das «übrige publizistische Angebot» der SRG auf diejenigen Angebote, die zur Erfüllung des Leistungsauftrags «notwendig» sind. «Notwendig» heisst erforderlich, unabdingbar, unausweichlich. Bei dieser Wortwahl hatte der Gesetzgeber offensichtlich das überaus vielfältige mediale Angebot vor Augen, das schon aufgrund privater Initiative im Internet verfügbar ist. Auch wird er an das Gebot der Rücksichtnahme auf andere Medien gedacht haben, als er das übrige publizistische Angebot der SRG auf «das Notwendige» beschränkte. Wer jedoch mit der «notwendig»-Brille durch die Website der SRG streift, dürfte bei vielen Angeboten grosse Fragezeichen setzen. Der Bundesrat sieht indessen Online-Angebote schon als notwendig an, wenn sie einen Sendungsbezug aufweisen – eine zweifellos zu tiefe Hürde, da der Zusatznutzen dieser Angebote zum Leistungsauftrag gänzlich ausser Acht bleibt.
Eine konkrete Überprüfung des Angebots der SRG, vor allem auch des Angebots im Internet, darf der Staat aufgrund grundrechtlicher Schranken nicht vornehmen; eine Prüfung durch einen unabhängigen Dritten ist nicht vorgesehen. Mit anderen Worten, definiert die SRG ihren Leistungsauftrag weitgehend selbst, im Internet allerdings ohne Auftrag des Verfassungsgebers. Unabhängig vom Ausgang einer allenfalls in Zukunft stattfindenden Diskussion um den kommunikativen Service public im Internet ist kaum denkbar, dass dieses bestehende Angebot jemals rückgängig gemacht würde. Wer die Dynamiken im Tätigkeitsfeld öffentlicher Unternehmen kennt, der weiss: Die SRG ist ins Internet gekommen, um zu bleiben.
Spielt’s eine Rolle?
«Ob Steuer, Gebühr oder Abgabe – schlussendlich bekommt man einen Einzahlungsschein», soll Bundesrätin Doris Leuthard kürzlich an einem Podium gesagt haben. Als Juristin weiss die Bundesrätin natürlich, dass die nähere Qualifikation der Abgabe nicht bloss eine akademische Wortklauberei darstellt, sondern dass sich darauf gestützt ganz grundsätzlich Voraussetzungen und Grenzen einer solchen Abgabe ableiten lassen.
Jahrelang hat das Bundesgericht festgehalten, die Radio- und Fernsehabgabe sei eine Gegenleistung des einzelnen für die Inanspruchnahme des Fernmelderegals (sprich: für das Recht zum Empfang von Fernsehprogrammen über Funkfrequenzen oder Kabel). Typisch für eine Gebühr, musste der einzelne diese Gegenleistung auch tatsächlich beanspruchen, also ein Radio oder einen Fernseher zu Hause bereithaben, ansonsten die Gebühr nicht geschuldet war. Die Bürger konnten sich entsprechend durch einen freiwilligen Verzicht auf Radio und Fernsehen der Empfangsgebühr entledigen. Freilich ist der Konsum von audiovisuellen Inhalten schon seit einiger Zeit nicht mehr von dem klobigen Gerät abhängig, das als «Fernseher» bekannt ist. Solange die SRG ihre Inhalte nur über dieses veraltete Gerät verbreitete, musste nicht nur ihre Zukunft, sondern auch ihre Finanzierungsbasis als gefährdet erscheinen. Dank der webbasierten Verbreitung können SRG-Inhalte nun auch mit modernen Kommunikationsgeräten konsumiert werden. Allerdings hat die Verbreitung über Web auch zur Folge gehabt, dass den SRG-Inhalten gar nicht mehr ausgewichen werden kann. Es ist nahezu unmöglich, bei einem modernen Smart-Device den Empfang von Radio- und Fernsehprogrammen nachweislich zu unterbinden. Diese sogenannte Gerätekonvergenz führt also dazu, dass potenziell die gesamte Bevölkerung als abgabepflichtig betrachtet werden kann, auch wenn beachtliche Teile dieser Bevölkerung bewusst auf den Konsum von Radio- und Fernsehprogrammen verzichten. Die Empfangsgebühr erhält damit, wie auch das Bundesgericht kürzlich (allerdings mit anderer Begründung) festgehalten hat, zunehmend den Charakter einer Steuer.
Steuern steht naturgemäss keine konkrete, individuelle Leistung des Staates gegenüber. Auch die vielfach genannte «funktionsfähige Demokratie» oder der «nationale Zusammenhalt» können nicht als solche individuell zurechenbaren Gegenleistungen gelten. Es kann auf dieser Basis auch nicht überprüft werden, ob Leistung und Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Steuern wie die vorliegende Haushaltsabgabe sind nicht kostenabhängig und daher in ihrer Höhe potenziell unbegrenzt. Aufgrund dieser Eigenschaften setzt die Bundesverfassung den Steuern enge Grenzen: Bundessteuern müssen ausdrücklich in der Verfassung vorgesehen sein; die Kompetenz zur Erhebung der wichtigen Steuern ist sodann befristet und in der Höhe begrenzt. Die Verfassung sieht schliesslich vor, dass die wichtigsten Parameter einer Steuer im demokratisch legitimierten Gesetz zu regeln sind. Die Haushaltsabgabe verletzt viele der hier genannten Grundsätze: Sie ist in der Verfassung nicht ausdrücklich verankert, weshalb dem Bund die Kompetenz zur Erhebung dieser Steuer fehlt. Weiter ist die Höhe der Abgabe weder durch Verfassung noch durch das Gesetz begrenzt, sondern richtet sich vordringlich nach dem Finanzierungsbedarf der SRG. Da die SRG aber wie erläutert den Umfang ihres Leistungsauftrags selbst bestimmt, legt sie indirekt auch ihren Finanzbedarf selbst fest.
Parlament und Bundesrat sind nun freilich der Auffassung, bei der neuen Haushaltsabgabe handle es sich weder um eine Steuer noch um eine Gebühr. Durch das Erfinden einer neuen Kategorie von Abgabe (Tertium datur!) wollen sie die oben beschriebenen Schutzmechanismen einfach umgehen können. Dies kann nicht rechtmässig sein: Wieso hätte der Verfassungsgeber die traditionellen Steuerkompetenzen des Bunds derart sorgfältig formulieren sollen, wenn der Bund gestützt auf weitere Kompetenzen x-beliebige Abgaben in unbestimmter Höhe erheben könnte? Bei näherer Betrachtung kann man nur zum Schluss kommen: Mit der RTVG-Vorlage hat das Parlament seine Abgabekompetenzen überschritten.
Ausblick
Verfassung und Gesetz hinken technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen zuweilen erheblich hinterher. Vorliegend hat es jedoch der Gesetzgeber bewusst unterlassen, schon früh im Ansatz erkennbare Entwicklungen proaktiv zu diskutieren und einer zukunftstauglichen Regelung zuzuführen. Diese Unterlassung hat zur Folge, dass hinsichtlich der Medienstrukturen im Internet Fakten geschaffen werden, die nur sehr schwer rückgängig zu machen sind, ungeachtet der Diskussion um den allenfalls auch dort nötigen Service public und dessen Finanzierung. Die Haushaltsabgabe hat nun etwas überraschend die längst überfällige Diskussion um den Leistungsauftrag der SRG – den im Fernsehen, Radio und eben auch Internet erbrachten Service public – losgetreten. Es wäre wahrlich ein Jammer, wenn diese Diskussion nun schon wieder zur Ruhe käme