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Die verlorene Swissness der Schweiz

Die Schweiz hebt mit allerlei Eitelkeiten vom Boden ab – kann das gut gehen?

Eine Hauptstadtregion für die Schweiz! Wer nicht darum herumkommt, darf ja schon seit Jahren die Reden der bernischen Stadt- und Kantonspolitiker hören, die ihr Publikum in der Hauptstadt der Schweiz begrüssen. Dabei müsste eigentlich bereits jedes Schulkind wissen, dass die Schöpfer der modernen Schweiz bewusst und ausdrücklich keine Hauptstadt für das neue Land wollten, sondern eine Bundesstadt. Und dabei ist es bis heute geblieben. Föderalismusgerecht kamen denn auch nicht alle Bundesanstalten nach Bern: das Bundesgericht ging nach Lausanne, die ETH nach Zürich.

Auch eine Nationalbibliothek wollte man nicht, sondern eine Landesbibliothek. Die Schweizer sind misstrauisch gegenüber allem, was nach Uniformität und Zentralismus riecht. Aber weil eine Direktorin sich daran störte, im Ausland auf die gleiche Stufe gestellt zu werden wie der Direktor der Glarner Landesbibliothek, änderte das Bundesamt für Kultur klammheimlich und ohne gesetzliche Grundlage die Eidgenössische Gesetzessammlung. Jetzt haben wir eine Nationalbibliothek; und im gleichen Aufwasch haben wir auch noch eine Nationalphonothek bekommen.

Auch die Regierungsmitglieder sind in der Schweiz einfache Bundesräte, Regierungsräte oder Conseillers d’Etat. Zwar hat das Bundesamt für Kultur aus seinem Bundesrat noch keinen Minister gemacht, wohl aber sind solche die Regierungsangehörigen des jüngsten Kantons, Jura. Da konnte natürlich auch die sanktgallische Verfassung nicht hintanstehen und mutierte den Staatsschreiber zum Staatssekretär. Mit dem Erfolg, dass dieser im deutschen Ausland am Ehrentisch sitzt, wenn er das nicht diplomatisch verhütet, während seine Vorgesetzten bei den deutschen Regierungsräten, unteren Verwaltungsbeamten, plaziert werden.

Strikt achtet man darauf (ausser in den beiden Appenzell und – ein bisher wenig überzeugender Versuch – in Basel-Stadt), dass keiner für mehr als ein Jahr über die andern hinausragt, weshalb die Schweiz auch keinen Staatspräsidenten hat, sondern einen Bundespräsidenten. Ihm weist die Verfassung protokollarisch zudem den zweiten Rang nach dem Präsidenten der Vereinigten Bundesversammlung zu. Jahrzehntelang reiste er nur als einfacher Bundesrat in der Welt herum. Doch heute sind die Damen und Herren so sehr auf den staatspräsidialen Geschmack gekommen, dass sie sich lieber vor Ehrengarden und auf roten Teppichen im Ausland tummeln als in den Trams des nach wie vor biederen Bern. Nur die Mitgliedschaft in der EU fehlt ihnen noch, damit auch sie an den Phototerminen teilnehmen können, die als internationale Politik gelten.

General hat die Schweiz ja auch nur einen – den vom Parlament gewählten Oberbefehlshaber im Fall einer Mobilmachung. Alle andern Sterneträger waren ursprünglich Obristen. Aber Schritt um Schritt wurden daraus Oberst-Brigadiers, Oberstbrigadiers, Brigadiers und so weiter. Hier sind es die Medienleute, durch eine seltsame Hassliebe mit den Armeekadern verbunden, die das «upgrading» seit Jahrzehnten betreiben und die heute mit schöner Regelmässigkeit von den «Generälen» sprechen.

Professoren gab es früher hierzulande recht wenige. Doch seit der Erfindung der Fachhochschulen (der Wortbestandteil «Fach» wird in der Praxis tunlichst vermieden) blühen tausend Professoren am Wegesrand: vormalige Berufsschullehrer, die sich zu Höherem als zu berufsbezogener Ausbildung berufen fühlen. Sie sind, auch wenn sie das ausdrücklich nicht sein sollten, zu Wissenschaftern, Forschern geworden.

Direktionspräsidenten gibt es nicht mehr. Sie sind – und das nicht nur in der Übersetzung ihrer Titel – CEOs. Selbst die einst sprachbewusste NZZ hat jetzt einen CEO. In der Bankenbranche, wo man das Geld, das ohnehin ein imaginäres Gut ist, selber macht, beziehen diese CEOs ethisch völlig inakzeptable Gehälter. Und nicht nur sie, sondern auch ihre Umgebung, die sie mit ins Boot ziehen mussten, um nicht auf interne Rebellion zu stossen.

Während Jahrhunderten war der Schweizer stolz auf seine gutgeerdete Demokratie. Protzerei mit Geld, Titeln und Würden war ihm ein Greuel. So wurde er vom Ausland zwar nicht geliebt, aber respektiert. Im Volk ist diese Haltung auch heute noch verbreitet. Aber die Eliten versuchen sich anzupassen, und das erst noch denkbar ungeschickt. Schweizertum ist zur Swissness geworden, einer Werbeetikette, die mit jenem kaum noch etwas zu tun hat. Und wenn morgen ein Pariser Modemacher wieder Perücken einführen würde: in der Hauptstadtregion Bern würden sie getragen.

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