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Die vergessene Feministin

Die vergessene Feministin

Alex Baur: Unerhört – Esther Vilar und der dressierte Mann.

 

«Grundlage der Ökonomie ist noch immer der Tausch […] nun verhält es sich so, dass die Männer die ex­klusive Nutzung der weiblichen Vagina zu Wahnsinnspreisen hoch­­gesteigert haben. […] Jede von ihnen (den Frauen) hat die Wahl zwischen der Lebensform eines Mannes und der eines dummen, parasitären Luxusgeschöpfes», schrieb Esther Vilar 1971 in «Der dressierte Mann». Frauen seien faul, berechnend und würden sämtliche Verantwortung an ihre Männer delegieren, um sich diese als willige Arbeitssklaven zu halten,  heisst es darin weiter, während Männer in Wahrheit das unterlegene Geschlecht seien – denn die Macht liege bei den Frauen.

Die 1935 in Argentinien geborene Ärztin und Autorin hatte mit ihrem provokativen Erstling nicht nur für erheblichen Aufruhr gesorgt, sondern auch gleich noch die ungeteilte Wut der Emanzipationsbewegung auf sich gezogen. Alice Schwarzer griff sie vor laufender Kamera wüst an, Feministinnen schlugen sie auf einer Toilette der Münchner Staatsbibliothek zusammen, die Presse veröffentlichte vernichtende Kritiken über sie. Letztendlich wurde sie unter Schimpf und Schande aus dem Land gejagt.

Baur zeichnet in seiner Biografie die Lebensgeschichte einer taffen Frau nach, die Unerhörtes aussprach und damit direkt ins Herz der «Women’s Liberation»-Bewegung stach. Dennoch gelingt es der Biografie, Vilars menschliche Seite einzufangen; als vom Krieg gezeichnete Tochter argentinisch-deutscher Eltern, eigenwillige Ehefrau oder liebende Mutter ihres einzigen Sohnes. Auffällig ist immer wieder Vilars unnachgiebige Seite, die Welt zu mehr Eigenverantwortung an- und der Gesellschaft schonungslos den Spiegel vorzuhalten. Der kommerzielle Erfolg gab ihr schliesslich recht: Vilars Bücher verkauften sich millionenfach. Weltweit.

Vilar ist eine vergessene Feministin, deren Werk sich zu lesen mehr denn je lohnt. Baurs Biografie ist kurz, knackig und äusserst wohlwollend. Gemessen am Lebenswerk und Mut dieser erstaunlichen Frau, kommt diese lediglich fünfzig Jahre zu spät. Ihre Rehabilitierung ist längst überfällig.


Alex Baur: Unerhört – Esther Vilar und der dressierte Mann. Zürich: Elster & Salis, 2021.

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