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Die Unternehmer verabschieden sich aus der Politik
Alfred Escher (1819–1882), Schweizer Politiker und Eisenbahnpionier, gilt bis heute als Inbegriff von Innovation und Pioniergeist in der Schweiz. Bild: Keystone/imageBROKER/Olaf Krüger.

Die Unternehmer
verabschieden sich aus
der Politik

Persönlichkeiten aus der Wirtschaft haben den Aufbau des Bundesstaats geprägt. Heute sind sie aus dem Parlament weitgehend verschwunden und überlassen die politische Arbeit den Verbänden. Das hat weitreichende Folgen.

Unter der Bundeshauskuppel sind Unternehmerpersönlichkeiten selten geworden. Die Arbeit in der Privatwirtschaft ist anspruchsvoll, die Märkte sind globalisiert und die Regulierung wird immer komplexer. Als Folge davon schränken Unternehmer ihr politisches Engagement ein – sie müssen ihre Zeit ihren Unternehmen widmen. Die Chefs grosser Konzerne haben sich aus den Parlamentsreihen zurückgezogen – auch weil öffentliche Ämter nicht mehr das Prestige der alten Tage besitzen.

Obwohl man in den Gängen des Bundeshauses noch einige Unternehmer antrifft, sind Vertreter führender Wirtschaftsunternehmen rar geworden: Die letzten waren Johann Schneider-Ammann (FDP), Peter Spuhler und Christoph Blocher sowie dessen Tochter Magdalena Martullo-Blocher (alle SVP), die weiterhin in der grossen Kammer sitzt. Bei den letzten Parlamentswahlen kam der Solothurner FDP-Nationalrat Simon Michel hinzu. Das war nicht immer so.

Mächtige «Eisenbahnbarone»

Die moderne Schweiz, die aus der Bundesverfassung von 1848 hervorging, wurde massgeblich von bedeutenden Unternehmern gestaltet. Manche würden ergänzen, dass sie auch für diese Unternehmer aufgebaut wurde – eine Aussage, die zwar nicht völlig falsch ist, aber differenziert betrachtet werden muss. Die Unternehmer wirkten im Sinne des Milizsystems aktiv am Aufbau des jungen Bundesstaates mit. Sie formten die liberale Schweiz nach ihren Vorstellungen, wobei die Radikalen von der Überzeugung geleitet wurden, dass nur ein «schlanker» Bundesstaat die Entwicklung einer von individualistischen und föderalistischen Werten geprägten Eidgenossenschaft ermöglichen könne.

Vor 1848 war das Schweizer Eisenbahnnetz kaum entwickelt. Der entscheidende Anstoss für seinen Aufbau kam vom Zürcher Alfred Escher. Das 1852 von ihm durch die eidgenössischen Räte gebrachte Gesetz schuf einen Kompromiss: Auf der einen Seite stand die Privatwirtschaft, die Escher gemeinsam mit den staatsbefürwortenden, aber zentralismusfeindlichen Westschweizer Radikalen vertrat. Auf der anderen Seite stand der Berner Jakob Stämpfli, der ein vom Bundesstaat geführtes und verwaltetes Netz forderte.

Escher und seine Mitstreiter setzten sich durch. In der Folge entstanden Unternehmen, die mit kantonalen Konzessionen ausgestattet wurden und die enormen Mittel für den Streckenbau aufbrachten. Innerhalb weniger Jahre entwickelte die Schweiz ein äusserst dichtes Eisenbahnnetz, holte damit ihren Rückstand auf und überflügelte schliesslich andere Länder.

Die Schweizer Industriekapitäne waren in den Räten stark vertreten – begünstigt durch das Mehrheitswahlsystem – und berieten einen Bundesrat, der von einer schwachen Verwaltung unterstützt wurde. Als Chef der Nordostbahn, Gründer der Kreditanstalt (später Credit Suisse) und der Rentenanstalt (heute Swiss Re) sowie Initiator der ETH, die die für die Eisenbahn benötigten Ingenieure ausbildete, stand Escher im Zentrum einer gewaltigen politischen und wirtschaftlichen Maschinerie, die in Bern eine mächtige Stellung erlangte. Seine Freunde aus Industrie und Bankenwesen, die eng mit Eisenbahninteressen verbunden waren, wurden nicht ohne Grund als «Eisenbahnbarone» bezeichnet. Sie kontrollierten mehr als die Hälfte der Parlamentarier in ihrem Netzwerk und übten entscheidenden Einfluss auf die Wahl der sieben Bundesräte aus.

Dies rief schliesslich den Zorn anderer Fraktionen des hegemonialen Freisinns hervor. Die Westschweizer Radikalen kündigten 1855 ihr Bündnis auf, und in den 1860er-Jahren formierte sich die demokratische Bewegung gegen Eschers Anhänger. Sie setzte sich 1869 in Zürich durch. Ab diesem Zeitpunkt gingen die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Bundesbehörden neue Wege, obwohl die Wirtschaftsvertreter weiterhin zahlreich in den Räten vertreten waren.

Der Aufstieg der Wirtschaftsverbände

1870 entstand der Schweizerische Handels- und Industrieverein, bekannt als Vorort. Sieben Jahre später organisierten sich auch das Handwerk und die Kleinunternehmen im Schweizerischen Gewerbeverband (SGV). Die Einführung des fakultativen Referendums 1874 veränderte die Rolle der Wirtschaftskreise allmählich.

Die politischen Konflikte dieser Zeit waren noch stark vom Antagonismus zwischen Katholisch-Konservativen und säkularen Radikalen geprägt, wobei das liberale Zentrum als Vermittler agierte. In dieser Situation unterstützte der Vorort den Bundesrat mit Expertisen und Statistiken. Unter der Führung von Persönlichkeiten wie Konrad Cramer-Frey beriet er die Regierung besonders bei Handelsabkommen – in einem zunehmend protektionistischen Umfeld, das durch die seit 1873 andauernde Wirtschaftskrise verschärft wurde. Als die soziale Frage, begleitet von Streiks, die religiösen Konflikte in den Hintergrund zu drängen begann, richtete der Bundesrat ein Arbeitersekretariat ein.

Eine Tendenz, die sich zwischen dem Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts abzeichnete, sollte sich nach dem Ersten Weltkrieg voll entfalten. Der Vorort übernahm die allgemeinen Wirtschaftsfragen wie Energie und Handelspolitik, während sich die Arbeitgeber stärker organisierten und 1908 den Zentralverband Schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen (ZSAO) gründeten. In der Folge dominierten wirtschaftliche Themen definitiv die Bundespolitik. Ab 1918 wurde diese Tendenz durch die Kriegsfolgen, den Sieg der Bolschewiken in Russland und die existenziellen Fragen eines verunsicherten Bürgertums noch verstärkt.

In diesem düsteren politischen und wirtschaftlichen Klima zogen sich die Unternehmer zunehmend aus dem politischen Leben zurück. Sie wirkten fortan über ihre Arbeitgeberorganisationen, sei es als Unterstützer von Parlamentariern oder als direkte Gesprächspartner des Bundesrates. Sie unterstützten die bürgerlichen Parteien in wichtigen Kämpfen – etwa gegen die von der Linken lancierten «Kriseninitiative», die weitreichende staatliche Eingriffe in die Wirtschaft vorsah und 1936 knapp abgelehnt wurde. Zudem spielten sie eine zentrale Rolle bei der Ausarbeitung des «Arbeitsfriedens», der im folgenden Jahr – wenn auch zunächst widerwillig – geschlossen wurde.

Angesichts der Weltwirtschaftskrise, die sich in der Schweiz ab Anfang der 1930er-Jahre zuspitzte, näherten sich die Gewerkschaften, nachdem sie die revolutionären Bestrebungen der Sozialdemokratischen Partei aufgegeben hatten, dem Verband der Maschinen- und Uhrenindustrie an. Sie schlugen eine Vereinbarung vor, die das wirtschaftliche und soziale Leben des krisengeschüttelten Landes stabilisieren sollte.

Der Arbeitsfrieden und seine Folgen

Die Uhrenindustrie zögerte zunächst, mit dem gewerkschaftlichen «Teufel» zu paktieren. Der Bundesrat drängte sie zur Zusammenarbeit, indem er mit direkter Einmischung in die Sozialpartnerschaft drohte. Der Arbeitsfrieden war geboren. Er definierte den Streik als letztes Mittel bei Arbeitskonflikten und förderte nach 1945 die Entwicklung von Gesamtarbeitsverträgen.

Ab diesem Zeitpunkt entfaltete sich die Rolle der Wirtschaftsverbände in den Prozessen der direkten Demokratie. Sie waren zwar bereits zuvor zu Gesetzesentwürfen konsultiert worden. Doch ihre zentrale Funktion bei deren Ausarbeitung wurde 1947 offiziell verankert. In diesem Jahr nahm das Volk nicht nur die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) an, sondern auch die Wirtschaftsartikel in der Verfassung. Letztere ermöglichten nicht nur bestimmte staatliche Eingriffe, sondern bekräftigten auch die Pflicht zur Konsultation von Arbeitgebern und Gewerkschaften im Rahmen von Vernehmlassungen, wodurch auch das Referendumsrisiko minimiert werden sollte.

Die Verbindungen der Wirtschaft zur parlamentarischen Arena brachen nicht ab. Sie änderten allerdings ihre Natur. Die Unternehmer, vor allem die kleinen, verschwanden nicht, auch wenn die Wirtschaft nun hauptsächlich durch Verwaltungsräte vertreten wurde, die nicht unbedingt als eigentliche Unternehmer tätig waren. Es begann die Ära der Wirtschaftsanwälte.

Parallel dazu begann auch die Ära der hauptamtlichen Verbandsvertreter, die gemeinsam mit den letzten Journalisten im Parlament wie Willy Bretscher, Chefredaktor der NZZ, wirkten. Verbandsvertreter hatte es bereits früher gegeben – etwa den Vorort-Direktor Alfred Frey Ende des 19. Jahrhunderts, Ernst Wetter, der 1940 zum Bundesrat gewählt wurde, oder Walther Stampfli, Direktor des Solothurner Industrieverbands und «Vater» der AHV. Doch nun wurde diese Entwicklung zum Standard.

Otto Fischer war Berner Nationalrat und Direktor des Gewerbeverbands. Als Mitglied des rechten Flügels der Freisinnigen verbündete er sich 1987 mit Christoph Blocher gegen den UNO-Beitritt. Zu nennen sind auch Richard Reich, Direktor der 1943 gegründeten Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft (Wirtschaftsförderung), oder Pierre Triponez, der ab 2000 als Direktor des SGV wirkte.

Die noch in Bern verbliebenen Unternehmer sahen sich nicht als Erben ihrer Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert. Blocher beispielsweise verfolgte zwar wie andere seine Interessen, stellte sich aber – anders als die früheren Unternehmer – kaum in den Dienst der Regierung. Im Gegenteil: Er wurde zu einem ihrer schärfsten Kritiker. Seine Partei löste, trotz der Widersprüche ihres isolationistischen Kurses, die Freisinnigen in ihrer Rolle als Vertreter der Unternehmensinteressen zunehmend ab.

«Blocher verfolgte zwar wie andere seine Interessen, stellte sich aber – anders als die früheren Unternehmer – kaum in den Dienst der

Regierung. Im Gegenteil: Er wurde zu einem ihrer schärfsten Kritiker.»

Eine besorgniserregende Entwicklung

Die zunehmend marginale Präsenz der Unternehmer in der Bundespolitik ist bezeichnend für eine problematische Entwicklung. Zwar war die frühere Monopolisierung der Sitze durch die «Eisenbahnbarone» nicht unbedenklich, und Interessenkonflikte liessen sich nicht gänzlich vermeiden. Doch ihre heutige Abwesenheit spiegelt vor allem den grossen Wandel wider, der sich seit den 1990er-Jahren in den Führungsetagen grosser Unternehmen vollzieht. Die zeitlichen Anforderungen beanspruchen zweifelsohne ihre gesamte Energie. Zudem prägt nun eine neue Generation von «CEOs» das Bild – häufig von der angelsächsischen Kultur geprägt und mit den konsensorientierten politischen Gepflogenheiten der Schweiz weniger vertraut.

Ein paralleles Phänomen zeigt sich bei den Gewerkschaften, deren Führungskräfte zunehmend an französischen Schulen ausgebildet werden – Institutionen, die nicht gerade für ihre Mässigung bekannt sind. Diese Entwicklungen sind besorgniserregend. Die Präsenz grosser Unternehmer im Parlament bietet den wichtigen Vorteil, dass sie einer oft selbstreferenziellen politischen Welt die wirtschaftliche Realität näherbringen. Die historische Bilanz zeigt deutlich: Ihr Engagement war überwiegend positiv für das Land. Vor diesem Hintergrund hat die Fusion zwischen Vorort und Wirtschaftsförderung im Jahr 2000 zu einer bedauerlichen Entfremdung zwischen Politik und Wirtschaft beigetragen.

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