Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos

«Die Universitäten sind zu
ideologischen Instrumenten der
Politik geworden»

Die Hochschulen haben die Suche nach der Wahrheit durch Aktivismus ersetzt. Jacob Howland will mit der neu gegründeten University of Austin gegensteuern.

«Die Universitäten sind zu ideologischen Instrumenten der Politik geworden»
University of Austin in the US state of Texas, photographed by Ronnie Grob

Read the English version here.

Die 2021 gegründete University of Austin liegt mitten in der Innenstadt von Austin an der Congress Avenue, die direkt zum Texas State Capitol führt. Noch wirkt alles hier wie ein Start-up, doch man gibt sich Mühe, als Universität mit Tradition zu erscheinen: Wer sich ein Buch aus der Bibliothek schnappt und sich auf eines der Chesterfield-Sofas setzt und über die Sammlung von Globussen blickt, könnte für einen Moment glauben, er sei in Old England, zum Beispiel in Cambridge.

Jacob Howland, Universitäten wurden gegründet, um die Wahrheit zu finden, und Ihre Universität verfolgt dieses Ziel sehr explizit. Teilen andere Universitäten in den USA dieses Ziel nicht mehr?

Es ist ein Problem, das es in allen englischsprachigen Ländern gibt, insbesondere in Kanada: Politik und Ideologie sind in die Universitäten eingedrungen. Die altmodische Vorstellung von Universitäten war – und das ist es, was Universitäten wirklich sein sollen –, dass sie Gemeinschaften sind, in denen man nach der Wahrheit sucht und in denen Bildung stattfindet. Weisheit und Wissen, das in der Vergangenheit angesammelt wurde, sollen weitergegeben und erweitert werden, von Generation zu Generation.

 

Und das ist nicht mehr der Fall?

Irgendwann in den letzten vier Jahrzehnten hat sich das Konzept der Hochschullehre in Richtung politischen Aktivismus entwickelt. Die Idee war, wie Marx schrieb, dass es nicht darum gehe, die Welt zu kennen, sondern darum, sie zu verändern. Diese Art von weichem Marxismus hat die Universitäten erobert.

Jacob Howland, zvg.

Haben Sie Beispiele dafür?

Wenn Sie die natürlichen, sexuellen Unterschiede zwischen Männern und Frauen erforschen wollen, werden Sie an vielen Unis nicht weit kommen, weil das mit Geschlechtsidentität und Transsexualität kollidiert. Wenn Sie Fragen der Intelligenz zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen erforschen wollen, ist das untersagt. Wenn Sie zum Klimawandel Stellung nehmen wollen, verstösst das gegen die Orthodoxie der UNO und anderer Organisationen. Diese Universitäten und Organisationen ­gehen davon aus, dass sie die Wahrheit bereits kennen, und die Regierungen arbeiten mit ihnen zusammen. Die National ­Science Foundation der USA vergibt zum Beispiel Gelder an Universitäten, um zu untersuchen, wie man Material im Internet zensieren kann. Sie waren während Corona sehr aktiv; wenn jemand sagte, dass das Covid-19-Virus aus einem Labor in China stamme, wurde das unterbunden. Die Universitäten sind zu ideologischen Instrumenten der Regierungspolitik geworden.

 

Was für eine Alternative bieten Sie an?

Wir wollen einfach ein Umfeld schaffen, in dem Studierende und Lehrende wieder nach der Wahrheit suchen können. Ohne Angst. Ohne den Druck, sich den gängigen Meinungen anzupassen. Ohne die Sorge, dass Lehrkräfte wegen ihrer heterodoxen Ansichten entlassen werden könnten. Die Studierenden müssen das Gefühl haben, dass sie im Klassenzimmer frei reden können. Das ist ein grosses Problem, denn jede einzelne Umfrage, die ich gesehen habe, zeigt, dass sich die Mehrheit der Lehrer und Studenten selbst zensieren, weil sie Angst vor den Konsequenzen haben, wenn sie sich nicht an die «richtigen» Meinungen halten.

 

Die Frage ist doch aber auch politisch. Wie ist der Anteil von Demokraten und Republikanern an der University of Austin?

Lassen Sie mich mit den Studenten beginnen. Wir wissen nicht, welche politischen Ansichten sie haben. Wir haben sogar eine Verfassung, die besagt, dass wir bei der Zulassung von Studenten weder ihre Ethnie noch ihre sexuelle Orientierung, ihre Politik, ihre Religion oder irgendetwas in dieser Art berücksichtigen dürfen. Ich bin mir sehr sicher, dass sie aus dem gesamten politischen Spektrum kommen, und das nicht unbedingt in gleicher Zahl. Das liegt einfach daran, dass sie aus unterschiedlichen Verhältnissen kommen.

 

Und die Professoren?

Wir versuchen, eine echte Mischung und eine Art Gleichgewicht zu erstellen. Der Grund dafür ist nicht, dass wir eine bestimmte politische Identität vermitteln wollen. Der Grund ist, dass die Vielfalt der politischen Positionen ein – nicht immer ganz genauer – Indikator für die Vielfalt der intellektuellen Positionen ist. Wenn das Verhältnis von Demokraten und Republikanern in der Fakultät der Harvard-Universität etwa 80 oder 90 zu 1 ist, kann ich Ihnen mit grosser Sicherheit sagen, welche Positionen an dieser Universität wahrscheinlich nicht vertreten sind.

 

Wo liegt das Problem?

Das Hochschulwesen ist insgesamt sehr linkslastig geworden. Wer bereits in der akademischen Welt tätig ist, neigt dazu, uns sehr misstrauisch zu betrachten. Denn wir haben von Anfang an gesagt, dass wir keine Ideologie im Klassenzimmer haben wollen und neutral sein wollen. Es hat mich gefreut zu sehen, dass sich einige Leute beworben haben, die sich als Linke bezeichnen, und dass einige eingestellt wurden.

 

Sich als Student an der University of Austin zu bewerben, ist nicht ganz einfach. Warum?

Zunächst einmal ist es nicht ganz einfach, eine neue Universität zu gründen. Es gibt etwas, das die Wirtschaftswissenschafter als «Regulatory Capture» bezeichnen. Im Bundesstaat Texas müssen Sie als neue Universität zugelassen werden, und sobald Sie die Zulassung erhalten haben, haben Sie sieben Jahre Zeit, um akkreditiert zu werden. Und bevor man akkreditiert ist, kann man vieles nicht tun.

 

Was denn nicht?

Wir dürfen etwa die «Common Application», den universitätsübergreifenden Zulassungsantrag, nicht verwenden. Wir können keine Transferstudenten von anderen Universitäten aufnehmen. Wir können keine staatliche Finanzhilfe für finanziell bedürftige Familien erhalten. Ausserdem können wir erst dann akkreditiert werden, wenn wir unseren ersten Studienjahrgang abgeschlossen haben. Unsere erste Klasse wird also ihren Abschluss an einer Universität machen, die nicht akkreditiert ist, was bedeutet, dass einige juristische und medizinische Fakultäten oder Graduate Schools sie nicht berücksichtigen werden, weil sie einen Abschluss von einer akkreditierten Einrichtung verlangen. All diese Hindernisse bedeuten, dass es für einen Studienanfänger viel riskanter ist, an unserer Universität anzufangen als an einer etablierten Universität.

 

In diesem Fall hatten Sie nur wenige Bewerbungen?

Die Zahl der Bewerbungen war nicht sehr hoch, aber die Studenten sind durchaus risikofreudig. Um sich zu bewerben, müssen sie zwei Aufsätze speziell für uns schreiben und eine standardisierte Prüfung ablegen, wie den SAT oder den ACT. Seit 2020, als George Floyd starb, haben viele Universitäten standardisierte Prüfungen abgeschafft. Die Ivy-League-Universitäten kehren erst jetzt zu solchen Prüfungen zurück, weil die Abschaffung nicht funktioniert hat. Aber immer noch verlangen etwa achtzig Prozent aller Colleges und Universitäten in diesem Land keine standardisierte Prüfung.

 

Was würden Sie tun, wenn Ihre Studenten politisch werden und an Ihrer Universität Anti-Israel-Proteste abhalten?

Lassen Sie mich ein paar Dinge unterscheiden: Erstens gibt es etwas, das man akademische Freiheit nennt. Dann gibt es die Redefreiheit, die durch den ersten Verfassungszusatz geschützt ist. Eine Äusserung jedoch ist nicht dasselbe wie Redefreiheit. Hier ein Beispiel: Wenn ich jetzt aufstehe und «Ahhh!» schreie, ist das eine Äusserung, aber keine Rede, denn eine Rede ist artikuliert. Redefreiheit ist zudem nicht dasselbe wie akademische Freiheit. Der erste Verfassungszusatz gibt Ihnen das Recht, das Telefonbuch zu nehmen, sich in einen öffentlichen Park zu stellen und dieses Buch laut zu lesen. Aber Sie haben nicht das Recht, das in einer Klasse zu tun.

 

Was dürfen die Studenten denn an Ihrer Universität tun?

An Universitäten geht es um Lehren und Lernen, um Erhalt, Weitergabe und Erweiterung von Wissen. All das kann man dort frei tun, das darf nicht angetastet werden. Ausserhalb des Klassenzimmers gilt die Redefreiheit. Mit anderen Worten: Wenn Studenten an einer Universität auf dem Rasen vor einem Gebäude stehen und sagen wollen, dass sie Palästina unterstützen, haben sie das Recht dazu. Das ist an sich noch kein Eingriff in die akademische Freiheit.

 

Was wäre denn einer?

Wenn eine Gruppe von Studenten in einem Raum auf dem Campus sagt: «Diese Zone ist weder für Juden noch für Zionisten», was geschehen ist, oder wenn sie Universitätsgebäude besetzt und den Zugang dazu blockiert, dann ist das eine Verletzung der akademischen Freiheit. Das Gleiche gilt, wenn jemand ins Klassenzimmer kommt, den Unterricht unterbricht und sagt: «Dieser Lehrer ist Jude»; wenn jemand einen Professor unterbricht oder einen Gastredner verhindert. Ihre Redefreiheit endet, wenn Sie anfangen, die Lehr- und Lernbedingungen an einer Universität anzugreifen.

 

Können Sie mir erklären, was der Begriff «woke» bedeutet?

Wir versuchen, diesen Begriff zu vermeiden, weil er ein Zeichen dafür ist, dass diejenigen, die ihn verwenden, eine politische Position einnehmen, und wir wollen uns von politischen Positionen abgrenzen. Aber wir können «woke» als Identitätsautoritarismus bezeichnen.

 

Warum?

Identitätsautoritarismus ist stark auf die Gruppenidentität ausgerichtet. Für Leute, die sich als «woke» («erwacht») sehen, ist jemand nicht als unabhängiges, reflektierendes, aktives Individuum wichtig, sondern seine Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Sie zum Beispiel sind ein weisser Mann und daher (nach Ansicht solcher Leute) im Vergleich zu einer schwarzen Frau deutlich privilegiert. Die Woke-Philosophie besagt, dass Gesellschaft und Politik ein Bündel von Machtverhältnissen seien, die in aller Regel eine Nullsumme ergäben. Woke ist autoritär, weil die Menschen, die diese Positionen vertreten, eine politische Agenda verfolgen und daher nicht an einer Diskussion oder Debatte interessiert sind, die darauf abzielt, grundlegende Voraussetzungen zu untersuchen und die Wahrheit zu finden. In seiner extremen Ausprägung ähnelt Woke auf gewisse Weise dem Leninismus, bei dem die einzige Frage von Interesse jene ist, ob jemand die Kommunistische Partei unterstützt oder nicht. Lautet die Antwort «Nein», so ist die Person ein Feind und kann ausgeschaltet werden.

«In seiner extremen Ausprägung ähnelt Woke auf gewisse Weise dem Leninismus.»

 

Waren die deutschen Nationalsozialisten also woke?

Nach dem, was ich eben gesagt habe, lautet die Antwort: Ja, sie waren Identitätsautoritäre.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!