Die Tanne brennt!
Alle Jahre wieder: Die Tanne brennt auch 2008 Die Geschichte, in der der Autor sich am weitesten vorwagt, ist die drittletzte des Bandes «Die Tanne brennt!» von Beat Brechbühl. Schöpfer heisst der Protagonist ihrer Binnenerzählung, er ist Angehöriger der Generation Fünfzig plus und frisch gebackener Eheaussteiger. Als Vertreter von Assekuranzen bedient er die «Gier nach […]
Alle Jahre wieder: Die Tanne brennt auch 2008
Die Geschichte, in der der Autor sich am weitesten vorwagt, ist die drittletzte des Bandes «Die Tanne brennt!» von Beat Brechbühl. Schöpfer heisst der Protagonist ihrer Binnenerzählung, er ist Angehöriger der Generation Fünfzig plus und frisch gebackener Eheaussteiger. Als Vertreter von Assekuranzen bedient er die «Gier nach absoluter Sicherheit». Der Unterbau des eigenen Lebens bezieht seine vermeintliche Festigkeit aus dem Dreiklang von tüchtig sein, Geld verdienen, und positiv denken. Für solch einen Helden unserer Zeit, der ihre Normen perfekt verinnerlicht hat, werden die mit dem 24. Dezember beginnenden Tage «unweigerlich» zum «Problem», und desto mehr, als er sich von der Religion emanzipiert hat. Nach erfolglosen Versuchen, der «Nervosität» am Heiligen Abend zu entkommen, stösst ausgerechnet Schöpfer zufällig auf eine im Wald versteckte Elendsfamilie, illegal eingereiste Menschen aus Kroatien, wie sich herausstellt. Wider seine Selbstkontrolle geraten seine Gedanken auf Abwege: «es fuhr wie ein Blitz ins Hirn: jetzt tu ich einmal im Leben ETWAS, etwas Richtiges!» Um ihnen Herberge zu gewähren, bringt er die Migranten zu der eigenen Familie, die er verlassen hatte, und gemeinsam sorgen sie von da ab dafür, dass sie eine Zukunft haben. Dem Erzähler bietet der geläuterte Versicherungsmann einige bei der Lektüre tatsächlich naheliegende Deutungsmuster an: ist «das Ganze» nun «ein grosser Kitsch … ein Märchen oder eine richtige Fabel?» Wenn es nach dem Schlusssatz geht, dann nichts von alledem, vielmehr gilt: «Wir brauchen solche Weihnachten wie du.»
An Weihnachten leuchtet mitten im tristen oder banalen Alltag etwas Verwandelndes auf, an Weihnachten vermag etwas zu geschehen, was die Menschen entweder besser macht oder ihnen Hoffnung gibt. Auf diese Pointe laufen alle neun Erzählungen Beat Brechbühls hinaus, deren kürzeste vier, deren längste lediglich zwölf Seiten umfasst. Und diese leise Subversivität des Festes erreicht ironischerweise gerade diejenigen, die mit seinem christlichen Gehalt nichts mehr verbinden. Von den «merkwürdigsten Weihnachten» der handelnden Personen wird daher stets berichtet. Einmal ist es der Besuch eines Zauberers, der auf das Übernatürliche verweist, das andere Mal die Geburt eines Kindes, von dem eine grosse Kraft ausgeht, einmal rettet just der erklärte Gegner von Haustieren eine Katze, ein andermal wird die Einsamkeit einer allein erziehenden Mutter aufgehoben, die sich durch die Fernsehprogramme zappte – «Kinderchöre singen Weihnachtslieder, Politiker, Pfarrer reden über Weihnachten, ein Western, ein Krieg» –, und in der Schlussgeschichte entdeckt eine blinde Frau Verantwortung für ein schutzloses Mädchen. «Steckt eine Symbolik in der Geschichte?» Dieser Frage bedürfte es natürlich auch hier nicht. Die zunächst nur ritualisiert anlaufenden Feiern spielen in den Milieus kleiner und mittlerer Leute, in Neubausiedlungen, Reihenhäusern oder Wohnblöcken, und finden in unterschiedlichen familiären Konstellationen statt, scheinbar normalen, bizarren oder verkorksten. Ihren Charme beziehen die Geschichten aus dem humanen Ausnahmezustand, der, wie aus einer anderen Wirklichkeit, in diese Lebenswelten einbricht, in denen die Gleichgültigkeit und das Unglück der Gesellschaft dieser Jahre erkennbar werden.
Seit seiner ersten Veröffentlichung 1962 ist Beat Brechbühl ein vielseitiger und produktiver Schriftsteller geblieben. Mit dem Höhepunkt während der 70er Jahre zumal, hat er als Romancier und Lyriker Spuren in der Schweizer Literatur hinterlassen, die nach wie vor erkennbar sind. Den Anspruch seiner in der kleinen Reihe «Geschichten zur Weihnachtszeit» erschienenen Texte (bei deren Adressaten er zuweilen an Jugendliche gedacht haben mag) sollte man gewiss nicht überfrachten. Ihre Erzählweise ist einfach, doch nicht ohne Raffinement, und Respekt verdient seine Gratwanderung bei einem Thema allemal, von dem viele vielleicht glaubten, man könne sich zu ihm nurmehr heimelig oder ironisch verhalten.
vorgestellt von Hans-Rüdiger Schwab, Münster
Beat Brechbühl: «Die Tanne brennt!» Geschichten zur Weihnachtszeit». Frauenfeld: Huber, 2007.