«Die Suppe löffelt sich selber aus»
Ihre Heimatmaschine brachte an der Expo.02 die Schweizer zum Staunen. Ihr fallender Garten verzauberte 2003 an der Biennale Venedig das internationale Publikum. In ihrem Landparadies in Langenbruck sprechen Steiner/Lenzlinger nach einem ausgiebigen Zmittag über den Zusammenhang von Permakultur
und Eselsalami. Und über Kunst im Weltall.
Nachdem wir nun so herrlich gespeist haben – Gemüse aus eurem Garten, Birkenwasser vom Baum –, Gerda und Jörg, was macht
die Kunst?
Gerda: Hier siehst du gerade die letzten Tests einer Suppen-Installation für ein Schloss in der Nähe von Paris und dort hinten hängen die letzten Teile der Wildschweine-Installation für den Skulpturenpark Schönthal.
Jörg: Momentan läuft auch unsere Einzelausstellung «Hochwasser» im Arp-Museum in Rolandseck.
Suppen, Wildschweine, Hochwasser? – Das müsst ihr etwas genauer erklären.
Gerda: Beginnen wir mit den Suppen: «Green Soup» ist eine Rauminszenierung für den Speisesaal eines der schönsten Loire-Schlösser, in Domaine de Chaumont-sur-Loire. Dort gibt es jeden Sommer eine Gartenschau mit zeitgenössischer Kunst. Das Thema dieses Jahr ist «Biodiversität».
Jörg: Wie immer.
Gerda: Heisst: man redet viel und macht wenig. Und deswegen haben wir uns entschlossen, ein Suppenessen zu machen. Mit einer grünen Suppe, die aus Dünger besteht.
Und wer soll diese Suppe auslöffeln?
Gerda: Die Suppe löffelt sich selber aus. Nein, sie wächst aus
dem Teller.
Jörg: Durch das zugefügte Wasser kristallisiert und wächst der Dünger und mit ihm die Skulptur. Das sieht dann fast ein bisschen wie ein Broccoli aus – aber eben aus künstlichem Dünger und giftgrün.
Kunstdünger als Material. Das benutzt ihr jetzt seit fast 20 Jahren. Wie kam es dazu?
Jörg: Angefangen hat es mit Testreihen von Kristallisationsphänomenen für wissenschaftliche Museen. Ich versuchte herauszufinden, wie sich Kristalle formieren. Erst später wurde es auch inhaltlich und ich fragte mich: wie kultivieren wir unseren Boden und unsere Landschaft? Es geht letztlich um das Spannungsfeld zwischen Künstlichkeit und Natur.
Gerda: Wir arbeiten deshalb sowohl mit natürlichen Materialien als auch mit Kunststoffen. Der Dünger ist dabei so etwas wie das Bindeglied.
Jörg: Interessant ist, dass die Skulpturen, die daraus entstehen, reversibel sind. Sie lassen sich wieder auflösen. Und wenn man erneut Wasser hinzugibt, bilden sie sich von neuem – aber anders! Und: es ist verblüffend, dass die Skulpturen mit der Zeit sogar besser wachsen.
Gerda: …schneller und grösser.
Jörg: Eine Art Lerneffekt. So zumindest unsere Erfahrung.
Ein interessanter, aber nicht unproblematischer Aspekt eurer Arbeit ist also die Vergänglichkeit der Werke…
Gerda: Ja. Was auch zur Folge hat, dass die Konservatoren gar keine Freude an uns haben. (lacht)
Jörg: Mir ist eigentlich wichtiger das Erlebnis, die Erinnerung, die in den Köpfen bleibt. Auch nach acht Jahren werden wir immer noch auf unsere Biennale-Arbeit in der Kirche San Stae in Venedig angesprochen. Die Leute sind teils richtig gerührt, wenn sie davon erzählen. Das ist ein Gefühl, das bleibt – und damit für mich schöner und wertvoller als das Artefakt. Man lebt diesen Moment. Es ist ja überhaupt eine schöne Erfahrung, Menschen zu beobachten, während sie unsere Ausstellungen anschauen. Das erzählt uns viel über die Leute.
Ihr schafft also Möglichkeits- und Assoziationsräume – wie wichtig ist die Interaktion mit dem Publikum?
Gerda: Wir machen unsere Arbeiten schon für die Menschen und Besucher von Ausstellungen. Sie können mitnehmen, was sie wollen.
Jörg: Und ihre eigenen Geschichten bauen. Die Schönheit ist das Zusammenspiel der Dinge und nicht das einzelne Ding.
Gerda: Obwohl wir uns auch schon überlegt haben, ob wir nicht auch Kunst irgendwo – vielleicht im Wald – machen wollen. An Orten, die uns gefallen, wo aber kein Mensch ist. Doch, manchmal machen wir auch Installationen nur für Orte.
Wir sitzen hier in eurer Wohn- und Arbeitsküche, die teils als Kristalllabor genutzt wird. Da sieht man dann gleich am Morgen, wie die Kunst gewachsen ist.
Jörg: Jeder Unternehmer wünscht sich doch, dass es über Nacht Wachstum gibt. Das Wachstum zu beobachten ist eine gute Energie. Und doch: das Gewachsene zerfällt auch wieder. Es gibt einen Punkt, an dem ein Organismus so gross wird, dass er kollabiert. Oder wie in unserem Fall: sich wieder auflöst. So gehen wir nicht nur mit Dünger um, sondern auch mit unseren anderen Werkmaterialien. Wir haben einen grossen Materialfundus, der sich je nach Situation neu einsetzen lässt.
Gerda: Da hat sich in den letzten zehn Jahren einiges angesammelt. Jetzt haben wir entschieden, dass wir vorerst das aufbrauchen, was wir haben. Dazu kommen dann immer noch die ortspezifischen Elemente, die dann aber auch meist dort zurückbleiben.
Wie sieht das konkret aus? Zum Beispiel bei eurer aktuellen Ausstellung im Arp-Museum in Rolandseck?
Jörg: In der Ausstellung geht es ums «Hochwasser». Das Dorf Rolandseck liegt am Rhein und das Museumslager wurde schon mehrfach überschwemmt. Daraus konnten wir all das Inventar, die Vitrinen, die Sockel und Kataloge, für unsere Installation auftürmen.
Gerda: Plus Schwemmgut aus dem Rhein.
Nach dem Tsunami in Japan kriegt das eine ungewollte Brisanz und Aktualität.
Gerda: Das ist natürlich traurig. Aber unabhängig davon schafft so ein Hochwasser auch neue Perspektiven, eine neue Ordnung. Es reisst alles mit, wirbelt es durcheinander und setzt es irgendwo wieder ab. Das hat uns interessiert. Ohne Wertung, ob das jetzt gut ist oder schlecht.
Jörg: Ähnlich einem Korallenriff wächst aus dem Chaos neues Leben. Ein Hochwasser ist für das Land oft auch Befruchtung, für die Vielfalt des Lebens ist es etwas Gutes. Und auch für die Leute am Rhein hat es nicht nur Schrecken. Das Ereignis schweisst zusammen, man hilft sich.
So eine grosse Installation braucht sicher einen ziemlichen Vorlauf.
Gerda: In der Regel starten wir ein Jahr vorher. Wenn die Konzeption steht und all das Material ins Museum kommt, haben wir ungefähr einen Monat Aufbauzeit für das eigentliche Werk. Vieles ist in dieser Phase spontan, die Installation nimmt erst im Museum ihre endgültige Form an.
Jörg: Und am Schluss löst sie sich dann auch meist wieder auf. Es bleiben selten fertige Kunstwerke für den Kunstmarkt. Wir verkaufen kaum Objekte, meist arbeiten wir auf Honorarbasis. Und davon leben wir eigentlich.
Gerda: Ich mag diesen Zyklus. Ausstellungen wachsen, werden und vergehen wieder. Ein Kreislauf.
Und wenn es nun mal nicht mehr aufgehen sollte? Würdet ihr dann für den Kunsthandel arbeiten oder etwas ganz anderes machen?
Jörg: Wir würden hier im Garten Esel züchten.
Gerda: …und daraus Salamis machen.
Der Back-up-Plan ist die Steiner/Lenzlinger-Wurst?
Jörg: Ja. Wir finden sowieso, dass Kunst wie die Permakultur funktionieren sollte.
Gerda: Es ist wie im eigenen Garten. Permakultur arbeitet mit den Dingen, die da sind. Und sie hält alle vorgefundenen Sachen lebendig. Du konzentrierst dich nicht nur auf ein bestimmtes Gemüse, sondern auch auf den Boden und auch auf die Insekten und Tiere, die damit zusammenhängen. Das Ganze ist ein Kreislauf. Metaphorisch gesagt: ein Feld, auf dem wir alle gleichzeitig leben können.
Okay, gehen wir zurück zum Esel. Nachdem er Junge gezeugt hat, wird er nun also zu Salami verarbeitet. Was geschieht mit den Knochen?
Gerda: Daraus machen wir Velohelme. Oder hängen sie ins Museum.
Könnt ihr diesen Transfer vom Knochen zu Kunst anhand der ak-tuellen Installation «Eldorado» für den Skulpturenpark des Klosters Schönthal erklären?
Jörg: Als wir angefragt wurden, einen Beitrag zu machen, haben wir uns die Gegend angeschaut und ein unbenutztes Silo entdeckt. Heute verwenden die meisten Bauern nur noch diese Plastikfolien, um ihr Gras einzupacken. Und so stehen dann leere Silos wie vergessene Skulpturen herum. Für uns ist das ein toller Raum: rund, hoch, fast schon sakral. Wir liessen das Dach durch eine Plexikuppel ersetzen und haben eine Türe angebracht. Und da drin haben wir eine vielteilige, Mobile-artige Knocheninstallation geschaffen, eben das «Eldorado».
Gerda: Hier in der Gegend gibt es recht viele Wildschweine, die zunehmend zu einem Problem für die Bauern werden, da sie die Wiesen aufreissen. Sie sind aber sehr schwierig zu schiessen, da sie extrem scheu und klug sind. Der Jäger, von dem wir die Knochen haben, meinte, als Faustregel gelte: für ein 50-Kilo-Wildschwein musst du 50 Stunden sitzen.
Jörg: Bei der Eldorado-Arbeit geht es uns darum, diesen Wildschweinen eine Möglichkeit zu geben, dass ihr Geist weiterleben kann. Wir haben die Knochen auch nicht so arrangiert, dass sie anatomisch genau wieder ein Wildschwein darstellen, sondern so zusammengesetzt, dass neue Knochenwesen daraus entstehen.
Gerda: Das Eldorado ist ja ein Ort, den man sich paradiesisch vorstellt. Eldorado heisst spanisch «der Goldene» und rührt von einem alten kolumbianischen Brauch her: einmal im Jahr opferte man dem Sonnengott Gold, indem man es in einen See warf. Daraus entstand dann die Legende vom sagenhaften Goldland Eldorado.
Aha, deswegen haben diese Wildschweinschädel wohl nun Goldzähne. Ist es denn eher ein Eldorado für die Schweine oder für den Bauern?
Gerda: Für beide. Das ist unsere Idee.
Jörg: Beide lachen auf den Goldzähnen. Der Bauer, weil er sie jetzt doch gekriegt hat, und die Wildschweine, weil sie irgendwie doch überlebt haben.
Ihr arbeitet nicht nur gemeinsam, sondern seid auch privat ein Paar. Ist das nicht manchmal eine ziemliche Herausforderung?
Jörg: Nein, es ist eher eine Energiequelle. Installationen machst du nicht alleine. Das wäre sehr einsam.
Gerda: Die Forschung mit den Kristallen ist mehr Jörgs Gebiet. Ich mache dafür die Zeichnungen. Aber alles läuft unter beider
Namen. Weil die Themen schlussendlich dieselben sind. Ob ich jetzt Wachstum zeichne oder Jörg etwas wachsen lässt, das kommt in denselben Topf. Wir funktionieren einfach gut zusammen… und wir haben es gut zusammen.
Bevor ihr euch zusammengetan habt, seid ihr immerhin rund zehn Jahre als Solisten unterwegs gewesen. Wie seid ihr zur Kunst gekommen?
Gerda: Ich war 15, im Gymnasium und hatte genug von der Schule. Ich habe dann die Prüfung für den Vorkurs der Kunstgewerbeschule in Luzern gemacht und bin angenommen worden. Später habe ich dann noch die Malklasse in Basel besucht, habe mich danach aber auch anderen Medien zugewandt: Foto, Video, Text, Zeichnung, alles querbeet.
Als ich dich, Jörg, im Telefonbuch nachschlug, stand dort als Beruf «Sachbearbeiter»…
Jörg: Ja, ich bearbeite Sachen. (lacht) Ich habe eine Schreinerausbildung gemacht. Was mir bis heute zugute kommt. Das Planen, das Machen, die Sinnlichkeit der verschiedenen Materialien. Danach hab ich dann auch den Vorkurs besucht, eine Kunstklasse gab es damals in Zürich noch gar nicht. Ich habe vieles ausprobiert, hatte eine Noise-Band und habe Performances und Ausstellungen in leerstehenden Häusern organisiert.
Über solche Happenings seid ihr dann zusammengekommen?
Gerda: Damals gab es die «Filiale» in Basel, bei der ich mitgemacht habe. Selbstorganisierte Kunstevents und Aktionen. Das verstand ich auch als Teil meiner künstlerischen Arbeit: dass Künstler sich selber organisieren, selber Räume suchen und sich selber ausstellen – und nicht einfach dasitzen und meinen, dass der Galerist einen schon abholen kommt. Das ist extrem naiv.
Heute ist doch die Zeit der Selbstpromotion vorbei.
Jörg: Ja, aber ich bin froh, dass uns das nicht schon zwischen 20 und 30 passiert ist. Denn du musst auch mit den Anfragen und Angeboten umgehen können, deine Energie einteilen. Es gab Zeiten, da haben wir zu viel gemacht.
Entweder wächst man dann und stellt Mitarbeiter ein, oder aber man reduziert – und wird exklusiv. Assistenten sehe ich hier keine.
Jörg: Wir wollen keine Mitarbeiter, die immer nur noch das wiederholen, was wir ihnen beigebracht haben.
Gerda: Und wir arbeiten gern. Ich will die Arbeit selber machen. Wieso soll ich anderen Leuten Aufträge geben, wo ich doch eigentlich selbst Lust habe, sie zu machen?
Eure Arbeiten werden oft als poetische Traumwelten beschrieben. Wo sind denn eure ganz persönlichen Sehnsuchtsorte? Baut ihr sie – oder gibt es sie schon?
Jörg: Im Moment liegt für mich dieser Ort hinter unserem Haus. Der Acker.
Und gibt es einen Ort, an dem ihr gerne noch eine Arbeit verwirklichen möchtet?
Jörg: Eine Installation im Weltall wäre toll. Da könnten wir die Dinge einfach so im Raum plazieren.
Damit wärt ihr auch endlich das Schwerkraftproblem los. Wobei ihr mit euren schwebenden Gärten da auf einem guten Wege seid…
Gerda: Ja, wir arbeiten gerne in der Luft. Und als Gegengewicht unterirdisch, in Grotten.
Die Nasa betreibt seit Jahren ein eigenes Kunstprogramm: Andy Warhol, Nam June Paik, Tom Sachs und Laurie Anderson haben da schon Projekte für und mit dem Weltraum realisiert, meldet euch doch da mal! Aber: Würde denn euer Kunstdünger überhaupt im Weltall wachsen?
Gerda: Ich glaube schon.
Jörg: Er wächst ja sogar hier unten gegen die Schwerkraft. Sauerstoff braucht es dafür nicht zwingend, der Dünger muss nur verdunsten können. Und die Sonne scheint ja auch da oben.
«Über die Metapher des Wachstums», Frankfurter Kunstverein, bis 31.7.2011, www.fkv.de
«Hochwasser», Arp-Museum, Rolandseck, Remagen (D), bis 14.8.2011, www.arpmuseum.org
«Les Envahisseurs!», Bundesgartenschau 2011, Koblenz, bis 16.10.2011, www.buga2011.de
«The Green Soup», Domaine de Chaumont-sur-Loire, Centre d’Arts et de Nature, bis 3.11.2011, www.domaine-chaumont.fr
«Resonanzen», Nairs, Zentrum für Gegenwartskunst, bis 11.9.2011, www.nairs.ch
«Eldorado», Kloster-Schönthal-Skulpturenpark (permanent), www.schoenthal.ch