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Die Suche nach dem ewigen Leben

Die Suche nach dem ewigen Leben

Mit Milliardeninvestitionen versuchen die Weltveränderer aus dem Silicon Valley den Tod zu besiegen – oder wenigstens das Alter. Das ist nicht so utopisch, wie es scheinen mag.

Eine Reportage von Tad Friend
Mit Illustrationen von Christina Baeriswyl

Es ist ein linder Märzabend. Norman Lears Wohnzimmer im Mandeville Canyon, hoch über Los Angeles, ist proppenvoll mit einflussreichen Leuten, die etwas über das Geheimnis eines langen Lebens erfahren wollen. Als der erste Referent des Symposions die Frage in den Raum stellt, wer von den Anwesenden 200 Jahre alt werden möchte, vorausgesetzt, er könnte sich seine Gesundheit erhalten, hebt praktisch jeder die Hand. Was erklärt, warum kaum einer den marokkanischen Filoröllchen mit Huhn zuspricht. Die Risikokapitalgeber achten auf ihre Figur, um sich ihre imposante Vitalität zu bewahren; die Wissenschafter achten auf ihre Figur, weil sie die Studien über Kalorienrestriktion kennen – wenn sie sie nicht gar selbst besorgt haben; und dass die Hollywoodstars auf ihre Figur achten, versteht sich von selbst.

Als Liz Blackburn, die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Genforscherin, nach ihrem Vortrag um Fragen bittet, meldet sich säuselnd von ihrem gemütlichen Sofa aus eine fürstliche Goldie Hawn: «Ich hätte eine Frage zu den Mitochondrien. Ich habe da von einem Molekül gehört, Glutathion, das mit für die Gesundheit der Zelle sorgt?» Glutathion ist ein wirkungsvolles Antioxidans, das Zellen und ihre Kraftwerke – besagte Mitochondrien – schützt; in Hollywood spricht man hier und da vom «Gottmolekül». Im Überfluss konsumiert freilich kann es eine ganze Reihe körpereigener Reparaturmechanismen beeinträchtigen, zu Leber- und Nierenproblemen führen, ja sogar zu einem rapiden und möglicherweise tödlichen Schälen der Haut. Behutsam weist Blackburn darauf hin, dass nicht einzelne Moleküle, sondern eine gesunde, abwechslungsreiche Ernährung die beste Antwort auf das Rätsel des Alterns sei.

Die Prämisse des Abends jedoch ist: Antworten sind praktisch zum Greifen nah, womöglich sogar eine umfassende Lösung. Die Party ist der Startschuss für die Grand Challenge in Healthy Longevity der National Academy of Medicine, die ein Minimum von 25 Millionen Dollar für den einen oder anderen Durchbruch auf dem Gebiet der Langlebigkeit verspricht. Der Präsident der Academy, Victor Dzau, steht auf, um einige der anwesenden Forscher hervorzuheben. Er lobt ihre Arbeit mit Enzymen, die eine Rolle bei der Regulierung des Alterungsprozesses spielen, Erfolge bei der Isolierung von Genen, die bei einigen Hunderassen für die Lebensdauer verantwortlich sind, und eine Technik, zwei Mäuse, eine junge und eine alte, operativ so miteinander zu verbinden, dass die ältere sich den Kreislauf mit der jüngeren teilt – und binnen Wochen jünger zu werden beginnt.

Der Tod soll optional werden

Joon Yun, Arzt und Manager eines einschlägigen Hedgefonds, gibt bekannt, zusammen mit seiner Gattin die ersten zwei Millionen Dollar zur Finanzierung der Challenge gestiftet zu haben: «Für mich ist das Altern plastisch, es ist kodiert», sagt er. «Wenn etwas kodiert ist, kann man den Code knacken.» Unter zunehmendem Applaus fährt er fort: «Ein Code, den man knacken kann, lässt sich auch hacken!» Es ist eine grosse Aufgabe: mehr als 150 000 Menschen sterben jeden Tag, grösstenteils an altersbedingten Krankheiten. Aber Yuns Überzeugung nach dürfte es, sollte man den Code korrekt hacken, «thermodynamisch eigentlich keinen Grund geben, die Entropie nicht auf unbestimmte Zeit aufschieben zu können. Wir können mit dem Altern für immer Schluss machen», wie er mir sagt.

Die Patentmanagerin Nicole Shanahan gibt bekannt, ihre Firma werde demnächst einschlägige Patente betreuen, die Yun der Sache zur Verfügung gestellt habe. «Ich bin mit meinem Darling Sergey hier», sagt sie und meint damit ihren Lebensgefährten Sergey Brin, einen der Mitbegründer von Google. «Und er rief mich gestern an und meinte: ‹Ich lese da gerade ein Buch, Homo Deus, in dem es auf Seite achtundzwanzig heisst, dass ich sterben werde.› Ich sage zu ihm: ‹Du persönlich?› Er sagte: ‹Ja!›» (In dem Buch setzt sich der Autor Yuval Noah Harari mit Googles Forschung gegen das Altern auseinander und schreibt dabei unter anderem, das Unternehmen werde «das Problem des Todes wahrscheinlich kaum rechtzeitig lösen, um die beiden Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin unsterblich zu machen».) Brin, der ganz in der Nähe sitzt, quittiert ihre Worte mit einem ebenso knappen wie mehrdeutigen Nicken: «Ja, man hat mich als Todeskandidaten herausgenommen; nein, sterben möchte ich eigentlich nicht.»

Nach etwas Werbung von Moby für den Veganismus bittet Victor Dzau Martine Rothblatt um einige Worte. Rothblatt ist die Gründerin der Biotech-Firma United Therapeutics, die neue Organe aus körpereigener DNA zu züchten plant. «Wir haben so offensichtlich die Möglichkeit, den Tod durch Technologie optional zu machen», sagte Rothblatt. (Sie hat bereits eine Back-up-Version ihrer Ehefrau Bina in Auftrag gegeben – einen «Mindclone»-Roboter, der auf den Namen Bina48 hören soll.) Dem Altern fehlte es lange an der Art vernehmlicher Lobby, die etwa Aids oder den Brustkrebs ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt hat; unsere Spezies ist eben lausig, wenn es um die Mobilisierung gegen lediglich antizipierte kollektive Katastrophen geht (siehe Klimawandel). Die Alten flüchten sich in den Fatalismus, und die Jungen glauben nicht wirklich, dass sie je alt werden. Rothblatts Ansicht nach jedoch markiert der Abend einen Wendepunkt. An Dzau gewandt, erklärt sie: «Es erfüllt mich mit tiefer Befriedigung, den Inbegriff des Establishments, den Chef der National Academy of Medicine, sagen zu hören: ‹Auch wir haben uns dafür entschieden, den Tod optional zu machen!›» In den Versammelten lodert das Feuer der Überzeugung, das solche Veranstaltungen entfachen können – der Glaube, dass man das Schicksal aller anderen da draussen bestimmen kann.

Weiter hinten greift der Genetiker Andy Conrad zum Mikro, um die herrschende Fixierung auf die Erweiterung unserer maximalen Lebensspanne in Frage zu stellen, die gegenwärtig bei etwa 115 Jahren liegt. Conrad ist CEO von Verily, einem biowissenschaftlichen Unternehmen im Besitz von Googles Muttergesellschaft Alphabet. Wie die meisten Wissenschafter in Lears Wohnzimmer wäre er mit ein paar zusätzlichen «qualitätskorrigierten Lebensjahren» schon zufrieden. «Ist Langlebigkeit», fragt er die Anwesenden, «nicht eine etwas unglückliche Bezeichnung? Täten wir nicht besser daran, von ‹länger gut leben› zu sprechen? Oder von einer ‹Gesundheitsspanne›?» Die Biologen nicken und atmen erleichtert auf.

Der Drehbuchautor und TV-Produzent Norman Lear, der ausgesprochen rüstig ist für seine 94 Jahre, beschliesst den Abend mit den Worten: «Vor sieben Jahren habe ich den Piloten zu einer TV-Serie mit dem Titel ‹Rat mal, wer gestorben ist?› geschrieben. Es geht um die Bewohner einer Seniorensiedlung. Wie ich heute erfahren habe, ist sie auf dem besten Weg, in Produktion zu gehen.» Die Zusammensetzung des heutigen TV-Publikums hat ihn eingeholt: bis 2020 wird es auf der Erde zum ersten Mal mehr Menschen über 65 geben als Kinder unter 5. Lear fährt fort: «Was ich Ihnen also anzubieten hätte, ist folgendes: Wir haben damit eine Bühne, um einiges von dem unter die Leute zu bringen, was heute hier angesprochen wurde.» Erneuter Applaus. Für die Verbreitung der Botschaft wäre gesorgt!

Aber wie lautet sie denn nun eigentlich, diese Botschaft? Dass der Tod künftig optional ist? Oder dass er sich künftig gedulden muss?

Verfrühte Erfolgsmeldungen

Seit Jahrzehnten scheint die Lösung für das Problem des Alterns immer gerade mal Jahrzehnte entfernt. In den frühen 1990ern zeigte die Forschung an einem kleinen Fussel von Fadenwurm namens C. elegans, dass die Mutation eines einzigen Gens ein Leben verlängern und die eines anderen ein Leben verkürzen kann. Der Gedanke, dass das Alter durch Drehen an einigen Schaltknöpfen zu manipulieren sein könnte, löste einen Forschungsboom aus. Kurz darauf schon hatten einige klinische Eingriffe die Lebensspanne des Wurms um das Zehnfache und die von Labormäusen um das Zweifache verlängert. Der wissenschaftliche Konsens änderte sich. Das Alter entwickelte sich vom Endstadium (siehe einen «Time»-Titel von 1958: «Nützlich alt werden») über ein soziales Problem («Time» 1970: «Altern in Amerika: die unerwünschte Generation») bis zum Vermeidbaren (1996: «Für immer jung») – oder wenigstens etwas, was sich für geraume Zeit aufschieben lässt (2015: «Dieses Baby könnte 142 Jahre alt werden»). Der Tod war damit kein metaphysisches Problem mehr, sondern lediglich ein technisches.

Die Sektkorken knallten zu früh. Gordon J. Lithgow, einer der führenden C.-elegans-Forscher, sagte mir: «Erst dachten wir: ist doch ein Klacks – eine Uhr eben! –, aber dann fanden wir in dem Wurm etwa 550 Gene, die Einfluss auf die Lebensdauer haben. Und ich habe so den Verdacht, dass etwa die Hälfte der zwanzigtausend Gene im Genom des Wurms da irgendwie mit hineinspielt.» Und wir sprechen hier von einem Wurm mit gerade mal 959 Zellen. Das «Codebuch» für Tiere, die tatsächlich unseren Neid erwecken, ist weit komplexer: die Bienenlarve, die sich – reichlich mit Gelée royale gefüttert – zu einer alterslosen Königin entwickelt, der Grönlandhai, der 500 Jahre lebt und keinen Krebs bekommt, und selbst die unscheinbare Nördliche Venusmuschel, wie wir sie gerne in der Suppe haben – sie hält mit 507 Jahren den Rekord.

Für uns präsentiert sich das Altern als schleichende und schliesslich katastrophale Dysfunktion des ganzen Körpers. Es kommt zu Fehlzündungen unserer Mitochondrien, unser endokrines System beginnt schlappzumachen, unsere DNA bekommt hier und da einen Knacks. Unser Seh- und Hörvermögen lässt nach, unsere Arterien verkleistern, der Verstand trübt sich, alles in uns gerät ins Stocken, blockiert, versagt. Auf jeden Durchbruch der Forschung, auf jede Ankündigung eines Generalschlüssels, den wir nur im Schloss zu drehen brauchen, um den Rückwärtsgang einzulegen, folgen Rückschläge und Ratlosigkeit. So herrschte vor einigen Jahren grosse Aufregung um Telomere, Liz Blackburns Spezialgebiet. Es handelt sich dabei um DNA-Puffer an beiden Enden der Chromosomen zum Schutz der Erbgutstränge – nicht unähnlich den kleinen Hülsen an beiden Enden eines Schnürsenkels. Je älter wir werden, desto kürzer werden diese Telomeren, und mit dem Schwund dieser Schutzkapseln hören die Zellen schliesslich auf, sich zu teilen. («Die Zellen», so Blackburn, «versetzt das in helle Aufregung!») Wenn wir die Telomeren verlängern könnten, so dachte man damals, liesse sich das Altern umkehren. Aber wie sich herausstellte, leben Tiere mit langen Telomeren – wie etwa Labormäuse – nicht notwendigerweise länger, und die Telomerase, das Enzym, das das Wachstum von Telomeren fördert, wird auch in der überwiegenden Mehrheit der Krebszellen aktiviert. Je mehr wir über den Körper wissen, desto deutlicher wird, wie wenig wir eigentlich wissen.

Nichtsdestoweniger arbeiten die Forscher fieberhaft weiter. Verständnis, so ihre Devise, sei schliesslich keine unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Intervention. Was hätte man schon gross über Virologie und Immunologie gewusst, als man Leute gegen Pocken zu impfen begann?

De Grey’s Anatomy

Im Dunkel der Forschung arbeitet jeder Wissenschafter, sozusagen als Leitstern, mit einer übergreifenden Metapher. Aubrey de Grey zum Beispiel vergleicht den Körper gerne mit einem Auto: Man braucht als Mechaniker nicht notwendigerweise die Physik des Verbrennungsprozesses zu verstehen, um einen Motor zu reparieren, und auch ein sorgfältig restaurierter Oldtimer läuft noch ganz ordentlich. De Grey ist Chief Science Officer von SENS, einer Forschungsstiftung im Silicon Valley. SENS steht für Strategies for Engineered Negligible Senescense oder «Strategien zur technischen Seneszenzminimierung», eine etwas geschraubte Umschreibung für die «Planung Ihres umfassenden Tune-ups». Der Brite, der seine Laufbahn mit einem zehnjährigen Engagement auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (AI) begann, spricht so rasant wie flüssig; hier und da fährt er dabei mit der Hand über seinen Rasputinbart. Aubrey de Grey zufolge brauchen wir nur sieben Arten von physischen Schäden zu reparieren, schon sind wir auf dem besten Weg, 1000 Jahre alt zu werden und mehr (vorausgesetzt, wir gehen Omnibussen und Asteroiden aus dem Weg).

Bei unserem Treffen in seinem Büro bei SENS in Mountain View sagte er mir: «Die Suche nach einer einzigen Ursache für das Altern hat die Gerontologie mächtig in die Irre geschickt, wo doch in Wirklichkeit alles auf einmal aus dem Leim geht, weil unsere Systeme alle miteinander in Wechselbeziehung stehen. Es heisst also: getrennt marschieren und vereint schlagen.» Wir brauchen nur die Geschmeidigkeit des Gewebes wiederherzustellen, Zellen zu ersetzen, die sich nicht mehr teilen, und die zu entfernen, die toxisch geworden sind, die Folgen mutierender DNA zu vermeiden und die schmierigen Nebenprodukte von alledem aufzuwischen. Wenn wir diese Killer entwaffnen können, so de Grey, dürften dabei dreissig Jahre gesunden Lebens für uns herausschauen, und in dieser Zeit werden wir genügend weitere Fortschritte machen, um biologisch wieder jünger zu werden. Damit sei dann die «Langlebigkeitsfluchtgeschwindigkeit» erreicht, wie das bei ihm heisst.

De Grey hat so einige aus dem Lager der Lebensverlängerer aufgebracht, nicht zuletzt durch seine unmässige Lebensweise. «Ich kann so viel trinken, wie ich will», sagte er mir diesbezüglich, «es bleibt ohne Wirkung. Ich brauche mich noch nicht einmal gross zu bewegen, so optimiert, wie ich bin.» Bis vor kurzem noch hatte er zwei Freundinnen und eine Ehefrau. Jetzt, so sagte er, «habe ich meine polyamourösen Tage hinter mir, ich bin verlobt».

Der eigentliche Grund freilich ist die prophetische Selbstgewissheit seines Auftretens. «Ending Aging», sein 2007 erschienenes Buch1, ist randvoll mit streng wissenschaftlicher Forschung über die Hindernisse, die einem längeren Leben entgegenstehen, und der Ehrgeiz seiner Lösungen grenzt an Science Fiction. De Greys Lösung für das Problem der mitochondrialen Mutation zum Beispiel besteht darin, Back-up-Kopien der mutationsanfälligen mitochondrialen DNA in die relativ sicheren Stahlkammern der Zellkerne zu schmuggeln, was die Evolution dummerweise versäumt hat – vermutlich weil die in den Mitochondrien benötigten Proteine auf ihrem Weg durch den wässrigen Zellkörper verklumpen würden. Seine Lösung dafür, die DNA in die eine Richtung zu bugsieren und die von ihr produzierten Proteine in eine andere, ist nachgerade ein subzellulärer Taschenspielertrick. So einige Wissenschafter zollen de Grey höchstes Lob für seine Analyse der wesentlichen Gefahren, sehen seine Methode – immerhin müsste man, soll sie funktionieren, alle sieben Signalbahnen nach Fehlern durchsuchen und diese beseitigen – als von vornherein zum Scheitern verurteilt. Matt Kaeberlein, Biogerontologe an der University of Washington, sieht das so: «Genauso gut könnten Sie sagen: ‹Um in ein anderes Sonnensystem zu reisen, braucht es gerade mal sieben Dinge: als erstes müssen wir unsere Rakete auf drei viertel Lichtgeschwindigkeit beschleunigen…›»

Den Tod verschieben statt verhindern

Die Immortalisten bilden freilich eine Minderheit unter den Longevity- oder Langlebigkeitsforschern, die überwiegende Mehrheit stellen die «Health-Spanners». Ihnen ist um eine längere «Gesundheitsspanne» mit einer «komprimierten Morbidität» zu tun – einem schnellen und schmerzlosen Tod. Diese Fraktion hat die Timeline im Auge: seit 1900 hat sich die Lebensspanne des Menschen um dreissig Jahre verlängert – und infolgedessen haben auch allerhand Krankheiten zugenommen: Krebs, Herzleiden, Apoplex, Diabetes, Demenz. Der Alterungsprozess ist mit Abstand die häufigste Voraussetzung für so viele Krankheiten, dass Altern Kranksein praktisch impliziert. Unfälle und Gewalt sind die führenden Todesursachen bis zum 54. Lebensjahr, dann gewinnt der Krebs die Oberhand, mit 65 schliesslich die Herzleiden. Im Lager der «Health-Spanners» will man die Ursachen von Krebs- und Herzerkrankungen verstehen lernen, um ihnen einen Riegel vorschieben zu können. Warum bekommen wir diese Krankheiten so gut wie nie als Zweijährige? Wie können wir diesen Schutz bis zum 102. Geburtstag ausweiten? Aber selbst wenn wir den Krebs heilen, wird das das Durchschnittsleben gerade mal um 3,3 Jahre verlängern; durch die Beseitigung der Herzkrankheiten legen wir zusätzliche vier Jahre drauf. Würden wir alle Krankheiten ausmerzen, die durchschnittliche Lebensspanne liesse sich bis in die 90er Jahre ausdehnen. Um noch länger zu leben, müssten wir beim Alterungsprozess selbst die Bremse ziehen.

Aber selbst wenn uns das gelingt, so die «Health-Spanners», werden wir nicht ewig leben – noch sollten wir das. Sie sorgen sich um unsere natürlichen Ressourcen und die enorme Belastung für die Sozialversicherung, um die Möglichkeit, dass ein Stalin oder Mugabe sich Jahrhunderte an der Macht halten könnte, um den Rückgang neuer Ideen seitens der Jungen und last but not least um die tödliche Langeweile, die uns dann bevorsteht. Amy Wagers, Forscherin an der Harvard University, sagte mir: «Sterben gehört nun mal zum Sinn des Lebens.» Bereits die alten Griechen warnten vor den Gefahren des Griffs nach göttlicher Macht. Das nahm weder für Asklepios noch für Achilles ein gutes Ende und ging gar noch schlimmer aus für Tithonos, dem Zeus auf Bitten seiner Geliebten Eos das ewige Leben gewährte, dabei aber das Geschenk der ewigen Jugend vergass. Altersschwach, senil und todunglücklich schrumpfte Tithonos schliesslich zu einer Zikade, die unablässig zirpend um Erlösung bat.

Als ich Ned David kennenlernte, hätte ich ihn für um die dreissig gehalten. Nicht ein Fältchen im Gesicht, volles kastanienbraunes Haar, die Hände in den Taschen seiner Jeans, hohe rote Converse-Sneakers an den Füssen, schritt er forsch aus.

David ist neunundvierzig. Er ist Biochemiker und Mitgründer des Silicon-Valley-Start-ups Unity Biotechnology, eines Unternehmens, das sich der Erforschung seneszenter Zellen verschrieben hat. Es handelt sich hierbei um Zellen, die, aus Altersgründen ihres Selbsterneuerungspotenzials verlustig gegangen, eine farb- und geruchlose schädliche Substanz namens SASP absondern. Unity-Forscher bezeichnen sie intern als «Zombie-Toxin», weil sie für die Seneszenz anderer Zellen und darüber hinaus im ganzen Körper für chronische Entzündungen sorgt. Bei Mäusen zögern Unitys Behandlungsmethoden Krebserkrankungen hinaus, schützen vor Herzhypertrophie und erhöhen die mittlere Lebensspanne der Tiere um 35%. «Unserer Ansicht nach», sagte mir David, «werden unsere Medikamente ein Drittel der Humankrankheiten in den Industrienationen ausradieren.»

Um hier keinen falschen Eindruck zu erwecken, David nimmt mitnichten Unitys Medikamente; deren Markteinführung steht noch mindestens sieben Jahre aus. Er verdankt seine jugendliche Erscheinung vielmehr bestehenden Therapien. So nimmt er etwa Metformin, ein Diabetesmedikament, das Diabetikern im fortgeschritteneren Alter ein längeres Leben beschert hat als einer gesunden Kontrollgruppe, und Retin-A für die Haut. Ausserdem schwimmt er viel, nachdem er einer Osteoarthritis am Rückgrat wegen mit dem Laufen aufgehört hat. «Man wirft mir hier immer wieder vor, unsere Forschungsarbeit richte sich nach meinen eigenen Altersproblemen», meinte David. «Aber dank unserer Medikamente, so prophezeie ich, werde ich wieder laufen!»

Ein systemischer Ansatz an das Problem des Alterns, der im Idealfall auf eine «Gottpille» vom Hausarzt hinauslaufen würde, hat zwar philosophisch seinen Reiz, ist aber finanziell unrealistisch. Pharma- und Biotech-Unternehmen verdienen schliesslich nur an der Behandlung einer bestimmten Krankheit, und da Altern den ganzen Körper erfasst, ist es für das Lebens- und Arzneimittelamt (FDA) keine «Indikation», die als solche eine Behandlung rechtfertigen würde (zu schweigen davon, dass die Kasse dafür berappt). So kapriziert man sich denn bei Unity auf Glaukome, Makuladystrophie und Arthritis; entsprechend lagern im Kühlraum des Labors Augäpfel und Knieknorpel menschlicher Provenienz. Man pflegt mit anderen Worten den traditionellen seriellen Einzelansatz, der dem Altern Symptom für Symptom zu Leibe rückt: Kümmern wir uns doch erst mal um deine Augen; für die 3D-Niere schicken wir dich dann zum Drucker die Strasse rauf.

Letzten Herbst brachte Unity 116 Millionen Dollar von Investoren wie Jeff Bezos und Peter Thiel auf, Milliardären, die darauf brennen, unser – oder wenigstens ihr eigenes – Leben auf eine Spanne zu verlängern, die Thiel mit «ewig» definiert. Auf einem Gebiet, auf dem es vor Scharlatanen nur so wimmelt, spielt Ned Davids eigener Dorian-Gray-Effekt eine nicht geringe Rolle beim Aufbringen von Mitteln. «Die eine Sorte von Investoren, Fidelity etwa, findet meine jugendliche Erscheinung beunruhigend», sagte er. «Die andere Sorte – den Silicon-Valley-Typ, einen Peter Thiel etwa – beunruhigt jeder, der über vierzig aussieht.»

Pionier Google

Traditionell ist es der ergrauende High-Tech-Tycoon, der in die Alternsforschung in der Hoffnung investiert, aus dem dreiaktigen Szenario der typischen Silicon-Valley-Existenz auszubrechen: Life-Hacking, Felsklettern, Tod. Mittlerweile hat es das Altern auch in der Start-up-Szene zu Renommee gebracht. Arram Sabeti, 30, Gründer des Technologieunternehmens ZeroCater, sagte mir: «Selbstredend können wir ewig leben. Es verstösst ja nicht gegen die Gesetze der Physik, also schaffen wir das auch.» Sabeti, der in seiner Freizeit Metastudien zur Gesamtsterblichkeit liest, hat in den Longevity Fund, einen jüngst von Laura Deming ins Leben gerufenen Risikofonds, investiert. Deming, 22, bezeichnet den Longevity-Markt als «200-Millionen-Dollar-plus»-Gelegenheit, sagte mir aber auch: «Wie gross das werden kann, lässt sich unmöglich sagen – ich meine, ein Mittel gegen das Altern würde die ganze Medizin auf den Kopf stellen.»

Angestossen hat diese Veränderung der Einstellung gegenüber dem Altern im Valley, wen wollte es wundern, Google. Überraschend daran ist allenfalls, dass einer der ersten ausgerechnet Bill Maris war. Als Gründer und CEO von Google Ventures war er federführend bei erfolgreichen Investitionen in Unternehmen wie Nest und Uber; liebenswürdig, allseits bewundert und finanziell bestens gestellt – ein offensichtlicher Kandidat für den neuzeitlichen Alchemisten ist er nicht. Allerdings gestand er mir: «Wenn ich allein bin, komme ich schon mal auf finstere Gedanken.» 2001, Maris war gerade mal sechsundzwanzig, starb sein Vater an einem Hirntumor. «Ich hatte am College Neurobiologie als Hauptfach», sagte er dazu, «ich habe in Kliniken gearbeitet, aber vor dem Tod meines Vaters hatte ich keine Ahnung, was das heisst: ‹von uns gegangen, jemand ist nicht mehr da, man sieht ihn nie wieder› – wie endgültig das ist.»

Maris ist zweiundvierzig, seit langem schon Vegetarier, jeden Tag absolviert er eine Stunde am Crosstrainer. Es beruhigt ihn, dass der Wissenschafter, bei dem er einen 3D-Scan seines Gehirns machen liess, sein robustes Corpus callosum lobte, eine «Schwiele» aus Nervenfasern, die dem Informationsaustausch zwischen den beiden Hirnhälften dient. (Maris hat zwei glänzende Polymermodelle seines und des Gehirns seiner Frau unter Glasglocken in seinem Büro.) Aber all die Vorsorge und deren Vorteile waren nur ein Provisorium, ein persönlicher Notbehelf. Er überlegte, wie man das Problem permanent lösen könnte – und nicht nur für sich selbst.

Er entschloss sich zur Gründung einer Firma, die das Problem des Sterbens lösen sollte. Er sprach Ray Kurzweil darauf an, den Futuristen, der das Konzept der Singularität unters Volk gebracht hat – den Gedanken, dass der Mensch mit künstlicher Intelligenz fusionieren und so seine biologischen Grenzen überwinden wird. Kurzweil war begeistert. Ausserdem diskutierte Maris seine Idee mit Andy Conrad, dem Genetiker und Chef der Alphabet-Tochter Verily. Dessen bedächtige Reaktion war eher entmutigend. Das erste Problem bei Humanstudien, so Conrad, sei der Zeitfaktor: klinische Studien an Versuchsobjekten mit einer Lebensspanne von achtzig Jahren gestalteten sich alles andere als einfach. (Dazu kommt, dass wir kein akzeptiertes Modell zur Messung unseres biologischen Alters haben, das sich erheblich vom chronologischen unterscheiden kann. Für jemanden wie, sagen wir mal Ozzy Osbourne, dürfte 70 nicht eben das neue 50 sein.) Das zweite Problem seien die immensen Schwierigkeiten bei der Entscheidung, ob ein mutmasslicher Grund für das Altern auch tatsächlich ursächlich ist oder lediglich mit einem anderen, weniger augenfälligen Prozess korreliert.

«Andy setzte der Idee erst einmal einen Dämpfer auf», erzählte mir Maris. «Nicht dass er faktische Einwände gehabt hätte. Er sagte ja nicht: ‹Altern ist eine genetische Krankheit› oder ‹Google wird dir das nie finanzieren›.» 2011 trug Maris sein geplantes Unternehmen John Doerr vor, einem prominenten Risikoanleger, der mit im Board von Alphabet sitzt. «Stellen Sie sich vor, Sie fänden am Strand eine Flasche mit dem sprichwörtlichen Geist, der Ihnen einen Wunsch erfüllt», sagte Maris. «Wenn Sie clever sind, dann wünschen Sie sich natürlich mit dem ersten Wunsch unendlich viele weitere.» Auf Doerrs Nicken fuhr Maris fort: «Sagen wir ferner, Sie haben, im Höchstfall, noch dreissig Jahre zu leben.» Doerr war eben sechzig geworden. «Wenn jeder Tag einem Wunsch entspricht, dann entspricht das gerade mal zwischen einem und zehntausend Wünschen. Also ich weiss nicht, wie Sie das sehen, aber ich würde da noch draufpacken wollen – ich möchte schneller wünschen können, als man mir meine Wünsche nimmt.» So plötzlich mit der Endlichkeit seiner Lebensspanne konfrontiert zu werden, wirkte auf Doerr wie ein Stromschlag. Schliesslich ging Maris mit seiner Idee zu den Google-Gründern Sergey Brin und Larry Page. Brin, dessen genetisches Material ihn zum Kandidaten für Parkinson macht, war Feuer und Flamme; Page sagte einfach: «Machen wir das doch hier!»

2013 gründete Google mit einem Startkapital von einer Milliarde Dollar die California Life Company. «Calico hat für die Anerkennung der Alternsforschung enorm viel getan», sagte George Vlasuk, Chef des Biotech-Start-ups Navitor. «Man hat dort das Geld, die Brainpower und die Zeit.» Allerdings hält Calico sich ausgesprochen bedeckt. Die Firma hat bislang nichts weiter verlauten lassen, als dass man tausend Mäuse von der Geburt bis zum Tod beobachte, um bei ihnen «Biomarker» für das Altern auszumachen, biochemische Substanzen, deren Werte Rückschlüsse auf künftige Morbidität erlauben, dass man eine Kolonie von Nacktmullen halte, eine erstaunlich hässliche Spezies von Nagern, die dreissig Jahre alt wird, und dass man in die Entwicklung von Medikamenten investiere, die eventuell gegen Diabetes und Alzheimer helfen könnten. (Eine Stellungnahme lehnte das Unternehmen ab.)

So mancher Langlebigkeitsforscher räumt eine gewisse Enttäuschung ein ob der von Calico eingeschlagenen Richtung. Der Genetiker Nir Barzilai, ein führender Kopf auf dem Gebiet der Alternsforschung, sagte mir: «Tatsache ist, dass wir nicht wissen, was die machen, aber was immer es ist, das eigentliche Problem scheint man nicht anzugehen.» Ein anderer mit der Arbeit von Calico vertrauter Wissenschafter meinte, man gehe dort seiner Aufgabe durchaus gewissenhaft nach, fatal sei nur, dass das Unternehmen vor allem ein Prestigeprojekt sei. Das Ganze sei, so der Wissenschafter, «so eigennützig wie eine Medici-Kapelle im Italien der Renaissance, nur eben mit einem Schuss Narzissmus à la Silicon Valley. Dahinter steht die Frustration vieler Reicher und Erfolgreicher, Leute, die ihr Leben für zu kurz halten: ‹Jetzt haben wir all das Geld und sollen nicht länger leben als jeder andere auch?›»

Maris, der sich von Google Ventures zurückgezogen hat, distanziert sich ganz entschieden von diesem Vorwurf. «Es geht hier nicht darum, dass die Milliardäre aus dem Silicon Valley ewig vom Blut junger Menschen leben», sagt er. «Es geht um eine Zukunft wie in Star Trek, niemand muss an vermeidbaren Krankheiten sterben, das Leben ist fair.»

Junges Blut für alte Körper

Sollten die Milliardäre aus dem Silicon Valley sich irgendwann tatsächlich mit dem Blut junger Menschen am Leben erhalten, erfüllt sich damit ein altes Verlangen. «Gesetzt, man habe einen starken, gesunden, an geistigem Blute reichen Jüngling, und einen kraftlosen, magern, ausgemärgelten, kaum noch athmenden Greis vor sich», schrieb 1615 der deutsche Arzt und Chemiker Andreas Libavius, nehme man eine Transfusion vor, auf dass «das warme und geistige arteriöse Blut des Gesunden in den Kranken überströmt und ihm die Quelle des Lebens mittheilt und alle Mattigkeit vertreibt»2. 1924 begann der russische Arzt, Philosoph, Ökonom, Soziologe und Romancier Alexander Bogdanow mit Bluttransfusionen im Selbstversuch, und wie ein revolutionärer Genosse schrieb, wirkte er danach «um sieben, nein, zehn Jahre jünger». Schliesslich injizierte Bogdanow sich das Blut eines an Malaria und Tuberkulose erkrankten Studenten und starb. Ähnlich schaurig ist die Geschichte der operativen Vereinigung zweier Kreislaufsysteme oder Parabiose: als Verzweiflungsmassnahme bei unheilbaren Krebspatienten angewandt, verlor dadurch 1951 ein zwei Jahre alter Junge aufgrund einer Gangrän einen Teil seines Fusses; Nager wehrten sich grundsätzlich gegen die operative Fusion. In einer einschlägigen Studie von 1956 findet sich der Hinweis: «Sind zwei Ratten nicht aneinander gewöhnt, wird die eine auf den Kopf der anderen einbeissen, bis diese getötet ist.»

Wir haben es dennoch weiter versucht. 2005 verlautete aus einem Stanforder Labor unter der Leitung des Stammzellenbiologen und Neurologen Tom Rando, dass die heterochrone Parabiose bzw. ein Blutaustausch zwischen älteren und jüngeren Mäusen auf Leber und Muskeln der älteren Mäuse verjüngend wirke. (Eine Lanze für die Vampire der ganzen Welt.) Letzten Herbst warnte Stephen Colbert in der «Late Show» Amerikas Teenager davor, Präsident Trump würde Obamacare durch eine obligatorische Parabiose ersetzen: «Der steckt euch einen Strohhalm rein wie einem Beutel Capri-Sun.»

Auch Unternehmer und Risikokapitalisten hatten ihre Strohhalme im Anschlag. «Ich hatte eine Menge Meetings mit jungen Milliardären im Silicon Valley», sagte Rando, «und sie alle wollen mehr oder weniger wissen, wann das Geheimnis gelüftet werde, zum einen, um auf den nächsten grossen Trend aufzuspringen, zum anderen, um persönlich davon zu profitieren. Ich sage: ‹Es handelt sich hier nicht um eine App. Wer die Biologie vom technologischen Standpunkt her angeht, wird sich enttäuscht sehen, weil dort alles viel, viel langsamer geht.›»

In den letzten Jahren herrschte im Parabiose-Lager Uneinigkeit: Sind nun die Proteine im jungen Blut der Schlüssel zum Jungbrunnen oder ist es das Fehlen von Substanzen wie SASP? Könnte es ein Nebenprodukt der Zellaktivität sein, oder wirkt hier einfach die von der jüngeren Maus geborgte Leber? 2014 kam die Forscherin Amy Wagers von der Harvard University zu dem Schluss, dass gewisse Faktoren im jungen Blut, insbesondere ein Protein namens GDF11, älteren Mäusen neben einem kräftigeren Griff eine Auffrischung der Hirnfunktionen bescherten. Die meisten ihrer Kollegen freilich äusserten Zweifel an ihren Resultaten, und eine Studie des Pharmakonzerns Novartis kam denn auch prompt zu gegenteiligen Resultaten: dass es GDF11 zu blockieren galt. Wagers dazu: «Je nach Fraktion nimmt die GDF11-Konzentration mit zunehmendem Alter zu, ab oder sie bleibt gleich.» Mit einem freudlosen Lachen schiebt sie nach: «Eine von ihnen hat recht, so viel steht fest.»

Als Randos Kollege Tony Wyss-Coray nachwies, dass junges Blut die Bildung neuer Neuronen in der Gegend des – im Grosshirn gelegenen – Hippocampus alter Mäuse zu fördern vermag, ging aus seiner Arbeit ein Unternehmen namens Alkahest hervor. Alkahest hat mit der Sichtung der mehr als zehntausend Proteine im Plasma begonnen in der Hoffnung auf einen Protein-Cocktail, der Alzheimer heilen könnte – was allen Erwartungen nach über ein Vierteljahrhundert dauern könnte.

Als ich jüngst bei Alkahest vorbeischaute, spielte mir Joe McCracken, Vice-President für Geschäftsentwicklung, zwei Videos von gleichaltrigen, genetisch identischen Mäusen vor. Sie standen am Start eines Barnes-Labyrinths, einer grossen horizontalen Scheibe mit kreisförmigen Vertiefungen rundum, eine davon ein Loch – die Laborversion eines Mäusebaus, in den es sich vor einem herabstürzenden Habicht flüchten lässt. Man hatte die Mäuse darauf trainiert, sich zu merken, welche der Vertiefungen das schützende Erdloch war. McCracken und seine beiden Kollegen erklärten mir, dass man der ersten der beiden Mäuse nur ein Placebo, eine pharmakologisch indifferente, inerte Salzlösung verabreicht hätte. Wir sahen zu, wie die Maus sich schnüffelnd über die Scheibe zu bewegen begann, bis sie schliesslich auf das Loch stiess. Eine Minute und zwanzig Sekunden hatte sie dazu gebraucht. In ihrem Beifall machte sich die innere Anspannung der Forscher Luft. «Wie ich, wenn ich auf dem Parkplatz nach meinem Wagen suche», meinte Sam Jackson, der medizinische Leiter des Unternehmens. Dann zeigte man mir das Video einer mit dem Plasma achtzehnjähriger Menschen getunten Maus. Sie schoss zielstrebig auf einen bestimmten Abschnitt der Scheibe zu, fand das Loch und war nach insgesamt achtzehn Sekunden darin verschwunden. Tja, die Jugend. Die Forscher schüttelten grinsend den Kopf.

Von Mäusen und Menschen

Jeder Longevity-Forscher hat irgendwo – sozusagen als Talisman – Fotos oder Videos zweier Mäuse: die eine ängstlich, schwerfällig, mit räudigem Fell; die andere mit seidigem Fell, vital, die Kraft eines Wunderelixiers in den Adern. Aber können Mäuse tatsächlich für den Menschen stehen? Dank unseres Einfühlungsvermögens glauben wir das nur allzu gern. «Wie vernünftig!», denken wir unwillkürlich, wenn wir lesen, dass man Mäusen vor ihrem Work-out in der Tretmühle «fünf Minuten Aufwärmzeit und fünf Minuten zum Abwärmen» gibt. Aber Mäuse haben keine Herzanfälle und die Degeneration ihrer Muskeln setzt ziemlich abrupt ein anstatt – wie bei uns – nach und nach. Ausserdem erkranken Mäuse nicht an Alzheimer, so dass die Wissenschaft der Krankheit bei der Zucht ihrer Versuchstiere mit menschlichen Genen nachhilft. Aber da wir Alzheimer nur im Alter bekommen, führt die einschlägige Behandlung bei jungen Mäusen immer wieder zu Fehlschlüssen. Da hilft es auch nicht, Labormäuse durch Bestrahlung künstlich altern zu lassen oder dass Labormäuse weit länger leben als ihre Artgenossen in der freien Wildbahn. Tony Wyss-Coray dazu: «Die Leute sagen sich: ‹Die jüngere Maus findet das Loch? Okay, mir reicht das, her mit der Behandlung!› Und ich sage: ‹Wir wissen einfach nicht, ob die Behandlung sicher ist, wir wissen nicht, ob wir Mäuse und Menschen gleichsetzen können – Sie müssen sich gedulden.›» Wir haben bei Dutzenden von Labormäusen Krebs geheilt und ihre Lebensspanne verdoppelt, der Transfer der Ergebnisse auf eine andere Spezies ist jedoch bisher nicht geglückt. «Die Mäuse», klagte der Genetiker Nir Barzilai, «lassen uns immer und immer wieder im Stich.»

Die vorherrschende Ansicht unter Langlebigkeitsforschern ist die, dass das Altern von der Evolution nicht geplant, sondern einfach auf deren Nachlässigkeit zurückzuführen sei. Unser Design läuft darauf hinaus, lange genug zu leben, um unser Erbgut weiterzugeben, alles, was danach passiert, spielt evolutionstechnisch keine Rolle. «Mäuse», so schrieb der Anti-Aging-Forscher Richard A. Mille, «die ihre Energien auf Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung konzentrieren, schneiden besser ab als die, die kostbares Kapital auf Faltencrèmes und Krebsvorsorge verplempern.» Wir reifen langsamer als Mäuse und leben weit länger, weil wir, wie Wale und Nacktmullen, weit weniger Gefahr laufen, schon im ersten Lebensjahr gefressen zu werden. Aber vom dreissigsten oder vierzigsten Lebensjahr an, nachdem wir uns fortgepflanzt haben, verliert unser Leben vom Standpunkt der Evolution her den Sinn. Eric Verdin vom Buck Institute for Research on Aging, dem führenden Nonprofitunternehmen auf dem Gebiet, sagte dazu: «Wenn Sie lediglich in der Alterungsrate zwischen zwanzig und dreissig weiteraltern würden, würden Sie tausend Jahre alt. Mit dreissig beginnt sich das alles zu ändern.» So gesehen verdoppelt sich unser Mortalitätsrisiko alle sieben Jahre. Wir sind also wie die Lachse, nur dass wir in Zeitlupe sterben.

Ein Algorithmus für ewiges Leben

Der Kampf zwischen Health-Spanners und Immortalisten ist im wesentlichen ein Wettbewerb zwischen der von der Natur verfügten und einer potenziell vom Menschen gesteuerten Evolution. Das Lager der ersteren, denen es um die Verlängerung der Gesundheitsspanne geht, sieht den Menschen einem linearen Fortschritt unterworfen: Tierversuche brauchen eben eine bestimmte Zeit; entsprechend entwickeln sich die Biowissenschaften im Tempo des Lebens. In bezug auf die Tatsache, dass die mediane Lebenserwartung in den Industrienationen pro Jahrzehnt um etwa zweieinhalb Jahre gestiegen ist, sagte Verdin: «Wenn wir dieses Tempo die nächsten 200 Jahre über beibehalten können und unsere Lebensspanne um vierzig Jahre verlängern, dann wäre das schon unglaublich.»

Im Unsterblichkeitslager hat man eine andere Auffassung sowohl von unserer Geschichte als auch von unserem Potenzial. Hier sieht man Jahrhunderte abenteuerlichen Theoretisierens (dass das Altern durch Erhitzung des Körpers umzukehren sei oder indem man dieselbe Luft wie jugendliche Jungfrauen atmet) heute in Windeseile durch Medikamente und computergenerierte Gentherapien ersetzt. Bill Maris dazu: «Die Gesundheitstechnologie, die sich fünftausend Jahre lang symptomatisch und episodisch entwickelt hat – ‹Hier sind ’n paar Blutegel.› –, entwickelt sich zur Informationstechnologie, die uns unser Genom auslesen und bearbeiten lässt.»

Viele Immortalisten sehen im Altern weniger einen biologischen als einen physischen bzw. entropischen Prozess, der eine Maschine zerstört. Und wenn eine Maschine im Spiel ist, warum dann nicht eine Art Computer? Und der Fortschritt im Computerwesen – oder jedenfalls bei Halbleitern – unterliegt bislang dem exponentiellen Schwung des Moore’schen Gesetzes, nach dem sich die Kapazität alle zwei Jahre verdoppelt. Bei einer linearen Progression ist man nach dreissig Iterationen dreissig, bei der exponentiellen Progression um 1,07 Milliarden Schritte weiter. Unsere Fortschritte bei der Kartierung des menschlichen Genoms nahmen sich zunächst linear aus, erwiesen sich dann jedoch – als die Verdoppelung signifikant wurde – als exponentiell.

Eine Reihe von Start-ups versucht diese Exponentialkurven in den Griff zu bekommen. BioAge setzt dabei auf maschinelles Lernen und jagt die Daten der Genomforschung durch den Computer auf der Suche nach Biomarkern, die eine Prognose über die Mortalität zulassen. Von Kristen Fortney, 34, CEO des Unternehmens, erfahre ich, man teste auf der Suche nach einer unvermuteten Substanz mit nachhaltiger Wirkung auf diese Marker seit neuestem auch computergenerierte Designermedikamente. Kurz vor der nächsten Finanzierungsrunde gibt sie sich optimistisch. «Viele Risikokapitalanleger haben keine Ahnung von Biotechnologie, aber Maschinenlernen und Big Data, das sagt denen was.»

Altern scheint weniger ein Programm zu sein als ein Katalog von Regeln für unseren Verfall. Aber die Überzeugung, dass es sich dabei um ein Programm handelt, ist schwer herauszubekommen aus den algorithmenhörigen Köpfen im Silicon Valley. Wenn tatsächlich ein Programm im Spiel ist, dann bräuchte man, um den Alterungsprozess umzukehren, lediglich eine rekursive Schleife im Code auszumachen und sie zu reparieren. Immerhin haben Forscher an der New Yorker Columbia University im März verlauten lassen, sie hätten ein ganzes Computerbetriebssystem (nebst einem Amazon-Geschenkgutschein im Wert von fünfzig Dollar) in einem einzigen DNA-Strang gespeichert. Wenn also die DNA nichts weiter ist als eine grosse Dropbox für all den Verwaltungskram, der uns am Leben erhält, wie schwer sollte es dann sein, die Bugs darin zu reparieren?

Brian Hanley, 61, ein Mikrobiologe aus dem kalifornischen Davis, begann im Juni 2016 einen Selbstversuch, der sich mit dem Update eines Betriebssystems vergleichen liesse. Er liess sich von ihm selbst designte Kopien eines Gens für das Wachstumshormon-Release-Hormon (GHRH) in seinen linken Oberschenkel injizieren. GHRH wird normalerweise im Gehirn produziert, aber Hanley funktionierte eine erbsengrosse Stelle seines Oberschenkels zu einer Drüse um, die das Herz, Nieren und Thymus stimulierende Molekül produziert. Seiner Ansicht nach zeigte die Therapie Wirkung. Er weise erhöhte Werte von Testosteron und «gutem» Cholesterin auf, während seine Herzfrequenz und die Werte von «schlechtem» Cholesterin gesunken seien; ausserdem habe sich seine Sehschärfe erhöht. Und dann habe er noch eine ganz spezielle Nebenwirkung konstatiert: Euphorie. Einmal, als er beim Radfahren seitlich wegzukippen drohte, habe er sich lachend in sein Schicksal geschickt.

Als ich mich mit ihm treffe, manövriert er sich freilich eher behutsam um seinen Esstisch herum und ist nicht in der Lage, länger sitzen zu bleiben. Er hat sich einige Tage zuvor einen Bandscheibenvorfall zugezogen – bei dem Versuch, einen Kühlschrank zu heben. Es ist die vierte erhebliche Verletzung seit Beginn seiner Gentherapie, aber wie er mir versichert, sei das unter dem Einfluss regenerativer Medikamente nicht anders zu erwarten: so gut, wie man sich dabei fühle, mute man sich einfach viel zu viel zu. Als der Harvard-Genetiker George Church, dessen Labor mit Hanley zusammenarbeitet, von seinen Verletzungen hörte, meinte er: «Hört sich ganz so an, als wirke die Behandlung mehr auf seinen Kopf als auf die Muskeln.»

CRISPR regt die Phantasie der Forscher an

Wer frustriert ist vom eher gemächlichen Fortschritt über die ganze Kette von Versuchstieren – Würmern, Fliegen, Mäusen, Hunden, Affen – hinweg, kann aus einem Füllhorn recht spekulativer Behandlungen wählen. So verabreicht eine Klinik im kalifornischen Monterey junges Plasma für achttausend Dollar pro Behandlung – nur dass man dabei nie wissen kann, wozu sie führt. Peter Nygård, 75, hat etwas von einem rüstigen Löwen. Der finnisch-kanadische Modeschöpfer, der sein Vermögen damit gemacht hat, Frauen in seinen preisgünstigen Hosen schlanker wirken zu lassen, lässt sich Stammzellen aus körpereigener DNA injizieren. Er ist überzeugt davon, durch die Behandlung jünger zu werden. «Ich bin womöglich der einzige auf der Welt», so verkündete er vor einigen Jahren in einem Interview, «der sich in einer Petrischale hat, noch vor seiner Geburt.»

Bei aller Tüftlermentalität – hinter seinem Sofa steht eine Überdruckkammer – ist Hanley mit Leib und Seele Forscher. Da die amerikanische Lebens- und Arzneimittelbehörde (FDA) für neuartige Humanversuche eine Genehmigung verlangt, begann er mit der Selbsttherapie. Er hatte sich in die Thematik des Selbstversuchs eingelesen und die Resultate aufaddiert: acht Todesfällen (darunter auch der bei einer Bluttransfusion umgekommene Alexander Bogdanow) stehen zehn Nobelpreisträger gegenüber. Fifty-fifty also.

Hanley räumt durchaus ein, dass seine Forschung als Muster zur Erweiterung der Lebensspanne einige fundamentale Probleme birgt: eine Stichprobengrösse von eins, eine Therapiemethode, deren Ergebnisse womöglich nicht nachhaltig sind, und ein Gen, dessen Wirkung eher regenerativ als transformativ zu sein scheint. Um uns tatsächlich umfassend umzuprogrammieren, sollten wir gesunde Gene in ein Virus als Transporter einbringen, das sie im ganzen Körper verteilt, was freilich Alarm beim Immunsystem auslösen kann.

Das Erscheinen des Gen-Editing-Tools CRISPR erfüllt die Forschung mit der Gewissheit, an der Schwelle einer neuen Ära der Gentherapie zu stehen. George Church und seine Postdocs haben 45 vielversprechende Genvarianten ausgelesen, nicht nur von «Supercentenarians» – Menschen im Alter von mindestens 110 Jahren –, sondern auch von Hefe, Fliegen und Tieren, die besonders alt werden. Aber wie Church betont, gestaltet sich allein die Identifizierung von Langlebigkeitsgenen schon immens schwierig: «Das Problem ist, dass Grönlandwal, Kapuzineraffe oder Nacktmull, also Spezies, die weit länger leben als ihre nächsten Verwandten, diesen eben genetisch gar nicht so nahe sind – die Entfernung beträgt sozusagen Zigmillionen genetischer Basenpaare.» Der Molekulargenetiker Jan Vijg dazu: «Man kann nicht einfach nur einen einzigen Mechanismus der Schildkröte kopieren», die an die zweihundert Jahre alt werden kann. «Wir müssten unser Genom an die Schildkröte abgeben – womit wir dann allerdings Schildkröten wären.»

Teils zur Schildkröte zu werden, wäre für Brian Hanley nicht unbedingt Anlass zur Sorge. Wir müssten nur die richtigen Gene finden und deren virale Übertragung sicher machen, so erklärt er, schon hätten wir die Möglichkeit, Menschen zu schaffen, «die einem Marvel-Helden Konkurrenz machen würden: Supermuskeln, Ultraausdauer, Hyperstrahlungsresistenz. Menschen könnten, dem Leben dort angepasst, auf den Jupitermonden leben, und ihre Körper könnten die Energie der Gammastrahlung nutzen, der sie dort ausgesetzt wären.»

Arbeit am Epigenom für den Benjamin-Button-Effekt

Auch wenn Ned David sich sein jugendliches Aussehen durch einen Mehrfrontenkrieg gegen das Altern – denken Sie an die Wahl seiner Sneakers – bewahrt, hat für ihn unser Feind letztlich nur ein Gesicht. Wenn man die Langlebigkeitsforschung mit einem mächtigen Baum vergleicht, sind die meisten gegenwärtigen Anstrengungen, die seiner eigenen Firma nicht ausgenommen, seiner Ansicht nach nur Geäst. «Niemand arbeitet am Stamm», meint er mit einem Anflug von Bedauern. Seit Dezember 2016 jedoch scheint ihm diese Beschäftigung mit dem Stamm in Sicht.

Seit langem schon hatte David, wenn auch nur auf Verdacht, dem Epigenom eine zentrale Bedeutung für die Langlebigkeit beigemessen. Wenn das Genom unsere zelluläre Hardware ist, dann ist das Epigenom die Software dazu; es ist der Code, der die DNA aktiviert, die Steuerinstanz, die einer Zelle sagt, wozu sie sich zu entwickeln hat, zu einem Neuron oder zu einem Makrophagen, und dass sie sich merken soll, was sie ist. Das Epigenom selbst wiederum wird von Wirkstoffen gesteuert, die seinen Proteinen chemische Gruppen – sogenannte epigenetische Marker oder Epi-Marks – entweder hinzufügen oder abziehen. Häuft das Epigenom, so vermuten die Biologen, im Lauf der Zeit zu viele solcher Epi-Marks an, kommt es zu einer drastischen Veränderung ihrer Signale an die Zellen, und diese neuen Signale setzten den Alterungsprozess in Gang. Das könnte zum Beispiel erklären, warum die Haut eines alten Menschen sich Monat für Monat zu erneuern vermag und dennoch alt wirkt.

2012 veröffentlichten Tom Rando und sein Stanford-Kollege Howard Chang eine Studie, der zufolge eine befruchtete menschliche Eizelle Eigenschaften ewiger Jugend aufweist: Samen- und Eizellen können altern, aber jeder Embryo stellt die Uhr wieder zurück. Chang, Dermatologe und Genomforscher, hatte festgestellt, dass das Epigenom der Haut nach Anhäufung einer bestimmten Anzahl von Markern dem Genom mittels eines Proteins namens NF-kB signalisiert, die Haut altern zu lassen. Eine Unterdrückung dieser NF-kB-Signale bei genetisch modifizierten Mäusen führte zu einer Verjüngung der Haut. Rando, dessen Gebiet die Parabiose ist, scheint es um einen ähnlichen Prozess zu gehen: Stammzellen zur Rückkehr in ein jugendlicheres Stadium zu bewegen. Das Ideal wäre, den Wissenschaftern zufolge, «die Lebensuhr zurückzudrehen, den Reset-Button zu drücken, ohne dabei an das für die Zelldifferenzierung verantwortliche Programm zu rühren» – mit anderen Worten, die Stammzellen zur Auffrischung von Gewebe- und Organzellen anzuregen, ohne sie in einen prädifferenzierten Zustand zurückzuschicken, was zu behaarten Geschwülsten mit Zähnen, sogenannten Teratomen, führen würde. Ziel sei vielmehr, und das ist ja wohl nicht zu viel verlangt, der Benjamin-Button im Alter eines jungen Brad Pitt.

Nach Veröffentlichung ihrer Arbeit wandte Rando sich wieder der Parabiose zu, während Chang eine Crème in Angriff nahm, die die Haut um Jahrzehnte jünger aussehen lassen soll. «Das ist nun mal, was die Leute wollen», sagt er mir, schiebt aber nach, dass ihm die Langlebigkeitsgemeinde einfach zu zänkisch sei: «Es ist das schwierigste Gebiet, auf dem ich je gearbeitet habe, und ich wollte meine wissenschaftliche Laufbahn nicht durch Gezanke definiert sehen.»

Im Dezember gab Juan Carlos Izpisua Belmonte vom Salk Institute in San Diego bekannt, die von Rando und Chang vorgeschlagene Arbeit erledigt zu haben. Nach vier Jahren empirischer Forschung an Mäusen habe er eine Möglichkeit gefunden, die sogenannten Yamanaka-Faktoren zu triggern, vier Gene, die die Uhr befruchteter Eizellen zurückstellen. Labormäuse, die zwei Tage die Woche mit dem Antibiotikum Doxycyclin versetztes Wasser tranken, lebten um mehr als 30 Prozent länger. Wilde Mäuse, die man demselben Prozess unterzog, wiesen verjüngtes Gewebe in Muskeln und Pankreas auf.

Wie bei den meisten neueren Anstrengungen, dem Altern ein Schnippchen zu schlagen, trickste Belmonte den Körper aus – in seinem Fall, indem er sich einen wirkungsvollen Mechanismus in Embryos ausborgte und diesen dann, äusserst behutsam, auf Erwachsene übertrug. «Sie wollen», erklärt er dazu, «dass eine Herzzelle zu einer neuen Herzzelle wird, das heisst nicht bis ganz zurück zur Stammzelle revertiert, was zum Herzstillstand führen würde. Wir haben das geschafft. Unser Experiment war ausgesprochen primitiv und nicht kontrollierbar und wird nachteilige Auswirkungen haben, von den vielen Unbekannten ganz zu schweigen. Aber es ist nichtsdestoweniger sehr vielversprechend.» Die Software von Zellen zu modifizieren, so Belmonte, sei weniger gefährlich, als sich an ihrer Hardware zu schaffen zu machen, und wie bei jeder anderen Software auch «wird es Jahr für Jahr eine verbesserte Version unseres Programms geben». Belmonte ist bemüht, die Bedeutung der Frage herunterzuspielen, die sich bei seiner Forschung aufdrängt: Wenn es uns gelänge, unsere Uhr immer wieder zurückzudrehen, könnten wir dann ewig leben? «Der Gedanke dahinter ist nicht die Verlängerung der Lebensspanne, sondern dafür zu sorgen, dass man besser funktioniert», sagt er mir. Lachend schiebt er nach: «Klar, wenn man alle Zellen im Körper auf Vordermann bringt, dann ist eine indirekte Folge davon, dass man länger lebt.»

Von Belmontes Arbeit begeistert, flog Ned David im selben Winter zweimal nach San Diego, um sich mit ihm zu treffen. Er wollte wissen, ob es eine Möglichkeit der Beweisführung gebe, «dass es sich da um die tickende Uhr» handle, um uns dann «sachte auf Mitte zwanzig zurückzustupsen». Mitte März sprachen die beiden über Möglichkeiten einer künftigen Vorgehensweise. Könnte man Marker entwickeln – etwa dass Zellen im Labor die Farbe ändern, wenn ein Mittel sie jünger macht, und dann wieder eine andere Farbe annehmen, wenn man zu weit gegangen ist? Liesse sich Telomerase, das Ribonukleoprotein im Zellkern, zur Verjüngung des Epigenoms aktivieren? Liessen sich Gene finden, die beim Reversionsprozess als eine Art Notbremse fungieren? Es gibt hier eine Menge Systemlogisches zu diskutieren.

David würde nach wie vor lieber am Stamm arbeiten als an den Ästen, weiss jedoch nicht so recht: «Wir können einige Gewebe revertieren, wenn auch relativ ungezielt», sagt er mir, «aber auf den grossen Durchbruch, das Francis-Crick-Experiment, sind wir noch nicht gekommen.» Er muss lachen. «Wenn ich wüsste, wie das aussieht, wäre ich längst dabei.» Selbst wenn Belmonte und David eine Substanz finden, die Stammzellen exakt um die gewünschte Zeitspanne verjüngt, ohne unerwartete Nebenwirkungen, im Körper ist nun mal so ziemlich alles mit allem verquickt, wird das kaum gehen. Zur Wiederherstellung von Gewebe muss man Stammzellen verjüngen. Aber Stammzellen müssen sich teilen, um ihre Arbeit zu verrichten, und der Teilungsprozess ist geradezu eine Aufforderung zu willkürlichen Mutationen – der treibenden Kraft hinter Krebs.

Lebensverlängernde Low-Tech-Strategien

Eine ganze Menge Arbeiten über Langlebigkeit enden eher ratlos mit dem Hinweis auf unbekannte «systemische Faktoren». Beim Krimi des Alterns geht es neben dem Wer auch um das Wie und das Wo und das Warum-um-alles-in-der-Welt-nur-Warum. Tom Rando dazu: «So einfach ist das nicht: A verursacht B verursacht C verursacht D verursacht Altern. Wir haben es mit einem Netzplan zu tun, mit Knoten und Verkettungen – das Ganze voller Kopplungseffekte, wo Folgen wieder zu Ursachen werden und das Ganze zunehmend instabil.» Wenn der Körper eine Lichterkette für den Weihnachtsbaum wäre – was er nicht ist –, dann gehen jedes Mal, wenn Sie sie in eine andere Steckdose stecken, einige Lichter an und andere aus. Wenn Sie einen Teil des Netzes stabilisieren, wird ein anderer umso instabiler. Was uns ausmacht, ist auch unser Verderben und scheint untrennbar mit dem Prozess des Sterbens verbunden zu sein.

Das Wirkungsvollste, was wir bis dato zur Verlängerung unserer Lebensspanne tun können, ist, sich den einen oder anderen stattsam bekannten Low-Tech-Sermon unseres Hausarztes zu Herzen zu nehmen: mit dem Rauchen aufhören (zehn Jahre mehr) und im Auto anschnallen (zwei Jahre mehr). Gehen wir mal davon aus, dass Sie das längst so halten, bewegen Sie sich regelmässig und achten Sie auf Ihre Ernährung. Pankaj Kapahi, Forscher am Buck Institute, zeigte mir jüngst zwei durchsichtige Boxen voller Fruchtfliegen in Glasfläschchen mit zwei Sorten Nahrung auf dem Boden: eine orangefarbene Substanz in der einen Hälfte der Phiolen, eine gelbe in der anderen. «Die hier sind auf Burger-Diät, die hier leben wie die Spartaner, mediterran», sagte er mit einer Geste auf die Boxen. «Ihre Gesundheit lässt sich daran messen, wie schnell sie ihre Fläschchen hochgehen.» Er schlug kräftig gegen die Boxen. Die Fliegen auf Burger-Diät quälten sich ihr Fläschchen hoch, während die Spartaner hochstoben. «Einige dieser Diäten können ihre Lebensspanne verdoppeln», erklärte er.

Sowohl die Einschränkung der Kalorienaufnahme als auch regelmässige Bewegung scheinen hemmend auf den mTOR-Signalweg zu wirken, ein Protein, das den Zellstoffwechsel reguliert. Bei Stress erkennt der Körper: keine gute Zeit für die Fortpflanzung, gute Gelegenheit, Zellen zu reparieren und die Stressresistenz zu erhöhen. Nach Ansicht der Forschung reagiert die Natur so auf Hunger: einigeln und einen für die Fortpflanzung günstigeren Zeitpunkt abwarten. Es scheint eine Verbindung zu geben zwischen dem Verzicht auf Sex und einer verlängerten Lebensspanne, da der kleine Tod, wie die Franzosen das nennen, anscheinend den grossen beschleunigt. Das Immunsuppressivum Rapamycin beschert Mäusen ein längeres Dasein, lässt aber ihre Hoden schrumpfen. Ähnlich besteht beim Mann die bewährteste Methode, seine Lebenserwartung um vierzehn Jahre über den Durchschnitt hinaus zu erhöhen, darin, sich kastrieren zu lassen – was sicher nicht jedermanns Sache ist.

Hungern hat, wie nicht weiter überraschen wird, seine Nachteile. Soll die begrenzte Kalorienaufnahme auch tatsächlich wirken, sollte man seinem Körper mindestens dreissig Prozent weniger Kalorien zuführen, und die sinnvollste Methode dazu – periodisches Fasten – ist so unangenehm für die Betroffenen wie unprofitabel für die Forscher, schliesslich lässt sie sich nicht patentieren. So setzen sie eben auf die Entwicklung wirksamer mTOR-Inhibitoren, die uns das Hungern ersparen. Indes rät die Website der Calorie Restriction Society bei der Einschränkung der Kalorienzufuhr zur Umsicht: «Die plötzliche Kalorienrestriktion verkürzt die Lebensspanne erwachsener Mäuse.» Weiterhin heisst es dort: «Es bestehen einige weitere Risiken, derer Sie sich bewusst sein sollten.» Weiter lässt man sich dort auf das Thema nicht ein.

Leonard Guarente, Biologieprofessor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), ist Mitbegründer und wissenschaftlicher Leiter von Elysium Health. Guarente hat wichtige Beiträge zur Erforschung von Sirtuinen – mTOR-regulierenden Enzymen – geleistet, die noch vor einem Jahrzehnt als potenzielle Generalschlüssel gehandelt wurden. Elysiums erstes Produkt, ein funktionelles Lebensmittel namens Basis, verspricht die «Wiederherstellung und Optimierung des Stoffwechsels». Für fünfzig Dollar im Monat führt eine tägliche Pille dem Körper Chemikalien zu, die die Bildung von Sirtuinen fördern. Klinische Daten darüber, dass Basis dem Menschen tatsächlich guttun könnte, gibt es noch keine. Bei meinem Besuch in seinem Büro am MIT sagt Guarente auf die Frage, ob er denn an sich selbst eine Wirkung festgestellt habe: «Das habe ich.» An Elysiums PR-Dame gewandt, fragt er: «Kann ich das sagen? Ist das okay?» Auf ein exakt bemessenes Nicken ihrerseits wendet er sich wieder an mich: «Meine Fingernägel wachsen schneller.» Und was das bedeute? «Das weiss ich nicht. Aber es bedeutet was.»

RoboCops statt Meat Puppets

Alle führenden Immortalisten kommen aus der High-Tech-Branche, und alle hatten sie einen Vater, der jung starb (der von Ray Kurzweil mit zweiundzwanzig) oder sich früh aus dem Staub machte (Aubrey de Greys noch vor seiner Geburt). Sie teilen neben dem frühen Verlust der Unschuld auch den starken Glauben, dass der menschliche Geist den menschlichen Körper zu perfektionieren vermag. Larry Ellison, Mitbegründer von Oracle, der seine Adoptivmutter noch am College durch Krebs verlor, hat der Alternsforschung 370 Millionen Dollar geschenkt. «Ich habe den Tod nie verstanden», sagte er einem Biographen. «Da ist jemand eben noch da, und plötzlich ist er verschwunden?» Bill Maris, der geistige Vater von Calico, sagte, er habe bei Überlegungen über die Unvermeidlichkeit des Todes immer «das Gefühl gehabt, dass es vielleicht unsere Aufgabe hier ist, ihn zu transzendieren und unser Bewusstsein für immer zu bewahren».

Die Immortalisten spalten sich in zwei Lager. Da wären zum einen die Anhänger de Greys, die sich als «Meat Puppets» bezeichnen liessen; ihrer Ansicht nach ist der Mensch biologisch umrüstbar und kann in seinem Körper bleiben. Der Ansicht der «RoboCops» nach, deren Galionsfigur Kurzweil ist, werden wir letztlich mit mechanischen Körpern und/oder mit der Cloud fusionieren. Kurzweil war schon immer einer, der alles repariert und optimiert hat: mit das erste, was er erfand, waren der Flachbettscanner und eine Maschine, die Blinden Bücher vorliest. Da sich diese Erfindungen Generation für Generation drastisch verbessert haben, ist er sich heute absolut sicher, dass das «Gesetz der sich beschleunigenden Erträge», wie er es nennt, auch auf die Langlebigkeit des Menschen durchschlagen wird.

Ich treffe mich mit Kurzweil bei Google, wo er Leiter der technischen Entwicklung ist – wobei er jedoch ausdrücklich betont, er spreche mit mir als Privatmann und Futurist. Er wird bald neunundsechzig, wirkt aber bedeutend jünger. Nachdem man bei ihm Mitte dreissig eine Typ-2-Diabetes diagnostiziert hatte, krempelte er seine Lebensweise radikal um und begann Nahrungsergänzungsmittel zu nehmen. Er schluckt heute über den Daumen gepeilt neunzig Pillen am Tag, darunter Metformin, Basis, ein Koenzym namens Q10 für die Muskeln und Phosphatidylcholin, damit seine Haut geschmeidig bleibt. «Na, was meinen Sie?», fragt er mich und zupft dabei an seinem Unterarm. «Geschmeidig!», versichere ich ihm.

Kurzweil sieht Anstrengungen, die das Altern durch modernste Technologie zu bremsen versuchen, als Bridge One, als erste Brücke zu einem unbefristeten Leben. Er hält es allerdings auch mit der Ansicht, dass der Körper im wesentlichen ein Computer sei und damit eine Ansammlung überschreibbarer Daten und updatefähiger Apps. Entsprechend stehen wir auf der Schwelle einer biotechnologischen Revolution mitsamt massgeschneiderten Immuntherapien gegen Krebs und mit körpereigener DNA gezüchteten Organen. Das wäre dann Bridge Two, die uns binnen fünfzehn Jahren zur Langlebigkeitsfluchtgeschwindigkeit bringen wird. «Ich bin da sogar ein bisschen optimistischer als Aubrey», sagt er. Bridge Three, die wir seiner Ansicht nach in den 2030ern überqueren werden, sind Nanoroboter – blutzellengrosse «Geräte», die sich im Körper wie im Gehirn frei bewegen können, um all die Schäden zu beseitigen, die de Grey durch medizinische Interventionen zu reparieren gedenkt. «Ich habe sie mal als die Killer-App der Gesundheitstechnologie bezeichnet», meint Kurzweil, «aber der Name trifft es nicht.»

Wenn wir Bridge Four überschreiten, werden besagte Nanoroboter unser Gehirn mit einer Art neokortikalem Ansatz in der Cloud kurzschliessen, und unsere Intelligenz wird im Handumdrehen um das Milliardenfache steigen. Ist dieser Wandel erst einmal vollzogen, etwa um 2045, kommt es zur Singularität, die uns Göttern gleichmachen wird. «Eine Zeitlang werden wir eine Mischform aus biologischem und nichtbiologischem Denken sein, aber mit der unablässigen Verdoppelung der Cloud wird die nichtbiologische Intelligenz dominieren», sagte Kurzweil. «Und damit wird der Gedanke eines Körpers für jeden der Vergangenheit angehören.» Mit einem scheelen Blick darauf hebt er die Arme etwas an – ein Tischler vor einem Knoten im Holz.

Der frühe Tod seines Vaters, so räumt Kurzweil ein, habe eine profunde Wirkung auf ihn gehabt. Fredric Kurzweil war Dirigent, Pianist, Komponist und Musiklehrer, musste sich aber ranhalten, um seine Familie damit durchzubringen, und war entsprechend oft unterwegs. «Raymond tat sich schwer damit», hat Kurzweils Mutter einmal gesagt. «Er hätte einen Vater gebraucht – und sein Vater war eben nie da.» In einem Lagerraum in Newton, Massachusetts, hat Kurzweil – nachgerade sammelwütig – fünfzig Kartons mit Habseligen seines Vaters zusammengetragen, alles Mögliche von Briefen und Fotos bis hin zu Stromrechnungen. Eines Tages hofft er einen virtuellen Avatar seines Vaters zu schaffen und Gehirn und Geist des Doppelgängers mit diesen Informationen und seinen eigenen Erinnerungen und Träumen gefüttert als Fredric Kurzweil 2.0 zu exhumieren.

«Seit Jahrtausenden rationalisieren wir die Tragödie des Todes: ‹Na, so ist das eben in der Natur, er ist das Ziel des Lebens›», sagt Kurzweil dazu. «Aber wenn jemand stirbt, den wir lieben, empfinden wir das ganz anders.» Er verstummt, bevor er mit einem schmerzlichen Lächeln auf die Frage zurückkommt, wie realistisch oder wie tröstlich so ein Avatar seines Vater denn sei. «Den Fredric-Kurzweil-Turing-Test zu bestehen» – er meint damit den Punkt, an dem ein Klon seines Vaters von seiner Erinnerung an ihn nicht mehr zu unterscheiden wäre – «wird immer leichter, weil die Leute, die ihn gekannt haben, ich mit inbegriffen, immer älter werden.»

Den «Meat Puppets» steht im Kampf gegen das Altern der evolutionäre Zufall im Weg. Jan Vijg, Mitarbeiter einer aktuellen Studie, laut der unsere biologische Lebensspanne letztlich auf 115 Jahre gedeckelt ist, sieht das so: «Unsere Körper sind informationsverarbeitende Systeme, das schon, aber um den Körper als Computer zu reparieren, braucht es ein tiefgreifendes Verständnis dessen, was sich in unseren Zellen auf molekularer Ebene abspielt. Dabei wissen wir ja noch nicht einmal, wie viele Arten von Zellen es gibt! Ein Mensch ist nicht annähernd so schnell geschaffen wie eine künstliche Intelligenz. Dazu macht die Reaktion der natürlichen Auslese auf willkürliche Veränderungen unser Design zu verwirrend und unintelligent.»

Den RoboCops stehen die Grenzen des Menschseins im Weg. Osman Kibar, CEO einer Biotech-Firma namens Samumed, sagte mir: «Wir Menschen sind sehr kreativ. Wenn wir auf ein biologisches Limit stossen, schummeln wir eben – wie Kurzweil, der sagt: ‹Ändern wir doch die Definition des Menschen.› Wenn wir jede unserer Funktionen hochladen oder ersetzen, erreichen wir irgendwann den Punkt, an dem wir nicht mehr von einem Menschen sprechen, sondern von künstlicher Intelligenz.» In unserem Körper arbeitet bereits diverse Technik, denken Sie an Herzschrittmacher oder Cochlear-Implantate. Ein gelähmter Mann tippte jüngst acht Worte pro Minute mit Hilfe einer Gehirn-Computer-Schnittstelle in seinem Motocortex. Wie lang kann es noch dauern, bis man die Vorteile von Skalierbarkeit und Präzisionsfertigung auf den ganzen Körper anwenden kann?

Nach Ansicht der unter dem Einfluss von Kurzweils Fahrplan von einem reichen Russen gegründeten 2045 Strategic Social Initiative können wir immerhin bereits erste Anzahlungen auf diesen Augenblick leisten. Die Website des Instituts (2045.com) hat einen «Unsterblichkeitsbutton», der sich anklicken lässt, «um die Entwicklung Ihres eigenen massgeschneiderten unsterblichen Avatars» in Auftrag zu geben. Sie haben die Wahl zwischen einer ferngesteuerten Roboterkopie, einer Ganzkörperprothese mit Ihrem eigenen Gehirn als Transplantat und dem Spitzenmodell, einem ganz und gar künstlichen Körper, der Ihre «Persönlichkeit» als Upload enthält und «die perfekte Gestalt haben und nicht weniger attraktiv sein wird als der menschliche Körper».

Die Krux bei alledem scheint zu sein, was mit unserem edlen Haupt passieren soll, genauer gesagt unseren grauen Zellen. «Binnen fünf Jahren», so der Futurist Juan Enriquez, «sind wir in der Lage, den Kopf einer Maus auf den Körper einer anderen zu transplantieren. Und dann wird es erst richtig interessant: Erinnert sich Mickey an Minnie?» Im Augenblick jedoch ist man noch nicht dahintergekommen, wie sich die Biologie von Mickeys Gehirn auffrischen liesse, egal auf welchem Körper es sitzt. Neuronen regenerieren sich nicht, und wir bilden – ausser im Hippocampus – auch keine neuen. Stammzellen ins Gehirn zu importieren hilft da auch nicht; sie liegen dort nur herum, um schliesslich abzusterben.

Die Frage der Identität

Benjamin Rapoport, Neurochirurg am Weill Cornell Brain and Spine Center, arbeitet an einer Schnittstelle von Gehirn und künstlicher Intelligenz. «Die Frage», so sagt er mir, «ist doch die: Was macht uns zu dem, was wir sind? Für die meisten ist das der Verstand. Aber kann unser Verstand in einem biologischen Substrat existieren, das wie eine Qualle dahintreibt, anderthalb Kilo schwer, fast flüssig? Oder wäre es vorstellbar, dass er ganz woanders existiert?» In einem Computer, zum Beispiel. Eine 2-Weg-Schnittstelle mit hoher Bandbreite zwischen Computer und Gehirn könnte noch binnen eines Jahrzehnts zur Verfügung stehen. Die Forschung ist bereits dabei, die hundert Milliarden Neuronen im Hirn und die hundert Trillionen und mehr Verbindungen zwischen ihnen – das «Konnektom», wie man das etwas unglücklich nennt – zu kartieren. Noch lässt sich das menschliche Gehirn auf Synapsenebene nur modellieren, indem man es nach dem Tod des Betreffenden in hauchdünne Scheibchen tranchiert. Auszuschliessen ist die Möglichkeit einer Emulation des gesamten Gehirns lebender Menschen aber nicht. Damit hätten wir dann irgendwann eine dauerhafte Kopie unseres Gehirns, die – wie wir hoffen – über ein eigenes Bewusstsein verfügt.

Aber wären das dann tatsächlich wir? Selbst wenn wir mal die Frage beiseite lassen, welcher Anteil am Menschsein somatisch ist – in welchem Masse unsere Identität das Produkt der taktilen, sensorischen und emotionellen Konsequenzen des fleischlichen Seins ist anstatt eines Daseins in der Reihe D einer Serverfarm –, wir können das Problem des Gedächtnisses, der Erinnerung nicht ausser Acht lassen. Im Gegensatz zum RAM eines Computers kommen menschliche Erinnerungen durch elektrochemische Signale zustande, denen unser Gehirn ein Muster zuordnet und für einen entsprechenden Output sorgt. Es gibt keinen physischen Aufbewahrungsort für die Erinnerung an den ersten Kuss. Darüber hinaus ändert sie sich mit dem Stimulus, der sie auslöst, je nachdem, ob man tags darauf daran zurückdenkt, in einem Brief davon liest oder der betreffenden Person zwanzig Jahre später über den Weg läuft. Falls also das Konnektom-Projekt wunschgemäss verlaufen und wir tatsächlich auf Silizium zu übertragen sein sollten, könnten wir dem physischen Verfall gegenüber resistent werden und zu ganz erstaunlichen Lern- und Denkleistungen in der Lage sein – aber eben der Erinnerung an die ersten Krokusse im Frühlingsregen beraubt. Aber womöglich hätten wir dann ja auch vergessen, dass uns daran etwas liegen sollte, und es ist uns egal.

Für den Fall, dass die Entwicklung auf dem Gebiet langsamer vorangeht als erwartet, haben Ray Kurzweil und Aubrey de Grey einen Plan B: Wenn sie sterben, wird man sie in flüssigem Stickstoff einfrieren – mit der Anweisung, sie wieder aufzuwecken, wenn die Wissenschaft der Unsterblichkeit den Weg geebnet hat. Ihr Optimismus ist bewundernswert, und vielleicht handelt es sich bei den Ängsten, die der von ihnen vorgezeichnete Weg bei anderen auslöst, nur um die Ressentiments von Späteinsteigern und denen, die aussen vor bleiben. «Die Leute bekommen es mit der Angst, wenn sie so was hören», meint Kurzweil dazu. «Und so sagen sie eben: ‹Also ich weiss nicht, ob ich so lange leben möchte.›» Für Kurzweil, der zwei Kinder hat, ist die Hinnahme des Todes an sich so unvernünftig wie die Hinnahme unseres vorzeitigen Ablebens. «Dass der Tod dem Leben Sinn gibt, ist eine weitverbreitete philosophische Position, dabei beraubt uns nichts so sehr des Sinns wie der Tod», sagt er. «Er beraubt uns der Liebe. Er ist der Totalverlust unserer selbst. Er ist eine Tragödie.»

Und dennoch. Im Vorjahr lud Nir Barzilai zur Vorführung einer Longevity-Doku, in deren Anschluss er den 300 Leuten im Publikum eine Frage stellte. «Ich sagte: ‹In der Natur sind Langlebigkeit und Fortpflanzung austauschbar. Wir haben also die Wahl: Option eins, Sie sind unsterblich, aber es gibt keine Fortpflanzung mehr auf der Erde, keine Schwangerschaft, keinen ersten Geburtstag, keine erste Liebe› – und so weiter und so fort.» Belustigt ob seiner Entschlossenheit, Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen, lacht er auf. «‹Option zwei›», so sagte ich, «‹Sie werden fünfundachtzig, ohne einen einzigen Tag krank gewesen zu sein, sie sind gesund und fühlen sich bestens, und eines Morgens wachen Sie dann eben nicht mehr auf.›» Das Abstimmungsergebnis, so meint er, sei eindeutig gewesen. «Option eins brachte es auf zehn, fünfzehn Stimmen. Alle anderen hoben die Hand für Option zwei.»

Der Wunsch, unser Leben so zu erhalten, wie wir es kennen, selbst um den Preis des Todes, ist zutiefst menschlich. Der Glaube, dass der Tod die Mutter der Schönheit sei, ist uns einprogrammiert. Trotz des offensichtlichen Widerspruchs sind wir darauf programmiert, exakt so bleiben zu wollen, wie wir sind, und das für immer – oder wenigstens noch ein bisschen länger, bis es eben Zeit ist zu gehen.


Originaltitel: «Silicon Valleyʼs Quest to Live Forever» (Print: «The God Pill»), erschienen am 3. April 2017 in «The New Yorker». Dieser Artikel erscheint hier zum ersten Mal auf Deutsch.

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Der Patient ist König! Auch über seine Daten soll er in Zukunft die Hoheit haben. Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, photographiert von Heinz Baumann / Com_C16-015-001 / CC BY-SA 4.0.
Datenhoheit für die Patienten

Wer Patient wird, soll künftig die Hoheit über die dabei entstehenden Daten haben. Die Datensouveränität des Einzelnen muss endlich eine grössere Rolle spielen.

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