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Die «Steuersünder»

Wer heute den Begriff «Steuersünder» in Anführungszeichen setzt, macht sich verdächtig. Will da einer relativieren? Nein, will er nicht. Er will bloss Klarheit schaffen. Und darum hat er den Begriff erst einmal eingeklammert. «Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht», heisst es in der Bundesverfassung. Der Staat darf nicht alles. Macht er sich gestohlene […]

Wer heute den Begriff «Steuersünder» in Anführungszeichen setzt, macht sich verdächtig. Will da einer relativieren? Nein, will er nicht. Er will bloss Klarheit schaffen. Und darum hat er den Begriff erst einmal eingeklammert.

«Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht», heisst es in der Bundesverfassung. Der Staat darf nicht alles. Macht er sich gestohlene Finanzdaten zunutze, gebärdet er sich als Hehler. Das ist die offizielle Schweizer Lesart und auch der Grund, weshalb die Schweiz keine Amtshilfe leistet, wenn Deutschland auf der Basis gestohlener Daten ein Gesuch wegen Verdachts auf Steuerbetrug an die Schweizer Behörden stellt.

Der Nationalrat hat diese Lesart jüngst bekräftigt, doch richtet er sich damit bloss noch an die Tribünengäste. Der Schweizer Staat pflegt längst die Kultur des «double standard». Blenden wir zurück: im Jahre 2000 erhielten deutsche Steuerbehörden vom Mitarbeiter eines liechtensteinischen Treuhandbüros eine gestohlene CD-ROM, die Kundendaten mutmasslicher Steuerbetrüger enthielt. Da auf der gestohlenen CD auch die Namen von Schweizer Bürgern auftauchten, leiteten die deutschen Behörden dieselben pflichtbewusst an die Schweizer Kollegen weiter, die sie wiederum an die kantonalen Behörden übergaben, die ebenfalls zahlreiche Strafverfahren gegen mutmassliche Schweizer Steuerbetrüger eröffneten. Einer der Angeklagten zog den Fall bis vors Bundesgericht – und verlor (Bundesgerichtsurteil vom 2. Oktober 2007). Halten wir also fest: auch Schweizer Steuerbehörden dürfen gestohlene Daten benutzen, um Jagd auf mutmassliche Schweizer Steuerbetrüger zu machen.

Steuerbetrug ist ein Delikt. Der Rechtsstaat verfügt über juristische Werkzeuge, um Steuerbetrüger mit aller Härte des Gesetzes zur Rechenschaft zu ziehen. Das hält ihn aber heute offensichtlich nicht mehr davon ab, die ihm zugrunde liegenden Prinzipien auszuhebeln. Der eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür, ein zweifellos unverdächtiger Zeuge, gab deshalb in einem Gespräch mit dieser Zeitschrift vor zwei Jahren zu Protokoll: «Ich habe kein Verständnis dafür, dass ein Staat gesetzwidrig handelt, um anderes deliktisches Verhalten aufzudecken. Wenn wir so weit sind, dass der Zweck die Mittel heiligt, ist der liberale Rechtsstaat am Ende.»

Zurück zur helvetischen Wirklichkeit. Während nun ausländische mutmassliche Steuerbetrüger im Rahmen von Verfahren, die auf gestohlenen Daten beruhen, bis auf weiteres auf die Prinzipien des Schweizer Rechtsstaats zählen können, haben Schweizer Bürger nichts zu lachen. Sie machen sich derweil Mut, indem sie die auf dem Vertrauen zwischen Staat und Bürger basierende Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug rhetorisch hochhalten. Die Strafverfolgungsbehörden haben bloss im Fall von vorsätzlichem Steuerbetrug das Recht, Einblick in die finanzielle Privatsphäre der Steuerpflichtigen zu nehmen. Ausländische Staaten kennen diese Unterscheidung nicht. Die Schweiz hat sich nun auf Druck des Auslands dazu bereit erklärt, an ihrem eigenen Rechtsprinzip zu kratzen und Amtshilfe auch in Fällen von Steuerhinterziehung zu leisten.

Wenn alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, wie es in der Bundesverfassung heisst, hat dies zwei bisher noch verdrängte Konsequenzen. Erstens: die Schweiz wird irgendwann auch Amtshilfe leisten, wenn die Anfragen sich auf gestohlene Finanzdaten stützen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und zweitens: die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug im Inland wird fallen.

Zurück zum Anfang. In Zeiten leerer Staatskassen und sich anbahnender Verteilungskonflikte hat sich anstelle des «Steuerbetrügers» längst der Begriff «Steuersünder» etabliert. Der Begriff ist präzise: mit «Sünde» wird in der Theologie der unvollkommene Zustand des von Gott getrennten Menschen bezeichnet. Jeder Mensch ist sündig, oder in säkularisierter Terminologie: jeder Mensch ist schuldig. Er steht immer schon im Verdacht, dem Fiskus und also der Gemeinschaft etwas vorenthalten zu wollen. Wie­derum Hanspeter Thür: «Der Bürger steht unter Generalverdacht. Der Staat muss Eingriffe in die Privatsphäre nicht mehr legitimieren. Der Bürger muss beweisen, dass er unschuldig ist.»

Das wäre die letzte Konsequenz: der Rechtsstaat hat immer recht. Nur wäre es zugleich das Ende des Rechtsstaats.

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