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Die Staatsmacht im Teller
Claudia Wirz, fotografiert von Thomas Burla.

Die Staatsmacht im Teller

Der Staat benutzt das Narrativ einer «Epidemie» von Übergewicht, um seinen Einfluss auszudehnen. Dabei liegt der Schlüssel zur guten Ernährung in der ­Eigenverantwortung mündiger Menschen.

 

Dieser Artikel beginnt mit einer Ode an das Ernährermodell. Die Schreibende hatte das Glück, in einer solchen Familie aufzuwachsen. Die Mutter, wiewohl gut ausgebildet, war mehrheitlich zu Hause – und zwar nicht ungern – und kümmerte sich um Kinder und Haushalt. Der Vater sorgte für das Einkommen.

Die Mutter kochte werktags, der Vater – ebenfalls nicht ungern – am Wochenende, bald halfen die Kinder mit. Das in braunes Leinen gebundene «Kochlehrmittel» aus Mutters Hauswirtschaftsunterricht von 1951 lieferte nicht nur 400 schmackhafte Rezepte, sondern vor allem auch viele sachdienliche, also ideologiefreie Informationen zur Vorratshaltung, zur Haushaltführung und zu Fragen der Ernährung. Wer das Lehrmittel durchgearbeitet hatte, war ernährungstechnisch für das Leben gerüstet. So sah es sinngemäss der Fortbildungsschulinspektor Emil Oberholzer, der das Vorwort zu dem Büchlein verfasste.

Die Kinder lernten von der Mutter, dass Gemüse und Salat gesund sind, dass aber auch ein paar Scheibchen ­Salami oder ab und zu eine Glace nicht automatisch krank und fett machen. Schliesslich macht die Dosis das Gift. Alle assen gut und niemand ist dick geworden, bis heute. Es sind die Früchte dessen, was man landläufig eine gute Erziehung nennt.

Politik für Kleinstkinder

Heute wird die Kindererziehung zunehmend an Dritte ausgelagert. Das nennt man Familienpolitik. Seit Jahrzehnten singt der Staat ein Loblied auf die familienexterne Kinderbetreuung und fördert sie mit vielen Millionen Steuerfranken. Gleichzeitig beklagt der gleiche Staat das grassierende Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen. Gut 17 Prozent der Kinder und Jugendlichen in der Schweiz seien über­gewichtig, vermeldete die von den Prämienzahlern finanzierte Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz vergangenen Herbst besorgt. Geht man davon aus, dass ein guter Teil der Kinder dieser Generation fremdbetreut wurde oder wird, könnte man mit Fug und Recht unterstellen, dass die Kita-Pädagogik nicht hält, was sie verspricht – es sei denn, allein die Eltern machten Fehler.

Gleichwohl ist kein Ende der Fremdbetreuung abzusehen. Die unter anderem von der Schweizer Unesco-Kommission propagierte «Politik der frühen Kindheit» will sich schon der Allerkleinsten ab Alter 0 annehmen. Staat und Sozialindustrie massen sich an, deren Erziehung besser und gerechter erledigen zu können als die Eltern, die ja Amateure sind, wie es ein Zürcher Amtsleiter und Kinderrechtsfunktionär am Radio einmal sagte. Welch ein Unterschied zur Einschätzung von Emil Oberholzer 1951!

Die Eltern werden miterzogen

Die Familie als privater Ort der Sozialisierung und des ­Lernens wird heute zunehmend durch den Staat verdrängt. Damit verlieren nicht nur die Familienrezepte für eine gute Ernährung an Stellenwert. Vielmehr wird die elterliche ­Erziehungshoheit grundsätzlich unterwandert.

«Die Znüni-Politik ist ein

anschauliches ­Beispiel dafür,

wie der Staat im Namen des

Kinder- und ­Jugendschutzes

die Erwachsenen erzieht.»

Mit «Znüni-Leitfäden» zum Beispiel, wie sie etwa die Stadt Zürich herausgibt, können die Eltern kleiner Kinder trefflich im Sinne kapitalismuskritischer Ernährungs­ideologie umerzogen werden. Wehe dem, der sich traut, seinem Kind eine Banane, eine Mango ohne Fair-Trade-­Label, weisses Brot oder Schoggi in die Znüni-Box zu legen! Die Znüni-Politik ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie der Staat im Namen des Kinder- und Jugendschutzes die Erwachsenen erzieht.

Mit dem Zugriff auf die Eltern schulpflichtiger Kinder geben sich die staatlichen Gesundheitsförderer natürlich nicht zufrieden, wobei anzumerken ist, dass es keine ­abschliessende Lehrmeinung dazu gibt, was eine gesunde Ernährung ist; schliesslich hat jeder Mensch individuelle Voraussetzungen, ein Umstand, der jeden dogmatischen Ansatz von vornherein disqualifiziert.

Doch von solchen Überlegungen lassen sich politische Akteure nicht beirren. Sie lancieren reihenweise Vorstösse, um die Gesundheit des Volkes zu schützen, die sie immer wieder durch Konzerne bedroht sehen. Linke Politiker inszenieren sich als selbstlose Kämpfer gegen Zucker, Tabak oder Alkohol, und immer wieder verwenden sie zur Rechtfertigung ihres dirigistischen Traumes das Motiv des Jugendschutzes, was jüngst mit einem Abstimmungserfolg zum Tabakwerbeverbot belohnt worden ist.

Schützenhilfe liefert auch hier eine UNO-Abteilung, die Weltgesundheitsorganisation WHO. Sie ist es, die das Übergewicht zur «Epidemie» erklärt hat. Sie sagt uns nicht nur, wie viel Zucker wir essen dürfen, sie erteilt uns für unser Verhalten auch regelmässig Zensuren, um den Boden für neue Regulierungen zu bereiten.

Bedürfnisse sind individuell

«Organisationen wie die

UNO oder die OECD sowie

die wachsende Expertenschar

sind wesentliche Treiber

der Präventionspolitik.»

Gerne reden «Experten» an Tagungen über die «Amateure», vermessen und beurteilen sie, träumen von Werbeverboten oder einer Art «lebenslanger Erziehung» und tragen ihre Ideen in die Politik.

Doch der Schlüssel zur guten Ernährung liegt nicht beim Staat, denn der Staat weiss nicht, was der einzelne braucht. Im Unterschied zu Mutters häuslicher Erziehung sind staatliche Regulierungen wenig zielgerichtet und deshalb in diesem Fall besonders untauglich. Die (freiwillige) ­Lebensmittelkennzeichnung Nutri-Score beispielsweise füttert die 32jährige Marathon­läuferin mit den genau ­gleichen Informationen über eine ausgewogene Ernährung wie den 92jährigen Schach­spieler oder die 15jährige Magersüchtige, obwohl deren Bedürfnisse grundverschieden sind.

Der Schlüssel zur guten Ernährung kann einzig in der Eigenverantwortung des aufgeklärten, selbst denkenden Individuums liegen. Doch ist angesichts des Mängelwesens Mensch und der vermeintlichen Übergewichtsepidemie staatliche Zurückhaltung tragbar? Bei Ludwig von Mises findet man vielleicht eine Antwort darauf: «Sollte man Laisser-faire aufgrund der Fehlbarkeit und moralischen Schwäche des Menschen ablehnen», schrieb er, «so muss man aus denselben Gründen auch jegliche Art von staatlichen Eingriffen ablehnen.» Politiker und Bürokraten sind schliesslich auch nur Menschen. Und manche von ihnen sollen sogar ziemlich dick sein.

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