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Die SRG

Eine kurze Erinnerung an fünf betriebswirtschaftliche Gegebenheiten der Fernsehbranche

Die SRG
Quelle: SRG SSR

«Dass die SRG Gebührengelder erhält, ist grundsätzlich wichtig und richtig. In der Schweiz wäre es sonst nicht möglich, gut gemachte Nachrichten- oder Sportsendungen zu produzieren, dasselbe gilt für Schweizer Spielfilme.»1 Das ist nicht etwa meine Aussage, sondern ein Zitat aus einem Interview von Dominik Kaiser, dem Gründer des erfolgreichen privaten Fernsehkanals 3+, vergangenes Jahr im «Punkt-Magazin». In diesem Magazin stellte er ausserdem fest: «Mit Eigenproduktionen wie Bumann, der Restauranttester, Der Bachelor und Bauer, ledig, sucht schreiben wir Verluste.» Und in der «Handelszeitung»: «Selbst sehr erfolgreiche Sendungen wie Bauer, ledig, sucht sind nicht kostendeckend. […] Diese Sendungen sind extrem aufwendig, sie müssen in vergleichbarer Qualität produziert werden wie im deutschen Privatfernsehen.»2 Angesprochen auf die gescheiterten Versuche vor 3+, einen Schweizer Privatsender zu etablieren – RTL und ProSieben Schweiz, Tele24, TV3 –, meinte er: «Die Vorgängerprojekte sind nicht wegen der SRG gescheitert, sondern weil der Markt Schweiz sehr klein ist. Eigenproduktionen sind sehr teuer und ausländische Sender begeistern auch hiesige Werbekunden.»

Die Debatte um den Service public wird ausserordentlich ideologisch geführt. Es scheint mir darum wichtig, sich fünf elementare betriebswirtschaftliche Gegebenheiten der Radio- und vor allem der Fernsehbranche in Erinnerung zu rufen.

 

1. Mit Programmen, die das breite Publikum erreichen – also zwanzig, dreissig Prozent Marktanteil – und die in der Lage sind, sich gegenüber der heftigen Konkurrenz ausländischer Kanäle und globaler audiovisueller Anbieter zu behaupten, ist auf dem kleinen, viersprachigen Schweizer Markt kein Geld zu verdienen.

Das gilt für Information. Selbst auf einem grossen Markt sind Informationssendungen schwerlich zu finanzieren. Bei den kommerziellen deutschen Kanälen ist RTL Nachtjournal das höchste der Gefühle. Es ist sehr boulevardesk – und für RTL trotzdem ein Verlustgeschäft. Sogar in den USA mussten die grossen Fernsehkanäle für das breite Publikum, ABC, CBS, NBC, allesamt ihre Korrespondentennetze zusammenstreichen: zu hohe Kosten, zu wenig Zuschauer. Mit Information also ist kein Geld zu verdienen. Das bekräftigt Dominik Kaiser, der sagt, nur deshalb habe er Erfolg gehabt, weil er im Gegensatz zu seinen Vorgängern keine Informationssendungen geboten habe.

Dasselbe gilt für die Fiktion. Was in meiner Jugend der Kinofilm war, ist heute die Serie. Es ist das Verdienst von SRF-Chef Ruedi Matter, dass er eisern Geld ins Programm verlagerte, um eine Serie zu entwickeln, die mit 43 Prozent Marktanteil einen Riesenerfolg feiert: Der Bestatter, ein Spiegel der Agglomerationsschweiz. Wir produzieren diese Serie äusserst kostengünstig. Dennoch sind es 10 000 Franken pro Minute. Weniger geht nicht, denn solche Serien stehen im Wettbewerb mit amerikanischen Serien wie House of Cards, die für 75 000 bis 100 000 Dollar pro Minute produziert werden. Wenn diese Serien ihre Kosten auf dem amerikanischen Markt eingespielt haben, kommen sie zu Schleuderpreisen nach Europa; in der Schweiz werden sie für hundert Franken pro Minute angeboten: hundertmal billiger als das, was man wettbewerbsfähig in der Deutschschweiz produzieren könnte. Zehn Jahre lang hat SRF aus Geldmangel keine Serie gedreht. In diesem Zeitraum ist kein einziger privater Anbieter in die Marktlücke gesprungen: weil es diese Marktlücke nicht gibt.

Dasselbe gilt für den Sport. Im Wirtschaftsleben der SRG gibt es ungerade und gerade Jahre. In den geraden Jahren – es sind Sportjahre mit Olympischen Spielen winters oder sommers, mit Fussball-Europameisterschaft oder -Weltmeisterschaft – hat es die SRG schwer, schwarze Zahlen zu schreiben. Auch der Sport kostet wesentlich mehr, als er einbringt. Man kann ihn zwar privatisieren wie in Italien. Aber dort zahlt der italienische Zuschauer, der Fussball verfolgen will, beim Bezahlfernsehen Sky etwa den gleichen Betrag wie für die Radio- und Fernsehgebühr in der Schweiz – allein für den Fussball!

In der Schweiz einen Kanal zu lancieren, der 20 Prozent der Leute erreicht, erfordert Investitionen in der Grössenordnung von 150 Millionen Franken. Wiederholt haben Medienhäuser Kooperationsideen mit uns besprochen, um gemeinsam Kanäle zu gründen. Am Schluss haben sie es jedes Mal sein lassen, weil in der kleinen, viersprachigen Schweiz Fernsehkanäle für das breite Publikum schlicht und einfach nicht rentieren. Irland, Österreich, Belgien und die Schweiz sind Länder mit grossen, gleichsprachigen Nachbarn, deren geldmächtige Fernsehkanäle eine harte Konkurrenz darstellen. Das ZDF hat für Fernsehen in einer Sprache vierzig Prozent mehr Mittel als die SRG für Radio und Fernsehen in vier Sprachen. In solchen Konkurrenzverhältnissen haben es private Anbieter schwer.

 

2. Oft wird behauptet, die Digitalisierung mache alles billiger. Das stimmt nur bedingt. Zwar sinken die Technologiekosten ein Stück weit, dafür verkürzen sich die Investitionszyklen. Zur Illustration: Wir sind bei der SRG noch nicht ganz am Ende des Investitionszyklus zur Einführung des hochauflösenden Fernsehens HDTV. Netflix produziert bereits im nächsten System, 4K, also mit der vierfachen Auflösung von HDTV. Und NHK, das grosse japanische Fernsehen – bei technologischen Entwicklungen tonangebend –, bereitet sich auf die Einführung des übernächsten Produktionssystems vor, 8K: die achtfache Auflösung von HDTV.

Und das bedeutet: Nur schon von der Technologie her haben das Mediengeschäft insgesamt und die Fernsehbranche im besonderen strukturell einen äusserst grossen Fixkostenblock. Es braucht Fernsehanbieter mit einer kritischen Masse an Produktionskapazitäten und laufend weiterentwickeltem Know-how, sonst lassen sich Übertragungen wie beispielsweise die Lauberhornabfahrt oder das Eidgenössische Schwingfest gar nicht produzieren. Ein Übertragungswagen kostet zwischen 12 und 15 Millionen Franken.

Anders gesagt: Wer das Angebot des Service public massiv reduzieren will, verschlechtert das in der Branche ohnehin schlechte Verhältnis zwischen Fixkosten und variablen Kosten. Das gilt erst recht in unserem föderalistischen Land, in dem die SRG Produktionskapazitäten in den vier Landesteilen hat und braucht, wie es das Gesetz vorschreibt. Trotzdem ist die SRG hocheffizient. Ausländische Delegationen besuchen uns und staunen, wie wir mit wenig Geld viel Fernsehen fürs breite Publikum machen.

 

3. Eine weitere betriebswirtschaftliche Gegebenheit ist das Ineinander von Produktion und Distribution. Im Herbst 2014 schlug Avenir Suisse vor, die SRG in eine reine Produktionsgesellschaft umzuwandeln, deren Sendungen dann auf verschiedensten Kanälen verbreitet würden. Das widerspricht jeglichem Trend in der audiovisuellen Branche. Schon immer mussten Programmleute ihr Publikum genau kennen, um ein erfolgreiches Programm zu machen. Wer hat heute am meisten Erfolg? Ein Distributor wie Netflix, der gleichzeitig Inhaltsanbieter geworden ist und dank Big Data die Bedürfnisse seines Publikums am besten kennt. Wer heute Produktion und Distribution trennen möchte, programmiert den Misserfolg.

Die mediale Gegenwart wird von drei Konvergenzen bestimmt:

– Die erste, die Konvergenz zwischen Radio und Fernsehen, hat die SRG weitgehend bewältigt. Profiteur dieser Konvergenz ist das Radio: Die vertiefenden Radiosendungen, die man tagsüber bei der Arbeit nicht hören kann, werden in einem attraktiven multimedialen Umfeld auf Abruf im Internet angeboten, à la carte, und stark genutzt.

– Die zweite Konvergenz ist die zwischen Rundfunk und Breitband. Nicht nur die Technologien werden fusionieren, sondern auch die Arten des Angebots: à la carte im Internet, Menü im Kanal. Inzwischen gibt es immer mehr «Kanäle» im Internet und dank HbbTV (Hybrid Broadcast Broadband TV) immer mehr Abrufangebote in den Kanälen.

– Die dritte Konvergenz, die sich weltweit abzeichnet, ist diejenige zwischen Inhaltsanbietern und Distributoren, Netzbetreibern, Telecom. Netzbetreiber produzieren vermehrt selbst Inhalte, und ihrerseits sind die Inhaltsanbieter, wenn sie das Zielpublikum richtig erreichen wollen, auf Allianzen mit Netzbetreibern angewiesen. Produktion und Distribution sollten nicht getrennt werden, sie gehören mehr denn je zusammen.

Kanäle übrigens haben eine grosse Zukunft. Wir leben in einer Zeit, in der alles reproduzierbar ist – bis auf eines: das Live-Erlebnis. Ein solches Echtzeiterlebnis kann zwei Stunden vor dem Ereignis nicht erlebt werden, und zwei Stunden später interessiert es weniger. Die Kanäle verlieren an Stellenwert für den Courant normal, für das Alltägliche. Doch treten wichtige Ereignisse in der Schweiz oder der Welt ein oder Ereignisse, die einen helvetischen Nerv berühren, hat SRF zuweilen mehr Zuschauer als früher. Auf die Kanäle zu verzichten, wäre ein strategischer Fehler.

 

4. Wir sprechen wie selbstverständlich über die Globalisierung des Finanzplatzes, des Werkplatzes, des Hochschulplatzes. Wir denken hier in globalen Kategorien, führen aber die Debatte über den Medienplatz Schweiz so, als stünde er unter der Käseglocke, als handelte es sich im wesentlichen um einen nationalen Verteilungskampf zwischen privaten Schweizer Medienhäusern und der SRG – und zwar als Nullsummenspiel: Was die einen gewinnen, verlieren die anderen und vice versa. Dabei haben die ausländischen Fernsehkanäle sechzig Prozent Marktanteil in der Schweiz, und sie erzielen über fünfzig Prozent der TV-Werbeerlöse. Und wie verhält es sich im Internet, also auf dem Werbemarkt der Zukunft? Wir sind acht Millionen Menschen in der Schweiz: 3,4 Millionen haben ein Profil bei Facebook, fünf Millionen sind täglich bei Google. Die zwei grössten Plattformen in der Schweiz sind Facebook und Google. Zusammengenommen haben sämtliche Webseiten sämtlicher Schweizer Medienhäuser weniger Nutzer als Facebook, geschweige denn Google. Die Globalisierung des Medienplatzes ist eine Tatsache. Er ist noch stärker globalisiert als der Finanzplatz. Wer unter «petits Suisses» Verteilungskämpfe um die Brosamen führen will, die uns die Global Players lassen, der wird die Zukunft unseres Medienplatzes nicht gestalten können. Es ist ein klassisches Phänomen: Je kleiner das Kuchenstück, umso härter der Verteilungskampf.

 

5. Zuletzt – die Zeit ist fortgeschritten – ein kurzes Wort zur Werbung, genauer gesagt zur Forderung nach einem Werbeverbot für die SRG. In grossen Ländern mit ihren Abermillionen Gebührenzahlern ist die Mitfinanzierung öffentlicher Anbieter durch Werbung nicht entscheidend. In Deutschland mit achtzig Millionen Menschen und Programmen nur in einer Sprache reicht weitgehend das Gebührenaufkommen, die Werbeeinnahmen machen wenig mehr als fünf Prozent des Budgets von ARD und ZDF aus, nach 20 Uhr werden keine Werbespots ausgestrahlt. Hingegen sind die meisten kleinen Länder in Sachen Fernsehwerbung schon deshalb liberal, weil das Gebührenaufkommen oft nicht reicht, um ein wettbewerbsfähiges Fernsehen zu finanzieren. Das gilt erst recht für die Schweiz, die Programme in vier Sprachen anbieten muss.

Ohnehin läge ein Werbeverbot weder im Interesse der privaten Konkurrenz noch der Schweizer Wirtschaft. Der 3+-Chef Dominik Kaiser äussert sich im Buch «Weniger Staat, mehr Fernsehen» zum Thema Werbung wie folgt: «Ein Werbeverbot könnte in einem kleinen Land wie der Schweiz meines Erachtens dem gesamten Werbemarkt schaden. Wenn im Schweizer Werbemarkt gar keine Werbung ausgestrahlt werden dürfte, würde das den Privaten nicht dienen, ganz im Gegenteil!»3 Und der Schweizerische Werbe-Auftraggeberverband SWA schreibt in seinem jüngsten Jahresbericht: «Werbeverbote aller Art lehnen wir grundsätzlich ab. So auch die jüngst vom Verlegerverband geforderten Einschränkungen der Werbemöglichkeiten bei den SRG-TV-Sendern. Nach 50 Jahren Schweizer TV-Werbung in diesem Jahr wäre dies ein grosser Rückschritt für den Werbemarkt. Von einem derart massiven Markteingriff würden einzig ausländische TV-Stationen mit ihren Werbefenstern sowie das Internet profitieren. Die Verlierer wären die Werbeauftraggeber, welche jahrelang in die SRG-Sender investiert haben und jetzt ihrer reichweitenstarken Werbemöglichkeiten beraubt würden. Es gilt somit die Handels- und Gewerbefreiheit in allen Bereichen zu verteidigen, selbst gegen Angriffe aus der eigenen Branche.»

Ich plädiere dafür, die Debatte über den Service public der Zukunft zu erden. Jede Politik muss sowohl den Realitäten als auch den Weltanschauungen Rechnung tragen. Jede neue Medienpolitik in Sachen Service public sollte elementare Gegebenheiten der audiovisuellen Branche berücksichtigen. Überspitzt gesagt: Wir sollten über den Medienplatz Schweiz nicht so debattieren, wie Occupy über den Finanzplatz debattiert, nämlich an den Tatsachen und den realen Entwicklungen vorbei. Lassen Sie uns zu einer sachlichen, realistischen Service-public-Debatte zurückfinden.

 

Dieser Artikel basiert auf der redigierten Transkription einer Rede, die Roger de Weck am 23.4.2015 an der Vernissage des Buchs «Weniger Staat, mehr Fernsehen» im Zürcher Hotel «Savoy Baur en Ville» auf Einladung der Stiftung für MeinungsFreiheit und MedienVielfalt gehalten hat. Die vorliegende Fassung wurde von Roger de Weck autorisiert.

 


1 Rino Borini, Dominik Kaiser: «Die Logik unseres Senders ist ganz einfach». In: Punkt-Magazin, Juni/Juli 2014.
2 Pascal Ihle, Dominik Kaiser: «12 Hochzeiten, 16 Kinder». In: Handelszeitung, 4.9.2014, S. 23.
3 René Scheu (Hrsg.): Weniger Staat, mehr Fernsehen. Service sans public? − Die neue Debatte um die SRG. Zürich: Neue Zürcher Zeitung, NZZ Libro, 2015, S. 159.

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