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Die Spaltung der Schweizer Psychoanalyse

Die Schweizer waren nach dem Austritt der Jungianer lange die enfants terribles in der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Viele traten ihr gar nicht bei, und diejenigen, die mitmachten, verärgerten Freud mit ihrem Kantönligeist. Das letzte Drama in der bald 100jährigen Geschichte war eine Spaltung, die niemand wollte.

Als Sigmund Freud im Juli 1914 an Karl Abraham vom Ausbruch des 1. Weltkriegs schrieb, berichtete er im gleichen Brief vom Ende einer geschlagenen Schlacht: Zürich und die «Schweizer Schule» um Carl Gustav Jung waren gerade aus dem psychoanalytischen Olymp gefallen, oder besser gesagt, hinausmarschiert. Freud hatte erwartet, dass er die Schweizer nur durch die Auflösung der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) oder durch kollektiven Austritt und die Gründung einer neuen Organisation loswerden würde. Jung legte das Amt des Zentralpräsidenten indessen kampflos nieder. Danach hatte Freud in der vormals so wichtigen Provinz Schweiz keine organisierte Gefolgschaft mehr; das Verhältnis zur Schweiz war getrübt.

Nach Kriegsende gab es Pläne, Zürich und der Schweiz wieder eine grössere Rolle in der psychoanalytischen Bewegung zuzuerkennen. Von den Personen, die 1919 die Schweizer IPV-Ortsgruppe, die Schweizerische Gesellschaft für Psychoanalyse (SGP), neu gründeten, hielt Freud allerdings nicht gerade viel. Gegenüber seinem langjährigen «Vize» Sandor Ferenczi beklagte sich Freud, dass Emil Oberholzer Präsident werden solle, «der mir nur als schwerer Neurotiker bedenklich ist. Sie haben in der Schweiz doch eine ganz besondere Reinzucht von Narren» (24.1.1919).

Acht Wochen nach der Gründung lag die SGP bereits im Clinch mit dem von Freud eingesetzten Mittelsmann Hanns Sachs und mit der IPV. Sachs hatte den Schweizern geraten, ihr IPV-Beitrittsgesuch wieder zurückzuziehen, da in der SGP die Absicht bestünde, «das Moment der Sexualität möglichst unangerührt zu lassen». Die Schweizer Freudianer waren wegen Freuds Sexualtheorien unter Druckgeraten und wollten diese nicht an die grosse Glocke hängen. Der walisische Psychoanalytiker und Freud-Biograph Ernest Jones schrieb: «Nun ist es eine ausgesprochene Eigentümlichkeit der Schweizer, dass sie innerlich miteinander eng verbunden sind; nur sehr selten gelingt es einem Ausländer, Schweizer zu werden. Es gibt wenige Teile unserer Kulturwelt, in denen es für das Individuum schwerer ist, ausserhalb der herrschenden Moralgesetze zu stehen, als in der Schweiz» (Jones, 1962, 173f). Einem Brief Freuds an Pfister (27.5.1919) zufolge betrachteten die Schweizer Sachs als «Sendboten der hohen Inquisition». Zu Recht. Freud nahm Sachs mit dem Argument in Schutz, dieser misstraue vielleicht «der ‹Psychologie der Schweizer› und fürchtet, dass die Ver-Jungung bei Ihnen tiefer eingedrungen ist, als Sie alle sich und anderen eingestehen wollen». Der Plan, der Schweiz unter Sachs eine besondere Rolle zuzugestehen, wurde bald fallengelassen. Die Schweizer taten in der Folge acht Jahre lang einiges, um ihrem ramponierten Ruf gerecht zu werden und die IPV und Sigmund Freud zu verärgern.

Zunächst wurde mit Missfallen vermerkt, dass die Romands keine Anstalten zum Beitritt zu SGP und IPV machten. Edouard Claparède hatte 1919 einen offenen psychoanalytischen Kreis gegründet. Jones fragte deshalb in einem Rundbrief im Oktober 1920: «Do you suggest that we make overtures to the other Geneva pseudo-analysts (Claparède, etc.), who have refused to join the Swiss group?» Claparède und seine Gruppe blieben draussen.

Ein Konflikt entzündete sich daran, dass IPV-Mitglieder verpflichtet waren, die offiziellen IPV-Zeitschriften zu abonnieren. Oberholzer unterbreitete Freud das Anliegen, dass für die Schweiz eine Ausnahme zu machen sei. Das unsolidarische Ansinnen aus der kriegsverschonten Schweiz kam mithin zu einem Zeitpunkt, als Freud in Wien gegenüber Karl Abraham konstatieren musste, «dass es hier im Zimmer bitterkalt ist» (5.2.1919) und gegenüber Ferenczi, dass der Fleischmangel und chronische Hunger zur Affektimilderung beitrage (25.3.1919). Tatsächlich waren wegen des Zeitschriftenobligatoriums drei Ärzte aus der SGP ausgetreten. Schliesslich warf Freud den Schweizern vor, dass «sie anstatt die schwierige Situation des Verlages zu bedenken, zu ihren Gunsten eine Begünstigung forderten, die an unsere Existenzmöglichkeit rührte» (an Pfister 25.12.1920).

Im Wirbel um den «ersten psychoanalytischen Roman grossen Stiles» – so hatte der Internationale Psychoanalytische Verlag das Buch «Der Seelensucher» von Georg Groddeck 1920 angekündigt – waren die Schweizer mit ihrer Kritik zunächst in bester Gesellschaft. Viele kritisierten das Buch, nur Freud fand es «freilich Kaviar fürs Volk» (an Eitingon, 23.1.1921). Die Schweizer manövrierten sich mit sicherem Gespür ins Abseits, indem sie in Erwägung zogen, das «pornographische Elaborat» selbst anzuzeigen, um die Einfuhr in die Schweiz zu verhindern. In einer zehnseitigen Standpauke schrieben Freud und Otto Rank am 28.2.1921 zu diesem Plan, dass sie «ein so ausgiebiges Mass von spiessbürgerlicher Vorsicht und Bravheit wohl nicht vereinbar mit der Würde eines Analytikers gehalten hätten» (Groddeck, 1998, 291).

In den zwei folgenden Jahren glänzte die SGP an Kongressen durch Abwesenheit und im Verein durch Untätigkeit, was Freud bewog, sich bei Pfister über Oberholzer zu beklagen: «Es ist nichts von ihm zu haben. … Als Präsident einer Ortsgruppe erscheint er nicht auf dem Kongress, wahrscheinlich auch nicht auf dem nächsten, und das ist wirklich unerhört» (27.7.1922). Im Oktober 1922 schrieb Pfister an Freud endlich, «dass nun in unserer schweiz. Gesellschaft wieder flotte Ordnung herrscht» (23.10.1922).

Ob das besser war? Während die psychoanalytische Welt von der im April 1923 diagnostizierten Krebserkrankung Freuds erschüttert wurde, begann die SGP zum ersten, aber nicht zum letzten Mal einen Kongress zu organisieren, der nicht stattfinden sollte: Oberholzer knüpfte die Durchführung der 1926 in Luzern vorgesehenen Tagung zum Erstaunen der IPV an Voraussetzungen (s.u.), worauf sich die Verhandlungen zerschlugen. 1927 versuchte es die IPV noch einmal mit einem Kongress in der Schweiz, biss aber bei Oberholzer wiederum auf Granit.

Oberholzers Meisterstück sollte indessen erst noch kommen. 1926 hatte Freud mit seiner Schrift «Zur Frage der Laienanalyse» versucht, sich den amerikanischen Bestrebungen entgegenzustellen, Nichtärzte von der psychoanalytischen Praxistätigkeit auszuschliessen. Was die Amerikaner nicht wagten, machte Oberholzer ohne Zögern. Ohne Rücksprache mit Freud oder der IPV trat er 1928 als SGP-Präsident zurück, aus der SGP aus und gründete eine «Schweizerische Ärztegesellschaft für Psychoanalyse» als SGP-Konkurrenz. Diese sah einen formalen, lockeren Anschluss an die IPV vor, «um uns in der Wahrung unserer Interessen nach allen Seiten freie Hand zu lassen» (Rundschreiben Oberholzer/Brun, 8.12.1927, zitiert in Schröter, 2004, S. 578).

Der Partikularismus der Ärzte superponiert auf den Partikularismus der Schweizer – Freud kannte die Diagnose für diese schweizerische Ur-Krankheit: «Kantönligeist». An Kielholz schrieb Freud, «die Schweizer mit ihrer Spaltung seien doch Partikularisten. Der Kantönligeist spiele da offenbar eine Rolle» (Kielholz, 1957). Das IPV-Aufnahmegesuch Oberholzers wurde von IPV-Präsident Eitingon postwendend abgelehnt. Zur Schweizer Urangst vor Majorisierung meinte er: «Unterzeichnetem sind aus der Geschichte der I.P.V keine Beispiele von Majorisierungen von Minoritäten bekannt, denen eine neu gegründete Gesellschaft von vornherein vorbeugen zu müssen genötigt sein könnte» (1.3.1928, zitiert in Schröter, 2004, S. 960). Zehn Tage zuvor hatte Freud Ernest Jones geschrieben: «We had a good deal of correspondence about the Swiss ‹Sturm im Wasserglas›» (18.2.1928). Die Ärztegesellschaft blieb bedeutungslos und wurde 1948 aufgelöst.

Nach acht Jahren im Vorstand wurde der Basler Arzt Philipp Sarasin neuer Präsident der SGP. Er hatte 1915 bei Bleuler im Burghölzli gearbeitet und die erste Analyse auf der falschen Seite, beim Jungianer Franz Riklin gemacht, eine zweite bei Hanns Sachs und eine dritte 1921 bei Freud selbst (Mijolla, 2002). Im Juli 1928 besuchte Sarasin Freud in Wien; Freud schrieb danach erleichtert: «Es ist doch so, als ob man die Schweiz wieder gewonnen hätte» (an Eitingon, 18.7.1928). Philipp Sarasin lotste die SGP erfolgreich in ruhigere Gewässer.

Inzwischen war die Schweiz bereits vom Land der Tuberkulosetherapie zum Land des Exils mutiert. Im März 1933 beschwor Ferenczi Freud, mit Patienten und Tochter Anna nach England zu emigrieren, während er selbst beabsichtige, rechtzeitig in die Schweiz zu reisen. Freud bat Ferenczi zu bedenken, «wie wenig Behaglichkeit das Leben in der Fremde, sei es Schweiz oder England, den Flüchtlingen verspricht» (2.4.1933). Immerhin war die SGP im August 1934 zum erstenmal Gastgeber eines tatsächlich stattfindenden IPV-Kongresses.

Im Jahre 1939 – Freud war am 23. September verstorben – war die Schweizer Gruppe im Begriff, wie von Freud gewünscht die «grosse Bedeutung in der psychoanalytischen Bewegung» wiederzugewinnen, «die sie zu Anfang derselben hatte» (Freud an Oberholzer, 10.5.1921). Weil es im deutschsprachigen Europa keine Ausbildungsmöglichkeit in Freudscher Psychoanalyse mehr gab, wurde die Schaffung eines Ausbildungsinstituts ins Auge gefasst. Zudem plante die SGP Vortragszyklen, «die dem Publikum zeigen, dass wir noch existieren» (Vorstandssitzung, 16.2.1939).

Der Aufbau des Lehrinstituts war auch in den weiteren Vorstandssitzungen ein Traktandum und wurde auf eine Art skizziert, dass darin bereits die Konturen des späteren Psychoanalytischen Seminars Zürich (PSZ) aufscheinen. Auch nach Kriegsende war die Institutsgründung weiter auf SGP-Traktandenlisten, zusammen mit dem alten Schweizer Problem, dass qualifizierte Personen zögerten, der SGP beizutreten. 1948 bemängelte der Vorstand die mangelnde Beitrittswilligkeit von potentiellen Mitgliedern und die Disziplinlosigkeit bei den Mitgliedern, «weil einzelne Mitglieder unserer Gesellschaft drauflos Lehranalysen veranstalten, ohne vorher den Unterrichts-Ausschuss zu begrüssen». Im Jahre 1947 zählte Sarasin 36 Lehr- und Kontrollanalysen und musste an der Vorstandssitzung vom 24.1.1948 fragen: «Wer sind diese 36 Leute?» Zwei dieser 36 hatten jedenfalls – nach einer Analyse bei Rudolf Brun – eine IPV-konforme Ausbildung; Paul Parin wurde im Februar 1951, Fritz Morgenthaler ein Jahr später ordentliches Mitglied der SGP.

Der SGP-Vorstand erklärte sich 1951 offiziell einverstanden, «dass die innerhalb der Gesellschaft bis jetzt bestehenden Einrichtungen zum Studium der Freudschen Psychoanalyse ausgebaut werden im Sinne eines ‹Schweizerischen Psychoanalytischen Lehrinstitutes›». Pfister hatte die Idee 1949 wieder aufgegriffen. Die Betriebsamkeit hing damit zusammen, dass zwischen verschiedenen tiefenpsychologischen Richtungen ein Rennen im Gang war: «Unter Mitarbeit unseres Mitgliedes Prof. Schneider hat sich ein ‹Schweizerisches Szondi-Komitee› gegründet. Auch das ‹Jung-Institut› floriert. Deshalb wird das Einrichten eines Instituts für Psychoanalyse immer dringender» (Vorstandsprotokoll, 19.12.1952).

In den folgenden Jahren verschwand das Traktandum aus den noch vorliegenden Protokollen des Vorstandes. In den Vordergrund traten Diskussionen über die Frage, wer berechtigt sein sollte, Ausbildungskandidaten zu analysieren – eine Folge des zunehmenden Interesses an der Freudschen Psychoanalyse, das zu vermehrten Aufnahmegesuchen geführt hatte. Es war problematisch, dass es einerseits ausserordentliche Mitglieder gab, die Ausbildungskandidaten analysierten, obwohl dafür ordentliche Mitglieder vorgesehen waren. Anderseits gab es ordentliche Mitglieder, deren Behandlungen man nicht als Lehranalysen akzeptieren wollte, weil sie im Begriff waren, eine eigene Schule zu gründen, wie Gustav Bally und Medard Boss. Sarasin löste das Problem pragmatisch. Zunächst hielt er fest, dass der Umstand, dass der Lehranalytiker nicht ordentliches Mitglied der Gesellschaft sei, keinen Ablehnungsgrund darstelle, dass aber «bei ausserordentlichen Mitgliedern die Kontrolle am Kandidaten selbst vorgenommen werde, bevor man sie akzeptiere» (29.9.1956). Wegen Boss und Bally wurde dieses Vorgehen auch auf Analysen von ordentlichen Mitgliedern ausgeweitet, was die unten ausgeführte Praxis der nachträglichen Anerkennung von Lehranalysen (nach Fritz Meerwein «eine schweizerische Eigenart», vom Autor als «Lex Sarasin» bezeichnet) begründete.

Im Jahr 1959 tauchte die Idee des Psychoanalyse-Instituts wieder in den Protokollen des SGP-Vorstands auf. Sie war in den Regionen aufgegriffen und in Zürich, Bern, Lausanne und Genf in die Tat umgesetzt worden. An den Kursen des Zürcher Seminars nahmen 1958 bis 1965 rund 40 Personen teil, es unterrichteten Bally, Berna, von Blarer, Blum, Lincke, Morgenthaler, Ulrich Moser, Parin und Winter. Einen Gegensatz zwischen den Zürchern und der SGP gab es nicht, im Gegenteil: die SGP-Politik wurde stark von den Zürchern bestimmt, die wichtige Ämter innehatten. Dasselbe trifft für das Verhältnis zur IPV zu; Morgenthaler und Parin engagierten sich im Vereinsleben der IPV, übernahmen Ämter und beteiligten sich an Kongressen.

Als sich die 68er der Freudschen Psychoanalyse zuwandten, überstieg die Nachfrage nach Analyseplätzen bei SGP-Mitgliedern das Angebot, und die Ausbildungspraxis wurde weiter liberalisiert. Der damalige SGP-Präsident Paul Parin verwies Ausbildungskandidaten auch an ausgebildete Nicht-SGP-Mitglieder mit dem Hinweis auf die erwähnte «Lex Sarasin». Im Februar 1974 wurde diese Praxis dann im SGP-Bulletin offizialisiert. Parin war 1967 SGP-Präsident geworden. Er hatte diese Präsidentschaft in der Meinung übernommen, dass die jüngeren Analytiker eintreten und das liberale Erbe der Schweizer Gruppe verteidigen würden. Aber wieder einmal traten voll ausgebildete Freudianer der Organisation der Freudschen Psychoanalyse nicht bei. Berthold Rothschild, Irene Brogle, Pedro Grosz, Emilio Modena, Judith Valk, Ilka von Zeppelin und andere hatten ein «Kränzli» der dritten Generation gegründet, die linke «Plattform», ein Joint Venture von 1968 und Freudscher Psychoanalyse. Anstatt nun durch die weit geöffneten Türen in die SGP einzutreten, die contéstation in sie hineinzutragen und sie umzugestalten, blieben sie draussen – offensichtlich eine andere «schweizerische Eigenart», neu legitimiert.

Die Etablierung einer Freudschen Psychoanalyse ausserhalb der SGP wurde weiter vorangetrieben, als Morgenthaler 1970 mit den studentischen Forderungen ernst machen und durchsetzen wollte, dass das Psychoanalytische Seminar Zürich (PSZ) «als erstes Ausbildungsinstitut einer psychoanalytischen Gesellschaft der I.P.A. [=IPV] von den Studenten selbst übernommen und geführt werden» solle: «Ein ordentliches Mitglied wird auch zukünftig der Schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse gegenüber die Verantwortung für das Seminar Zürich tragen, sofern es möglich ist, das Seminar so zu führen, dass es den Interessen der Gesellschaft nicht zuwiderläuft. Diese Interessen sind ausschliesslich auf die Förderung des Gedankenguts der Psychoanalyse Freuds ausgerichtet.»

Darunter verstanden nun allerdings nicht alle Beteiligten dasselbe, was in den folgenden Jahren zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen linken 68ern, weniger politisierten Teilnehmern und etablierten Analytikern führte. Die allgemeine restaurative Demontage der Errungenschaften von 1968 und die drohende Regulierung der Psychotherapie lösten Besorgnis aus. Und wieder einmal platzte 1973 ein Kongress, den die SGP organisiert hatte, wiederum waren die beteiligten ausländischen Gesellschaften mit der schweizerischen Programmgestaltung unzufrieden, wieder einmal wollten die Schweizer Organisatoren Psychoanalytiker auf dem Podium haben, die nicht SGP-Mitglieder waren (wegen eines solchen Ansinnens der Schweizer war bereits der Luzerner Kongress von 1926 geplatzt) – der Kongress wurde abgesagt (Kurz, 1993).

Der Ärger der Deutschen und der Österreicher schürte nun vorbestehende Ängste, der Schweizer Sonderzug würde vom Ausland gestoppt und die SGP könnte die Anerkennung der IPV verlieren. 1975 kam es auf Anregung von SGP-Präsident Fritz Meerwein, der eine Spaltung verhindern wollte, zu einer Aussprache mit dem IPV-Präsidenten Serge Lebovici, «to eradicate the general mistrust in our system» (2.10.1974). Danach schlug eine SGP-interne Arbeitsgruppe eine Statutenänderung vor, die postulierte, dass künftig Ausbildungszentren nur noch anerkannt würden, wenn im Vorstand SGP-Mitglieder die Mehrheit hätten. Dieser Angriff auf die Autonomie des PSZ wurde im April 1977 von der SGP-Generalversammlung abgesegnet. Als das Seminar diesen Machtwechsel nicht akzeptieren wollte, schloss die SGP die PSZ-Räume in Witikon – sie hatte als Mieter das Recht dazu. Damit war die Spaltung, die niemand wirklich wollte, vollzogen. Es gibt nunmehr zwei Freudsche Ausbildungsstätten in Zürich, das Psychoanalytische Seminar und das Freud-Institut.

Hinter dieser Spaltung standen keine unterschiedlichen Auffassungen über die richtige psychoanalytische Lehre, die Metapsychologie, die Neurosenlehre oder die Behandlungstechnik. Die Divergenz bezog sich vielmehr auf die Organisation der psychoanalytischen Gemeinschaft, auf Fragen der Zugänglichkeit, der Selektion und der inneren Differenzierung. Dies hätte wohl für eine Spaltung nicht gereicht, hätte nicht die Heftigkeit der Auseinandersetzung bei den Beteiligten Narben hinterlassen, die es verunmöglichten, unter «demselben Dach» (Freud an Abraham, 4.3.1924) an der Sache weiterzuarbeiten.

Die Plazierung der Lehranalyse ausserhalb der SGP, die Autonomisierung des Zürcher Seminars, das von der Anerkennung der SGP abhängig blieb – diese waghalsige Konstruktion konnte auf Dauer nicht gutgehen, sicher jedenfalls nicht in den turbulenten, polarisierten Zeiten nach 1968. Es gehört zur Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet die linken Freudianer die Zugehörigkeit zur Freudschen Internationale preisgegeben haben – in gut schweizerischer Tradition.

Dass es nicht, wie nach der Oberholzer-Sezession, zu einer sanften Wiedervereinigung gekommen ist, hängt damit zusammen, dass die SGP beim grossen Reinemachen nebenbei das Privileg der ordentlichen Mitglieder, Lehranalysen durchzuführen, ohne landesübliche Übergangsbestimmungen wieder errichtet und mit der «Lex Sarasin» eine schweizerische Eigenart aufgegeben hat. Viele voll ausgebildete PSZ-Freudianer hatten dadurch nicht mehr einen regelkonformen Lehranalytiker, und die SGP-Mitgliedschaft fiel ausser Betracht. Die Spaltung, die niemand wollte, hat die Kräfte verzettelt und die Stellung der Freudschen Analyse in der Schweiz geschwächt.

Die Zitate zur Freud-Korrespondenz stammen aus den publizierten Briefwechseln, diejenigen zur Geschichte der SGP aus dem SGP-Archiv, Blum-Zulliger-Stiftung, in Bern. Sie erfolgen, wie auch die Wiedergabe der Photographie aus der Praxis Oberholzer, mit freundlicher Genehmigung des Archivars, Dr. Kaspar Weber.

THOMAS KURZ, geboren 1949, ist Fachpsychologe für Psychotherapie FSP und Psychoanalytiker in Zürich.

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