Die Sonntagsliberalen und die Kirchensteuer
Bei manchen FDP-Mitgliedern wäre man dankbar, wenn sie auch nur ein grobes Verständnis dafür hätten, was liberale Prinzipien eigentlich sind.
Die Schweizer Bundesverfassung erlaubt den Kantonen, das Verhältnis von Staat und Kirche weitgehend selbständig zu regeln. So kommt es, dass die Kantone ausgewählten Kirchen gewisse Privilegien gewähren dürfen. Ein solches Privileg ist die Sammlung der kirchlichen Mitgliederbeiträge über die Kirchensteuer. Natürlich sollte diese Kirchensteuer jedem aufrechten Liberalen ein Dorn im Auge sein. Nicht nur, weil Liberale grundsätzlich keine Freude an Steuern haben. Es ist ordnungspolitisch schlicht verfehlt, dass Vater Staat selektiv die Einnahmen willkürlich ausgewählter zivilgesellschaftlicher Organisationen generiert. Die so entstehenden Bürokratiekosten, die auf die Allgemeinheit umgewälzt werden, sind nicht zu rechtfertigen.
Der ordnungspolitische Ausrutscher wäre vielleicht noch weniger heikel, wenn davon eine politisch unbedenkliche Organisation – etwa der Verband der Rosenzüchter – profitieren würde. Aber ausgerechnet die Kirche? Ist nicht die strikte Trennung von Staat und Kirche eine der wichtigsten Errungenschaften des Liberalismus? Schlimm genug also, diese Kirchensteuer. Sollte man meinen – doch irgendwann kamen Schlauberger auf die Idee, dass auch Unternehmen Kirchensteuer zahlen könnten. Schliesslich haben die ja auch mehr Geld.
Gut, Unternehmen haben natürlich auch keinen Glauben und können nach keiner Definition sinnvoll Mitglied einer Kirche sein. Aber egal, Hauptsache, das Geld fliesst – und Vater Staat sammelt fleissig mit. Spätestens hier sollte wirklich jedem aufgeklärten Bürger die Hutschnur platzen: Sind denn diese Steuerbürokraten verrückt geworden? Eine Kirchensteuer für Unternehmen ist offenkundig absurd.
Das dachten sich auch einige Jungfreisinnige und lancierten Initiativen gegen die Schröpfung von Schweizer Unternehmen unter dem Banner der Religion. Mit Unterstützung der Mutterpartei, der «Liberalen», natürlich. Sollte man meinen. Doch in der Folge lehnten die «Liberalen» in Graubünden die Initiative ab. Auch die Zürcher FDP ist nicht sicher, ob sie die Kirchensteuerbeschränkung auf – bestenfalls – tatsächlich Gläubige unterstützen kann.
Was ist nur los mit diesen «Liberalen»? Das absurde FDP-Theater um die Kirchensteuer ist leider weniger eine Ausnahme denn die Regel. Kaum ein Tag vergeht, an dem der erstaunte – und zunehmend konsternierte – Liberale den Medien nicht die unfassbar unfreiheitliche und antiliberale Äusserung eines Parteiliberalen entnehmen muss. In nur wenigen Tagen vor dem Verfassen dieser Kolumne sprachen sich FDP-Vertreter beispielsweise gegen Drogenliberalisierungen aus (wo selbst der Begriff schon die richtige Haltung implizieren sollte!), sie engagieren sich für Ausgangssperren, treiben Regulierungen voran (vom Zürcher Taximarkt bis zur Lebensmittelkontrolle), sie unterstützen die Umverteilung von Steuermitteln (etwa im Gesundheitswesen) und teilweise sogar eine planwirtschaftliche Energie- und – hinter vorgehaltener Hand – Einwanderungspolitik.
Nun wären diese Positionen weder erstaunlich noch ärgerlich, wenn sie von einer Christdemokratin oder einem Sozialdemokraten vertreten würden. Denn diese Parteien machen keinen Hehl aus ihrer Liebe zum Intervenieren, Regulieren und Erziehen. Doch eine Partei, die «an die Kraft von Freiheit und Verantwortung» glaubt? Was unterscheidet diese «Liberalen» eigentlich noch von den Etatisten und Sozialdemokraten aller Couleur? Offenbar nichts – und so führt die Beliebigkeit der FDP am Ende zu ihrem Siechtum an der Wahlurne.
Friedrich August von Hayek formulierte seine Erwartungen an liberale Politiker einst so: «Sie müssen Menschen sein, die sich an Prinzipien halten wollen und für ihre vollständige Realisierungen kämpfen, wie weit entfernt diese auch sein mögen.» Betrachtet man heute die Schweizer Parteiliberalen, so wäre man schon dankbar, wenn sie auch nur ein grobes Verständnis dafür aufbringen würden, was liberale Prinzipien eigentlich sind.