
Die solitäre Kreative
Innovativ, vorwärtsgewandt und eklektisch: Erna Yoshida Blenk erarbeitete zwischen Zürich und Tokio ein malerisches und gestalterisches Werk. Ihre damals völlig neuartigen Anleihen an ostasiatischen Stilen machten sie zu einer Ausnahmeerscheinung, die Kategorien sprengte.
Erna Yoshida Blenk (1913–1996) sitzt am 26. Juni 1980 um 20 Uhr vor dem Fernseher und schaut einen Film über die Verfilmung von Gustave Flauberts «Madame Bovary»: eine Szene, die von der Kunstkritikerin Annelise Zwez im ersten Buch, das der Künstlerin gewidmet ist und dieser Tage erscheint, erzählt wird. Die Galerie Wolfsberg hatte seinerzeit Blenk gerade eine erste Einzelausstellung bereitet. 1980 und 2021 – das ist für erste Würdigungen im Ausstellungsbetrieb und in der Wissenschaft ein erstaunlich weiter Zeitspagat. Blenk war keine rebellische Emma Bovary. Und sie schluckt auch kein Arsen, sondern hat sich zeitlebens auf ihr Werk konzentriert, durchaus abgelenkt von den Rollen, die zu erfüllen waren – Künstlergattin, Künstlerwitwe, Stiftungsgründerin. Hätte es andere Rollen gegeben? Ausbruch, Überschwang, spektakulärer Niedergang? Womöglich. Und hätten diese den Erfolg als Künstlerin eher manifestiert? Sicher.
Zwischen Asien und Europa – so könnte man das Lebenswerk von Erna Yoshida Blenk verorten, die als Tochter des Winterthurer Kaufmanns Werner Blenk (1883–1957) und der Japanerin Chiyono Yoshida (aus Nagasaki) zuerst in China und Japan und dann ab ihrem 13. Lebensjahr in Winterthur beim Bruder ihres Vaters aufwuchs. Aber wie viel «Asien» ist eigentlich in ihrem Werk vorhanden? Da ist zum Beispiel ein Bild wie «Melone» (1968). Blenk dürfte klar gewesen sein, dass Melonen in Japan bis heute ein hochpreisiges Statussymbol sein können. Japanische Schriftzeichen sind mit der geradezu architektonisch wirkenden Komposition eines Früchtestilllebens verschränkt. Manches Schriftzeichen wird konkret etwas bedeuten (zum Beispiel «Glück»), andere bleiben konkret-fiktional gemischt. Es sind Ideogramme, welche via Zeichen einen Begriff oder eine Idee vermitteln. Damit wird die Bildwelt von Yoshida Blenk reicher, aber auch weniger klar einordbar. In gewisser Weise war sie eine innovative, vorwärtsgewandte Eklektikerin, welche die westliche Erwartungshaltung an das künstlerische Schaffen einer in China geborenen und mit Japan-Erfahrung ausgestatteten Frau erfüllte – im Sinne des europäischen, vor allem französischen Japonismus. Sie verknüpfte dieses ästhetische Element mit der Formensprache moderner Idiome der bildenden Kunst von Jean Siméon Chardin bis Paul Cézanne eigenständig. Ihre Stillleben und die Darstellungen japanischer Frauen im Kimono wirken oft wie Collagen, in denen es um die Beziehung zwischen Form und Farbe als Elemente des «Bildbaus» (Yoshida Blenk) geht. Trotz der oft beschriebenen Stille ihrer Werke ist eine formale und inhaltliche Spannung spürbar, die die Aufmerksamkeit des Betrachters für das Bild an sich zu fesseln vermag. Es scheint diese vielschichtige, hybride Struktur ihrer Werke zu sein, die Yoshida Blenk dann doch wieder mit der japanischen Spielart modernistischer und zugleich traditioneller Kunsttechnik, Komposition und Motivik vergleichbar erscheinen lässt: der Nihonga-Malerei, die eigenständig eine national geprägte, aber bis heute auch international erfolgreiche kulturelle Hybridität hervorbrachte und wie Yoshida Blenk ein Bildideal der Schönheit verfolgt.

Mit ihrem Mann Eugen Früh, den sie beim gemeinsamen Malerei- und Grafikstudium an der Kunstgewerbeschule Zürich ab 1930 kennenlernt und heiratet, unternahm sie zahlreiche Reisen. Westliche Kunstausstellungsereignisse wie die Biennale in Venedig oder der Besuch des Museum of Modern Art in New York stehen dabei im Fokus. Blenks zweimalige Teilnahme an der International Art Exhibition of Japan (1955 und 1957), auch Tokyo Biennale genannt – dem bedeutendsten Event für moderne Kunst in Asien nach dem Zweiten Weltkrieg –, positionieren sie in der modernen Auseinandersetzung zwischen Figuration und Abstraktion. Dabei werden asiatische Allusionen zu integralen Bestandteilen einer letztlich global ausgerichteten Kunst. Nimmt man noch die Inkludierung in die Zürcher und Schweizer…

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Dieser Artikel ist in Ausgabe 1089 - September 2021 erschienen. Er ist nur registrierten, zahlenden Nutzern zugänglich. Vollen Zugang erhalten Sie über unsere attraktiven Online- und Printangebote.
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