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Die Schweizer  Subventions­maschine ist voller Widersprüche
Felix Schläpfer, zvg.

Die Schweizer
Subventions­maschine ist voller Widersprüche

Der Bund predigt Bohnen und subventioniert Fleisch. Dabei untergräbt er die eigenen offiziellen Ziele. Um diese zu erreichen, braucht es Kostenwahrheit.

Bund und Kantone geben jährlich 4 Milliarden Franken an Subventionen für Landwirtschaft und Ernährung aus. Neun von zehn Franken kommen vom Bund. Drei Viertel sind Direktzahlungen an die Bauern, ein Viertel weitere Subventionen wie Milchzulagen. Pro Betrieb sind das 80 000 Franken. Offiziell fördern die Direktzahlungen spezifische gemeinwirtschaftliche Leistungen. Nach meinen Analysen, die auch auf Studien des Bundes beruhen, zielt nur ein Viertel der Subventionen auf Leistungen für die Gesellschaft. Die anderen drei Viertel fördern Produktion und Absatz – bis hin zur Fleischwerbung, die der Bund zur Hälfte finanziert.1

Man muss viel wissen, um die Subventionstöpfe und Tabellen zu durchschauen. Viele Töpfe haben schöne Namen, aber nicht alle Namen sagen viel über ihren Inhalt aus. Beispielsweise gibt es im Agrarbericht des Bundes die Übersicht «Ausgaben des Bundes für Landwirtschaft und Ernährung». Darin findet sich der Eintrag «Tiergesundheit», der rund 50 Millionen Franken umfasst. Das sind Beiträge für die Entsorgung von Schlachtabfällen. Sie sind nicht unter den Ausgaben für «Produktion und Absatz» eingereiht, sondern unter «ausserhalb der Landwirtschaft». In der Detailtabelle sind «Entsorgungsbeiträge» aufgeführt, aber ohne weitere Angaben oder Aufschlüsselung.

Der Bund führt keine Statistik über die indirekten Subventionen für die Landwirtschaft. Die Umweltbelastungen durch Ammoniak, Treibhausgase, Pestizide und Nitrat, die sogenannten externen Kosten zulasten der Allgemeinheit, habe ich in einer Studie auf jährlich 3,5 Milliarden Franken geschätzt.2 Wenn man die externen Kosten und die Leistungen für die Gesellschaft einrechnet, ergibt sich für die Wertschöpfung eine rote Null.3 Den Grenzschutz beziffert die OECD auf 2,5 Milliarden Franken. Die Steuererleichterungen belaufen sich gemäss Avenir Suisse auf 0,5 Milliarden Franken.

Auch über die Subventionen für die Tierproduktion oder für Fleisch allein gibt es beim Bund keine Statistik. Meine Analysen ergeben, dass mehr als vier Fünftel der direkten Subventionen in die Tierproduktion fliessen. Auf Fleisch allein entfallen gut 1 Milliarde Franken direkte und gut 3 Milliarden Franken indirekte Subventionen durch externe Kosten und Grenzschutz. Die externen Kosten betreffen vor allem die Rinder, der Grenzschutz Rinder und Schweine.

Hohler Appell an die Eigenverantwortung

Was wie subventioniert wird, ist für mich am ehesten nachvollziehbar, wenn ich überlege, wie der Bund möglichst viel Geld zu den Produzenten und Händlern lenken kann, ohne in der Bevölkerung oder bei Handelspartnern für rote Köpfe zu sorgen. Ansätze dafür sind:

  • Subventionen mit schönen Namen und unklarer Funktion
  • Intransparenz durch traditionell definierte Indikatoren für Einkommen, Wertschöpfung oder Arbeitsproduktivität, die im Rahmen einer multifunktionalen Landwirtschaft nicht mehr interpretierbar sind
  • «Reformen» und «Ziele» ohne entsprechende Massnahmen
  • Verfolgen von Zielen gegen die Marktkräfte – mit Information und Appellen an die Eigenverantwortung

Der letzte Ansatz ist besonders aktuell. Beispiele sind Ernährungspyramiden, Nutri-Score und CO2-Etiketten. Die Bauernlobby setzt schon lange auf Eigenverantwortung nach dem Motto: «Viel wichtiger als dein Stimmzettel ist dein Kassenzettel!» Das ist natürlich ganz verkehrt, weil wir nur mit dem Stimmzettel den Markt regeln können. Die Forschungsanstalt Agroscope des Bundes hat diese Sicht trotzdem übernommen – als Titel und Thema für eine Nachhaltigkeitstagung im Januar 2023: «Gesunde und nachhaltige Ernährung: Wir stimmen 3x täglich ab.»

Im Mai hat der Nationalrat ein Postulat überwiesen, das den Bundesrat beauftragt, eine CO2-Etikette auf unverarbeiteten Lebensmitteln zu prüfen. Das wesentliche Problem beim CO2 ist allerdings nicht ein Mangel an Information, sondern es sind die externen Kosten. CO2-Etiketten für Lebensmittel schieben die Verantwortung auf die Konsumentinnen ab. Das bedeutet viel Aufwand für wenig Wirkung. Nützlich ist das Postulat aus einem anderen Grund: Informationen über CO2-Emissionen sind auch eine Voraussetzung für künftige wirksame Massnahmen. Wer das Verursacherprinzip nicht ganz von sich weisen will, kommt nicht darum herum.

Insgesamt widerspricht die Politik des Bundes in weiten Teilen den verkündeten Zielen. Milchbauern, die pro Kuh eine Tonne Kraftfutter verwenden, erhalten mehr direkte Subventionen als Bauern, die darauf verzichten. Die Subventionen schaffen – als wären sie dafür gemacht – den finanziellen Spielraum für kostenintensive, unwirtschaftliche Strategien, an denen viele mitverdienen. Für Tiere in Laufställen beispielsweise, die mehr Kosten, mehr Arbeitsaufwand und nebenbei mehr Emissionen verursachen als auf der Weide. Aus einer industriepolitischen Perspektive hingegen ist die Politik sehr erfolgreich. Die Milliarden werden an die Industrie verschoben, und die roten Köpfe bleiben in der Minderheit.

Eigentumsrechte werden verschenkt

Eine bessere Lösung wäre Kostenwahrheit. Das bedeutet, die Rechte an der gemeinsam genutzten Umwelt im Sinn des Verursacherprinzips festzulegen und mit entsprechenden Massnahmen zu schützen. Dafür gibt es viele Lösungen. Eine Grundfrage ist dabei, ob die Rechte unveräusserlich sein sollen wie bei Vorschriften, frei handelbar wie bei Kontingenten oder gegen eine Gebühr übertretbar wie bei Abgaben. Bei krebserregenden Pestiziden braucht es Verbote, bei anderen reichen wohl Abgaben. Import von Fleisch ohne Angabe der Herkunft kann man verbieten, der Import von Futtermitteln lässt sich mit Kontingenten begrenzen. Beim Konsum sind Verbote und Kontingente schwer vorstellbar – und so weiter.

Der Vorwurf, Kostenwahrheit sei unsozial, zielt ins Leere. Unsozial ist Preiswahrheit ohne Kostenwahrheit – die falsch verstandene Kostenwahrheit mancher Ökonomen. Der Unterschied ist folgender: Preiswahrheit bedeutet, dass die Preise die vollen Kosten umfassen. Wer die Umwelt schädigt, bezahlt. Mit den Einnahmen macht man irgendetwas – beispielsweise Steuern senken. Kostenwahrheit dagegen bedeutet umfassendes Verursacherprinzip. Wenn die Umwelt allen gleichermassen gehört, heisst das: Abgaben vollständig und zu gleichen Teilen an die Bürgerinnen und Bürger als Eigentümer der Umwelt zurückgeben. Nicht aus sozialen Gründen, sondern als Entschädigung für die Eigentümer.

Wie kann man Abgaben erheben, wenn die wahren Kosten nicht bekannt sind? Sie müssen gar nicht genau bekannt sein. Andere Preise sind auch nicht genau, und ein Preis von null ist noch ungenauer. Die Schwerverkehrsabgabe (LSVA) und die CO2-Abgabe auf Brennstoffen funktionieren bestens, obwohl die wahren Kosten nicht bekannt sind.

Auch der Vorwurf, Kostenwahrheit verzerre den Wettbewerb und führe zu mehr Importen, lässt sich entkräften. Kostenwahrheit bedeutet vielmehr fairen Wettbewerb. Dazu gehören Klimazölle. Die EU führt solche im Oktober ein. Der Bundesrat hat die Bedeutung von Klimazöllen für fairen Wettbewerb noch nicht ganz erkannt. Wie er in einem Bericht vom Juni 2023 schreibt, will er die Entwicklung in der EU «eng verfolgen und daraus weitere Schlüsse ziehen».

Dem Einwand, Kostenwahrheit sei nicht verständlich, muss entgegnet werden: Man hat noch nicht einmal versucht, Kostenwahrheit zu erklären. Viele Politiker, Journalisten und Ökonomen verwechseln Kostenwahrheit mit Preiswahrheit. Was an der Urne immer wieder abgelehnt wurde, war Preiswahrheit. Auch diese haben die Politiker nie richtig erklärt. Vielleicht, weil es keinen Spass macht, unfaire Abgaben zu erklären.

Bleibt das Argument, dass die Subventionen in der Verfassung stünden. Doch die Verfassung verlangt keine Subventionen für Nahrungsmittel und die Vermeidung von Umweltschäden. Sie verlangt vielmehr das Verursacherprinzip.4

Es gibt wirksame Lösungen, die gleichzeitig gerecht sind. Am besten sieht man sie, wenn man schaut, was auf der Ebene der Eigentumsrechte passiert. Die Bürgerinnen und Bürger wissen nicht, dass sie die Eigentümer der gemeinsam genutzten Umwelt wie Luft zum Atmen und Wasser zum Trinken sind. Politiker nutzen das und verschenkten laufend wertvolle Eigentumsrechte an die Bauern, die Agrarindustrie und die Konsumentinnen. Und kaufen dann einen kleinen Teil davon mit «sozial gerechten» Subventionen zurück. Als «Leistungen für die Gesellschaft».

  1. Felix Schläpfer: Kosten und Finanzierung der Landwirtschaft, 2020. zenodo.org/record/7769386

  2. Felix Schläpfer: External Costs of Agriculture Derived from Payments for Agri-Environment Measures: Framework and Application to ­Switzerland. Sustainability, 2020. doi.org/10.3390/su12156126

  3. Felix Schläpfer und Markus Ahmadi: Kostenwahrheit in Landwirtschaft und Ernährung. Kalaidos-Fachhochschule Schweiz, 2023, S. 81. zenodo.org/record/8014458

  4. Artikel 74 BV: 1 Der Bund erlässt Vorschriften über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen oder ­lästigen Einwirkungen. 2 Er sorgt dafür, dass solche Einwirkungen vermieden werden. Die Kosten der Vermeidung und Beseitigung ­tragen die Verursacher.

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