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Die Schweiz profitiert von Leitplanken

Internationale Kooperation ist in einer globalisierten Welt unverzichtbar, kann aber mit ­demokratischer Mitsprache in Konflikt geraten. Trotzdem gefährden internationale ­Organisationen die Souveränität der Schweiz nicht.

Die Schweiz profitiert von Leitplanken
Bild: Katharina & Axel Michaelowa, zvg.

 

In der Schweiz wird leidenschaftlich über den Umgang mit internationalen Organisationen debattiert. Sind sie eine notwendige Begleiterscheinung der Globalisierung, von der auch die Schweiz profitiert, oder ein Hindernis für die direkte Demokratie? Immer mehr politische Akteure sehen in der Diskrepanz zwischen direktdemokratischen Entscheidungen und von internationalen Organisationen verwalteten Verträgen ein Problem. Ist dieses Problem wirklich relevant, oder wird es über Gebühr «aufgeblasen»?

Gemäss der Encyclopedia Britannica gibt es derzeit über 250 internationale zwischenstaatliche Organisationen, fast ein Fünftel davon mit Sitz in der Schweiz. Hinzu kommt eine grosse Zahl internationaler Abkommen. Allein im Umweltbereich weist ein Datenbankprojekt der Universität Oregon über 1300 multilaterale Abkommen aus. Vor dem 19. Jahrhundert kam die Welt ganz ohne internationale Organisationen aus. Aber gerade in den letzten Jahrzehnten sind so viele Organisationen hinzugekommen, dass es schwerfällt, auch nur grob einen Überblick zu behalten. Und wenn sie einmal da sind, dann verschwinden sie nie wieder, auch wenn das Thema sich überlebt. Hier zeigen sich dann die Beharrungskräfte von Bürokratien.

Internationale externe Effekte

Ein offensichtlicher Grund für das Wachstum internationaler Organisationen ist die zunehmende internationale Vernetzung im Zuge der Globalisierung und sind die damit verbundenen Probleme, die sich im nationalen Rahmen nicht zufriedenstellend lösen lassen. Es geht um internationale öffentliche Güter oder um Güter mit starken internationalen externen Effekten. So wie in der Schweiz gewisse Dinge wie die Währungs-, Aussen- und Sicherheitspolitik auf Bundesebene und nicht auf Kantonsebene geregelt werden, so verlangen Probleme wie die Klimaveränderung eine internationale Zusammenarbeit. Denn die Treibhausgasemissionen in den USA tragen ebenso zum Schmelzen unserer ­Gletscher bei wie unsere eigenen, und unsere Emissionen nehmen durch die verursachten meteorologischen und klimatischen Extremereignisse den Menschen in Afrika ihre Lebensgrundlagen weg. Die Minderung der Treibhausgasemissionen ist also der typische Fall eines globalen öffentlichen Guts. Da effiziente Lösungen verlangen, dass Kosten und Nutzen des eigenen Handelns komplett in die individuelle Entscheidungsfindung eingehen, müssen wir bei globalen öffentlichen Gütern die Kosten und Nutzen weltweit berücksichtigen, damit der Markt funktioniert und nicht die einen auf Kosten der anderen profitieren. Auf nationaler Ebene ist das nicht möglich. Daher braucht es internationale Abkommen und internationale Organisationen, die die Umsetzung der Abkommen vorantreiben.

Ein mögliches Problem betrifft die demokratische Legitimität. Auf nationaler Ebene wird über Politik, zumindest in Demokratien, durch Wahlen und Abstimmungen entschieden. Im Falle der direkten Demokratie in der Schweiz hat die Bevölkerung einen entscheidenden Einfluss auf inhaltliche Beschlüsse, in parlamentarischen Demokratien kann das Parlament entscheiden. Auf internationaler Ebene dagegen werden Bevölkerung und Parlamente kaum einbezogen. Aber in den Entscheidungsgremien der internationalen Organisationen sitzen die nach den jeweiligen nationalen Regeln bestimmten Delegierten. Auf höchster Ebene sind das Minister oder Regierungschefs, die zumindest in demokratischen Ländern wie der Schweiz eine demokratische Legitimation mitbringen. Auch der Beitritt zu einer Organisation beruht immer auf einer demokratischen Entscheidung. Schwierig wird es dann, wenn der nationale Politikprozess dem internationalen hinterherhinkt.

Graben zwischen nationaler und internationaler Ebene

Die internationale Klimapolitik ist dafür ein Bilderbuchfall. Das 2015 verhandelte Pariser Abkommen unter der UNO-Klimarahmenkonvention verlangt von den Mitgliedsländern die Aufstellung nationaler Emissionsminderungsbeiträge. Die Schweiz hatte schon im Vorfeld der Pariser Konferenz einen Entwurf für einen solchen Beitrag für das Zieljahr 2030 veröffentlicht und diesen dann bei der Ratifizierung des Pariser Abkommens im Jahr 2016 durch das Parlament formalisiert. Konkrete Politikinstrumente zur Erreichung des Minderungsbeitrags wurden dann in der Totalrevision des CO2-Gesetzes 2017 in die Vernehmlassung geschickt und im September 2020 vom Parlament beschlossen. Die SVP wie auch Teile der Klimastreikbewegung ergriffen das Referendum gegen das CO2-Gesetz und brachten es in der Volksabstimmung vom Juni 2021 zu Fall. Das Pariser Abkommen verlangte nichts anderes, als dass jedes Land seine selbst gesetzten Ziele erreichen solle. Letztlich wurde hierbei also eher ein Graben zwischen Parlament und Bevölkerung als ein Graben zwischen der internationalen und der nationalen Ebene erkennbar. Seit der Abstimmung steht die Schweiz auf internationaler Ebene ohne einen konkreten Plan da, wie sie ihre Klimaziele erreichen will.

Man könnte nun zukünftig verlangen, dass die Ratifikation aller internationalen Verträge in der Schweiz dem Referendum unterstellt wird. Das würde aber bedeuten, dass die Schweiz immer ein Nachzügler wäre. Gerade im Bereich der internationalen Klimapolitik, wo die Schweiz eine wichtige Rolle als «Brückenbauer» zwischen Nord und Süd spielt, beispielsweise durch die von ihr mitgegründete «Umweltintegritätsgruppe», würde sie erheblich an Einfluss verlieren und im Gegenzug würden autoritäre Regime an Einfluss gewinnen. Bei der Ausgestaltung des Regelwerks für die internationalen Marktmechanismen für Klimaschutz hat die Schweiz eine bedeutende Rolle gespielt, und die Ergebnisse sind wichtig, um auch für die nationale Schweizer Klimapolitik wieder einen Konsens herzustellen. Ohne die Einbettung ins internationale Klimaregime müsste die Schweiz ausschliesslich auf kostspielige Inlandsmassnahmen setzen; das internationale Regime ermöglicht eine pragmatische Mischung aus Klimaschutz im Inland und dem Ankauf von Emissionsgutschriften aus dem Ausland. Eine aktive Teilnahme am internationalen Klimaregime erfordert einen ausreichenden Freiheitsgrad für die Delegierten. Gleichzeitig kann die Schweizer Regierung über ihre Delegierten immer Widerspruch einlegen, wenn Vorlagen im internationalen Klimaregime Schweizer Interessen zuwiderlaufen. Da das Konsensprinzip gilt, können die anderen Staaten solch einen Widerspruch nicht einfach beiseiteschieben. Natürlich kann die Schweiz nicht ständig ein Veto einlegen, da sie ansonsten auf Dauer isoliert würde, aber sie muss sich nicht allen Entscheidungen unterwerfen.

Die Stimmbürger informieren

Internationale Organisationen sind keine «fremden Richter», die die schweizerische Souveränität einschränken. Sie sind notwendig, um im System der über 200 unabhängigen Staaten weltweit Leitplanken für die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter zu setzen. Es ist eine entscheidende Aufgabe der Schweizer Regierung, im direktdemokratischen System so zu informieren, dass die Stimmbürger rational entscheiden und sich nicht durch enge Partikularinteressen wie jene von Wirtschaftszweigen, die vom Absatz fossiler Brennstoffe profitieren, beeinflussen lassen, während innovative neuere Branchen, die erst durch die Klimapolitik eine wirtschaftliche Dynamik entfalten können, noch nicht für ein entsprechendes Lobbying organisiert sind.

Eine konstruktive Interaktion zwischen internationaler und Schweizer Politik bedarf des Transmissionsriemens der internationalen Organisationen. Diese sind entscheidend dafür, dass kleine Staaten wie die Schweiz auf internationaler Ebene ihre Stimme erheben können und nicht stumm das Diktat der Grossmächte entgegennehmen müssen. Sie ermöglichen einen kontinuierlichen Weiterentwicklungsprozess und die Ausarbeitung kreativer Lösungen für schwierige globale Probleme. Und schliesslich kann ein Land wie die Schweiz, das seinen Wohlstand als Drehscheibe von Ideen und Transferplattform für Güter und Dienstleistungen erarbeitet hat, nicht in Isolation verharren. Es ist manchmal unbequem, dies dem Stimmbürger zu erklären. Aber ein Rückzug ins Reduit löst die globalen Probleme nicht – sie werden nur stärker und können langfristig den über Generationen erarbeiteten Wohlstand ernsthaft gefährden.

Natürlich haben auch internationale Organisationen ihre Probleme. Wie alle Bürokratien entwickeln sie auch eigene Interessen. Aber wir brauchen sie. Nicht nur lokal und national, sondern auch international.

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