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Die Schweiz als Datentresor

Selbst amerikanische Firmen glauben an die Schweizer Datensicherheit, sagt der Unternehmer Franz Grüter. Ein Gespräch über Rambomethoden des FBI, gute alte helvetische Werte und die Neutralität als Businessmodell in bewegten Zeiten.

Die Schweiz als Datentresor

Herr Grüter, ich habe in der «Süddeutschen Zeitung» einen Satz von Ihnen gelesen, der mir haften geblieben ist: «Daten sind das neue Geld der Schweiz.» Haben Sie den Bankenplatz Schweiz mental bereits begraben?

Der Satz hat eine provokative Spitze, und die habe ich bewusst gewählt. Die Schweiz steht für fundamentale Werte: Vertrauen zwischen Staat und Bürger, Diskretion, Zuverlässigkeit, Stabilität. Das Problem ist, dass immer mehr Leute in der Schweiz eine verquere Selbstwahrnehmung dieser Werte pflegen. Sie halten sie für überholt und ausgehöhlt, für einen verzichtbaren Luxus, in Wahrheit sind sie jedoch intakt und essentiell für den Unternehmens­standort Schweiz. Das merke ich, wenn ich mit ausländischen Kunden rede. Sie achten die kleine Schweizer Alpenrepublik für ihre Haltung. Und dies ist, nebst einer hochentwickelten und zuverlässigen Infrastruktur, der Grund, warum sie ihre Daten in der Schweiz beherbergen wollen.

Malen Sie nicht ein zu rosiges Bild? Die UBS hat bereits vor drei Jahren Daten von Kunden an die amerikanischen Steuerbehörden ausgeliefert, die nicht gegen Schweizer Recht verstossen haben, andere Banken tun es ihr gleich. Die Schweiz hat das Bankkundengeheimnis gegenüber ausländischen Kunden de facto abgeschafft…

…Sie übertreiben. Gemessen an der internationalen Tendenz zur stärkeren staatlichen Überwachung der Bürger und Steuerzahler übt sich die Schweiz in Zurückhaltung. Klar, sie hat viele Zugeständnisse gemacht, und ich bin darüber gar nicht erfreut, das können Sie mir glauben. Aber dessen ungeachtet steht die Schweiz weiterhin für Zuverlässigkeit und Rechtssicherheit. Das ist kein Hirngespinst, das bestätigen mir die ausländischen Kunden jeden Tag aufs neue.

Datenzentren gibt es auf der ganzen Welt – weitaus günstiger als in der Schweiz…

…ja, aber eben nicht sicherer. Daten sind das Herz einer Firma. Unsere persönliche und unternehmerische Welt ist heute stark virtuell geprägt, und die virtuelle Welt ist stets irgendwo materiell verankert – auf einem Server, in einem Rechenzentrum. Es braucht maximale Stabilität, damit das System funktionieren kann. Hier haben Schweizer Anbieter gute Karten. Sie profitieren von stabilen Verhältnissen, Rechtsstaatlichkeit, einer Kultur des Vertrauens, gut ausgebildeten Leuten und politischer Diskretion.

Sie spielen auf die gute alte Neutralität an?

Genau. Die Schweiz lässt sich politisch nicht instrumentalisieren. Das schafft Vertrauen und Sympathie.

Man kann es auch kritischer sehen: Die Schweiz ist politisch isoliert und gerät international unter Druck, ohne dem Druck gewachsen zu sein…

…ich nenne Ihnen ein Beispiel. Revolutionen sind heute stark durch Social Media getrieben. Und auch die virtuelle Welt der Social Media hat irgendwo eine physische Basis, die auf eine sichere Umgebung angewiesen ist. Nur ein neutraler Staat kann letztlich eine solche Umgebung garantieren. Neutralität ist gerade in politisch bewegten Zeiten ein Businessmodell. In der Schweiz kommt eben nicht vor, was jüngst in den USA einem Webhostingunternehmen widerfuhr. Das FBI stürmte in den frühen Morgenstunden mit Rambomethoden das Rechenzentrum, in dem das Unternehmen seine Daten beherbergte, und räumte alles aus.

Der Rechtsstaat ist flexibel. Die Schweiz wird auch Firmendaten herausrücken, die hier gehostet werden, wenn der ausländische Druck genügend gross ist.

Diskretion und Privatsphäre stellen in der Schweiz auch weiterhin ein hohes Gut dar, daran können Sie nicht ernsthaft zweifeln. Warum haben die Banken heute ein Problem? Weil sie die Lücke zwischen verschiedenen Rechtsordnungen dazu benutzt haben, Geld ausländischer Steuerzahler vor deren Fiskus zu verstecken. Diese Lücke existiert im Falle des Datenschutzes nicht. Es geht also für uns darum, die rechtlichen Leitplanken exakt einzuhalten. Dabei ist klar: Diskretion ist auch der Kern unserer Branche. Das hat viel mit Betriebssicherheit zu tun, aber nichts damit, irgendwelche Daten zu verstecken. Zu diesem Zweck führen wir die Kunden, deren Server in unserem Rechenzentrum steht, bloss mit einer Nummer. Die Kundennamen geben wir nicht preis. Was wir bieten, ist sozusagen ein Datensafe, also Verschwiegenheit und einen hochsicheren Betrieb – Swiss Quality eben.

Woher stammen die Firmen, deren Server in Ihren Rechenzentren stehen?

Aus der Schweiz, Europa und den USA. Die Amerikaner halten grosse Stücke auf den Schweizer Rechtsstaat. Die wichtigen Server ihrer europäischen Niederlassungen stehen oftmals in der Schweiz.

Der Schweizer Finanzplatz hütet sich vor heiklen US-Verbindungen, und Schweizer Provider ziehen neue Daten an?

Die Konstellation ist nur scheinbar paradox. Tatsächlich gibt es in den USA eine Diskrepanz zwischen Justiz, Steuerbehörde und Regierung auf der einen und Bürgern und Unternehmen auf der anderen Seite. Die einen etikettieren uns als Bananenrepublik, während die anderen unser stabiles Rechtssystem nicht genug loben können. Das eine ist politische Rhetorik, das andere unternehmerische Realität. Die amerikanischen Firmen kennen den amerikanischen Staat ziemlich gut. Sie wissen, wie aggressiv er auftreten kann.

Wenn er aggressiv auftritt, sind die Daten nirgends auf der Welt sicher.

Zwischen der Schweiz und den USA gibt es im Bereich der Datenschutzgesetze keine prinzipiellen Unvereinbarkeiten. Wenn es zu Rechtsverstössen kommt, stellen die USA ein Amtshilfegesuch an die Schweiz, worauf die Schweizer Behörde die Daten bzw. die Datenträger beschlagnahmen lässt. Nach dem Fernmeldegesetz von 2007 sind wir als Provider ohnehin verpflichtet, die Daten bei Rechtsverstössen herauszurücken. Es besteht hier keine rechtliche Grauzone, die Dinge sind klar geregelt.

Bleiben wir bei der Schweiz. Wie steht es um die heimische Strategie von green.ch? War es je eine Option, eine eigene Glasfaserinfrastruktur aufzubauen?

Leider nicht. Die Anfangsinvestitionen gehen in die Milliarden. Das können sich nur Big Player leisten. Die Swisscom ist zusammen mit den Strom- und Wasserwerken daran, in dieses Genera­tionenprojekt zu investieren. Wir können nur zuschauen und feststellen: Es besteht die Gefahr, dass hier ein Monopol entsteht – wie in den guten alten Zeiten der Telephonie.

Wie meinen Sie das? Der Telekommunikationsmarkt ist in der Schweiz seit 2007 offiziell liberalisiert.

Ja, klar, de jure ist das so, de facto nicht wirklich. Wenn ein Kunde bei uns einen ADSL-Anschluss bestellt, haben wir zwei Möglichkeiten. Entweder wir stellen unser eigenes Equipment in die nächstgelegene Telefonzentrale, was seit 2007 in der Tat möglich ist, und mieten die letzte Meile des Kupferdrahts zu einem vom Bundesamt für Kommunikation festgelegten Preis. Oder wir mieten das ganze Paket direkt bei der Swisscom. Das staatliche Pricing ist jedoch so ausgestaltet, dass es uns am Ende gleich teuer zu stehen kommt.

Der Staat hat den Telekommunikationsmarkt liberalisiert, aber zugleich Preise für die Miete von Telefonzentrale und Kupferdraht so festgesetzt, dass sie der staatlichen Swisscom zugute kommen?

Die Preise werden von einer nach offizieller Lesart unabhängigen staatlichen Stelle bestimmt, dem Bundesamt für Kommunikation. Faktisch ist es aber so, dass die geltenden Preise die Swisscom nicht wirklich bedrängen.

Das heisst konkret: Die Swisscom schöpft eine Monopolrente ab, die letztlich auch der Konsument von anderen Anbietern bezahlt.

Das haben Sie gesagt. Ich kann Ihnen gerne erläutern, wie die Preise im Prinzip zustande kommen.

Meine Neugierde ist gross.

Das Verlegen der Kupferkabel bezahlt der Steuerzahler, also Sie und ich. Für die letzte Meile kommt der Hauseigentümer auf, der total rund 1000 Franken Anschlussgebühren bezahlt. Und danach wäre eigentlich der Anbieter der Dienstleistungen dran. Wäre, ist er aber nicht. Denn obwohl die Kosten theoretisch nach Infrastruktur und späterem Service aufgeteilt werden, bezahlt der Kunde jeden Monat 25 Franken für den Telephonanschluss. Das ist die Grundanschlussgebühr für den Kupferdraht, die eigentlich längst bezahlt ist. Wenn ich als Provider dem Kunden nun ein ADSL-Signal liefere, bezahle ich der Swisscom für die Nutzung desselben Kupferdrahts nochmals fast den gleich hohen Betrag. Das ist ein gutes Geschäftsmodell für die Swisscom.

Das ist das Geschäftsmodell eines Monopolisten.

Schauen Sie: Die Schweizer stehen ihren Staatsbetrieben sehr loyal gegenüber. Das gilt nicht nur für die Swisscom, sondern auch für die Post und die SBB. Diese Loyalität ist Ausdruck der helvetischen Vertrauenskultur zwischen Staat und Bürger.

Ich nehme als Konsument – und auch als Bürger – daran Anstoss.

Sie sind die Ausnahme.

Sie sagen also: Es ist dieselbe Schweiz, die mir Stabilität als Betreiber von Rechenzentren bietet und mir Probleme als Internetprovider schafft?

So ist es. Das ist wohl die Kehrseite der Medaille. Damit muss und damit kann ich leben. green.ch ging ja ursprünglich aus der Informatikabteilung des Schweizerischen Bauernverbandes hervor, der seinen Mitgliedern schweizweit Internetzugang zu lokalen Telephontarifen anbieten konnte. Die Schweizer Werte, die gute alte Bodenständigkeit etwa, sind bis heute Teil unserer betrieblichen DNA. So ist die Schweiz eben nun mal: auf der einen Seite modern und global, auf der anderen traditionell und lokal!

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