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Die scheue kleine Schwester
Thomas Borer, zvg.

Die scheue kleine Schwester

Die Schweiz pflegt grundsätzlich gute Beziehungen zu den USA. Dennoch schaffen es diese immer wieder, erfolgreich Druck auszuüben.

Die Schweiz und die USA pflegen seit Jahrzehnten zumeist ein konstruktives und wirtschaftlich enges Verhältnis, das sich auch aus einer gemeinsamen Leidenschaft für Unabhängigkeit, Demokratie und Föderalismus herleitet. Viele Schweizer fühlen sich dank dieses Fundus gemeinsamer politischer und wirtschaftlicher Prinzipien weltanschaulich mit den Vereinigten Staaten verbunden.

Im Gegensatz dazu entwickeln sich die politischen Beziehungen in Wellenbewegungen. Das hängt vor allem mit der unterschiedlichen Grösse und den machtpolitischen Ansprüchen der «Sister Republics» zusammen. Die beiden Länder folgen oft divergierenden Konzepten der Aussenpolitik: Kleinstaatlicher Multilateralismus trifft auf US-Bilateralismus, Orientierung am Völkerrecht auf Washingtons Machtpolitik, aussenpolitische Enthaltsamkeit auf Uncle Sams Rolle als Weltpolizisten.

Schlechtes Krisenmanagement

Daher erstaunt es nicht, dass es immer wieder zu Perioden kommt, in denen unser Land von den USA unter Druck gesetzt wird. Es geschieht zumeist, wenn ein Demokrat im Weissen Haus sitzt; republikanische Präsidenten scheinen der Schweiz mehr gewogen. So stand die Schweiz ab 1943 unter Generalverdacht der Amerikaner, das nationalsozialistische Hitler-Regime zumindest indirekt zu unterstützen. Im Vordergrund stand der Streit um den Goldhandel mit Nazi-Deutschland. Die Druckversuche der siegreichen Alliierten endeten 1946 mit dem Washingtoner Abkommen und einer Schweizer Zahlung von 250 Millionen Franken – damals eine enorme Summe. Mit dem Beginn des Kalten Krieges gewann die Schweiz wieder Sympathie und Status in Washington, wenn auch nicht militärisch, steht sie doch ideologisch und wirtschaftlich klar im westlichen Lager und erweist immer wieder nützliche Dienste.

Eine zweite grosse Krise im bilateralen Verhältnis begann 1996 unter Präsident Bill Clinton. Es ging um den Umgang der Schweiz mit nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfern und erneut um den Goldhandel mit Deutschland. Dabei ergriff die Clinton-Administration öffentlich Partei für jüdische Organisationen und setzte die Schweiz und ihre Banken mit oft zweifelhaften Mitteln unter so grossen Druck, dass die Banken schliesslich in einen Vergleich über 1,8 Milliarden Franken einwilligten.

Die dritte grosse Krise im bilateralen Verhältnis begann 2008 unter Präsident Obama, der sich gemeinsam mit Senatoren den Kampf gegen Steueroasen und Steuerhinterziehung auf die Fahne schrieb. Einmal mehr war die Schweiz nicht vorbereitet auf die Konfrontation, das Krisenmanagement funktionierte nicht, man reagierte falsch. 2009 dann die Zeitenwende: Die Grundfesten des Finanzplatzes, insbesondere das Bankgeheimnis, fielen. Der Bundesrat machte in rascher Folge Konzessionen, die man vorher während Jahrzehnten abgelehnt hatte.

Erosion des Ansehens der USA

Diese bilateralen Krisen und das Verhalten der USA als Weltpolizist haben Spuren in der Haltung der Schweizer gegenüber den Amerikanern hinterlassen: Ansehen von und Wohlwollen gegenüber Amerika schwinden. Der spätere US-Präsident John Adams schrieb 1765, die Amerikaner «glauben, die Freiheit der Menschheit und der Glanz der menschlichen Natur seien ihnen anvertraut worden». In diesem Sinne begegnen die USA vielen Ländern mit einer Mischung von Wohlwollen, moralisierender Überheblichkeit und schulmeisterlicher Machtpolitik. Für meine im Kalten Krieg aufgewachsene und den Amerikanern prinzipiell zugetane Generation war es neu, dass die USA sich den Anspruch nehmen, nicht nur in anderen Ländern, sondern ebenso in der Schweiz zum Rechten zu sehen. Vor allem für die konservativen Schweizer ist es gar ein Schock, dass die amerikanischen Freunde nicht nur in Vietnam, Nicaragua oder Irak eingreifen, sondern der Weltschulmeister auch ihnen plötzlich mit dem Stock droht.

Während bis 1996 vor allem linke Kreise in der Schweiz das «imperialistische, arrogante» Verhalten der Amerikaner in der Weltpolitik kritisierten, enervierten sich danach mehr und mehr Bürgerliche über die USA. Die Enttäuschung über die Druck- und Sanktionsversuche in der Auseinandersetzung um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg führte zu einer nachhaltigen Entfremdung, die seit dem Umgang von Washington mit den Schweizer Banken und der Verhängung von Milliardenbussen ab 2008 eine zusätzliche Bestärkung gefunden hat. Ferner wurde das aussenpolitische Gebaren der USA, zum Beispiel im Irak, in Syrien und Afghanistan, selbst von Nationalkonservativen kritisiert, und der amerikanische Rechtsimperialismus stiess vielen zunehmend sauer auf.

Die Schweiz spielt in Washington in aller Regel keine wichtige Rolle und hat es schwer, in der US-Administration Gehör zu finden. Die Ausnahmen, welche diese Regel bestätigen, bilden besondere Umstände, zum Beispiel wenn das Weisse Haus auf unsere guten Dienste bezüglich Iran angewiesen ist, wenn der Streit über die Steuerhinterziehung der Banken auf der politischen Tagesordnung steht oder wenn die USA einen einflussreichen Botschafter in die Schweiz senden, wie zuletzt Präsident Donald Trump Botschafter Edward T. McMullen. Dieser hat die Eidgenossenschaft in Washington mehrmals auf die Agenda gebracht und hochrangige Treffen organisiert.

Immerhin gilt es zu betonen, dass diese Erosion des US-Ansehens bei uns keine Auswirkung auf den Wirtschaftsaustausch zwischen den Ländern hat. Seit 2021 sind die USA der grösste Exportmarkt der Schweiz, im zweiten Quartal 2024 stiegen die Ausfuhren in die USA erneut merklich an.1 Die Schweiz bleibt auch einer der grössten Investoren in den USA und belegt meist den sechsten Rang.

Ein guter Ruf der Schweiz ist wichtig

Vergangene Auseinandersetzungen mit den USA sollten der Eidgenossenschaft zeigen, wie wichtig das Image der Schweiz im Ausland ist. Es ist in der heutigen Informationsgesellschaft massgebend, wie uns die Welt sieht. Auch in Zukunft ist davon auszugehen, dass eher die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der Schweiz, ihrer Bevölkerung und Unternehmen in Frage gestellt werden als ihre territoriale Integrität und Existenz. Daher müssen sich Staat und Wirtschaft dafür einsetzen, dass Glaubwürdigkeit und guter Ruf der Schweiz anerkannt und gegen Angriffe geschützt werden. Die Schweiz hat in den letzten Jahren einiges unternommen, um in Washington eine grössere Rolle zu spielen und auf künftige Krisen besser vorbereitet zu sein. Unsere diplomatische Vertretung in den USA ist quantitativ und qualitativ gut dotiert. Wir streben regelmässigen diplomatischen, kulturellen, wissenschaftlichen Austausch auf allen Kanälen an, unter Einschluss unserer Parlamentarier und der PR-Organisation Präsenz Schweiz. Jedoch stellen wir bei Ausbruch einer bilateralen Krise jeweils fest, dass zu wenig gemacht wurde, dass uns kein ausreichendes «Goodwill Reservoir» trägt, dass wir zu wenig echte Freunde in den USA haben.

Der Bundesrat betont, dass die Kommunikation eine zentrale Staatsaufgabe sei, vor allem in Krisenzeiten. Bezüglich der Wirkung im Ausland nützen die Hunderten von PR-Beratern, die er in der Schweiz beschäftigt, aber wenig. Zu einer modernen «Public Diplomacy» gehört eben, dass wir die Kommunikation über die Schweiz und ihre Werte nachhaltig in die US-Medien, die dortigen Thinktanks, akademischen Kreise und hin zu Politikern aller Stufen und Couleurs tragen. Dabei wäre es zweckmässig, wenn wir die PR- und Lobby-Strukturen grosser Schweizer Firmen in unsere Bemühungen einbezögen. Diese schaffen in den USA Hunderttausende von Arbeitsplätzen und haben deshalb regional und landesweit Gewicht.

Manche mögen an den Niedergang der USA glauben. Doch für Jahrzehnte werden sie der wichtigste, mitunter unberechenbare Partner der Schweiz bleiben. Es liegt an uns als kleiner Schwester, unsere Anliegen und Positionen mit allen modernen Methoden in den USA darzulegen, um für künftige Krisen gewappnet zu sein.

«Manche mögen an den Niedergang der USA glauben. Doch für
Jahrzehnte werden sie der wichtigste Partner der Schweiz bleiben.»

 

  1. Gemäss Medienmitteilung des Finanzdepartements um über 20 Prozent.

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