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Die «richtige Entscheidung» ist eine falsche Idee

Zentral oder dezentral organisieren? Global oder lokal? In China investieren oder besser nicht? Freier Handelsvertreter oder Angestellter im Aussendienst? Langsam und wenig ändern oder rasch und viel? Diversifizieren oder konzentrieren? Fusionieren oder aus eigener Kraft wachsen? Anweisungen befolgen oder unternehmerisch handeln? Und jeder Chef weiss auch: Dem Mitarbeiter dienen ist genauso berechtigt wie ihn beherrschen; […]

Zentral oder dezentral organisieren? Global oder lokal? In China investieren oder besser nicht? Freier Handelsvertreter oder Angestellter im Aussendienst? Langsam und wenig ändern oder rasch und viel? Diversifizieren oder konzentrieren? Fusionieren oder aus eigener Kraft wachsen? Anweisungen befolgen oder unternehmerisch handeln? Und jeder Chef weiss auch: Dem Mitarbeiter dienen ist genauso berechtigt wie ihn beherrschen; ihn zu unterstützen genauso wie ihn zu sanktionieren; ihn zu entlassen genauso wie jemanden zu befördern.

Die Überfülle an Möglichkeiten und ihre Widersprüchlichkeit ist die Existenzvoraussetzung von Management. Managen ist immer Managen im Dilemma. Eben gerade weil es Zielkonflikte gibt, gibt es auch ein Management. Es muss täglich ein neues Gleichgewicht finden, täglich wählen, welche Alternative es in dieser Situation vorzieht.

Das nennt man «Entscheidung». Die Festlegung auf eine Handlungsalternative unter der Bedingung der Unsicherheit. Gäbe es dabei keinen Zweifel, bräuchte man nur den besten Effekt zu berechnen und wüsste damit schon, was zu tun wäre. Die Lösung des Problems fiele wie eine reife Frucht in die Hände. Das wäre keine Entscheidung. Nur wenn es unklar ist, wohin die Reise gehen wird, wenn man angesichts der differenten Handlungsmöglichkeiten ernsthaft im Zweifel ist, dann ist eine Entscheidung fällig.

Eine Entscheidung kommuniziert mithin viererlei: dass entschieden wurde, wer entschieden hat, wofür entschieden wurde und wogegen. Vor allem die vierte Kommunikation hat es in sich, der explizite Verzicht auf eine Option. Sie lautet: «Wir machen es so, aber es wäre auch anders gegangen.» Mit welchem Ergebnis – besser? schlechter? –, kann niemand wirklich wissen, weil die Alternative abgewählt wurde und daher ihre Folgen nicht kenntlich sind. Konsequent gedacht kann man erst nach einer Entscheidung wissen, was man da entschieden hat.

Von einer Entscheidung kann man daher im strengen Sinne nur sprechen, wenn in einer prinzipiell unentscheidbaren Situation entschieden werden soll. Wenn in einer Welt voller Alternativen gleichwertige Argumente für oder gegen ein Handeln sprechen. Entscheiden heisst dann: sich schuldig machen. Entweder auf der einen oder der anderen Seite. Das ist für Führung unhintergehbar. Wer unschuldig bleiben will, hat in einer Führungsaufgabe nichts zu suchen. Und niemand wurde gezwungen, Führungskraft zu werden.

Als entscheidende Führungskraft kann es klug sein, die Interessen des Mitarbeiters zu berücksichtigen. Ja, mehr noch: sie zu priorisieren. Aber das wird nicht immer gehen. Manchmal werden Entscheidungen getroffen, denen die Mitarbeiter die Zustimmung verweigern. Nüchtern betrachtet besteht Management daher zu grossen Teilen in der permanenten Rechtfertigung zuvor getroffener Entscheidungen, Umlenkung der Aufmerksamkeit auf die gewählte Option und Besänftigung des Zweifels.

Die entscheidende Frage aber bleibt vital: Gibt es richtige Entscheidungen? Mit den Folgen mancher Entscheidungen sind wir ja glücklich – dann lautet unsere Antwort uneingeschränkt Ja. Manche Entscheidungen machen uns unglücklich, wir bedauern sie und nennen sie dann «falsch». Das ist menschlich, aber nicht auf der Höhe der Komplexität, die zu bewältigen Manager bezahlt werden.

Warum? Weil man letztlich nie weiss, ob eine Entscheidung «richtig» war: Es hat noch niemanden gegeben, der in einem Parallel­universum überprüft hätte, zu welchem Ergebnis eine andere Entscheidung geführt hätte. Vielleicht wäre man mit einer anderen Entscheidung noch erfolgreicher geworden, vielleicht aber auch noch unglücklicher. Was heisst das für gutes Management? Es ist klug, mutig zu entscheiden und den Reparaturaufwand gleich mitzuentscheiden, der ohnehin schon nach kurzer Zeit fällig wird. Sich also an Odo Marquard zu halten: «Wir irren uns voran.» Der Rest ist dann Fortune und die berühmte glückliche Hand, ohne die auch der Fähigste scheitert. Die Negation von Kontingenz durch Erfolgsrezepte, Leitlinien, «Best Practices» und bürokratische Alternativvernichtungen – das ist letztlich die Selbstabschaffung des Managements.

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