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«Die Revolution braucht viel Zeit»

David Knezić glaubt, dass Bitcoin das Finanzsystem umkrempeln wird. Florian Rümmelein sieht die Kryptowährung vor allem als Anlage. Einig sind sich die beiden Unternehmer im Wunsch nach Dezentralisierung.

«Die Revolution braucht viel Zeit»
David Knezić & Florian Rümmelein, fotografiert von Selina Seiler.

Wie funktioniert eigentlich das Finanzsystem?

Florian Rümmelein: Das heutige Finanzsystem besteht aus
einer Reihe von unterschiedlichen Intermediären, die für den Endkonsumenten verschiedene Dienstleistungen erbringen, von Zahlungen bis Investitionen. Bei Transaktionen verdienen verschiedene Intermediäre mit: Kauft man etwa ein Wertpapier, ist das etwa die Depotbank, die ihrerseits bei unterschiedlichen Brokern angebunden ist. Insgesamt ist das Finanzsystem sehr fragmentiert. Aus einer operationellen Perspektive ist es zum Teil unnötig kompliziert.

David Knezić: Das Finanzsystem ist definitiv sehr komplex. Grundsätzlich baut es auf Schulden und Wachstum auf. Es spielen darin private Akteure, Investoren, Haushalte, Unternehmen mit. Und der Staat, der immer wichtiger wird.

 

Welche Schwächen hat das Finanzsystem?

Rümmelein: Finanzinstitute in Ländern, die am gesamten ­Finanzmarkt angeschlossen sind, können daran teilnehmen. Ein Grossteil der Weltbevölkerung lebt allerdings in Ländern, in denen das Finanzsystem unterentwickelt ist. Das bedeutet, dass wenige Akteure Kontrolle ausüben können. Im Fall von Russland sieht man, wie rasch ein Land aus dem Finanzsystem ausgeschlossen werden kann. Das hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Regierung, die den Ausschluss verursacht hat, sondern auch auf die Bevölkerung. Ich finde es fast ein bisschen undemokratisch oder unmenschlich, wenn ein paar wenige entscheiden können, wer dabei ist und wer nicht.

 

Musstet ihr auch schon Kunden ablehnen, die ihr gerne aufgenommen hättet?

Rümmelein: Nein. Aber wir hatten schon Fälle von Kunden mit Obligationen mit Top-Rating von russischen Emittenten, die plötzlich die Zinsen der Obligationen nicht mehr erhalten konnten, und das, obwohl die Emittenten eigentlich zahlungsfähig sind.

 

Wo siehst du die Schwächen des Finanzsystems, David?

Knezić: Es wird von verschiedenen Seiten stark beeinflusst. Das Finanzsystem ist zu einem Mittel der Politik geworden, um Massnahmen durchzusetzen, beispielsweise mit Sanktionen oder Anreizen. Politik wird aber auch gemacht im Bereich der Compliance. Dazu gehören die Risikoeinstufungen von Ländern durch die Financial Action Taskforce (FATF), die Länder unterteilt in hohes, mittleres und niedriges Risiko. Als junges, kleines Unternehmen können wir es uns nicht leisten, Kunden aus Hochrisikoländer zu bedienen, also fokussieren wir uns auf Europa.

 

Um bei euch Bitcoin zu kaufen, benötigt man eine europäische IBAN.

Knezić: Das schützt uns auch: Wenn Gelder von europäischen Banken überwiesen werden, dann sind gewisse Checks schon gemacht worden. Es gibt viele Nachteile für jene, die im Finanzsystem nicht uneingeschränkt agieren können. Es gibt aber auch Vorteile für diejenigen, die den Luxus haben, hundertprozentig in diesem System integriert zu sein.

 

Florian, was unterscheidet Everon von einem regulären Vermögensverwalter?

Rümmelein: Was uns von anderen unterscheidet, ist, dass wir ein komplett digitaler Vermögensverwalter sind. Wir stellen unsere Plattform anderen Finanzintermediären zur Verfügung, etwa Vorsorgeplanern oder Finanzberatern.

Florian Rümmelein, fotografiert von Selina Seiler.

 

Und Pocket Bitcoin?

Knezić: Wir sind kein Vermögensverwalter, aber ein in der Schweiz beaufsichtigter Finanzintermediär. Wir unterstützen unsere Kunden, ihre Bitcoins selbst zu verwahren, und verwahren selbst keine Bitcoins. Wir sind wie ein Goldverkäufer, der das Gold physisch herausgibt. Bankzahlungen zu Pocket werden umgewandelt in Bitcoin und direkt auf die Wallet ausgezahlt.

 

Wie zufrieden seid ihr mit der Regulierung in der Schweiz?

Rümmelein: Mir ist aufgefallen, dass der Fokus der Finanzmarktaufsicht (Finma) oft auf kleinere Akteure gerichtet ist. Grössere Institute sind möglicherweise in der Lage, sich rechtlich stärker zu verteidigen, was zu einer unterschiedlichen Aufmerksamkeitsverteilung führen könnte. Auch habe ich manchmal den Eindruck, dass man bei den Aufsichtsbehörden leicht unter Generalverdacht gerät. Es wäre wünschenswert, wenn mehr auf Vertrauen und Kooperation gesetzt würde, um ein stärkeres Miteinander zu fördern. Es ist natürlich wichtig, dass die Aufsicht ihrer Aufgabe nachkommt, aber ein ausgewogener Ansatz wäre für alle Beteiligten förderlich. Besonders im Kontext von grösseren Ereignissen, wie dem schnellen Zusammenbruch der Credit Suisse, stelle ich mir die Frage, wie Überwachung und Kontrolle angepasst werden könnten, um auch grössere Risiken frühzeitig zu erkennen.

Knezić: Wir sind vergleichsweise zufrieden mit der Regulierung in der Schweiz. Aktuell bereiten wir uns auf das Inkrafttreten der EU-Regulierung Markets in Crypto-Assets (MiCA) vor, weil ein grosser Teil unseres Geschäfts in Europa stattfindet. Wenn man den Vergleich mit der EU macht, dann kann man echt froh sein in der Schweiz (lacht).

«Wenn man den Vergleich mit der EU macht, dann kann man echt froh sein in der Schweiz.» David Knezić

 

Warum?

Knezić: In der Schweiz versteht man das Gesetz auch ohne Anwalt. Sicher ist es auch hierzulande von Vorteil, mit Anwälten sicherzustellen, dass alles richtig läuft und dass man alles richtig interpretiert, aber grundsätzlich ist es nicht nötig. All die Rundschreiben und Faktenblätter, die von der Finma oder der Selbstregulierungsorganisation herausgegeben werden, kann man als ganz normaler Mensch verstehen. Die Schweiz hat Krypto-Assets relativ früh den gleichen Regeln unterstellt, die auch für andere Assets gelten.

 

Das ist bei MiCA nicht der Fall?

Knezić: MiCA umfasst etwa 200 Seiten. Zum Vergleich: Das Schweizer Geldwäschereigesetz hat 35 Seiten. Um durch diesen Dschungel zu navigieren, braucht man Anwälte. MiCA bietet mehr Möglichkeiten der Diskriminierung; es werden darin tiefere Schwellenwerte und restriktivere Gesetze für Krypto-Asset-Anbieter festgelegt. Doch auch in der Schweiz werden Krypto-Assets vermehrt als gefährlicher betrachtet als alles andere. Klar, Bitcoin und Kryptowährungen werden missbraucht. Aber das gilt auch für Bargeld. Die Regulierung sollte technologieneutral sein.

 

Florian, siehst du Bitcoin als neues Finanzsystem oder eher als eine neue Asset-Klasse, die im bestehenden Finanzsystem integriert wird?

Rümmelein: Das grundsätzliche Interesse, das ich bisher sehe, ist eher auf der Anlageseite. Vor zwei, drei Jahren gab es einen riesigen Hype. Wer irgendetwas mit Blockchain machte, dem wurde Geld hinterhergeworfen. Seit der Pleite von FTX, als bekannte Investoren wie beispielsweise Sequoia Capital viele Millionen verloren haben, sind diese Investoren kritischer geworden.

 

Nach Corona haben die Zentralbanken die Geldmengen stark ausgeweitet, worauf ein Inflationsschub folgte. Bitcoin ist dagegen für immer auf 21 Millionen Einheiten beschränkt. Das spricht doch für die Kryptowährung.

Rümmelein: Ich denke, dass sich kaum etwas breit etablieren kann, wenn der Staat nicht mitmacht. Und wenn es etwas geben sollte, das sich durchsetzt, wird es stark reguliert und eingeschränkt. Doch man sieht, dass sich Staaten mit dem Thema beschäftigen. Sie versuchen, digitale Franken oder Euro auf den Markt zu bringen, die aber unter staatlicher Kontrolle sind.

 

Zum Beispiel CBDCs?

Rümmelein: Ja, zum Beispiel. Spannend finde ich – und da gibt es ja bereits entsprechende Projekte –, wenn man traditionelle Assets auf die Blockchain bringen kann.

Knezić: Bei Pocket sehen wir täglich Tausende Kunden, die sehr überzeugt sind von Bitcoin. In der Entwicklung des Interesses an Bitcoin sind wir ein Service, der eher später als früher genutzt wird. Die Selbstverwahrung von Bitcoin bringt eine gewisse Selbstverantwortung mit sich. Daher braucht es relativ viel Überwindung, um seine Bitcoins selbst zu verwahren. Das macht man nicht ab den ersten 100 Franken. Zu Beginn sind die Leute meistens in Bitcoin investiert, weil sie einen Wertzuwachs erwarten. Sie fangen meistens mit einer kleinen Position an und bauen dann aus. Mit mehr Bitcoins im Portfolio beginnen sie, sich darüber zu informieren, und werden immer überzeugter. Darum wirft man den Bitcoinern auch vor, dass sie fast ein bisschen religiös werden. Je länger sie sich damit befassen, desto mehr argumentieren sie gegen das existierende Finanzsystem und gegen traditionelle Assets wie Gold.

 

Noch sind Bitcoiner aber eine kleine Minderheit in der Gesellschaft.

Knezić: Ich war anfangs sehr euphorisch und dachte, Bitcoin werde das Geldsystem und das Finanzsystem innert ein paar Jahren revolutionieren. Aber die Revolution braucht viel Zeit. Wir haben Kunden, die sich aktiv gegen traditionelle Assets entscheiden und sie in Bitcoin wechseln, weil bei Bitcoin niemand die Regeln ändern kann – die Inflationsrate ist bis ins Jahr 2140 und darüber hinaus fix festgelegt. Die Politik hat hier keinen Einfluss.

David Knezić, fotografiert von Selina Seiler.

 

Du sagst, die Politik habe keinen Einfluss auf Bitcoin, Florian meint hingegen, wenn der Staat nicht mitziehe, werde es sich nicht durchsetzen.

Rümmelein: Der Staat hat unzählige Möglichkeiten der Repression. Er könnte kommen und sagen: Digital Assets werden speziell besteuert. Oder er macht strengere Vorschriften, um Digital Assets wieder ins traditionelle Finanzsystem zu befördern. Ich betrachte digitale Assets eher als Anlage und weniger als Revolution des Finanzsystems. Wenn der Wachstumstrend vor allem von Privatpersonen getrieben ist, ist das ein Tropfen auf den heissen Stein. Die, die am Ende das Finanzsystem ausmachen, sind die grossen institutionellen Player.

 

Als das Internet aufkam, dachten die Zeitungsverlage, sie seien unersetzlich – inzwischen sind sie alle im Internet und kämpfen dort gegen viel Konkurrenz. Kann es nicht sein, dass all die vielen Finanzinstitute, die Bitcoin aktuell ignorieren, in einigen Jahren grosse Bitcoin-Bestände haben werden?

Rümmelein: Wenn man ein ideales Finanzsystem bauen würde, dann bräuchte es eigentlich keine Intermediäre. Als Endnutzer brauche ich jemanden, der mir bei der technischen Verwahrung hilft. Aber sonst brauche ich niemanden. In der Praxis ­jedoch funktioniert ein System ohne Intermediäre nicht – es stehen viele regulatorische Fragen im Weg. Ein Finanzsystem, das allein auf Bitcoin beruht und ohne jede Regulation auskommt, sehe ich aktuell einfach nicht.

Knezić: Die Regierungen und die Akteure im traditionellen Finanzsystem akzeptieren ungern, dass Interesse besteht an ­Bitcoin. Aber die Nachfrage steigt und steigt und irgendwann realisieren sie, dass sie damit Geld machen können. Das hat man auch im Januar dieses Jahres gesehen, als in den USA erstmals ein Bitcoin-ETF genehmigt wurde – es war der erfolgreichste Launch eines ETFs überhaupt.

«Wenn man ein ideales Finanzsystem bauen würde, dann bräuchte es

eigentlich keine Intermediäre.» Florian Rümmelein

 

Wie wird das Finanzsystem in zehn Jahren aussehen?

Knezić: Der Trend geht in Richtung mehr Zentralisierung, mehr Verordnungen, Auflagen und Vorschriften und weniger Freiheiten für die Akteure. Meine Hoffnung ist, dass mit Bitcoin ein Gegengewicht entsteht. Wenn die Repression des traditionellen Finanzsystems zu weit geht, fliessen mehr Assets in ­Bitcoin. Je unsicherer die Investmentlandschaft, desto mehr Anleger flüchten in eine stabile Währung, die nicht willkürlich manipuliert werden kann.

Rümmelein: Ich würde mir eigentlich wünschen, dass das Finanzsystem viel dezentraler wird. Der Endkunde vertraut sich einem Finanzintermediär an, der ihn irgendwo berät und ihm behilflich ist, sein Vermögen zu verwalten. Je mehr Leute ­dazwischenstehen, desto teurer wird es am Ende für den Endkunden. Ich würde mir wünschen, dass die Technologie im ­Finanzsystem stärker durchschlägt und sich so die zig Intermediäre deutlich reduzieren. Das Angebot für den Kunden wird so ­attraktiver.

 

Die Informationsindustrie glaubte einst, sie schlucke das Internet. Aber sie ist vom Internet geschluckt worden. Könnte es der Finanzbranche nicht gleich ergehen? Sie glaubt, dass sie Bitcoin integrieren werde, aber vielleicht wird sie von Bitcoin integriert.

Knezić: Für Bitcoin ist es ein Vorteil, wenn er lange nicht ernst genommen wird. Denn es ist ein relativ freies Geld. Bitcoin kennt keine Landesgrenzen und als System ist es absolut nicht zensierbar, man kann es nicht stoppen. Länder wie China haben schon erfolglos versucht, Bitcoin zu verbieten oder technisch zu verhindern. Deshalb kann ich mir schwer vorstellen, dass es zu einer vollständigen Integration in das traditionelle Finanzsystem kommt. Ich verstehe, wenn Regulatoren, Regierungen und Banken Angst haben, die Kontrolle zu verlieren. Wir scheinen offenbar verlernt zu haben, dass man der Bevölkerung die Freiheit zugestehen kann, sich frei auszutauschen – bei Bargeld war das ja über viele Jahre hinweg auch so.

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Demonstration gegen die Corona-Massnahmen der deutschen Regierung im August 2020 in Berlin. Sie wurde organisiert von der von Michael Ballweg gegründeten Bewegung «Querdenken-711». Bild: Keystone/sulupress.de.
Plötzlich ohne Bankkonto

Ich organisierte Proteste gegen die Covidmassnahmen – dann verlor ich den Zugriff auf mein Vermögen und damit meine Firma. Jetzt bleiben mir nur noch Bitcoin und Bargeld.

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