Die Rettung Griechenlands und das Ende des Euro
Griechenland hat vom Euro profitiert. Und seinen Staatshaushalt lange über günstige Kredite finanziert. Nun droht der Staatsbankrott. Und vielleicht noch viel mehr.
Der Euro ist gegenüber dem ebenfalls alles andere als starken US-Dollar seit Wochen auf dem Rückzug. Verantwortlich dafür sind die von Investoren gehegten Sorgen über die nachhaltigen Haushaltsdefizite von Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien. Diese EU-Staaten werden mittlerweile in denselben Topf geworfen und – nach den jeweiligen Anfangsbuchstaben – als «PIIGS»-Länder bezeichnet.
Nachdem Irland das Schlimmste bereits überstanden zu haben scheint, sieht sich nun Griechenland mit der schwersten Krise der jüngeren Vergangenheit konfrontiert. Der Staat braucht Geld. Die Rendite der 10jährigen Staatsanleihen nähert sich 7 Prozent. Und in der Tat, die griechische Regierung schätzt das Haushaltsdefizit für 2009 auf 12,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Die gesamte Staatsschuld beläuft sich auf 113 Prozent des BIP. Wenn der Zinssatz weiter ansteigt, den Griechenland auf seine Schulden zu entrichten hat, muss das Land womöglich bald seinen Bankrott erklären.
Die griechische Regierung versucht derweil, das Vertrauen in das Land zurückzugewinnen. Sie hat angekündigt, die Zahl der öffentlich Angestellten zu senken, ihre Gehälter einzufrieren und die Steuern auf Benzin, Tabak und Alkohol zu erhöhen. Diese Massnahmen – so die Hoffnung – werden das Defizit in diesem Jahr auf 8 Prozent reduzieren. Die Märkte jedoch sind misstrauisch. Und sie haben recht. Die Steuererhöhung schafft bloss weitere Probleme für die von einem überdimensionierten Staatssektor belasteten Griechen.
Einschneidende, aber unumgängliche Massnahmen hingegen werden weiter hinausgeschoben. Der riesige Staatssektor wird nicht redimensioniert. Die Löhne verbleiben auf einem nicht wettbewerbsfähigen Niveau, das von privilegierten Gewerkschaften verteidigt wird. Ausserdem ist nicht klar, ob die Regierung ihre behutsamen Ausgabenkürzungen wie angekündigt durchsetzen kann. Drohungen von Generalstreiks liegen in der Luft. Der griechische Aufruhr ist berüchtigt. Im Dezember 2008 kam es als Folge vergleichsweise kleinerer Reformen zu schweren Ausschreitungen.
Die griechische Regierung ist für ihre grosszügige Ausgabenpolitik berüchtigt. Dieses verschwenderische Gebaren bekam neuen Schub, als Griechenland im Jahre 2001 der Europäischen Währungsunion (EWU) beitrat und infolgedessen die Zinssätze der Staatsanleihen sanken: denn diese profitierten faktisch von einer impliziten Hilfsgarantie der starken Mitglieder der Eurozone, da man davon ausging – und weiterhin ausgeht –, dass diese Länder Griechenland im Fall der Fälle beistehen würden.
Griechenland zeichnete (und zeichnet) sich einerseits durch horrende Staatsausgaben und ausufernde Defizite aus, kam (und kommt) aber anderseits mit relativ geringen Zinssätzen auf seine Schulden davon, so wie sie für ein Land mit einer disziplinierten Budgetpolitik angemessen gewesen wären. Die Lage schien lange komfortabel. Die griechische Wirtschaft und die Wähler gewöhnten sich an die durch niedrige Zinssätze subventionierten Staatsausgaben – und proben nun den Aufstand, da ihnen, aufgrund dieser Verwöhnung, der Sinn für die Notwendigkeit von Sparmassnahmen abhanden gekommen ist.
Mit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise stiegen die Defizite in den schwachen und in den starken Ländern der EWU. Da für die starken Länder genügend eigene Probleme zur Lösung anstehen, begannen die Marktteilnehmer irgendwann daran zu zweifeln, dass sie die schwachen Länder im Notfall unterstützen würden. Mit dem Unterschied der Risikoerwartung stieg die Zinsdifferenz zwischen deutschen und griechischen Staatsanleihen. Der Markt fordert von Griechenland zunehmend höhere Zinsen im Vergleich zu dem als «noch sicher» angesehenen deutschen Staat. Die Reaktionen auf die Untergangsszenarien waren vorhersehbar: die Politiker der schwächeren Länder betonen die Bedeutung der (durch den EU-Vertrag untersagten) Solidarität in der Union, während die stärkeren sich eher zurückhaltend zeigen.
Die Debatte ist freilich irreführend; denn Griechenland wird bereits vom Rest der EWU gerettet. Die Europäische Zentralbank (EZB) akzeptiert griechische Staatsanleihen als Sicherheiten für Kreditgeschäfte. Die Annahme dieser Anleihen als Sicherheit hängt wiederum von der Bewertung durch Ratingagenturen ab, die offensichtlich nach wie vor davon ausgehen, dass der Staat im Notfall von den übrigen Mitgliedern der EWU gestützt würde. Durch die Annahme der griechischen Anleihen ergibt sich nun für europäische Banken ein sehr profitabler Deal: sie kaufen die griechischen Staatsanleihen, die derzeit über 3 Prozent mehr abwerfen als deutsche Staatsanleihen, und benutzen sie als Sicherheit, um Darlehen von der EZB zu 1 Prozent Zins zu erhalten.
Die Banken kaufen, anders gesagt, die griechischen Anleihen nur, weil sie wissen, dass die EZB diese als Sicherheit für neue Darlehen akzeptiert. Da der an die EZB zu zahlende Zins geringer ist als der von Griechenland gezahlte, ergibt sich natürlicherweise eine Nachfrage nach diesen griechischen Staatsanleihen. Ohne die Akzeptanz dieser Anleihen als Darlehenssicherheit durch die EZB würde Griechenland bereits heute deutlich höhere Zinsen zahlen müssen.
Die EZB gewährt den Banken, die als Sicherheit griechische Staatsanleihen hinterlegen, neue Kredite, finanziert so indirekt einen Teil der griechischen Schulden und verhilft durch die solchermassen gestützte Nachfrage griechischen Anleihen zu besserer Marktgängigkeit und niedrigeren Zinssätzen. Die griechische Regierung ihrerseits benutzt das Geld aus dem Anleihenverkauf, um sich ihre Bevölkerung durch weitere Ausgaben gewogen zu halten. Die staatlich generierte Nachfrage stützt oder erhöht tendenziell die Preise in Griechenland, und das Geld fliesst via Importe von dort dann in andere Länder, sodass zuletzt die Preise in der gesamten Eurozone steigen. Da Griechenland im Vergleich zum Rest sehr klein ist, ist dieser Effekt kaum bemerkbar. Trotzdem kommt es zu einer stetigen EWU-internen Umverteilung zugunsten Griechenlands. Die griechische Regierung – und die anderen PIIGS-Länder mit hohen Defiziten – werden vom Rest der EWU durch einen kontinuierlichen Transfer von Kaufkraft gestützt.
Die Zukunft des Euro ist alles andere als rosig, da er starke Anreize für verschwenderisches Haushalten schafft. Und zwar nicht nur in bezug auf Griechenland, sondern auch für alle anderen EWU-Länder. Sämtliche PIIGS-Mitglieder haben mit einer gigantischen Verschuldung zu kämpfen. In Spanien geht die Arbeitslosigkeit gegen 20 Prozent, und das Staatsdefizit liegt bei 11,4 Prozent des BIP. Portugal hat Privatisierungen staatlicher Vermögenswerte angekündigt, um auf ein Defizit von 9,3 Prozent zu reagieren. In Irland ist die Immobilienblase geplatzt, bei einem Defizit in Höhe von 11,5 Prozent des BIP. Das sind zweifellos alarmierende Zahlen.
Die Versuchungen zu unverantwortlichem Verhalten dieser und anderer Länder sind aufgrund der Konstellation der Währungsunion – eine transnationale Währung, aber nationale Budgetpolitik – allgemein sehr gross. Warum unbeliebte Steuern erheben, um die Staatsausgaben zu bezahlen? Warum nicht Anleihen ausgeben, die durch die Schaffung neuen Geldes abgesetzt werden? Warum nicht die Kosten der für den Machterhalt so wichtigen Staatsausgaben externalisieren?
In der Tat können die schwächeren Mitgliedstaaten der Eurozone die Kosten ihrer rücksichtslosen Ausgabenpolitik zu einem Teil auf die grösseren Länder überwälzen. Jeder Mitgliedstaat, dessen Anleihen von der EZB als Sicherheit akzeptiert werden, kann durch diese Gelddruckmaschine seine Ausgaben finanzieren. Sich zu verschulden, ist in diesem System absolut rational. Letztlich besteht für jede Regierung der Anreiz, höhere Defizite zu fahren als der Rest der Eurozone, da die Kosten externalisiert werden können. In der Eurozone wirken also Mechanismen, die auf einen kontinuierlichen Verlust der Kaufkraft hinwirken. Dieser Wettlauf um die Nutzung der Gelddruckmaschine (EZB) könnte schliesslich zum Zusammenbruch des Euro führen.
Man hat versucht, den Wettlauf zur Staatsschuldenmonetisierung durch Regulierungen auszuhebeln. Sie sind im Stabilitäts- und Wachstumspakt zusammengefasst. Dieser Pakt fordert, dass das jährliche Haushaltsdefizit der Mitgliedsstaaten unter 3 Prozent zu liegen und die Gesamtverschuldung 60 Prozent des BIP nicht zu übersteigen hat. Anfangs waren bei Nichterfüllung Sanktionen vorgesehen. Sie wurden aber trotz zahlreichen Verstössen niemals durchgesetzt. Deutschland, das am heftigsten zu diesen Bedingungen gedrängt hatte, war eines der ersten Länder, die sich der Erfüllung verweigerten. Für das Jahr 2010 ist zu erwarten, dass alle Mitglieder die Haushaltsdefizitgrenze von 3 Prozent überschreiten werden. Die gesamteuropäische Staatsverschuldung liegt bei 88 Prozent des BIP und damit ebenfalls weit über dem Referenzwert von 60 Prozent.
Was bringt die Zukunft für den Euro? Es bleiben langfristig vor allem drei Möglichkeiten.
Erstens. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wird endlich durchgesetzt. Unglücklicherweise machen die starken politischen Widerstände dies sehr unwahrscheinlich.
Zweitens. Die konservativeren Mitgliedstaaten weigern sich, die verschwenderischen Länder weiter zu unterstützen. Sie lassen die schwächeren bankrott gehen, was zu einem Ausschluss aus dem EWU führt.
Drittens. Die Staaten versuchen weiterhin, ihre Defizite zu erhöhen und die Kosten zu externalisieren. Sie geben den Anreizen nach und nehmen am Ausgabenwettlauf teil, was letztlich zu einer Hyperinflation führt. Das ist wohl die wahrscheinlichste, da kurzfristig am wenigsten schmerzhafte Variante. Sie dürfte aber längerfristig im Zusammenbruch des Euro enden.
Philipp Bagus, geboren 1980, ist Ökonom und arbeitet als Assistenzprofessor an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid.