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Die Reform in Schweden

Wir sind die Sprache!

«In Schweden wird so manches protestlos mit Haut und Haaren geschluckt», stellt der Journalist Magnus Falkehed in seinem gerade erschienenen «Le modèle suédois» (Paris 2003) fest. Und: «Manchmal vermißt man bei uns etwas vom gesunden französischen Skeptizismus.» (Geschrieben vor dem Nein zum Euro!)

Ob typisch schwedisch oder nicht, ahnungs- und kritiklos nahm der schwedische Sprachlehrerverband (LMS, Riksföreningen för Lärarna i Moderna Språk) die deutsche Rechtschreibreform an seine treuherzige Brust. Die Mitglieder, für die «amtliche Reformen» sowieso zum gewohnten Alltag gehören, bekamen früh im Verbandsblatt «Lingua» eine Artikelserie von Reformer Klaus Heller zu lesen, der die Reform als Schöpfung ohne Makel darstellte. Es bedurfte des beherzten Einsatzes des Altmeisters schwedischer Germanistik, Gustav Korléns, um unsere Deutschlehrer auch über die Kehrseiten aufzuklären. Dennoch verlangten tonangebende Deutschlehrer «reformierte» Schulbücher. «Sonst drohte Kaufverweigerung», erinnert sich Hans L. Beeck, Leiter unseres Schulbuchverlags Bonnier Utbildning. Er selbst steht als alter Germanist der Reform kritisch gegenüber und bezeichnet Teile davon als absurd. Aus geschäftlichen Gründen mußte er den Forderungen der Lehrer nachgeben und die kostspielige Neuerung – in «gemäßigter» Form – einführen lassen. «Gemäßigt» heißt, daß den Autoren und Lektoren ein gewisser (undefinierter) Freiraum erlaubt wird, u.a. unter Bezugnahme auf die deutschen Zeitungen, die nach hauseigenen Rezepten schreiben. Bezeichnend ist, daß auf Beecks Wunschliste eine wissenschaftliche Untersuchung der Orthographie heutiger Schulbücher steht. In ihnen herrscht ein schwer überschaubares Durcheinander.

Vertreter unserer Germanistikinstitute berieten diesen September über die Lage. Damit die Teilnehmer Farbe bekannten, wurde der Entwurf eines Protestschreibens vorgelegt, über den man sich erwartungsgemäß nicht einigen konnte. Die Reaktionen wechselten zwischen voller Zustimmung und voller Ablehnung mit Argumenten wie «Das soll eine Reform sein?», «Es wäre vermessen, eine uns fremde Sprache regeln zu wollen» und «Wir müssen abwarten, bis wir endgültig Bescheid wissen.» Ein Mindestmaß an Einigkeit konnte jedoch erreicht werden – allerseits wurde die heutige Verwirrung bedauert. Die Bewertung der orthographischen Bemühungen der Studierenden kann man als eklektisch-additiv bezeichnen: alles in heutigen Publikationen Belegbare wird akzeptiert.

Ein fachkundiger Schwede müßte – und viele tun es! – mit Befremden auf ministerielle Eingriffe in die freie Entwicklung der Sprache reagieren. Schon der Versuch, die Sprache von oben zu regeln und eine lange Liste von Wörtern zu verbieten (das heisst ihre tatsächliche Existenz in der Sprache zu verleugnen), müßte ihm als geradezu irr vorkommen. In seinem Land heißt das Losungswort nämlich Deskription, also Beschreiben der Sprache, nicht Präskription oder Vorschreiben. Die Sprache gehört dem Volk, nicht einem Ministerium.

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