Die Privatstadt
Eine Geschäftsidee für den Staatsmarkt
Warum sollte eine kleine Gruppe von Menschen darüber entscheiden, wie Sie Ihr Leben zu führen haben? Insbesondere, wenn Sie diese Menschen weder beauftragt haben noch diese dazu besonders befähigt sind. Vielleicht geht es Ihnen wie mir und sind Sie stattdessen der Auffassung, dass Sie das Recht haben, Ihr Leben so zu gestalten, wie Sie dies selbst für richtig halten? Sie begehren nicht Mitbestimmung, sondern Selbstbestimmung? Dann gibt es eine Alternative: die Private City. Sie beruht auf zwei Prinzipien: erstens, dass jener, der anderen kein Leid zufügt und für sich selbst sorgen kann, Anrecht darauf hat, in Ruhe gelassen zu werden. Auch von der Regierung oder der Mehrheit. Zweitens, dass die menschliche Interaktion, auch innerhalb grosser Gruppen, auf freiwilliger Basis und nicht auf der Basis von Zwang stattfindet. Heutige Staaten, Demokratien eingeschlossen, können keines der beiden Prinzipien garantieren. Sie basieren vielmehr auf der Verletzung derselben. Als Staatsbürger müssen Sie militärische Auslandseinsätze mitfinanzieren, Lehrstühle für Genderstudien, Subventionen für unwirtschaftliche Technologien, staatliche Fernsehsender – selbst wenn sie all dies ablehnen. Sie werden weiter gezwungen, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen abzuschliessen, egal ob Sie das wollen oder nicht. Sie dürfen keine Glühbirnen, leistungsstarken Staubsauger, Plastiktüten oder Zigaretten ohne Warnhinweise erwerben. Die Verbotsliste wird jedes Jahr länger. Mit anderen Worten: sie sind kein Kunde, sondern Untertan.
Praktisch alle Staaten dieser Welt funktionieren nach dem gleichen, seit Jahrtausenden unveränderten System: Eine durch Erbfolge, Putsch oder Wahl an die Macht gelangte Gruppe von Auserwählten bestimmt die Geschicke aller. Im Laufe der Zeit bildet sich um diese Gruppe herum eine wachsende Menge von Zuarbeitern und Günstlingen. Diese wollen sich dem Risiko des freien Marktes entziehen und Leistungen ohne adäquate Gegenleistung erhalten (sogenanntes Rent-Seeking). Daneben finden Interessengruppen und Einzelpersonen nach und nach heraus, dass sie über die Politik ihre Wünsche der Allgemeinheit in Rechnung stellen können. Dadurch steigen unvermeidlich die Zahl der Gesetze, die Steuerbelastung und die Staatsschulden immer weiter an. Produktivitätshemmnisse und Freiheitseinschränkungen vermehren sich. Am Ende steht der Ruin bzw. der Zusammenbruch des jeweiligen Gemeinwesens – und das Spiel beginnt von neuem. Obgleich viele meinen, die westlichen Demokratien seien zu stabil, um diesem Mechanismus erliegen zu können, stellten gar das Ende der Geschichte dar, ist dem nicht so. Der aufgezeigte Prozess findet augenblicklich statt, und zwar genau so wie beschrieben. Leider unterliegen auch Gesetze und Verfassungen, welche die Rechte des einzelnen schützen, faktisch dem Willen der Mehrheit. Sie können von dieser jederzeit geändert oder «zeitgemäss» ausgelegt werden. Entsprechend ist in den westlichen Demokratien während der letzten hundert Jahre der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (Staatsquote) von durchschnittlich 12 Prozent auf 50 Prozent gestiegen1. Von 1979 bis heute wuchsen allein die deutschen Staatsschulden von 64 Milliarden auf 2000 Milliarden Euro2.
Die zehn Grundregeln
Es gibt einen Ausweg. Staaten existieren, weil offenbar eine Nachfrage nach ihnen besteht. Eine staatliche Ordnung schafft einen Rahmen, innerhalb dessen der Mensch sozial interagieren und friedlich Leistungen und Güter tauschen kann. Das Bestehen von Sicherheit und festen Regeln macht es möglich, dass Menschen in grosser Zahl mit- und nebeneinander leben können. Ein derartiges Zusammenleben ist so attraktiv, dass dafür auch erhebliche Freiheitseinschränkungen akzeptiert werden. Vermutlich würden selbst die meisten Nordkoreaner das Verbleiben in ihrem Land dem freien, aber einsamen Robinson-Dasein vorziehen. Wenn man nun die Leistungen des Staates bieten und gleichzeitig dessen Nachteile vermeiden könnte, hätte man ein besseres Produkt geschaffen. Nach über 30 Jahren politischer Aktivität bin ich zum Schluss gekommen, dass echte Freiheit im Sinne von Freiwilligkeit und Selbstbestimmung auf demokratischem Wege nicht zu erreichen ist. Diese Werte werden schlicht nicht ausreichend nachgefragt. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr gelangte ich zu der Überzeugung, dass Staatsdienstleistungen rein privatwirtschaftlich von Unternehmen angeboten werden können und dass ich ein solches Unternehmen gründen möchte. Alles, was wir vom Markt her kennen, lässt sich auf unser Zusammenleben übertragen: die enorme Vielfalt des Produktangebotes, das Recht, etwas nicht zu kaufen, was uns nicht gefällt, und schliesslich der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Produkten, der dafür sorgt, dass diese immer billiger und immer besser werden. Der «Staatsdienstleister» bietet auf einem abgegrenzten Territorium ein bestimmtes Modell an und nur derjenige, dem dies zusagt, siedelt sich dort an. Solche Konzepte müssen attraktiv sein, sonst kommt niemand bzw. wandert man wieder ab in andere Systeme. In einer solchen Private City erhalten Interessenten vom Betreiber ein Vertragsangebot. In diesem Vertrag ist klar niedergelegt, welche Leistungen er erbringt. Dies umfasst eine Basisinfrastruktur, Polizei, Feuerwehr, Notfallrettung, einen rechtlichen Rahmen sowie eine unabhängige (Schieds-)Gerichtsbarkeit, damit Bewohner ihre berechtigten Ansprüche auch in einem geregelten Verfahren durchsetzen können. Diese Basisleistungen sind nicht abdingbar, die dafür jährlich anfallenden Kosten jedoch klar beziffert. Man bezahlt mithin nur, was man mit Vertragsschluss auch bestellt hat. Jeder Bewohner hat einen Rechtsanspruch darauf, dass der Vertrag eingehalten wird, und einen Schadensersatzanspruch bei Schlechterfüllung. Um alles andere kümmern sich die Bewohner selbst, können aber auch machen, was sie wollen.
Zusammenfassend gelten in einer Private City folgende Grundregeln:
- Jeder Bewohner hat das Recht, ein selbstbestimmtes Leben ohne Einmischung anderer zu führen.
- Die Interaktion zwischen den Bewohnern erfolgt auf freiwilliger Basis, nicht auf der Basis von Zwang. Auch die Teilnahme an und der Verbleib in der Private City sind freiwillig.
- Die entsprechenden Rechte Dritter sind strikt zu achten, auch wenn einem deren Lebensweise oder Einstellung nicht gefällt.
- Es besteht uneingeschränkte Meinungsfreiheit, mit einer Ausnahme: Wer Gewalt gegen andere oder deren Enteignung propagiert, muss die Private City verlassen. Das Kritisieren von anderen Personen, Weltanschauungen, Religionen usw. ist hinzunehmen und stellt keine Rechtsverletzung von Bewohnern dar, die sich dadurch empört fühlen.
- Der Betreiber der Private City gewährleistet einen stabilen Rechts- und Ordnungsrahmen, um das friedliche Zusammenleben und Interagieren einer grossen Zahl von Menschen zu ermöglichen.
- Dieser Rahmen wird zwischen dem Bewohner der Private City und dem Betreiber in einem Vertrag niedergelegt, der sämtliche gegenseitigen Rechte und Pflichten festhält. Dazu zählt auch die Höhe der Gegenleistung durch jeden Bewohner. Dieser Vertrag kann später nicht einseitig geändert werden.
- Alle erwachsenen und geschäftsfähigen Bewohner sind für die Konsequenzen ihres Tuns selbst verantwortlich, nicht «die Gesellschaft» oder der Betreiber. Es besteht kein wie auch immer geartetes Recht, auf Kosten Dritter zu leben.
- Interessenkonflikte zwischen den Bewohnern oder zwischen Bewohnern und dem Betreiber werden von unabhängigen Gerichten bzw. Schiedsgerichten verhandelt. Deren Entscheidungen sind zu respektieren, auch vom Betreiber.
- Der Betreiber kann Bewerber nach eigenem Ermessen ablehnen. Es besteht kein Rechtsanspruch auf Aufnahme in die Private City.
- Jeder Bewohner kann den Vertrag jederzeit kündigen und die Private City wieder verlassen, der Betreiber kann – nach Ablauf einer Probezeit – jedoch nur aus wichtigem Grund kündigen, etwa wegen Verstosses gegen die Grundregeln.
Private Cities sind kein Refugium für Reiche. So sind etwa Regelungen denkbar, nach denen für arbeitssuchende, aber mittellose Neubewohner in den ersten Jahren die Zahlungen gestundet werden, interessierte Unternehmer für ihre Mitarbeiter die Beitragszahlungen übernehmen usw. Trotzdem kann der Betreiber als Privatunternehmen dabei etwas verdienen. Wenn er den Deckungsbeitrag der Bewohner auf 100 000 Einwohner berechnet hat und es kommen 200 000, macht er Gewinn, weil er Polizei, Justiz, Infrastruktur usw. nicht ebenso verdoppeln muss, um das gleiche Dienstleistungsniveau zu bieten. Der Betreiber muss vermutlich die ersten Jahre vorfinanzieren, aber das ist bei anderen Geschäftsmodellen genauso. Ergänzend wäre es möglich, indirekte Steuern zu erheben, etwa Mehrwertsteuern oder Grunderwerbssteuern.
Grundsätzlich mischt sich der Betreiber nicht in private Entscheidungen der Bewohner ein. Im Hinblick auf Verkehrsregeln, Baurecht, Emissionen und dergleichen wird er freilich im Sinne einer geordneten und zügigen Stadtentwicklung Vorgaben machen. Auch wird er für den öffentlichen Teil der Infrastruktur gewisse Verhaltensregeln festlegen, z.B. das Verbot zu betteln oder nackt herumzulaufen. In Fragen der Neuaufnahme von Bewohnern entscheidet der Betreiber allein. Es ist schliesslich seine Hauptdienstleistung, für die bereits ansässigen Bewohner sicherzustellen, dass die freiheitliche Ordnung nicht gestört oder gar Leib und Leben bedroht werden. Das vermag er nur, wenn er die Zuwanderung entsprechend kontrollieren bzw. Störer auch wieder hinauswerfen kann. Für alles andere gibt es private Unternehmer, die vom Krankenhaus über Schulen und Kindergärten bis hin zur Müllabfuhr abdecken, was nachgefragt wird. Gegen sämtliche Eventualitäten des Lebens versichern sich die Bewohner auf Wunsch privat oder gründen Selbsthilfegruppen, sei es zum Schutz vor Krankheit, Tod, Pflegebedürftigkeit oder Unfällen. Strassen, Hochhäuser, Häfen, Flugplätze und Einkaufszentren werden von Investoren erstellt und betrieben. Jeder kann zollfrei importieren und exportieren, was immer er will. Jeder kann neue Produkte und Dienstleistungen ohne Genehmigung oder Lizenz anbieten und sich in jeder gewünschten Währung bezahlen lassen. Das Korrektiv ist allein der Wettbewerbsdruck mit anderen Modellen des Zusammenlebens. Dazu ein Beispiel: das Fürstentum Monaco ist eine konstitutionelle Monarchie, die für Nichtmonegassen, welche immerhin 80 Prozent der Bevölkerung stellen, keinerlei Mitbestimmungsrechte vorsieht. Trotzdem gibt es mehr Interessenten, als der Wohnungsmarkt fassen kann, auch ich selbst bin dorthin übergesiedelt. Warum? Ich habe eine kleine Umfrage im Bekanntenkreis gemacht: weil man uns hier in Ruhe lässt. An dem Tag, an dem in Monaco alle EU-Regulierungen einschliesslich Einkommenssteuern eingeführt werden, ziehen die meisten einfach weg. Das weiss der Fürst und deshalb wird es nicht geschehen. Trotz dessen formal grosser Machtposition ist es somit ausschliesslich der Wettbewerb (mit anderen Gebietskörperschaften), der den Einwohnern die Freiheit sichert, nicht Gewaltenteilung, Parlament, Verfassung oder das Recht zu Volksabstimmungen.
Keine Utopie, sondern ein Geschäftsmodell
Eine Private City ist keine Utopie, sondern eine Geschäftsidee, deren Elemente bereits bekannt sind und die lediglich auf einen anderen Sektor übertragen werden, nämlich den des Zusammenlebens. Im Grunde stellt der Betreiber als Dienstleister nur den Rahmen, innerhalb dessen sich die Gesellschaft ergebnisoffen entwickeln kann. Die einzige Veränderungssperre zugunsten von Freiheit und Selbstbestimmung ist der Vertrag mit dem Betreiber. Nur er konstituiert Rechte und Pflichten. So können sich zwar die Bewohner darauf einigen, einen Gemeinderat zu etablieren. Aber auch wenn 99 Prozent der Bewohner dort mitmachen, hat dieses Gremium kein Recht, den übrigen 1 Prozent, die damit nichts zu tun haben wollen, seine Ideen aufzuzwingen; z.B. eine Kinderbetreuung, ein Schwimmbad, eine Städtepartnerschaft einzurichten und jeden dafür einen Pflichtbeitrag zahlen zu lassen. Das ist der entscheidende Punkt, an dem bisherige Systeme regelmässig gescheitert sind: die dauerhafte Gewährleistung der individuellen Freiheit.
Um ein derartiges Konzept umzusetzen, ist eine (Teil-)Autonomie im Sinne territorialer Souveränität unumgänglich. Diese muss das Recht umfassen, die eigenen Angelegenheiten selbständig zu regeln. Zur Etablierung einer Private City bedarf es daher einer vertraglichen Vereinbarung mit einem bestehenden Staat. In diesem Vertrag räumt der Mutterstaat dem Betreiber das Recht ein, auf einem genau umrissenen Territorium die Private City nach eigenen Regeln zu etablieren. Bestehende Staaten können für ein solches Konzept gewonnen werden, wenn sie sich Vorteile davon versprechen. Um die Stadtstaaten Hongkong, Singapur oder auch Monaco herum hat sich ein Gürtel von dicht besiedelten und wohlhabenden Gegenden gebildet. Dessen Einwohner zahlen ihre Steuern im Mutterstaat. Wenn nun in einem vormals strukturschwachen Gebiet derartige Gebilde entstehen, dann ist dies auch für den Mutterstaat ein gutes Geschäft. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb Hongkong nach 1997 nicht von China einverleibt wurde. Freilich könnte später im Mutterstaat ein Demagoge ins Amt gelangen, der die Auffassung vertritt, man sei beim Vertragsschluss betrogen worden, und der die Rückgabe verlangt. Hier gibt es kein Patentrezept, man wird versuchen müssen, durch eine Kombination verschiedener Massnahmen den Aggressor von militärischen Schritten abzuhalten, etwa mittels Öffentlichkeitsarbeit, diplomatischer Kontakte zu anderen Staaten und gegebenenfalls auch durch ein Defensivkonzept, welches die Einnahme der Private City mit einem gewissen Preis verbindet.
Private Cities sind weit mehr als nur ein Gedankenspiel. Sie haben das Potential, eine echte Alternative zur bestehenden Ordnung zu werden bzw. diese im Sinne schöpferischer Zerstörung zu überwinden. Sind verschiedene Private Cities erst einmal weltweit verbreitet, wird das die bestehenden Staaten unter erheblichen Druck setzen, ihre Systeme in Richtung auf mehr Freiheit zu verändern, wollen sie nicht ihre Leistungsträger verlieren. Und das ist genau die positive Wirkung von Wettbewerb, die im Staatsmarkt bisher gefehlt hat. Das gilt auch für die soziale Absicherung. Gerade weil diese Frage für viele Menschen so wichtig ist, wird es Angebote geben, die dies abbilden. Es gibt aus Vergangenheit und Gegenwart zahlreiche Beispiele, wie soziale Sicherung ohne Zwang erfolgreich funktioniert, z.B. kollektive Selbsthilfeeinrichtungen3. Ebenso denkbar ist, dass sich im Laufe der Zeit spezialisierte Private Cities bilden, die gezielt religiöse, ethnische oder weltanschauliche Gruppen ansprechen. Der Mensch ist nun mal gern unter seinesgleichen. Für diese gelten dann ganz andere Grundregeln. Alles, wofür Nachfrage besteht, ist zulässig, solange die Freiwilligkeit der Teilnahme gegeben ist. Es steht keinem zu, darüber zu richten, wie seine Mitmenschen ihr Zusammenleben gestalten möchten. Private Cities sind eine friedliche, freiwillige Alternative, die ohne Revolution und Gewalt entstehen kann und für die nicht erst die Mehrheit überzeugt werden muss. Die ersten dürften innerhalb der nächsten zehn Jahre entstehen.
1 Durchschnitt der 13 wichtigsten Industriestaaten, «Economist» vom 17.11.2011.
2 Michael von Prollius: Siamesische Zwillinge: Wohlfahrtsstaat und Wirtschaftskrisen. In: Christian Hoffmann, Pierre Bessard (Hrsg.): Sackgasse Sozialstaat – Alternativen zu einem Irrweg. Zürich: Liberales Institut, 2012. S. 57–77; 65.