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Die Privatsphäre bleibt auf der Strecke
Ellie Rennie, fotografiert von Meredith O’Shea.

Die Privatsphäre bleibt auf der Strecke

Noch ist nicht in Stein gemeisselt, wie digitales Zentralbankgeld ausgestaltet wird. Projekte wie die grenzüberschreitende Einführung des digitalen Yuan lassen jedoch eine alarmierende Zukunft erahnen.

 

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In den letzten Jahren haben Zentralbanken auf der ganzen Welt damit begonnen, ihre eigenen Versionen von digitalem Geld zu erforschen und zu entwickeln. Einige Länder sind in ihren Bemühungen bereits weit fortgeschritten, andere nehmen eher eine abwartende Haltung ein: Nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) erforschen gegenwärtig 86 Prozent aller Länder die Möglichkeit einer Central Bank Digital Currency (CBDC), rund 14 Prozent befinden sich bereits in der Pilotphase. Egal ob eine Zentralbank proaktiv oder reaktiv bleibt: Die nationalen CBDC-Projekte haben globale Auswirkungen. Wenn nämlich eine Regierung über eine CBDC mehr Transparenz und Kontrolle über ihre eigenen Finanz­ströme erringt, kann sie Daten über alle sammeln, die in jener Währung Transaktionen durchführen – einschliesslich Handelspartner und Einzelpersonen im Ausland. Für demokratische Nationen sollte der Schutz der Privatsphäre bei der Ausarbeitung ihrer digitalen Währungen höchste Priorität haben – nicht zuletzt als Reaktion auf Projekte aus autoritären Staaten.

Datenschutz als Kompromiss

Die Zentralbanken sind heute nicht nur für die Währungs- und Finanzstabilität verantwortlich, sie verwalten auch die physischen Banknoten. Gegenwärtig vermitteln sie jedoch keine Onlinetransaktionen zwischen regulären Kontoinhabern: Wenn Konsumenten bestehende elektronische Zahlungssysteme und Kreditkarten nutzen oder eine Überweisung über das Internetbanking tätigen, verwenden sie kein Zentralbankgeld, sondern Geschäftsbankengeld – eine Verbindlichkeit, welche die jeweiligen Finanzinstitute des privaten Sektors gegenüber der Zentralbank haben. Diesen elektronischen Schuldschein kann ein Kunde bei seiner Geschäftsbank in Bargeld umwandeln – vorausgesetzt, die Bank verfügt über ausreichende Gut­haben, um dies zu tun. Die Finanzdienstleister interagieren dabei mit technologischen Infrastrukturen, die von Zentralbanken und zwischenstaatlichen Organisationen unterhalten und für den Kontenabgleich genutzt werden.

CBDC könnten den Schuldschein einer Geschäftsbank abschaffen, indem sie ein digitales Äquivalent zu Bargeld anbieten. Gleichzeitig wird so die durch das physische Bargeld gewährte Anonymität im Zahlungsverkehr aufgehoben. Je nach Ausgestaltung der CBDC können die Regierungen Daten zu jeder Transaktion einsehen und diese mit anderen Informationen abgleichen. Aus der Regierungssicht besteht somit der Reiz einer direkten CBDC darin, dass diese ein Mittel zur Bekämpfung von Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Terrorismusfinanzierung werden könnte. Die Vorteile für die Strafverfolgung haben ­allerdings eine Kehrseite: Mit CBDC steigt die Kapazität für staatliche Überwachung. Zudem bietet sich für die Regierung die Möglichkeit, Zahlungen von freien Bürgern und Unternehmen zu blockieren.

CBDC stecken noch in den Kinderschuhen – es ist noch nicht ganz klar, welche Haltung die meisten Zentralbanken ihnen gegenüber einnehmen werden. In ihren Berichten über CBDC sprechen die Währungshüter hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre eher von Kompromissen als von Verlusten: Die verlockende Möglichkeit, Zahlungen vollständig zurückzuverfolgen, wird gegen die Möglichkeit kryptografischer Technologien zum Schutz der Privatsphäre abgewogen. Die Bank of England erklärte in einem Bericht ausdrücklich, dass ihr Mandat darin ­bestehe, die Geldwertstabilität zu gewährleisten – nicht darin, anonyme oder nicht nachverfolgbare Zahlungs­methoden bereitzustellen, wie das beim physischen Bargeld als Begleiterscheinung der Fall war. Dennoch weist die Bank of England darauf hin, dass eine CBDC mit den Datenschutzgesetzen, einschliesslich der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), vereinbar sein müsse.

Die Ausgestaltung der CBDC, einschliesslich der Frage, inwieweit die Trennung zwischen staatlichen und privaten Finanzdienstleistungen aufrechterhalten wird, ist für die Zukunft des Finanzsystems von entscheidender Bedeutung. Grundsätzlich gibt es drei Optionen:

  • Im einen Extremfall könnte eine Zentralbank den Verbrauchern ein Konto einräumen und damit einen Privatkundenzweig schaffen. «Digitales Bargeld» dieser Art könnte in einem Peer-to-Peer-Verfahren ausgetauscht werden, ohne dass ein Vermittlungsdienst erforderlich wäre.
  • Im anderen würde eine Regierung einem oder mehreren Finanzdienstleistern eine Lizenz erteilen, die Gelder ihrer Kunden auf einem Zentralbankkonto verwahren zu dürfen. Die Geschäftsbanken erhalten dann im Gegenzug eine Zentralbankverbindlichkeit, die sie als «Stablecoin» unter vollständiger Deckung durch die Zentralbankreserven verpacken könnten. Stablecoins sind digitale Währungen, deren Wert an herkömmliche Papiergeldwährungen gebunden ist. Unterschiedliche Unternehmen könnten ihre eigenen gedeckten Währungen herausgeben, die dann auf dem Markt konkurrieren.
  • Zwischen diesen beiden Extremen liegt das «Plattformmodell», bei dem die Zentralbank ein zentrales Kassenbuch bereitstellt, das CBDC aufzeichnet und Zahlungen verarbeitet. Zugelassene Finanzdienstleister würden kundenorientierte Dienstleistungen anbieten und auf die Schnittstelle des Zentralbank-Ledgers zugreifen.

Von diesen drei Optionen würde die erste der Regierung volle Transparenz über alle Transaktionen verschaffen. Bei der zweiten Option verbleiben die Finanzdaten in den Händen der Betreiber der digitalen Währung, was wiederum Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes aufwirft – man denke zum Beispiel an Tech-Unternehmen wie Meta, die über ausgeklügelte Datenverarbeitungsfunktionen verfügen und mit digitalen Währungen liebäugeln. Am meisten Zuspruch geniesst wohl der Mittelweg, das «Plattformmodell»: Es würde die Möglichkeit einer staatlichen Problembekämpfung, beispielsweise bezüglich Cyber­sicherheit, aufrechterhalten und gleichzeitig technologische Innovationen des privaten Sektors fördern.

Alternative für grenzüberschreitende Zahlungen

Doch selbst das scheinbar dezentralisierte «Plattform­modell» könnte für die Bürger zu Einbussen beim Datenschutz führen. Im vergangenen Jahr bestätigte Yi Gang, der Gouverneur der People’s Bank of China (PBoC), das Bestreben seiner Zentralbank für die Entwicklung eines digitalen Yuan. Dieser soll von der Zentralbank verwaltet, von Geschäftsbanken und Big-Tech-Zahlungsanbietern wie AliPay und WeChat Pay jedoch vertrieben werden. ­Offizielle Stellen berichteten, dass sich bis November 2021 schon 140 Millionen Menschen für den digitalen Yuan registriert hätten. Zudem wurde der digitale Yuan an den Olympischen Winterspielen von Peking getestet. Inter­nationale Politikexperten zeigen sich über Chinas Vor­haben alarmiert: Nach Angaben der Denkfabrik Australian Strategic Policy Institute hält die Führung der Kommunistischen Partei Chinas CBDC für ein Mittel zur Wahrung der «Stabilität» und zur Stärkung der staatlichen Kontrolle, die sich auch jenseits der Landesgrenzen erstrecken könnte. Die US-Senatoren Marsha Blackburn, Roger Wicker und Cynthia Lummis forderten im Juli 2021 das US-Olympia-Komitee auf, es solle den US-Athleten die Verwendung des digitalen Yuan verbieten, da Plattformen wie WeChat bereits zur «Überwachung, Bedrohung und Verhaftung chinesischer Bürger» genutzt würden.

Yi sagte öffentlich zwar, dass die chinesische Zentralbank dem Schutz persönlicher Daten grosse Bedeutung beimesse. Tatsächlich verfügt der e-Yuan über ein ano­nymes Front-End, jedoch auch über ein Back-End mit echtem Namen, was der Zentralbank vollen Einblick über den gesamten Transaktionsfluss und die Identität der Nutzer erlaubt. Die Geldbörsen für Transaktionen mit kleinen Beträgen müssen zwar nicht mit einem Bankkonto verknüpft sein – sie sind jedoch mit einer Telefonnummer verbunden, woraus sich relativ leicht die Identität einer Person erschliesst. Zur Analyse und Speicherung von e-Yuan wurden insgesamt drei Datenzentren errichtet, was eine weitreichende Datenverarbeitung erahnen lässt.

«Sobald der digitale Yuan eine

grenzüberschreitende Infrastruktur entwickelt,

könnte er die Vorherrschaft des US-Dollars in Frage stellen.»

Nutzer können den digitalen Yuan auch ohne Internetverbindung übertragen, indem sie einfach zwei Telefone aneinandertippen – das ist ein potentieller Vorteil für Menschen mit unzureichendem Internetzugang oder ohne Bankkonto. Der e-Yuan kann auch programmiert werden, so dass die Währung auf Geheiss der Regierung nur für einen bestimmten Zweck verwendet werden kann, wie etwa die Nutzung des öffentlichen Verkehrs. Der vielleicht grösste Vorteil besteht jedoch darin, dass Überweisungen künftig ohne teure Gebühren abgewickelt werden können. Diese Verringerung der Abhängigkeit von Finanzintermediären hat jedoch auch geopolitische Konsequenzen.

In einem Papier der amerikanischen Denkfabrik Carnegie Endowment for Peace warnen Rajesh Bansal und ­Somya Singh davor, dass der digitale Yuan zu einer Um­gehungslösung für Systeme wie Swift (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) werden könnte, die in der globalisierten Welt zur Durchsetzung von Sanktionen eingesetzt werden und eine Soft-Power-Funktion für die Vereinigten Staaten darstellen. Swift ist in der Gegenwart ein potentes Druckmittel: Sobald ein Staat vom Transfernetzwerk abgeschnitten ist, wird es für dieses Land schwierig, mit anderen Ländern im Swift-Netzwerk überhaupt Handel zu betreiben. Chinas e-Yuan startet zwar als Projekt für inländische Zahlungen. Doch sobald der digitale Yuan eine grenzüberschreitende Infrastruktur entwickelt, könnte er die Vorherrschaft des US-Dollars in Frage stellen. Bansal und Singh glauben, dass sich der digitale Yuan als Chinas «effektivster und bemerkenswertester Angriff auf die US-Hegemonie» erweisen könnte, indem er Staaten einen Ausweg aus der Sanktionssackgasse bietet. Darüber hinaus könnte China im Rahmen seiner Initiative der Neuen Seidenstrasse Entwicklungsmärkte in seine CBDC-Plattform-Infrastruktur einbinden, wodurch lokale Währungen verdrängt würden. Die Währungssubstitution könnte die Fähigkeit dieser Entwicklungsländer, ihre finanzielle Stabilität selbständig aufrechtzuerhalten, weiter schwächen.

Einige Länder haben bereits an Versuchen teilgenommen, die eine Austauschbarkeit zwischen unterschied­lichen Digitalwährungen mit einer sogenannten Multi-CBDC-Plattform erreichen wollen. In Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten von Zentralbanken in China, Thailand und den Vereinigten Arabischen Emiraten hat die BIZ im Jahr 2021 eine Plattform aufgebaut, die den Zentralbanken Einsicht in Transaktionen mit ihrer Währung im Ausland gewährt. Die Forschungsgruppe beschäftigt sich zudem mit der Frage, wie mit den Daten über CBDC-Transaktionen unter Respektierung nationaler Gesetzgebungen umgegangen werden muss.

Lösung Datentrennung

Die BIZ schlug in ihrem ökonomischen Jahresbericht vor, dass die Kontrolle über den Zahlungsverkehr einer CBDC-Lösung von den daraus resultierenden Daten getrennt ­werden soll. Die Entscheidung, mit wem die Daten geteilt werden dürfen, soll den Nutzern obliegen. Eine solche Umsetzung würde den Strafverfolgungsbehörden weiterhin die Möglichkeit geben, bei verdächtigen Aktivitäten auf die Daten zuzugreifen – für ausländische Regierungsbehörden oder private Zahlungspartner würde der Zugriff jedoch verunmöglicht. Damit dies funktioniert, muss das CBDC-Konto mit einer digitalen Identität korrespondieren, die eindeutig mit einer Person verknüpft und auf nationaler Ebene anerkannt ist. Es ist für das entstehende Finanz­system daher von entscheidender Bedeutung, dass diese digitale Identität mit Technologien erstellt wird, welche die Privatsphäre schützen.

In einem Idealszenario werden sich Regierungen bemühen, den Schutz der Privatsphäre im eigenen Land und bei den Plattformen für grenzüberschreitende Zahlungen zu gewährleisten – damit schützt sich ein Land auch vor ausländischer Überwachung seiner Finanztransaktionen. Der Schutz der Privatsphäre ist in diesem Sinne nicht nur als Menschenrecht, sondern auch als grundlegende Bedingung für die institutionelle Integrität und Souveränität der Nationalstaaten zu betrachten. Was passiert jedoch, wenn den Regierungen die Einigung auf einen griffigen Datenschutz nicht gelingt? Dann bleibt wohl nur noch die Flucht in eine nichtstaatliche Währungswelt. Obwohl Kryptowährungstransaktionen auf öffentlichen Blockchains heute nur teilweise Privatsphäre bieten, machen die Verschlüsselungstechnologien rasche Fortschritte. Privates, nichtstaatlich herausgegebenes Digitalgeld könnte künftig zur einzigen verbleibenden Verteidigung gegen eine neue Weltordnung der Überwachung und Kontrolle werden. Wenn die Zentralbanken nicht bereit sind, die Privatsphäre digitaler Zahlungen zu schützen, könnten sie sich in einem globalen Finanzsystem wiederfinden, das keinen Platz mehr für sie kennt.

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