Die Post im Würgegriff des Service Public
Von links bis rechts wird der Liberalisierung die Luft abgedrückt
Landauf, landab ertönt der Ruf nach Aufbruch zu neuen Ufern, genährt von einem Wahlschock, der Konsequenzen verhiess. Endlich Wachstum durch mehr Wettbewerb, Reduktion des rekordhohen Preisniveaus und Begrenzung der Staatsquote – so heisst das Rezept, das nicht nur von Ökonomen, Wirtschaftsführern und bürgerlichen Politikern gefordert, sondern selektiv auch von der Linken mitgetragen wird. Ausgenommen wird freilich von dieser Seite der Service Public, und hinter diesem Schutzwall verschanzen sich alsbald alle Interessengruppen von links bis rechts, die staatliche Subventionen und Pfründe zu verteidigen haben. Man wird die grossen Worte deshalb weiterhin an den alltäglichen Taten zu messen haben.
Ein Testfall ist vom Bundesrat noch vor dem grossen Showdown präsentiert worden. Er hat mit dem revidierten Postgesetz die neue Postverordnung auf Anfang Jahr in Kraft gesetzt. Darin werden die Vorgaben zur Führung eines flächendeckenden Poststellennetzes formuliert. Die privaten Anbieter werden einer Konzessionspflicht unterstellt, und für den Fall, dass die staatliche Post den Universaldienst nicht mehr selbst finanzieren kann, wird die Erhebung einer Konzessionsgebühr in Aussicht genommen. Zwar kann die Post ihr Poststellennetz straffen, aber die Gemeinden müssen angehört werden, und bei Uneinigkeit kommt eine unabhängige Kommission zum Zug. Schliesslich soll eine Regulatorbehörde in der Bundesverwaltung geschaffen werden.
Es gibt zweifellos politische Gründe dafür, dass man die unvermeidliche Liberalisierung derart verbremst. Man will ja der Volksinitiative, die den defizitären status quo zementieren will, nicht unnötig Auftrieb verschaffen. Auch muss man selbstverständlich für einen erträglichen Übergang zu einer neuen Ordnung sorgen. Aber muss man deswegen der – sozialdemokratischen – Führung der Post, die das Unheil kommen sieht und die ihre Strukturen den ökonomischen Gegebenheiten anzupassen bereit ist, mit zusätzlichen bürokratischen Vorgaben und regulierenden Gremien in den Arm fallen? Und muss man den wettbewerbsbereiten, privaten Anbietern jeden Anreiz vermiesen, indem man ihnen vorsorglich androht, die Zeche für ein wirtschaftliches Scheitern des öffentlichen Dienstes bezahlen zu müssen?
Niemand hat bisher geklärt, worin die Grundversorgung mit Postdienstleistungen – nicht mit Poststellen – bestehen soll, wie sie in einem teilliberalisierten System mit klaren Leistungsaufträgen gewährleistet werden kann, welche Infrastrukturen nötig sind, um sie effizient zu erbringen, und wie allenfalls nicht marktfähige Teile des Versorgungsauftrags zu finanzieren sind. Solange man dem Ganzen die Weihe des Service Public verleiht, kann diese Evaluation auch nicht sauber durchgeführt werden. Man soll dem Markt überlassen, was dieser leisten kann. Auch die staatliche Post ist in der Lage, ihre kommerziellen Dienstleistungen unter Wettbewerbsbedingungen rentabel zu erbringen, wenn man ihr den unternehmerischen Spielraum lässt. Die Politik soll sich nur um jenes Segment kümmern, das unter Versorgungsgesichtspunkten zusätzlich als nötig betrachtet wird und das nicht rentabel betrieben werden kann, und zwar auf der strategischen, nicht der operativen Ebene. Dafür wäre indessen jene Transparenz nötig, die so oft beschworen, im Service Public aber so gerne vernebelt wird.
Nicht nur im Bereich der Post ist der Service Public unzureichend definiert. In der ganzen Dienstleistungsgesellschaft geistert die Vorstellung herum, dass der Staat eine gerechte, das heisst gleichmässige Versorgung gewährleisten soll. Neuestens geraten auch die Medien in diesen Sog. Wer für den Markt plädiert, wird mit dem Vorwurf konfrontiert, er leiste einer «Zweiklassengesellschaft» Vorschub. Niemand fragt sich dabei, aus welchem Arsenal denn die «Einklassengesellschaft» stammt. Und wie man damit Wachstum produziert.
Ulrich Pfister, geb. 1941, ist Publizist in Zürich.