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Die politischen Narben der Pandemie
Kundgebung in Altdorf, zvg.

Die politischen Narben der Pandemie

Wenn eine Regierung versagt, dann entzieht ihr eine junge Generation langfristig das Vertrauen.

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Skepsis gegenüber der Kompetenz und den Absichten von Regierungen und öffentlichen Amtsträgern ist nichts Neues. «I’m from the government and I’m here to help»: Für den ehema­ligen US-Präsidenten Ronald Reagan sind das die neun furcht­erregendsten Worte der englischen Sprache. Es ist jedoch auffällig, wie sehr das Misstrauen gegenüber der Regierung in den letzten Jahren zugenommen hat: Weltweit protestieren Menschen gegen die Pandemieverordnungen, im Netz grassieren Verschwörungstheorien. Der Staat scheint sich in einer Existenzkrise zu befinden. Die gegenwärtige Pandemie könnte diesen Trend sogar noch verstärken.

Die «beeinflussbaren Jahre»

Unsere eigene Forschung untermauert diesen Eindruck.1 Anhand von Daten aus den Gallup-Studien zwischen 2006 und 2018 können wir das Vertrauensniveau auswerten, das Individuen aus fast 140 Ländern ihren politischen Institutionen und Führungspersönlichkeiten entgegenbringen. Die individuellen Antworten verknüpfen wir im Anschluss mit den zeitlichen Ausbrüchen von Epidemien seit 1970. Wir wollen so herausfinden, wie sich Krankheitsausbrüche in den Vertrauenszahlen bemerkbar machen.

Cevat Giray Aksoy

Dabei offenbart sich besonders ein signifikanter Zusammenhang: Wir erkennen, dass die Erfahrung einer Epidemie im Alter zwischen 18 und 25 Jahren, also in der von Psychologen gerne als «beeinflussbare Jahre» bezeichneten Phase des Lebens, das Vertrauen in politische Institutionen dauerhaft reduziert – noch bis zu zwei Jahrzehnten nach der Epidemie erkennen wir einen Vertrauenseinbruch. Sozial- und Naturwissenschafter erklären sich das Phänomen so: Einstellungen und Verhalten werden erst in der späten Adoleszenz und im frühen Erwachsenenalter dauerhaft geformt, weil die Kinder dann ihr Nest verlassen und sowohl ihr Selbstverständnis als auch ihre Identität ausbilden. Es ist in dieser Lebensphase, in der Neurologen neurochemische und anato­mische Veränderungen im Gehirn feststellen, die ihrerseits mit einer dauerhaften Einstellungsbildung verbunden sein können.

Solche dauerhaften Einstellungsänderungen sucht man bei Personen, die zum Ausbruch der Epidemie jünger als 18 oder älter als 25 waren, vergeblich. Ganz anders bei den Personen in den «beeinflussbaren Jahren»: Sie haben nicht nur weniger Vertrauen in Regierungen, sondern nehmen auch seltener an Wahlen teil – viel eher tun sie ihre Meinung in Form von Demonstrationen kund.

Besonders ausgiebig und anhaltend ist dieser Effekt für Individuen, die zum Zeitpunkt der Epidemie in Ländern mit «schwachen» Regierungen leben. Damit gemeint sind Staaten, die nur eine begrenzte legislative Stärke, Einheit und Unterstützung in der Bevölkerung haben. Berücksichtigt wird dieser Effekt in unserer Studie durch Daten des International Country Risk Guide (ICRG), der jedem Land eine Regierungsstärkebewertung von 0 bis 12 zuweist – je höher die Punktzahl, desto stärker die Regierung. Wieso die Regierungsstärke so entscheidend ist, wird deutlich, wenn man sich an die frühen Tage der Coronapandemie zurückerinnert.

In vielen Aspekten sind sich Südkorea, Frankreich und das Vereinigte Königreich sehr ähnlich: Sie sind vergleichbar in bezug auf das Pro-Kopf-BIP, haben eine ähnliche Verstädterung und ­haben ein Medianalter von ungefähr 41 Jahren; Voraussetzungen, die von grosser Bedeutung sind, wenn man die Auswirkungen ­einer Epidemie auf ein Land vorhersagen müsste. Worin sich die drei Länder allerdings unterscheiden, ist die Stärke ihrer Regierung: Das ICRG-Score beträgt 8,25 für Südkorea, 7,5 für Frankreich und 6 für Grossbritannien. Und tatsächlich: Als der erste Covidfall Südkorea im Januar 2020 traf, wurden innerhalb von 11 Tagen erste nationale Massnahmen zur Eindämmung der Epidemie ausgerufen. In Frankreich dauerte es 36 Tage, die britische Regierung liess sogar 45 Tage verstreichen. Diese langsamen ­Reaktionen waren im Anschluss in beiden Ländern mit einem ­rasanten Anstieg der bestätigten Fälle und Todesfälle verbunden. Hätten die verantwortlichen Regierungen schneller reagiert, hätte die Katastrophe verhindert werden können, und das Vertrauen in die Regierung wäre erhalten geblieben.

Offensichtlich sind Regierungen, denen es an Einigkeit und gesetzgeberischer Kapazität mangelt, weniger in der Lage, effektiv auf einen nationalen Gesundheitsnotfall zu reagieren. Langfristig führt das zu einem stärkeren Rückgang des politischen Vertrauens ihrer Bürger. Zu spüren bekommen das auch die Gesundheitsbehörden – auch sie müssen in Pandemiezeiten eine Vertrauenseinbusse hinnehmen. Interessanterweise finden wir bei anderen Institutionen des öffentlichen Sektors, wie zum Beispiel bei der Polizei oder beim Militär, keinen solchen Rückgang.

Wissenschafter betroffen

Wie sieht es mit der Wissenschaft aus? Gibt es auch für sie Belege eines Vertrauenszusammenbruchs als Folge einer Epidemie? Anhand einer Umfrage des Wellcome Trust aus dem Jahr 2018 mit rund 75 000 Befragten aus 138 Ländern wollen wir es heraus­finden.

Hier ist die Geschichte ein wenig komplizierter: Während die Erfahrung einer Epidemie keinen Einfluss auf die Meinung gegenüber dem abstrakten Begriff der «Wissenschaft» hat, ist sie negativ mit dem Vertrauen in Wissenschafter, insbesondere mit der Einschätzung ihrer Integrität und Vertrauenswürdigkeit, verbunden. Dies gilt insbesondere für die Meinung gegenüber Forschern, die für private Unternehmen arbeiten. Auch hier zeigt sich dieser Effekt nur bei denjenigen, die sich zum Zeitpunkt des Ausbruchs einer Epidemie in ihren «beeinflussbaren Jahren» befinden. Erneut schlägt sich die Veränderung der Einstellung in einer Anpassung des tatsächlichen Verhaltens nieder: Personen, die während der Epidemie das Vertrauen gegenüber den Wissenschaftern verlieren, lassen später ihre Kinder deutlich seltener gegen Kinderkrankheiten impfen.

Barry Eichengreen

Die unterschiedliche Beurteilung der «Wissenschaft» und der ausführenden Wissenschafter durch die Bürger deutet darauf hin, dass das Problem eine Frage der wissenschaftlichen Kommuni­kation und des Images ist. Wissenschafter sollen die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass ihre Schlussfolgerungen nicht auf persönlichen Überzeugungen, sondern auf Daten und Analysen beruhen. Wissenschafter, die für private Unternehmen arbeiten, sollen zeigen, dass ihre Arbeit nicht durch Unternehmensinteressen verzerrt werden. Forscher müssen erklären, dass Meinungsverschiedenheiten zum wissenschaftlichen Untersuchungs­prozess dazugehören und kein Zeichen von Inkompetenz sind. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es in Zeiten der Corona­pandemie besonders wichtig ist, eine Kommunikationsstrategie auf die «Generation Z» masszuschneidern, die sich gerade in ihren «beeinflussbaren Jahren» befindet.

Letztlich entscheidet die Kommunikation, ob ein Bürger seiner Regierung vertraut: Kann eine Regierung die Bevölkerung ­davon überzeugen, dass die beschlossenen Massnahmen dem allgemeinen Wohlbefinden dienen und auch tatsächlich die gewünschte Wirkung erzielen? Wenn ja, werden die Bürger ihren guten Glauben dem Staat gegenüber bewahren. Durch klare Botschaften kann eine Regierung die Erwartungen der Öffentlichkeit steuern.

Vorbereitungen für die nächsten Herausforderungen

Man sollte sich nicht wundern, wenn das Vertrauen in die Regierungen in vielen Ländern in den kommenden Jahren sinkt; es wäre lediglich eine Wiederholung von dem Effekt, den wir schon in früheren Epidemien gesehen haben. Die unterschiedlichen Reaktionen im Frühjahr 2020 werden sicherlich eine grosse Rolle spielen: Regierungen wie Südkorea, die mit ihrem raschen Handeln innerhalb weniger Tage überzeugten, könnten die Pandemie aus der Vertrauensperspektive sogar unbeschadet überstehen.

Orkun Saka

Vermutlich werden auch die Impfkampagnen, die derzeit weltweit ausgerollt werden, zu Unterschieden im Vertrauens­niveau führen: Je langsamer die Impfungen in einem Land durch­geführt werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Bürger ihr Vertrauen in die Regierung herabstufen. Dies könnte insbesondere die Länder Mitteleuropas betreffen, da sie im Vergleich zu Staaten wie den USA oder Israel nur sehr langsam impfen. Interessanterweise scheint die Europäische Union, die immerhin die europäische Impfkampagne koordiniert, kaum Befürchtungen ­haben zu müssen: Eine andere Studie findet nämlich keine Hinweise darauf, dass das Vertrauen in internationale Institutionen durch Covid-19 beeinflusst wird.2 Die Bürger scheinen sowohl ­Erfolg als auch Misserfolg politischer Massnahmen ihrer eigenen Regierung zuzuschreiben.

Noch ist nicht alles verloren: Regierungen können die Schlussphase der aktuellen Pandemie immer noch nutzen, um die Effizienz ihrer Massnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu demonstrieren. Wissenschafter können immer noch Schritte unternehmen, um die Integrität ihres Handelns und ihrer Ratschläge zu kommunizieren. Die Alternative ist, dass das ohnehin schon fragile gesellschaftliche Vertrauen noch brüchiger wird. Es wären keine guten Aussichten für die Bewältigung der nächsten Herausforderung, bei der die Lösungsansätze der Politik und der Wissenschaft gefragt sind – sei es eine weitere Epidemie oder ein vom Menschen verursachter Ausnahmezustand wie der Klimawandel.

  1. Cevat Giray Aksoy, Barry Eichengreen & Orkun Saka: The Political Scar of ­Epidemics. NBER Working Paper, 2020.

  2. Cevat Giray Aksoy, Antonio Cabrales, Mathias Dolls, Ruben Durante & Lisa Windsteiger: What Makes People Nice: Common Identity, A Common Interest, A Large Shock? Working Paper, 2021.

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