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«Die Politik richtet mehr  Schaden an als Unternehmen»
Thomas Minder, fotografiert von Lukas Leuzinger.

«Die Politik richtet mehr
Schaden an als Unternehmen»

Die Aktionäre von Grosskonzernen nehmen ihre Verantwortung nicht wahr, sagt Thomas Minder, Unternehmer und Vater der Abzockerinitiative. Die Patrons der KMU wirtschaften dagegen nachhaltig.

 

Thomas Minder, wer bestimmt Ihren Lohn als Unternehmer?

Ich selber.

Wie hoch ist er?

Ein guter Unternehmer schaut immer zuerst auf die Firma und behält das Geld dort. Grundsätzlich zahle ich mir keinen Lohn aus, auch aus steuerlichen Gründen. Als Unternehmer bezahlt man Steuern auf den Gewinn, auf den Lohn und auf das Vermögen – man wird also dreimal besteuert.

Aber Dividenden zahlen Sie sich aus?

Ja, wenn das Geschäft gut läuft. In schwierigen Zeiten habe ich dem Unternehmen auch schon Darlehen gegeben. Was ich nicht verstehe ist, wenn bei Firmen wie dem Schuhhersteller On die Gründer bereits zweistellige Millionengehälter beziehen, obwohl das Unternehmen noch nicht lange operativ tätig ist und rote Zahlen schreibt. Das hat nichts mehr mit Unternehmertum zu tun.

Wo liegt denn die gesunde Balance zwischen unternehmerischer Leistung und persönlichem Profit?

Ein Unternehmer muss immer zuerst darauf schauen, dass es der Firma gut geht. Danach schaut er auf die Mitarbeiter, gibt ihnen vielleicht eine Gratifikation oder einen 13. Monatslohn – erst wenn dann noch etwas übrigbleibt, zahlt er sich einen Lohn oder eine Dividende. Das ist nachhaltig.

Haben Sie als Unternehmer auch eine Verantwortung über das Unternehmen hinaus?

Natürlich. Ich gewichte Ökonomie und Ökologie etwa gleich stark, und im Zweifelsfall gebe ich eher der Ökologie den Vorrang. Nachhaltigkeit ist nicht nur für ein Unternehmen wichtig. Was wir heute entscheiden, muss nicht nur morgen oder übermorgen, sondern auch in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten Bestand haben.

 «Corporate Social Responsibility» ist zum Zauberwort in der Unternehmenswelt geworden. Konzerne setzen sich ambitionierte Nachhaltigkeits- und Klimaziele. Ist das Ausdruck eines neuen Verantwortungsbewusstseins oder der Versuch, sich vor der Verantwortung zu drücken?

Ich stehe voll hinter «Corporate Social Responsibility». Allerdings hängen sich viele Grossunternehmen, die international tätig sind, einfach ein soziales, nachhaltiges Mäntelchen um, um gegen aussen gut dazustehen. Der klassische Patron eines KMU schaut zu seiner Firma, zu seinen Mitarbeitern, zur Gemeinde, in der er tätig ist, spendet vielleicht etwas an den Vogelschutzverein oder gibt einer Schülerin aus der Gemeinde einen Ferienjob, auch wenn es gerade nicht viel Arbeit gibt. Er nimmt seine Verantwortung wahr. Bei den Grossen geht es meist nur darum, dass der Geschäftsbericht gut aussieht und auf Recyclingpapier gedruckt ist.

«Was ich nicht ­verstehe ist,

wenn bei Firmen wie dem Schuhhersteller On

die Gründer ­bereits zweistellige Millionen­gehälter beziehen,

obwohl das Unternehmen rote Zahlen schreibt.»

Können Unternehmen die Welt retten?

Gute Frage. Sie müssten es. Grosse Unternehmen wie Nestlé haben natürlich ganz andere Möglichkeiten und müssen ihre Verantwortung auch nachhaltiger und sozialer wahrnehmen, statt Raubbau an der Natur zu betreiben. Ich denke aber, dass die Politik mehr Schaden am Planeten anrichtet als Unternehmen.

Inwiefern?

Nehmen wir das Freihandelsabkommen mit Indonesien. Obwohl wir Sonnenblumenöl und Rapsöl vor unserer Haustür haben, verschiffen wir Palmöl von Indonesien nach Europa – bloss weil es billiger hergestellt werden kann. Das ist absolut idiotisch und eine falsche Form von Globalisierung. Beim Abkommen mit den Mercosur-Staaten, das als nächstes ansteht, stehen wir vor ähnlichen Fragen. Es ist Unsinn, billiges Fleisch aus Uruguay und Paraguay gekühlt mit dem Schiff oder Flugzeug in die Schweiz zu importieren.

«Obwohl wir Sonnenblumenöl und Rapsöl vor unserer Haustür haben, verschiffen wir Palmöl von Indonesien nach Europa», kritisiert Thomas Minder.
Bild: Laurent Gilliéron/Keystone.

Aber ist es nicht legitim, wenn die Konsumenten Palmöl aus ­Indonesien oder Rindfleisch aus Uruguay kaufen möchten?

Es ist legitim, aber blöd. Genauso blöd ist es, im Februar Erdbeeren aus Israel zu kaufen. Da muss der Konsument endlich auf die Saisonalität achten und halt ein paar Monate warten. Es ist unsinnig, Dinge, die wir selber produzieren können, von der anderen Ecke des Planeten einzufliegen – und im gleichen Atemzug zu sagen, wir müssten die CO2-Emissionen reduzieren.

Sollte die Schweiz im internationalen Austausch mehr Wert ­legen auf Ökologie, Menschenrechte oder Versorgungs­sicherheit statt nur auf ökonomische Vorteile? Zum Beispiel im Handel mit China?

Ich stand dem Freihandelsabkommen mit China von Anfang an kritisch gegenüber. Nicht dass ich etwas gegen China hätte, aber Freihandelsabkommen müssen auf Augenhöhe abgeschlossen werden. China ist weltweit führend in der Produktpiraterie. Gerade ein Land wie die Schweiz, das kaum Rohstoffe hat, muss doch das geistige Eigentum verteidigen. Auch bei Firmenkäufen sind die Spiesse nicht gleich lang: Eine Schweizer Firma kann eine chinesische nicht voll übernehmen, die Chinesen hingegen dürfen ungehindert Syngenta und andere Firmen kaufen. Hier muss Reziprozität gewährleistet werden.

Stellen Sie ein Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber der Wirtschaft fest, oder ist das Verhältnis gesund?

Wenn Unternehmen nachhaltig und sozial verantwortungsvoll wirtschaften, ist das Vertrauen der Bevölkerung hoch. Bei den meisten KMU ist dies der Fall. Bei den grossen Unternehmen spüre ich das weniger.

Machen Sie es sich da nicht etwas einfach? Grossunternehmen beschäftigen rund einen Fünftel der Arbeitnehmer, investieren 70 Prozent der Ausgaben für Forschung und ­Entwicklung und liefern 40 Prozent der Unternehmenssteuern ab. Die von Ihnen gescholtenen Konzerne haben uns reich ­gemacht.

Mag sein, dass sie Arbeitsplätze schaffen, aber sie werfen die Mitarbeiter auch schnell wieder raus, wenn das Geschäft nicht mehr läuft. Gleichzeitig kassiert etwa bei der Credit Suisse das Topmanagement weiterhin überrissene Saläre, obwohl es Milliarden in den Sand gesetzt hat.

Den Anstoss zur Lancierung der Abzockerinitiative gab das Swissair-Grounding. Hat in diesem Fall die unternehmerische Verant­wortung nicht funktioniert?

Ja, das war ein klassischer Fall. Mario Corti sass im Verwaltungsrat und gab sich selber einen Fünfjahresvertrag als CEO – bei einem Unternehmen, das mehr als am Abgrund stand. Das grenzt an kriminelles Verhalten.

Wer soll Manager für Fehlleistungen zur Verantwortung ­ziehen? Die Aktionäre? Die Justiz? Die Politik?

Das können nur die Aktionäre. Aber sie machen es nicht.

«Viele Grossunternehmen,

die ­international tätig sind,

hängen sich einfach ein soziales,

nachhaltiges ­Mäntelchen um,

um gegen aussen gut dazustehen.»

Trotz Ihrer Initiative?

Die Initiative verfolgte einen liberalen Ansatz: Der Eigentümer soll entscheiden. Die Grosskonzerne sind heute aber meist in den Händen von Pensionskassen, Ausländern oder Vermögensverwaltern. Wenn diese überrissene Saläre durchwinken, verstehe ich das zwar nicht – aber es ist ihr Unternehmen. Vielleicht würde ich heute weitergehen.

Wie meinen Sie das?

Wenn der liberale Ansatz nicht funktioniert, muss man den Eigner bevormunden. Heute würde ich es Unternehmen wahrscheinlich verbieten, hohe Gehälter zu bezahlen, wenn sie gleichzeitig Verlust machen. Oder die Manager mit ihrem Privatvermögen haften lassen.

Würde es nicht den Innovationsgeist abwürgen, wenn man sich bei jeder Investition dreimal überlegen müsste, ob sie auch ­sicher nicht schiefgeht?

Heute ist es einfach so, dass Manager zuerst an ihr eigenes Portemonnaie denken und erst danach an das Unternehmen. Das führt zu falschen Entscheiden.

Welche Verantwortung hat die Politik für die Wirtschaft?

Ich würde mir wünschen, dass die Wirtschaft nicht ständig nach dem Staat ruft. Gerade erst haben die zuständigen Kommissionen des Parlaments einen Rettungsschirm für Energieunternehmen befürwortet. Dass solche Firmen beim Staat um Hilfe bitten, weil sie vielleicht ihre Handelsgeschäfte an einer Strombörse nicht absichern können, ist doch absurd. Das ist eine völlig falsche Entwicklung. In der Coronakrise war es extrem, als vom Kulturschaffenden bis zum Kebabstand alle beim Staat anklopften. Die Entwicklung begann aber schon lange vor der Pandemie.

Es wäre die Verantwortung der Politik, hier ordnungspolitisch Mass zu halten.

Richtig. Aber dann müssen wir andere Leute ins Parlament wählen. Es ist unglaublich, wie sich der Zentralismus und Etatismus im Bundeshaus ausbreitet. Das tut mir als föderalistischem Politiker und bürgerlichem Unternehmer weh.

Würde es helfen, wenn mehr Unternehmer im Parlament sässen?

Absolut. Ein Unternehmer weiss, dass das Geld zuerst verdient werden muss, bevor man es ausgeben kann.

Ist der klassische Patron am Aussterben?

Das glaube ich nicht. Aber die Schweiz muss den KMU, die das Rückgrat der Volkswirtschaft sind, Sorge tragen.

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