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Die Politik muss sich bei der AHV selber Zügel anlegen
Illustration von Niels Blaesi.

Die Politik muss sich bei der AHV selber Zügel anlegen

Dass es bei der Altersvorsorge seit Jahren mit Reformen harzt, ist kein Zufall, sondern liegt an den politischen Anreizstrukturen. Höchste Zeit für eine Schuldenbremse in der AHV.

Die Ausgaben des Bundes steigen seit Jahren kontinuierlich an, wobei die Sozialausgaben eine zentrale Rolle spielen. Wie die Abbildung zeigt, sind die Ausgaben für den sozialen Bereich seit 1990 um durchschnittlich 3,4 Prozent pro Jahr angestiegen – und haben sich damit in den letzten 30 Jahren mehr als verdreifacht. Zum Vergleich: Die Verkehrsausgaben wuchsen jährlich um 1,7 Prozent, die Bildungsausgaben um 2,7 Prozent, während die Ausgaben für Armee und öffentliche Ordnung mit unter 0,5 Prozent deutlich hinterherhinken.

Über 50 Prozent der Sozialausgaben entfallen auf die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV). Der Bund trägt derzeit 20,2 Prozent der AHV-Kosten. Mit den steigenden AHV-Ausgaben wachsen die Bundesbeiträge proportional. Im laufenden Jahr beläuft sich der Bundeszuschuss auf 11,4 Milliarden Franken.

Die anhaltend steigenden Ausgaben für die Altersvorsorge generell und die damit verbundenen steigenden Bundesbeiträge sind seit Jahrzehnten Gegenstand politischer Debatten. Trotz des langjährig unbestrittenen Handlungs­bedarfs bei der AHV wurde erst mit der AHV-21-Reform nach 27 Jahren ein Schritt in Richtung einer tragfähigeren Finanzierung unternommen. Doch selbst diese Reform wurde durch die Annahme der 13. AHV-Rente, die erneut höhere Kosten verursacht, teilweise untergraben. Bereits für 2026 erwartet der Bund ein negatives Umlageergebnis. Das heisst, mit der ersten Auszahlung der 13. AHV-Rente werden die Ausgaben der AHV voraussichtlich die Einnahmen übersteigen.

Warum trotz finanzieller Schieflage nicht ausreichend auf die Finanzierungsprobleme reagiert wird, lässt sich durch verschiedene Ansätze aus der politökonomischen Literatur erklären.

Neigung zu Kurzsichtigkeit und Verschuldung

Grundsätzlich gilt: Politiker verfolgen eigene Interessen. Sie versuchen, ihre Wiederwahlchancen zu erhöhen. Damit lässt sich erklären, weshalb die Ausgaben stetig steigen und es politisch schwerfällt, die finanzielle Schieflage zu beheben.

In einem öffentlichen Budget besteht eine Asymmetrie zwischen Einnahmen und Ausgaben. Die Kosten bestimmter Ausgaben werden nicht nur von den betroffenen Individuen getragen, sondern teilweise auch auf die Gemeinschaft abgewälzt. Wenn nun eine Entscheidung per Mehrheitsentscheid gefällt wird, droht eine Übernutzung der öffentlichen Ressourcen. Dies lässt sich am Beispiel der 13. AHV-Rente illus­trieren. Für die Rentnerinnen und Rentner ist die 13. AHV-Rente ziemlich günstig, da der grösste Teil der Kosten von der Allgemeinheit getragen werden muss.

Um die grössten Wiederwahlchancen zu haben, müssen sich die Politiker an den Präferenzen des Medianwählers orientieren. Und dieser wird zunehmend älter. Aktuell liegt das Medianwähleralter bei 57 Jahren. Mit steigendem Medianwähleralter sinkt der Anreiz, Altersreformen durchzusetzen.

«Um die grössten Wiederwahlchancen zu haben, müssen sich die

Politiker an den Präferenzen des Medianwählers orientieren. Und dieser wird zunehmend älter.»

Ein weiterer zentraler Mechanismus, der erklärt, weshalb es nicht zu einer Konsolidierung kommt, ist die sogenannte Zeitinkonsistenz der Politik. Aufgrund des starken Anreizes zur Wiederwahl ist es heute attraktiv, eine nachhaltige Finanzierung der Altersvorsorge zu versprechen. Dies weckt positive Erwartungen auf die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung. Sobald jedoch die tatsächlichen Kosten für die Konsolidierung anfallen, ist es für die Politiker nicht mehr optimal, dieses Versprechen einzuhalten. Denn ihre Wählerbasis wäre mit höheren Kosten konfrontiert. Deshalb weichen die langfristigen Versprechen zur finanziellen Tragfähigkeit rasch den kurzfristigen Interessen, keine aktuellen Einbussen in Kauf nehmen zu müssen. Dies gilt umso mehr, als dass die Konsequenzen ausbleibender Reformen insbesondere zukünftige Generationen betreffen, die noch ungeboren oder nicht stimmberechtigt sind und entsprechend nicht mit am Verhandlungstisch sitzen können.

Um das Problem der AHV-Finanzierung langfristig lösen zu können, bedarf es daher einer glaubhaften Selbstbindung. Ähnlich wie Odysseus, der sich an den Schiffsmast binden liess, um den verführerischen Gesängen der Sirenen zu widerstehen, muss sich auch die Politik selbst zügeln, um langfristig tragfähige und generationenübergreifend ausgewogene Lösungen zu gewährleisten. Ein Vorschlag, wie diese Selbstbindung in der Altersvorsorge umgesetzt werden könnte, wurde bereits vor über zehn Jahren von den Ökonomen Feld, Schaltegger und Weder vorgelegt.1 Sie plädierten für eine AHV-Schuldenbremse. Diese könnte die Übernutzung der Allmende eindämmen und das Problem der Zeitinkonsistenz überwinden, um die finanzielle Tragfähigkeit der AHV zu sichern. Diese Idee ist mit Blick auf die drohende finanzielle Lage unserer AHV aktueller denn je.

AHV-Schuldenbremse als glaubhafte Selbstbindung

Die Grundidee einer solchen AHV-Schuldenbremse besteht darin, die nachhaltige Finanzierung der AHV durch einen Steuerungsmechanismus sicherzustellen. Die Struktur dieses Modells lehnt sich stark an die Schuldenbremse des Bundeshaushalts an, die 2001 mit einem deutlichen Volks-Ja in unserer Verfassung verankert wurde.

Konkret wäre die AHV-Schuldenbremse so ausgestaltet, dass ein Mechanismus in Kraft tritt, sobald ein festgelegter Schwellenwert mit Blick auf die finanzielle Stabilität überschritten wird. Dieser Mechanismus kommt in einer ersten Phase zum Einsatz, wenn der AHV-Fonds unter 70 Prozent der jährlichen Ausgaben fällt oder das Umlageergebnis der AHV negativ wird. Wird eine dieser Schwellen überschritten, erhält der Bundesrat den gesetzlichen Auftrag, dem Parlament innerhalb eines Jahres einen Vorschlag zur Sanierung zu unterbreiten. Falls die Liquidität im AHV-Fonds weiter bedrohlich absinkt, käme es in einer möglichen zweiten Phase zu einer automatischen Anpassung. Elementar wäre dabei die Ausgewogenheit der Lastenverteilung. So müssten die Anpassungen jeweils ausgaben- und einnahmenseitig erfolgen. ­Ausserdem wären Massnahmen denkbar, welche die unterschiedlichen Anspruchsgruppen betreffen. Bei der Konsolidierung durch eine Kombination aus Mehrwertsteuer­erhöhung und höherem Rentenalter würden nicht nur die ­Erwerbstätigen einbezogen, sondern alle Bürger, und die Erhöhung des Rentenalters würde die höhere Lebenserwartung berücksichtigen.

Es ist höchste Zeit für einen regelgebundenen Mechanismus, der Selbstbindung erzwingt. Nur so lässt sich die Reformblockade überwinden.

  1. Lars P. Feld, Christoph A. Schaltegger und Martin Weder: Steuerungsmechanismen in der AHV. Beiträge zur sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 7/12, 2012.

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