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Die Player im Drohnengeschäft

Für die grossen Militärmächte sind Kampfdrohnen ein fester Bestandteil der eigenen Strategie. Doch auch Akteure wie die Türkei lassen von der Luft aus die Muskeln spielen.

Die Player im Drohnengeschäft
Niklas Masuhr und Dominika Kunertova, zvg,

 

Im 2. Karabachkrieg im Oktober und November 2020 eroberte Aserbaidschan nahezu die gesamte armenische Exklave Berg­karabach. Der Konflikt fand in der internationalen Berichterstattung vor allem aufgrund eines Merkmals Beachtung: des flächendeckenden Einsatzes bewaffneter Drohnen türkischer Produktion, die aus der Luft die unvorbereiteten Armenier dezimierten und demoralisierten.

Die Türkei ist nicht der einzige Newcomer im Club der Nutzer bewaffneter Drohnen: Auch Staaten wie China, Russland und eine Reihe europäischer Staaten verfügen über steigende Potenziale unbemannter, häufig bewaffneter Drohnensysteme. Ein Nebeneffekt dieser Proliferation ist ein Anstieg ihrer Exporte: Während die USA bisher lediglich Verbündete belieferten, fanden chinesische, iranische und türkische Drohnen ihren Weg in Konfliktgebiete. Der Krieg um Karabach im Winter 2020 verdeutlicht diesen Trend und zeigt – über militärplanerische Gedankenspiele hinaus – ­konkret, wie Exporte von Drohnensystemen und ihre Einsatzmethoden regionale Machtbalancen beeinflussen können und wie unbemannte Plattformen in offenen Kriegen eingesetzt werden.

Amerikanische Neuausrichtung

Die türkische Armee, die den aserbaidschanischen Einsatz mutmasslich nicht nur materiell unterfütterte, sondern auch operativ plante und leitete, setzte auch in Syriens Idlib-Provinz und in ­Libyen auf Kampfdrohnen, bereitgestellt von der wachsenden türkischen Rüstungsindustrie. Das Herzstück dieser Fähigkeit, die Bayraktar TB2, hat sich seitdem zu einem Exportschlager ent­wickelt – Ankara stellte hierbei sicher, dass Entwicklung und Produktion der Drohne möglichst autonom ablaufen können. Unter den Kunden der TB2 sind die Ukraine und Polen, deren Bedrohungswahrnehmung klar nach Osten gerichtet ist – auch wenn türkische Drohneneinsätze der jüngeren Vergangenheit offenbarten, dass der kompetente Einsatz moderner russischer Luftabwehrplattformen und Systeme elektronischer Kriegsführung insbesondere den TB2-Drohnen das Leben äusserst schwer machten.

Dieser Ansatz, Drohnen als breiten Teil konventioneller Offensiven einzusetzen, ist in der Tat, historisch gesprochen, neu. Viel bekannter sind da die Aktionen der USA, die in der Vergangenheit bewaffnete Drohnen häufig in asymmetrischen Konflikten mit ­geringer Intensität einsetzten – sowohl zur Deckung von Boden­verbänden aus der Luft als auch zur gezielten Tötung mutmasslicher terroristischer Zielpersonen. Aufgrund von Drohnenschlägen vor allem in Afghanistan, Pakistan, im Irak und in Jemen haftet in der Öffentlichkeit insbesondere den US-Systemen MQ-1 Predator und MQ-9 Reaper oftmals der Ruf eines besonders unmoralischen Elements des amerikanischen Kriegs gegen den Terror an.

Über diese Systeme hinaus erweitern die USA ihre Flotte an beiden Enden des Fähigkeitsspektrums: Einerseits werden beispielsweise kleinere Drohnen für Gefechte in Städten eingeführt, andererseits entwickelt und baut man grosse Tarnkappendrohnen, um in geschützte Lufträume eindringen zu können. Diese Fähigkeiten sind als Antwort auf die Bedrohungslage hinsichtlich Russlands und Chinas zu verstehen: Auch die jüngsten türkischen Drohneneinsätze haben zwar ähnlichen Wert wie die Predator und Reaper gegen ungeschützte Verbände bewiesen, blieben gegenüber moderner Luftverteidigung allerdings verwundbar. Mit den neusten Drohnenentwicklungen peilen die USA also eine strategische Neupriorisierung an: weg von der Aufstands- und Terrorbekämpfung, hin zur Grossmächterivalität.

Das russische Heer hat sich im Gegensatz zu seinen westlichen Kontrahenten nie von konzentrierter Artillerie verabschiedet, im Gegenteil: Flächenbeschuss wird als entscheidende Komponente im Einsatz angesehen. Drohnen erfüllen hier eine unterstützende, wenn auch kritische Funktion, nämlich jene der visuellen und elektronischen Zielaufklärung und -erfassung, von der dann klassische Artillerie und die Luftwaffe profitieren. Darüber hinaus werden auch durch Moskau Tarnkappendrohnen wie die Okhotnik entwickelt, die in hochintensiven Szenarien zum Einsatz kommen würde. Russland ist damit quasi direkt von Aufklärungs- zu Tarnkappendrohnen gesprungen. Präzisionsschläge auf Zielpersonen, wie sie die USA im Rahmen des Kriegs gegen den Terror durchgeführt haben, nahm das russische Militär bisher nicht in Gebrauch.

Vorreiter Israel

Die eigentlichen Pioniere der Entwicklung bewaffneter Drohnen sind die israelischen Streitkräfte, in denen sich zudem die älteste operative Drohneneinheit der Welt – aufgestellt bereits in 1971 – befindet. Für Israel dienen Drohnen vor allem flächendeckender Aufklärung und Überwachung seiner Grenzen, des Westjordanlands und des Gazastreifens. Die drei wesentlichen mittelgrossen israelischen Drohnen – Heron TP sowie Hermes 450 und 900 – wurden allerdings auch schon für Präzisionsschläge verwendet. Israel hat zudem eine Pionierrolle in zwei angrenzenden Feldern inne: einerseits bei der Abwehr von Drohnen, weil zunehmend iranische Drohnen, die an die libanesische Hisbollah sowie die Hamas geliefert werden, israelische Ziele auch fernab der Grenzgebiete bedrohen. Mit dem Drone-Dome-Radar, das auch kleine, tieffliegende Luftobjekte aufspüren soll, hat Israel bereits ein ­System entwickelt, welches auch von zivilen Sicherheitsbehörden erworben wurde. Andererseits treibt Israel die Entwicklung von Systemen voran, die im deutschsprachigen Raum häufig als «Kamikazedrohnen» bezeichnet werden. Diese mit Sprengköpfen ausgestatteten Systeme werden programmiert, um in einem Zielgebiet zu kreisen und sich dann autonom auf vordefinierte feindliche Ziele zu stürzen. Aserbaidschan setzte im Karabachkrieg ­israelische Harop-Kamikazedrohnen sehr effektiv gegen arme­nische Luftverteidigungssysteme ein – diese Systeme waren ­vielleicht gar wichtiger für den Sieg Bakus als die türkischen Drohnen, deren Effektivität die Harop überhaupt erst ermöglichte.

Auch europäische Streit- und Sicherheitskräfte importieren insbesondere unbewaffnete Drohnen aus Israel. Staaten wie die Schweiz, Deutschland, Griechenland und auch die Grenzwachtbehörde der EU, Frontex, verwenden (oder planen die Verwendung) israelischer Drohnen zur Aufklärung und Zielüberwachung. Italien setzt auf das US-System Predator und hat dieses bereits über dem Mittelmeer und in Aufklärungsmissionen gegen den ­Islamischen Staat (IS) verwendet. Die Bewaffnung dieser Systeme, die technisch kein grosses Problem darstellen würde, ist jedoch in vielen westeuropäischen Ländern teilweise stark umkämpft – insbesondere in Deutschland, wie die politischen Grabenkämpfe um die Bewaffnung geleaster Heron TP zeigen. Weniger Hemmungen haben, wenig überraschend, diesbezüglich die militärischen ­Vorreiter Westeuropas, Grossbritannien und Frankreich. Beide verwendeten Reaper-Drohnen bereits zur Bekämpfung von Zielen in Afghanistan, in der Sahelzone und im Kampf gegen den IS.

Exportschlager aus China

Ausserhalb dieser etablierten Drohnennutzerstaaten haben in den letzten fünf Jahren insbesondere zwei Akteure für Aufmerksamkeit gesorgt. Zum einen ist das der Iran: So hat man in Teheran Drohnen variierender technischer Ausgereiftheit an lokale Stellvertreterfraktionen, wie die Hisbollah im Libanon und die ­jemenitischen Houthi-Rebellen, geliefert. Der unbemannte Charakter dieser Systeme erlaubt es dem Iran zudem, zumindest ­offiziell seine Verwicklungen abzustreiten, wodurch er direkte ­Konfrontationen mit seinen Kontrahenten verhindert. Das wohl prominenteste Beispiel für den Einsatz von Drohnen aus mutmasslich iranischer Produktion war ein Angriff auf eine Saudi-Aramco-Raffinerie im September 2019, bei dem die Patriot-Luftabwehr umflogen wurde.

Der zweite Neuling auf dem Parkett ist China: Peking exportiert ebenfalls zunehmend Drohnentechnologie, hier allerdings über den «klassischen» Rüstungsmarkt. Insbesondere Golfstaaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate haben auf Peking zurückgegriffen, weil die USA lange Zeit zögerlich waren, Drohnentechnologie ausserhalb der Nato anzubieten. Chinesische Wing-Loong-II-Drohnen wurden auch im Rahmen des libyschen Bürgerkriegs durch die Fraktion General Khalifa Haftars eingesetzt – auf der Gegenseite verwendeten türkische Expeditionskräfte ebenfalls bewaffnete Drohnen, die auch in Syrien und Karabach zum Einsatz kamen. Auch aufgrund der niedrigen Exportschranken ist China zurzeit wohl der signifikanteste individuelle Treiber der Proliferation von bewaffneten Drohnensystemen. Da Peking ­zudem nicht Teil internationaler Kontrollregime ist und seine ­Exportzahlen nicht offenlegt, kann dieser Trend jedoch nicht quantifiziert werden. Daneben entwickelt China, ähnlich wie die USA und Russland, bewaffnete Tarnkappendrohnen für Konflikte mit hochgerüsteten Staaten. Operative Verwendung finden chinesische Drohnen zurzeit hingegen lediglich zur Überwachung des Innern und der Grenzen – wie die Verwendung unbemannter Systeme durch die Volksbefreiungsarmee im Konfliktfall aus­sehen würde, ist also noch weitestgehend unbekannt.

Für die unmittelbare Zukunft können zwei gegenläufige Trends erkannt werden: Auf der einen Seite scheinen Drohnen ein entscheidendes Element militärischer Operationen zu sein, sofern sich Streitkräfte nicht oder nur rudimentär gegen sie schützen können. Auf der anderen Seite sind Predator- und Reaper-analoge Systeme modernen Abwehrsystemen ebenso hilflos ausgesetzt, während glücklicherweise keine empirischen Daten für die Effektivität von Tarnkappendrohnen in Grossmächtekonflikten vorliegen. Bis es zu einem solchen Konflikt kommt, bleiben bewaffnete Drohnen vor allem eines: Schlüsseltechnologien in asymmetrischen Konflikten oder solchen niedriger Intensität. Entsprechend spielt der Schutz vor Drohnen für Streitkräfte eine grössere Rolle als die Aufstellung eigener offensiver unbemannter Fähigkeiten.

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Am Tag nach dem US-Drohnenangriff vom Sonntag, 29. August 2021, versammeln sich in Kabul Einwohner und ­Familienangehörige der Opfer neben dem beschädigten Fahrzeug. Bild: Bashir Darwish / UPI / laif.
Illusion eines Nullrisikos

Die US-Regierung versteht die Drohne als Wunderwaffe gegen den Terror. Doch ihre Attraktivität als vermeintlich risikoloses Instrument verleitet dazu, übermässig viele Einsätze zu fliegen. Das könnte kontraproduktiv sein.

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