Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos

Die Personenfreizügigkeit ist nicht liberal, sondern sozialistisch – und senkt unsere Lebensqualität

Die freie Zuwanderung aus der EU erhöht zwar die Wirtschaftsleistung, hat aber vernachlässigte schwere Nebenwirkungen. Sie wird damit zum Motor eines illiberalen Umbaus der Schweiz.

Die Personenfreizügigkeit ist nicht liberal, sondern sozialistisch – und senkt unsere Lebensqualität
ArbeitsZuwanderung verursacht «Füllungskosten»: Der Verkehr, hier auf der Autobahn A1 bei Wallisellen, nimmt zu. Bild: Keystone/Gaetan Bally

Die Personenfreizügigkeit bringt der Schweiz mehr Zuwanderung und so mehr Wachstum von Bevölkerung und Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das bringt den wenigen «Spezialbürgern» – den Entscheidungsträgern in Politik, marktmächtigen Firmen sowie Spitzenverbänden – höhere Steuereinnahmen, Umsätze und Mitgliederbeiträge und somit «Vitamin B3»: Budget, Bedeutung, Boni.

Für «Normalbürger» zählt hingegen, ob mit der Zuwanderung ihre Lebensqualität wächst. Dafür ist aber nicht das BIP, sondern das BIP pro Kopf relevant. Dazu predigen die Spezialbürger Denkfallen, etwa «die Zuwanderung lindert den Fachkräftemangel». Wäre das wahr, wäre der Fachkräftemangel nach achtzehn Jahren voller Personenfreizügigkeit längst gestillt. Tatsächlich aber befeuert die Zuwanderung den Fachkräftemangel, denn die Zuwanderer brauchen Wohnungen, Güter und Dienstleistungen – grösstenteils von Fachkräften produziert. Dadurch wird Zuwanderung zum Selbstläufer. Das schnelle Bevölkerungswachstum verknappt und verteuert alle Faktoren, die nicht zu konstanten Durchschnittskosten vermehrbar sind, also Boden, Infrastruktur, Umweltgüter sowie Selbstversorgungs- und Entsorgungsziele. Diese «Füllungskosten» senken die Lebensqualität.

Zu den Auswirkungen der Zuwanderung gibt es viele Studien, zumeist im Auftrag des Bundes. Viele fokussieren auf die vergangene Entwicklung des Arbeitsmarkts, obwohl dort die geringsten Probleme zu erwarten sind – eben, weil Zuwanderung ein Selbstläufer ist. Kaum überraschend zeigen sie: Solange der Arbeitsmarkt flexibel ist, sind die Effekte von Zuwanderung minim, weder stark negativ noch stark positiv.

Einzelne Studien simulieren die Folgen zukünftiger Zuwanderung. Eine jüngst vom Büro Ecoplan im Bundesauftrag erarbeitete Studie analysiert die volkswirtschaftlichen Auswirkungen eines Wegfalls der Bilateralen I bis 2045. Gemäss Bundesrat brächte das der Schweiz einen grossen jährlichen Verlust von 4,9 Prozent des BIP. Doch das ist Spezialbürgerlatein. Für die Einkommen pro Arbeitskraft findet die Studie trotz der Annahme, es gäbe keine Füllungskosten, nur minimalste Effekte. Während die Bevölkerung um 344 000 Personen und um 45 000 Grenzgänger weniger wüchse, würden die Arbeitseinkommen nur um 0,62 Prozent weniger stark wachsen als mit den Bilateralen I und Personenfreizügigkeit. Diese bringen den Normalbürgern also fast nur Füllungskosten.

«Das schnelle Bevölkerungswachstum verknappt und verteuert alle Faktoren, die nicht zu konstanten Durchschnittskosten vermehrbar sind, also Boden, Infrastruktur, Umweltgüter sowie Selbstversorgungs- und Entsorgungsziele.»

Schwarzes Loch Füllungskosten

Bis jetzt sind die Füllungskosten unerforscht. Umso wichtiger ist es, die Sache ökonomisch diszipliniert durchzudenken. Entscheidend für die Schweiz ist nicht, wie Zuwanderung wirkt, sondern wie die Personenfreizügigkeit wirkt. Diese verbietet, was in anderen Zuwanderungsländern wie Kanada oder Australien die Regel ist: die Zuwanderung gezielt zu begrenzen, zu steuern und zu selektieren.

Die fehlende Steuerungsmöglichkeit in Kombination mit den Grössen- und Wohlstandsunterschieden – die EU hat eine 50-mal grössere Bevölkerung und ein um 60 Prozent tieferes BIP pro Kopf als die Schweiz – führt zu einem asymmetrischen Wanderungsdruck in Richtung Schweiz. Für Migrationswillige lohnt sich ein Umzug in die Schweiz, solange die Unterschiede in der Lebensqualität die Kosten für Migration übersteigen. Oder anders gesagt: Die Nettozuwanderung versiegt erst, wenn die Schweizer Lebensqualität durch ansteigende Füllungskosten auf das Niveau der Herkunftsländer zuzüglich der Wanderungskosten sinkt. Wenn aber die Zuwanderungskosten mit steigendem Ausländeranteil sinken (etwa, weil zunehmend Englisch gesprochen werden kann), steigen der Zuwanderungsdruck und damit die Füllungskosten immer weiter.

Die Füllungskosten betreffen fast alle Lebensbereiche. Mehr Einwohner – 21 Prozent in den 18 Jahren Personenfreizügigkeit – beanspruchen mehr Wohn- und Arbeitsraum, was die Mieten trotz enormer Bautätigkeit und schwindender Grünfläche steigen lässt. Sie brauchen mehr Verkehrsinfrastruktur, Strom, Gesundheitsleistungen, Ausbildungsplätze etc. Gemeinden und Kantone müssen innert kurzer Zeit Schulen, Spitäler, Strassen und den öffentlichen Verkehr ausbauen sowie die Selbstversorgungs- und Entsorgungsziele sicherstellen. Die Kosten für alle diese Leistungen steigen bei schnellem Ausbau überproportional an. Als Resultat sinkt die Leistungsqualität und steigen die Belastung der öffentlichen Haushalte und schliesslich die Steuern.

«Die Nettozuwanderung versiegt erst, wenn die Schweizer Lebensqualität durch ansteigende Füllungskosten auf das Niveau der Herkunftsländer zuzüglich der Wanderungskosten sinkt.»

Standortattraktivität befeuert Zuwanderung

Einige sehen die Lösung des Problems in mehr Effizienz, etwa durch eine stärkere Integration von Frauen und älteren Menschen in den Arbeitsmarkt oder durch Deregulierung im Bauwesen. Doch auch das sind Denkfallen: Je besser die Schweiz ihre Ressourcen nutzt, sprich, je effizienter sie wird, desto höher ist ihre Standortattraktivität und so der Zuwanderungsdruck und die Füllungskosten.

Dieser Gleichgewichtsmechanismus nimmt den Bürgern die Anreize, sich für gute Politik zu engagieren. Zudem erodiert die starke Zuwanderung die Erfolgsinstitutionen der Schweiz, etwa das Milizsystem und die direkte Demokratie. Mittlerweile beträgt der Ausländeranteil an der ständigen Wohnbevölkerung bei den 30- bis 40-Jährigen rund 40 Prozent. Während die Nachfrage nach Milizarbeit in Politik, Armee oder Gesellschaft mit dem Bevölkerungswachstum zunimmt, wächst das Angebot kaum. Zugleich ist ein immer grösserer Teil der Bevölkerung von der direkten Mitsprache ausgeschlossen.

Die Märkte werden so unterwandert. Weil die Einheimischen zur Absicherung ihrer komfortablen Wohn- und Arbeitssituation die Zuwanderer nicht mehr direkt diskriminieren dürfen, diskriminieren sie sie indirekt, indem sie alle «Outsider», die in den Markt eintreten möchten (also die Zuwanderer und die eigenen Jungen), oder alle nicht lokal Ansässigen (unabhängig, ob Schweizer oder Zuwanderer) diskriminieren. So wird der Mietmarkt zunehmend reguliert, um bestehende Mieter zu schützen, während neue Wohnungssuchende auf der Strecke bleiben. Ähnliche Tendenzen zeigen sich auf dem Arbeitsmarkt, etwa in Form von Mindestlöhnen oder flankierenden Massnahmen, die den Markteintritt erschweren. Die Personenfreizügigkeit wird so zum Motor eines illiberalen Umbaus der Schweiz.

Konstruktive Lösungen

Es gibt zwei Auswege.

  1. Direkte, nicht personenfreizügigkeitskonforme Aufenthaltsabgaben. Die Zuwanderung aus der EU und ausgewählten Drittländern soll möglichst frei von bürokratischen Hürden sein, aber nicht gratis. Erwachsene Neuzuwanderer würden für drei bis fünf Jahre eine Abgabe entrichten von 10 bis 25 Franken pro Tag (einer Kurtaxe ähnlich). Das würde die Zuwanderung wirkungsvoll senken und lenken, indem es die Schweiz vor allem für jene unattraktiv macht, die ihr wenig bringen. Für EU-Ausländer wäre das weiterhin attraktiv, denn auch mit der Aufenthaltsabgabe wäre die Steuer- und Abgabenbelastung für Zuwanderer immer noch viel tiefer als in der EU; ein kleiner Teil ihres Wanderungsgewinns flösse aber an die Schweiz. Die Einnahmen von 1,5 bis 5 Milliarden Franken jährlich (je nach Modell) gäben den Einheimischen wieder beste Anreize, für Offenheit und gute Politik einzustehen. Wie stark das Preismodell wirkt, zeigt Grossbritannien. Es hat nach dem Brexit ein vergleichbares Modell eingeführt, jedoch für alle Zuwanderungswilligen. Dadurch wurde die Zuwanderung aus der EU teurer, diejenige aus Drittstaaten aber viel einfacher. Entsprechend schrumpfte die EU-Zuwanderung und explodierte die Drittstaatenzuwanderung. Für die Schweiz ideal wäre also ein 2- oder 3-Kreise-Modell: Alle Neuzuwanderer sollen einen fairen Aufenthaltspreis bezahlen. Für Zuwanderungswillige aus Drittländern gilt aber zusätzlich eine Einzelfallprüfung, zum Beispiel mit einem Punktesystem. Für Zuwanderungswillige aus der EU gilt hingegen freie Zuwanderung zu einem tieferen «Freundschaftspreis».
  2. Indirekte, personenfreizügigkeitskonforme Abgaben. Die staatlichen Lasten, welche die Schweizer stark treffen und so eigentliche «Schweizersteuern» sind, sollen gerechter verteilt und die den langjährigen Einwohnern dienenden staatlichen Leistungen sollen erhöht werden. Die gewichtigste Schweizersteuer ist die Wehrpflicht. Sie verpflichtet junge Schweizer Männer zu 245 Tagen Dienst – gut einem Arbeitsjahr, was sie durch Verdienstausfall und verzögerter Ausbildung trotz Erwerbsersatz etwa 50 000 bis 80 000 Franken kostet. Die Wehrpflicht könnte abgeschafft und durch einen «Gesellschaftsbeitrag» ersetzt werden: Alle, die in der Schweiz ins Erwachsenenleben treten – sei es durch den 18. Geburtstag oder durch Zuwanderung –, müssten über ein paar Jahre einen Beitrag von 50 000 Franken in Form von Wehrdienst, gemeinnütziger Arbeit oder Geld leisten. Zugleich könnte der Staat allen Jungen mit jährlichen Beiträgen ein Grundkapital bilden, mit dem sie als Erwachsene auch ihren Gesellschaftsbeitrag zahlen könnten. In der Summe wirkte dies wie eine diskriminierungsfreie Zuwanderungsabgabe.

Solche Überlegungen könnten Liberale erschrecken, die meinen, die Personenfreizügigkeit sei ein liberales Modell. Doch auch das ist eine Denkfalle: Die Personenfreizügigkeit ist kein liberales, sondern eher ein sozialistisches Konzept: Sie nimmt den Bürgern die Eigentumsrechte am eigenen Land, indem es andere gratis nutzen dürfen. Dass das nicht funktioniert, ist eigentlich trivial.

»
ArbeitsZuwanderung verursacht «Füllungskosten»: Der Verkehr, hier auf der Autobahn A1 bei Wallisellen, nimmt zu. Bild: Keystone/Gaetan Bally
Die Personenfreizügigkeit ist nicht liberal, sondern sozialistisch – und senkt unsere Lebensqualität

Die freie Zuwanderung aus der EU erhöht zwar die Wirtschaftsleistung, hat aber vernachlässigte schwere Nebenwirkungen. Sie wird damit zum Motor eines illiberalen Umbaus der Schweiz.

Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!