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«Die Pandemie hat gezeigt, dass Länder nicht immer zur
Kollaboration bereit sind»

Brigadier Droz leitete den ausserordentlichen Einsatz der Schweizer Armee. Mit uns spricht er über die Herausforderung, in unsicheren Lagen Sicherheit zu vermitteln, und darüber, wie wir uns für künftige Krisen wappnen.

«Die Pandemie hat gezeigt, dass Länder nicht immer zur Kollaboration bereit sind»
Raynald Droz, fotografiert von Samy Ebneter / Fabio Cianciola.

 

Raynald Droz weiss um das Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hat. Bei unserem Besuch in Bern zeigt er sogleich das Feldbett in seinem Büro, in dem er nach langen Arbeitstagen manchmal schläft. Es ist in der Coronakrise zum Sinnbild für die Arbeits­moral des Brigadiers geworden und fehlte in keinem Medien­bericht über ihn. Der 54-Jährige war verantwortlich für den ­Armeeeinsatz in der Pandemie und wurde so etwas wie der heimliche Star der Krise. Das Bild des Berufsmilitärs, der um vier Uhr morgens aufsteht, um zu trainieren, und danach an der Medienkon­ferenz souverän in drei Sprachen spricht, prägte sich in der ­Öffentlichkeit ein. In unserem Gespräch, das an einem Stehtisch stattfindet, wirkt Droz gewohnt ruhig und zugleich engagiert. Man merkt: Dieser Mann lebt für seinen Job.

Sie waren kürzlich in den Ferien. Wie haben Sie sich erholt?

Meine Frau und ich sind in der Schweiz geblieben, bien entendu, und wie viele Romands haben wir die andere Seite des Rösti­grabens besucht. Es waren ruhige Ferien: viel Sport, für meine Frau wahrscheinlich zu viel, für mich aber ist das Erholung.

Sie hatten Zeit, die intensiven vergangenen Monate zu verarbeiten. Wie fällt Ihre Bilanz des Armeeeinsatzes während der Pandemie aus?

Es war definitiv ein guter Einsatz. Wir haben, unter Druck vom In- und Ausland, die Leistung erbracht, die gefragt war. Der Auftrag lautete, maximal 8000 Angehörige der Armee zur Verfügung zu stellen, was fast die einzige Richtlinie war, die wir zu Beginn hatten. Hinzu kam, dass mit der Weiterentwicklung der Armee vor knapp zweieinhalb Jahren gewisse Dinge, wie beispielsweise das Bereitschaftssystem, die Miliz mit erhöhter Bereitschaft, aber auch das Kommando Operationen, neu eingeführt worden sind. Trotz dieser Neuerungen haben wir gezeigt, dass die Mobilisierung funktioniert. Wir haben bewiesen, dass das System einen lange andauernden Einsatz trägt.

Was war für Sie die schwierigste Situation?

Die schwierigste Situation war der Moment, als die Armee entschied, die Variante «All in Plus» der Chefin VBS zu empfehlen. Damals war die Lage so ernst, dass wir entschieden, alles einzusetzen, was wir im Sanitätsbereich hatten. Wir fragten uns: Und jetzt? Wie viele Soldaten rücken auch ein? Wir wussten ja nicht, wie viele der Aufgebotenen vielleicht selber vom Virus betroffen waren oder welche Auswirkungen dies für die Wirtschaft bedeutete, wenn alle diese Leute auf einmal eingezogen wurden. Als wir sahen, dass innerhalb weniger Stunden 80 Prozent der Aufgebotenen den entsprechenden Alarm bestätigten, war mindestens das erste Problem gelöst. Der zweite schwierige Moment folgte nach etwa drei Wochen.

«Während wir die Zusammenarbeit mit Polizei und Zollverwaltung schon trainiert hatten, war die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitssystem neu und musste sich zuerst einspielen.»

 

Da war der Einsatz schon in vollem Gang.

Wir sahen, dass wir die etwa 5000 Aufgebotenen nicht alle einsetzen konnten, da in der Zwischenzeit auch die verschiedenen zivilen Gesundheitsorganisationen ihre Leistungen auf die Bewältigung der Covidlage fokussiert hatten. Wir haben 300 Begehren für Einsätze in Spitälern erhalten, merkten aber bald, dass wir für diese Aufträge zu viele Leute hatten. Da mussten wir uns fragen: Halten wir diese in Bereitschaft – im Wissen um die Schwierigkeiten hinsichtlich der Motivation? Es ist schwierig für einen Kommandanten, Leute zu führen, die nicht eingesetzt werden. Es ging hierbei nur um die Unterstützung von Spitälern. Beim Grenzschutz, wo wir ebenfalls im Einsatz standen, hatten wir nie zu viele Leute. Während wir die Zusammenarbeit mit Polizei und Zollverwaltung schon trainiert hatten, war die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitssystem neu und musste sich zuerst ein­spielen. – Niemals zuvor hatten wir eine Übung im Gesundheits­bereich dieser Grössenordnung durchgeführt, weshalb wir auch keine Angaben über mögliche Bedürfnisse hatten.

Was hat Sie am meisten beeindruckt?

Beeindruckt hat mich die Energie, die Solidarität. Das ist vielleicht etwas typisch Schweizerisches, denn diese Solidarität existiert auch in vielen anderen Bereichen. Es gibt in der Schweiz die Kultur, ein Teil der Lösung zur Verbesserung der Lage zu sein. Die Kritik, die wir von den Soldaten hörten, war: «Ich habe mich vorbereitet, ich wurde aufgeboten – und dann nicht eingesetzt.» Diese Kritik haben wir ernst genommen und sehr rasch unsere Dispositive angepasst und verkleinert.

Waren die Spitäler zu vorsichtig?

Nein, die Spitäler können nichts dafür. Die Herausforderung begann mit der Schliessung der Grenze mit Italien und dann später mit Deutschland und Frankreich. In der Nacht erhielten wir Anrufe von höchsten Stellen, die besorgt waren: Wir wussten zu diesem Zeitpunkt nämlich nicht, ob alle Mitarbeiter der Spitäler in Genf, Basel und im Tessin – von denen viele Grenzgänger sind – zur Arbeit gehen konnten. Wenn diese Leute plötzlich nicht mehr in die Schweiz kommen können, muss bis zu einem Drittel des Personals ersetzt werden. Das war die Lage! Als letztes Mittel des Bundes bereiten wir uns immer auf den schlimmsten Fall vor. In diesem Moment haben wir gesagt: Wir wissen nicht, wie viele Kräfte wir tatsächlich brauchen, weshalb wir die Variante «All in Plus» empfohlen haben. Wenn wir zu wenig Leute haben und die Spitäler mit Patienten überfüllt sind, ist die Lage nicht mehr zu retten.

Zur Kritik, dass die Soldaten in den Spitälern nur herumgestanden seien, sagen Sie also: Besser so!

Das ist etwas anderes. Wenn ein Spital 20 Angehörige der Armee zur Unterstützung anfordert und dann nur 2 einsetzt, so ist das nicht fair für die anderen 18. Aber auch die Spitäler wussten nicht, was sie erwartete, ob ihre Intensivstationen innert Tagen gefüllt sein würden. Viele haben dann die Gelegenheit genutzt und alle Kräfte genommen, die sie bekommen konnten. Sie haben Reserven geschaffen. Niemand will den Moment erleben, in dem weniger Personal vorhanden ist, als es braucht. Ein Damm gegen Hochwasser muss auch gebaut werden, bevor die Flut kommt. Wenn die Flut da ist, ist es zu spät, den Damm zu erhöhen. C’est fini. In der Krise braucht es Mut und Antizipation. Und wenn ein Entscheid in einer totalen Unsicherheit zu treffen ist, dann müssen auch Risiken getragen werden.

Wurden die Soldaten vor dem Einsatz getestet?

Nein.

Warum nicht?

Gemäss Schutzkonzept durften Soldaten mit Symptomen erst gar nicht einrücken und mussten zu Hause bleiben. Ausserdem gab es in dieser Phase zu wenig Tests, ebenso wie zu wenig Masken. Die Vorgabe des BAG war, dass nur bestimmte Personen der Risikogruppe getestet wurden. Eine Schwierigkeit war, dass die meisten Jungen, die Covid-19 hatten, keine Symptome aufwiesen. Inzwischen werden Rekruten und Soldaten getestet, die in einen Dienst einrücken.

Wir haben jetzt vor allem über den Spitaleinsatz gesprochen. Der ­Einsatz an der Grenze dagegen war in der Öffentlichkeit kaum präsent. Wie erklären Sie sich das?

Vielleicht ist es normal, dass der Mensch auf das fokussiert, was für alle gefährlich und sichtbar ist. In der Pandemie war das die Krankheit, und daraus ergab sich der Fokus auf die Spitäler, à la bonne heure! Der Grenzeinsatz war aber ebenso wichtig: Ohne uns wäre es schwierig gewesen, die Situation an der Grenze unter Kontrolle zu behalten. Der Bundesrat wollte vermeiden, dass die Pandemie vermehrt über die Grenze ins Land kam. Dieser Einsatz war wenig sichtbar, aber eine sehr gute Sache und sehr interessant für uns. Der Einsatz der Armee war und ist nie eine PR-Aktion, gleich wie der Einsatz der Polizei oder der Feuerwehr. Wir sind im Einsatz, weil wir gebraucht werden. Auch wenn man uns meistens kaum wahrnimmt. Doch plötzlich, mitten in der Nacht zum Beispiel, hört man Sirenen. Unser Gefühl von Sicherheit ergibt sich aus dem Vertrauen darauf, dass Instanzen im Notfall bereit und einsatzfähig sind.

Man hörte Kritik von Soldaten, die über lange Einsätze und kurze ­Erholungszeiten klagten. Was sagen Sie ihnen?

Das ist ein Feedback, das ich ebenfalls gehört habe. Es betraf einzelne Leute, die zwölf Stunden ohne Unterbruch im Einsatz ­waren. Im Zivilen ist das sicher nicht die Norm. Im Einsatz für die Sicherheit auch nicht in der normalen Lage. Es kann aber durchaus passieren, dass dies in der ausserordentlichen Lage nötig ist. Geschehen ist das vor allem bei Wachtaufträgen in der Nacht – wir haben das abgeklärt und wo immer möglich rasch behoben. Es gab auch Kritik daran, dass einige Spitäler von Armee, Zivildienst und Zivilschutz profitierten und ihr eigenes Personal nach Hause schickten. Wir müssen das verstehen: Die Spitäler haben sichergestellt, dass das eigene Personal bereit ist, im Katastrophenfall stundenlang zu arbeiten. Sie haben Arbeitsstunden kompensiert, als dies noch möglich war. Das ist auch Planung und Antizipation. Die Frage ist: Soll man künstlich das System unter Druck setzen, stundenlang arbeiten lassen und dann, wenn die Welle wirklich kommt, feststellen, dass man sie in die Ferien schicken muss?

«Wenn die Flut da ist, ist es zu spät, den Damm zu erhöhen. C’est fini.»

 

Waren die Soldaten ausreichend auf ihren Einsatz vorbereitet?

Jeder Soldat muss am Ende eines Wiederholungskurses eine gewisse Bereitschaft erreichen, was auch überprüft wird. Bei der Mobilisierung haben wir gezielt eine abgekürzte Sanitätsausbildung zur einsatzbezogenen Vorbereitung durchgeführt, denn wir mussten sicherstellen, dass die Truppe rasch zum Einsatz kam. Kräfte, die nicht zum Einsatz gekommen sind, haben wir weiter ausgebildet. Wir waren bereit, wir können stolz sein auf unsere Milizarmee!

Wo gab es Probleme?

Dass die Einsätze so lange dauerten, war nicht immer einfach für die Soldaten. Je mehr sie vor der Krise mit den Leuten trainieren, desto besser sind sie für ihren Einsatz bereit, bien entendu. Im Gesundheitssystem war das nur teilweise der Fall: Die Spitalbataillone haben zwar jedes Jahr einen Wiederholungskurs in einem Spital. Am Ende dieses WKs können die Soldaten zwar definieren, was dieses bestimmte Spital in einem Einsatz braucht. Aber das bezieht sich nur auf einen Kanton, ein Spital! In der Schweiz gibt es gegen 300 Spitäler.

Was würden Sie im Rückblick anders machen?

Alors, wenn eine zweite Welle kommt, kennen wir dieses Mal die meisten Dispositive bereits. Wir werden nicht mehr «All in Plus» benötigen und werden nicht mehr wie eine Feuerwehr handeln müssen. Das ist nicht mehr nötig, weil die Erfahrung vorhanden ist und wir die Leistungen viel besser antizipieren können. Vielleicht würden wir sogar ein wenig mehr Risiko eingehen: Zum Beispiel bieten wir dann nur 1500 Leute auf und setzen 500 weitere in Bereitschaft, mit der Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen auf 2000 aufzustocken. Wichtig ist zu wissen, dass die Schweizer ­Armee dann in den Einsatz kommt, wenn sie benötigt wird.

Die Angehörigen der Armee sollen also stufenweise aufgeboten werden?

Richtig, in Wellen! Beim Schutzauftrag an der Grenze hat das bereits beim ersten Mal gut funktioniert: Zwei Drittel im Einsatz, ein Drittel in der Reserve und für den Betrieb im rückwertigen Bereich. Aber nicht 50:50.

In der Krise vermittelten Sie den Eindruck von Entschlossenheit und ­Sicherheit. War das eine bewusste Strategie oder liegt das in Ihrem ­Naturell?

Wenn das eine bewusste Strategie war, dann habe ich sie ziemlich gut umgesetzt! (lacht) Nein, nein, mein Stab ist sehr gut organisiert und meine Offiziere und die Zivilangestellten sind sehr professionell. Wir haben während sechs, sieben Wochen sieben Tage pro Woche mit Freude gearbeitet. Zusammen mit langjähriger Erfahrung und offener Kommunikation gibt das der Öffentlichkeit Sicherheit. C’est tout!

Ist Führungsstärke in der Krise etwas, das man trainieren kann?

Ja, das trainieren Sie ab dem ersten Tag, an dem Sie in der Armee eine Kaderfunktion haben. In unserer Organisation gibt es auch die Möglichkeit, Fehler zu machen. Das ist die Kultur: «Machä!» Mutig sein, nach vorne schauen. Teilweise nur in kleinen Schritten, aber immer in die richtige Richtung!

Zeigt die Coronakrise, dass die Armee sich auf andere Bedrohungen einstellen muss als auf einen bewaffneten Angriff?

Ja und nein. Ja, weil die Analyse der Risiken und Bedrohungen ständiger Auftrag ist; nein, weil die Schweizer Armee ein Gesamtsystem ist. Die Kohärenz darin besteht aus der Summe ihrer Fähigkeiten. Tatsächlich besteht die Bedrohung aus einer Summe von verschiedenen Risiken und Gefahren, die sich ständig ändern: Vor der Pandemie hat man richtigerweise viel von Cyberrisiken gesprochen, dann von der Terrorgefahr. Jetzt ist es neu die Pandemie. Alle anderen Risiken sind aber auch jetzt immer latent vorhanden und damit präsent. Wir sehen, dass alle Länder nun ihre eigene Sicherheit ins Zentrum stellen. Die Pandemie hat zudem gezeigt, dass Länder nicht immer zur Kollaboration bereit sind und sehr schnell zurück in den Isolationsmodus gehen.

Haben Sie Beispiele?

Die USA beispielsweise haben Entscheide im Interesse des eigenen Landes getroffen, ohne Rücksicht auf die Interessen anderer zu nehmen. Die Schweizer Armee muss sicherstellen, dass sie für alle möglichen Bedrohungen bereit ist, welche durch das Leistungsprofil vorgesehen sind. Ob es mehr Sanitätstruppe, mehr ­Cyberabwehr, Kampfjets oder Panzer braucht, darüber könnten wir stundenlang sprechen. Es geht darum, das Maximum aus dem Gesamtsystem herauszuholen und, noch wichtiger, unseren Verfassungsauftrag zu erfüllen. Die Bedrohung verändert sich. Mit der Pandemie wird sich das vermutlich in den nächsten 10 Jahren noch beschleunigen.

«Die Macht der Kantone ist genial – aber es gibt ab und zu gemeinsame Herausforderungen, für die wir vielleicht nicht immer genügend klar zentralisierte Entscheide haben.»

In welche Richtung?

Der Klimawandel ist sicher auch ein Punkt. Oder schauen Sie auf das Bevölkerungswachstum in manchen Ländern. In Afrika liegt das Durchschnittsalter in den meisten Ländern unter 20 Jahren. Mit dem Klimawandel wächst die Sahara und stösst die Leute nach Süden oder Norden. Das setzt eine ganze Kette in Gang. Und das ist nur ein Teil der Konsequenzen! Dieser Planet hat wahrscheinlich auch eine Grenze für seine Ressourcen. Dafür haben wir heute leider keine direkte und schnelle Lösung. Okay, on fait quoi? Ist die Lösung die Schliessung der Grenzen, wenn die Jungen, die sowieso nichts haben, nach Europa kommen? Bauen wir einfach Mauern? Das sind doch keine nachhaltigen Lösungen! Meine Generation wird vielleicht nur noch einen Teil dieser Entwicklung erleben und noch einen Beitrag leisten können. Das ist unsere Verantwortung. Doch die nächste Generation, wie unsere Kinder, wird damit leben und nachhaltige Lösungen finden müssen.

Welche Rolle soll die Armee dabei spielen?

Die Armee ist nicht die Lösung für all diese Probleme. Doch wir müssen bereit sein, unsere Neutralität, unsere Werte, unsere Gesellschaft, unsere Bevölkerung zu schützen. Sicherheit ist in allen Ländern, in allen Demokratien, ein wesentliches Element. Die Armee ist kein Selbstzweck, sie hat einen Auftrag. Sie können ja auch nicht der Feuerwehr den Auftrag geben, ein Feuer zu ­löschen, und ihr gleichzeitig kein Löschfahrzeug zur Verfügung stellen. Dann wird der Feuerwehrmann mit Ihnen neben dem Haus stehen und sagen: C’est un bon feu, ça brûle bien! Bei der ­Armee ist es das Gleiche: Wenn wir einen Auftrag erhalten haben, dann müssen wir diesen auch erfüllen können, mit allen notwendigen Mitteln.

Cyber, Migration, Demografie, Klimawandel, Gefahr überall! Wie schafft man es, eine Gesellschaft für solche Bedrohungen zu ­sensibilisieren, ohne dass sie vor Angst gelähmt wird?

Wenn der Diskurs von allen Verantwortlichen nicht als Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen missbraucht wird, dann kommt es gut. Das Problem: Es gibt Momente, die von Akteuren benutzt werden, um eigene Interessen voranzutreiben. Es ist wichtig, das Gesamtinteresse und das Gesamtsystem im Auge zu behalten. Wenn ein Problem oder eine Krise kommt, gibt es meistens zwei Möglichkeiten: Bist du Teil des Problems, oder bist du Teil der Lösung? Ich hoffe sehr, dass die meisten, zumindest die Jungen, Teil der Lösung sein wollen. Jeder ist Teil des Puzzles, auch die Armee. In der Pandemie haben wir das gezeigt. Wenn die Armee und die anderen Mittel unseres Sicherheitsverbundes nicht bereit wären, dann hätten wir wirklich ein Problem. Aber die Armee ist das letzte Mittel, noch mehr in einem neutralen Staat: Wenn in der Schweiz alle mit Tränen, Blut und ohne Lösungen sind, dann gibt es meistens nur noch die Armee.

Sie haben die fehlenden Testkapazitäten angesprochen. Der Armee fehlten auch Schutzmasken. War die Schweiz schlecht vorbereitet auf die Pandemie?

In der Schweiz sind die Verantwortungen nun mal unterschiedlich verteilt: Das BAG ist verantwortlich für dieses, die Kantone machen jenes. Es gibt zwar Kontrollorgane, doch alles ist schwer zu koordinieren. Die Macht der Kantone ist genial – aber es gibt ab und zu gemeinsame Herausforderungen, für die wir vielleicht nicht immer genügend klar zentralisierte Entscheide haben. Dennoch haben wir es in der Krise geschafft, alle Akteure an einen Tisch zu holen und rasch Lösungen zu finden. In der Krise zählen rasche und pragmatische Lösungen, auch wenn sie nicht immer und nur von der verantwortlichen Person kommen. Aber nachher ist es wichtig, Bilanz zu ziehen und Erkenntnisse zu gewinnen. Ich hoffe sehr, dass wir die klare Aufteilung von Verantwortung als Lehre aus der Krise ziehen werden.

Gibt es noch etwas, das wir tun sollten, um künftig besser für Krisen gewappnet zu sein?

Wenn ein neuer Einsatz kommt für einen Pandemiefall, werden wir eine viel bessere Startkonfiguration haben, weil wir aus der Erfahrung bereits gelernt haben. Beim Militär geht es darum, Flexibilität zu gewinnen. Wir haben sehr starke hierarchische Strukturen und das bremst die Flexibilität. Vor allem aber müssen wir: Üben, üben, üben. Fehler machen – und daraus lernen, bescheiden bleiben und stolz sein auf unser System und seine Truppen.

Sie wollten dieses Jahr eigentlich einen Ironman machen. Trainieren Sie jetzt wieder dafür?

Ja, ich trainiere weiter für einen Ironman, der 2020 nicht mehr stattfindet. Aber ich mache mir eigene Wettkämpfe. Ich brauche regelmässige Herausforderungen, die mich ausserhalb meiner Komfortzone bringen, um meine Resilienz zu verbessern. Letztes Wochenende habe ich mit meinem Velo die Tour du Mont-Blanc gemacht: 380 Kilometer, 8700 Höhenmeter, einmal um den gesamten Mont-Blanc.

An einem Wochenende?

In einem Tag.

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