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Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft: Eine hegemonietheoretische Studie zur Mont Pèlerin Society


Bernhard Walpen, Redaktor der Zeitschrift «Sozial.Geschichte», ist Mitglied der International Gramsci Society, die sich der Erforschung, Pflege und Weiterentwicklung der Theorien Antonio Gramscis verschrieben hat. Der Mitbegründer der italienischen KP hatte erkannt, dass sich Marx’ deterministische Vorhersagen in Westeuropa nicht ohne weiteres erfüllen wollten und suchte nach Gründen. Im Unterschied zu orthodox-materialistischen Marxisten betonte Gramsci die Bedeutung des kulturellen und geistigen «Überbaus». Die bürgerlich-kapitalistische Klasse, so Gramsci, befestige ihre Herrschaft nicht durch materielle, sondern auch durch ideologische Verteidigungsanlagen. Folglich fokussierte er seine Untersuchungen auf die Rolle der Intellektuellen bei der Sicherung der angeblichen «kulturellen Hegemonie» der Bürgerlichen. Will die extreme Linke je die Macht erringen, gilt es nach Gramsci zunächst, das vermeintliche Monopol der «geistigen Funktionäre der herrschenden Klasse» aufzubrechen.

Bernhard Walpen möchte den Gegner kennen. Er liest daher regelmässig die «Neue Zürcher Zeitung», besonders deren Wirtschaftsteil. Dort sprangen ihm vor einigen Jahren Berichte über Veranstaltungen der Mont Pèlerin Society (MPS) ins Auge. Die 1947 von Friedrich August von Hayek und Wilhelm Röpke gegründete MPS gilt als die bedeutendste weltweite Vereinigung bürgerlich-liberaler Wissenschafter. Wal-pen misstraute ihrem Einfluss und begann nachzuforschen. Im Laufe der Jahre veröffentlichte er mehrere Aufsätze in linksgerichteten Zeitschriften und wurde einer der fleissigsten Kritiker der MPS. Nun hat Walpen unter dem, Karl Popper verballhornenden, Titel «Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft» eine Dissertation zum Thema vorgelegt, die nähere Beachtung verdient.

Entgegen der Ansicht vieler Liberaler, die von einer Dominanz sozial(istisch)er, egalitärer und etatistischer Einstellungen in breiten Teilen der Bevölkerung und noch stärker bei Intellektuellen ausgehen, vertritt Walpen die These einer «neoliberalen Hegemonie», die über den engen Bereich der Ökonomie hinausgreife. Zentraler Knotenpunkt vieler wissenschaftlicher Bemühungen für eine Wiederbelebung des totgesagten Liberalismus war die MPS, wie Walpen richtig betont. Mit beträchtlichem Fleiss hat er zu ihrer Geschichte und Entwicklung eine Menge bislang kaum bekannter, oder verstreuter Fakten zusammengetragen. Er vermeidet weitgehend die Fallen verschwörungstheoretischer Erklärungs-muster und erzählt streckenweise eine spannende Geschichte, die ein gutes Stück über die bislang einzige (halboffizielle) Gesamtdarstellung der MPS aus der Feder ihres früheren Präsidenten Max Hartwell («A History of the Mont Pelerin Society», Indianapolis, 1995) hinausgeht. Der deskriptive Teil von Walpens Ausführungen ist sachlich zutreffend. Er schildert die Vor- und Frühgeschichte: das Pariser Colloque Walter Lippmann 1938, Hayeks fortgesetzten Bemühungen um eine Vernetzung, das erste Treffen auf dem Mont Pèlerin in den Ostertagen 1947 und die darauffolgende Konsolidierung der kleinen Gruppe versprengter Liberaler bis zur ernsten Krise der MPS in den Jahren 196 /62.

Problematisch sind aber seine Interpretationen. Jene sogenannte Hunold-Affäre als einen primär ideologischen Kampf um die strategische Ausrichtung der MPS zu deuten, ist sicherlich überzogen. Die Auseinandersetzung zwischen dem europäischen Sekretär und rührigen Organisator der MPS, Albert Hunold, und einer amerikanischen Gruppe um Hayek und Fritz Machlup hatte vor allem persönlich-charakterliche Gründe. Allerdings liegt Walpen nicht ganz falsch, wenn er auf bislang vernachlässigte Meinungsverschiedenheiten zur Auseinandersetzung mit dem Kollektivismus hinweist. Hunold befürwortete eher direkte, auch harte politische Angriffe, wogegen Hayek die direkte Schlacht mied und für einen indirekten Weg der langfristigen Beeinflussung des intellektuellen Klimas durch seriöse wissenschaftliche Arbeiten plädierte.

Bedauerlicherweise verfällt Walpen jenem «manichäisch-schlichten» Denken, das ihm an der – auch von Liberalen der MPS vertretenen – Totalitarismustheorie missfällt. Er geht unter sein eigenes Niveau, wenn er die «Hauptzielrichtung der Arbeiten in der MPS» als «Veränderung der Klassenverhältnisse und […] Stärkung der Kapitalseite in den Klassenkämpfen vermittels wissenschaftlicher Arbeiten und ideologisch-propagandistischer Pamphlete» (S. 18 ) bezeichnet. Die Dissertation, das sei zur Ehre des Autors gesagt, bewegt sich nicht durchgängig auf diesem platt-marxistischen Niveau. Zuweilen gelingen Walpen differenzierte Analysen, etwa zur Erfolgsstrategie der besonders in angelsächsischen Ländern gut vernetzten liberalen think tanks.

Eine Grundschwäche von Walpens Studie bleibt seine eigenwillige Sicht der Geschichte des 2 . Jahrhunderts. Seine Darstellung des sowjetischen Experiments ist, wenn auch mit Abstrichen, von Sympathie getragen. «Jedenfalls funktionierte die Planwirtschaft in den ersten Jahrzehnten», behauptet er (S. 5 ). Zwar gesteht er ein Scheitern des frühen Kriegskommunismus ein, doch während der Weltwirtschaftskrise habe sich die Sowjetunion gegenüber dem allgemeinen Elend gut behauptet (die Millionen Toten der politisch fabrizierten Hungersnot von 1932/33 im Gefolge der Zwangskollektivierung erwähnt Walpen nicht). Dagegen zitiert er den unverbesserlichen Eric Hobsbawm, es habe in der Sowjetunion keine Arbeitslosigkeit gegeben. Warum nur wollten die Liberalen der Zwischenkriegszeit diese Leistung Stalins nicht anerkennen?

Entgegen Walpens Behauptung hatte Ludwig von Mises in seinen Schriften zum Sozialismus nicht pauschal eine Unmöglichkeit jeglichen Planens erklärt. Der österreichische Ökonom wies lediglich die Unmöglichkeit einer rationalen Kostenkalkulation der sozialistischen Planwirtschaft nach. Mangels echter Preise, die die relative Knappheit verschiedener Güter signalisieren, tappe der zentrale Planungsapparat im Dunkeln. Planen generell ist durchaus möglich, nur eben am Bedarf vorbei und unter enormer Verschwendung von Ressourcen. Die inhärente Ineffizienz machte schliess-lich die Zwangsverpflichtung und totale Mobilisierung noch der letzten Arbeitskräftereserven notwendig. Dies erklärt dann sowohl die «Vollbeschäftigung» als auch die Steigerung der Produktion trotz geringer Produktivität.

Allgemein zeichnet sich Walpens eher soziologische Studie durch ein begrenztes und ideologisch gefärbtes Verständnis ökonomischer Zusammenhänge aus. Ein Beispiel unter vielen sind seine Ausführungen zur «Systemkrise» der 197 er Jahre: ob nun die «Arbeitsproduktivität sank» (S. 16 ) oder «die Produktivitätszuwächse sanken» (ebd.) scheinen ihm gleichwertige Aussagen zu sein. Die Unfähigkeit des keynesianistischen Paradigmas, eine Antwort auf die Stagflation zu entwickeln, interessiert Walpen nicht. Er verweist auf die Ergebnisse einer obskuren, marxistisch angehauchten Studie, die von einem «Ausreizen des tayloristischen Rationalisierungsprinzips zur Bekämpfung des Falls der Profitrate» (ebd.) spricht.

Walpen hätte sich weniger auf Gramsci stützen sollen, dessen Weisheiten auf immerhin achtzig Seiten herangezogen werden. Statt dessen würde zum Beispiel Thomas Kuhns Wissenschaftstheorie einen vielversprechenderen Ansatz bieten, den Paradigmenwechsel weg von keynesianistischen und sozialistischen Doktrinen hin zu stärkerer Betonung der Selbstkoordinierungsfähigkeit der Märkte zu erklären. Insgesamt hinterlässt Walpens Studie zur Geschichte der MPS einen zwiespältigen Eindruck. Zwar gelingt ihm in einigen Abschnitten eine Vertiefung und Erweiterung des Wissens. Dieses Verdienst wird jedoch durch ideologisch geprägte Wertungen und verstaubte Klassenkampf-Rhetorik weitgehend entwertet.

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