Die Ökonomie des Dopings
Flachere Berge helfen nicht
Im Radsport hört man permanent von Dopingfällen, auch die Leichtathletik ist vom Thema geprägt. Dagegen scheint Doping im Fussball oder Tennis inexistent. Haben Fussballer und Tennisspieler also einen stärkeren moralischen Kompass?
Selbstverständlich nicht. Die Lösung ist deutlich banaler: Der komparative Vorteil des Dopens ist in Sportarten, die von monotonen, ausdauernden Tätigkeiten (Radrennsport, Langstreckenlauf, Langlauf) oder von Höchstleistung während kurzer Zeit (Sprint, Kugelstossen) geprägt sind, deutlich grösser als in Sportarten, die Koordination, Aufmerksamkeit und eine Vielzahl von Bewegungsabläufen (Tennis, Fussball, Stabhochsprung) erfordern. Spieltheoretisch ausgedrückt ist die Option «Dopen» im Ausdauersport – moralische Bedenken und schlechtes Gewissen mal aussen vor – eine dominante Strategie, denn ihr erwarteter Pay-off (Erfolg abzüglich Risiko des Auffliegens mal Höhe der Bestrafung) ist höher als der Pay-off der Strategie «Nichtdopen» – und zwar unabhängig davon, ob die Konkurrenz dopt.
Die Ignoranz gegenüber diesen ökonomischen Gesetzmässigkeiten führt zu falschen Strategien zur Eingrenzung des Dopings:
• An der Tour de France wurden z.B. die Etappen verkürzt und einige hohe Bergpässe vermieden, um sie «einfacher» zu machen. Das bringt nichts. Denn gedopt wird nicht, weil die Strecke ohne Doping nicht zu bewältigen wäre (früher wurden an der Tour auf deutlich primitiveren Fahrrädern deutlich längere Strecken zurückgelegt als heute), sondern weil sich Doping in solchen Sportarten schlicht «lohnt».
• Generell versucht man Doping mit immer strengeren Kontrollen in den Griff zu bekommen. Das erhöht zwar (zumindest vorübergehend) das Risiko, erwischt zu werden, und schreckt dadurch einige Sportler vom Dopen ab. Gleichzeitig steigt damit aber der Nutzen des Dopings, weil man gedopt einer grösseren Anzahl Nichtgedopten gegenübersteht. An den relativen Pay-offs von Dopen vs. Nichtdopen werden solche Massnahmen daher wenig ändern. In erster Linie werdenausgefeiltere Kontrollen ausgefeiltere Dopingstrategien nach sich ziehen.
Die einzige konsequente Lösung wäre es, Doping nicht mehr nach moralischen Gesichtspunkten, sondern bloss noch in bezug auf den Aspekt der Gesundheit zu beurteilen. Doping (mit Substanzen ohne offensichtliche Gesundheitsgefährdung) sollte grundsätzlich offiziell erlaubt sein, doch die Blutwerte der Sportler müssten klar definierten Kriterien entsprechen (um z.B. einen gefährlichen Überschuss roter Blutkörperchen zu verhindern). Lägen die Werte eines Sportlers ausserhalb, würde ihm für jene Zeit die Teilnahme an Wettkämpfen verboten – allerdings ohne moralischen Fingerzeig, sondern bloss als Sicherheitsmassnahme zum Schutz seiner Gesundheit. Der Sport würde damit wieder an Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit gewinnen, denn all die Katz-und-Maus-Spiele, Verdächtigungen und – meist falschen – Unschuldsbeteuerungen würden obsolet. Es gäbe keine «Dopingfälle» mehr, keine moralische Entrüstung, keine geheuchelte Reue, sondern bloss noch Sportler mit gesunden – oder manchmal: ungesunden – Blutwerten.
Lukas Rühli
ist Redaktor dieser Zeitschrift.