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Christoph Luchsinger, zvg.

Die Odyssee des blauen Bankers

Das Modell des Random Walk erklärt die Irrwege von Betrunkenen ebenso wie Aktienkurse.

 

Ein stockbesoffener Banker stolpert aus einer Bar. Auf dem Trottoir torkelt er im nächsten Schritt entweder nach links oder nach rechts – abstrakt ausgedrückt nach –1 oder nach +1 – mit je 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Einmal dort angekommen, beginnt das Spiel von neuem. Er bewegt sich also wieder entweder nach links oder nach rechts und so weiter. Man kann sich fragen, ob der Stockbesoffene so ­jemals wieder zum Eingang zurückkehren wird. Zuerst die gute, überraschende Nachricht: Ja, ganz bestimmt kommt er so irgendwann zurück zum Eingang. Er kommt übrigens ganz sicher auch zu jedem anderen Punkt auf dem Trottoir, mag dieses noch so lange sein. Die schlechte Nachricht: Es dauert durchschnittlich unendlich lange.

Nachdem der Betrunkene erst mal auf dem Trottoir in einer Dimension herumgetorkelt ist, gehen wir einen Schritt weiter: Er muss sein Auto auf dem Parkplatz wiederfinden. Dieses Problem ist aber von ganz anderer Qualität und Quantität: Er kann jetzt nach links, rechts, nach vorne oder hinten torkeln, ­jeweils mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Viertel. Die gute Nachricht zuerst: Mit dieser Strategie wird er ganz ­sicher sein Auto finden. Er kommt übrigens ganz sicher auch zu jedem anderen Punkt auf der Ebene. Die schlechte Nachricht auch hier: Es dauert durchschnittlich unendlich lange. Der beschriebene Prozess ist in der Mathematik als «Random Walk» bekannt. Mit dem Wechsel von einer Dimension ­(Trottoir) zu zwei Dimensionen (Parkplatz) steigt die Zahl der Möglichkeiten. Der Banker hat Glück, dass er sein Auto nicht in einem Parkhaus (drei Dimensionen!) abgestellt hat. Der Random Walk ist nicht nur ein spielerisches Modell, ­sondern auch in der höheren Mathematik relevant, beispielsweise in der Finanz- und Versicherungsmathematik. Der ausgenüchterte Banker wird am nächsten Handelstag bei der Betrachtung des Auf und Ab der Kurse ein Déjà-vu haben. In der Tat werden in den einfachsten Modellen Aktien- und Wechselkurse mit dem Random Walk und Abwandlungen davon modelliert.

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