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Die neue alte Sharing Economy

Die Idee des ressourcenschonenden Gemeinschaftskonsums gibt es schon lange. Sie nennt sich Kapitalismus.

Die neue alte Sharing Economy
Älter als gedacht: das Freibad wird lange schon «geshared». Bild: fotolia.

Papst Franziskus ist ein Mann der klaren Botschaft: «Diese Wirtschaft tötet.» Mit einem einzigen Satz spricht der Papst aus, was sich Millionen von Menschen denken: Die Reichen werden immer reicher, während die Ärmsten der Armen vor die Hunde gehen. Das sei laut gängiger Meinung auch keine Laune der Natur, sondern das Naturgesetz einer heillos ungerechten Spielanordnung, die auf allen Teilen dieser Erde ihr Unwesen treibe. Ob man «diese Wirtschaft» nun Kapitalismus oder freie Marktwirtschaft nennt, ist eine Geschmacksfrage, die am vernichtenden Befund nichts ändert: Jene, die schon alles haben, stopfen sich immer mehr in ihre Taschen, während es Abermillionen von Menschen am Nötigsten fehlt. Weil der Überfluss der wenigen seit Generationen in den Entwicklungsländern zusammengestohlen wird.

Wer das für billige Antikapitalismuspolemik linker Obskurantisten hält, dürfte schon länger keine wirtschaftspolitischen Diskussionen mit Freunden und Bekannten geführt haben. Andernfalls wäre klar, dass sich Papst Franziskus’ Kapitalismuskritik mittlerweile in den verbliebenen Salons des wohlhabenden Bürgertums etabliert hat. Sich gegen Kapitalismus und seinen «Fetisch Wachstum» auszusprechen, ist ebenso chic wie das Beklagen des von den Geldgebern kaputtgesparten Griechenlands. Gefolgt vom flammenden Appell, dass «wir» endlich aufwachen müssen, bevor Mutter Erde erbarmungslos zurückschlagen wird.

Dass diese Sicht der Dinge vor allem in den Hochburgen des Wohlstands auf breite Resonanz trifft, hat wohl damit zu tun, dass das allgemein akzeptierte Verständnis von Wachstum ein antiquiertes ist. Noch immer wird der Begriff mit sich auftürmenden Güterbergen gleichgesetzt, mit rauchenden Schloten einer rücksichtslosen Überproduktion, deren alleiniger Zweck die Befriedigung einer ordinären Konsumsucht ist. So wird das in den Klassenzimmern unserer Schulen seit vielen Jahren gelehrt. Übersehen wird, dass das Wachstum in den Industrieländern nicht mehr das ist, was es einmal war. In den meisten Fällen haben wir es heute mit einem qualitativen Wachstum zu tun, welches das quantitative immer stärker verdrängt. Wirtschaftsräume mit stagnierender Bevölkerung wachsen eben nur noch durch den Absatz neuer, hochwertiger Produkte und Dienstleistungen: Wir hämmern heute nicht mehr in Schreibmaschinen, sondern in Laptops und iPads. Das Festnetz ist längst Geschichte, heute sind selbst unterste Einkommensschichten jederzeit über ihre Handys mobil erreichbar. Autos sind auch heute noch Autos – sie verbrauchen aber immer weniger Energie und «können» immer mehr. Niemand kauft heute noch ein Babyphone, heute wachen zwei über eine günstige App verbundene Smartphones über dem schlafenden Nachwuchs. In der industrialisierten Welt wächst die Wirtschaft immer weniger über das Konsumieren des immer Gleichen. Die Wertschöpfung wird über eine deutlich verbesserte Qualität des Güter- und Dienstleistungsangebots gesichert: von der über das Mobiltelefon ferngesteuerten Heizung über besser ausgestattete und selbststeuernde Automobile und kleinere und immer schnellere Smartphones bis hin zu Apps, die ganze Produktionszweige in Frage stellen.

Ebenso übersehen wird von den Fürsprechern der neuen Bescheidenheit, dass die von ihnen verfluchten Märkte nicht das Problem, sondern die Lösung sind. Letztere sind nämlich gerade wieder einmal dabei, der Menschheit eine ganze Reihe von Hürden aus dem Weg zu räumen – und das auch noch ganz im Sinne der einkommensschwachen Bevölkerung und der ökologisch verantwortungsbewussten Wohlstandselite. In europäischen Grossstädten muss heute kaum noch ein junger Mensch die letzten Reste seines hoch versteuerten Arbeitseinkommens zusammenkratzen, um sich den Traum vom eigenen Automobil erfüllen zu können. Hinter der nächsten Ecke wartet vom Smart bis zum geräumigen Mini-Kombi so gut wie alles, was das urbane Herz begehrt. «Car-Sharing» heisst die neue Zauberformel, Teilen statt Besitzen der neue Trend. Wer einen Bohrer braucht, kauft ihn nicht, sondern leiht sich das Teil im nächsten Baumarkt. Wer sich heute eine Stadt in Europa aus der Nähe ansehen will, kann das auch mit beschränkten finanziellen Ressourcen tun. Man besteigt den Billigflieger, ruft sich über Uber ein günstiges Taxi und steigt im nächsten Airbnb ab. Selbst im kommunistischen Kuba sorgt das neue Beherbergungsmodell für Furore und beschert verarmten Haushalten die nötigen harten Devisen.

Die Verbraucher sind hellauf begeistert, die etablierten Anbieter erschüttert. Eingeklemmt in ihren regulatorischen Konzepten beklagen sie schwere Wettbewerbsverzerrungen durch die neuen, grossteils frei operierenden Anbieter – allerdings nicht ganz zu Unrecht. Denn wer heutzutage ein Hotel oder eine kleine Pension betreibt, stöhnt unter enormen Auflagen. Verpflichtende Brandmelder, feuerfeste Türen, Fluchtwege, Nichtraucherschutz und sich verschärfende Hygienebedingungen lösen in gewerblich genehmigten Hotels jährlich enorme Kosten aus, die Airbnb-Konkurrenten nur vom Hörensagen kennen.

Taxiunternehmer wiederum beschweren sich aus gutem Grund darüber, dass sie zum Erhalt einer Lizenz horrende Summen in die öffentlichen Kassen zu bezahlen haben, während die neuen Anbieter ohne Lizenzen und die damit verbundenen Kosten auskommen. Geschickt inszenieren die Vertreter des Taxikartells das Bild vom fehlenden Konsumentenschutz. Ganz so, als würde der freundliche, ortskundige Taxilenker mit dem sauber geputzten Mercedes von den Zentrifugalkräften des freien Marktes zermalmt. Aber kennt die Kundschaft des kartellierten Taxigewerbes nicht auch das genaue Gegenteil dessen? Sind nicht verdreckte, klappernde Wagen, gelenkt von unfreundlichen und mässig ortskundigen Lenkern, eher die Regel als die Ausnahme?

Unerwähnt bleibt vielerorts, dass die eingesessenen Anbieter nicht durch das Auftreten der neuen Anbieter ins Hintertreffen geraten, sondern durch eine völlig aus der Kontrolle geratene Regulierungsindustrie, die sich gerade auf die neue Situation einzustellen versucht. Statt das vorhandene Regeldickicht zu lichten und so Druck von den benachteiligten Unternehmen zu nehmen, tun Behörden das, was sie in diesen Situationen schon immer getan haben: Sie versuchen die neuen Anbieter derselben absurden Regulierung zu unterwerfen wie die eingesessenen Unternehmen. In vielen europäischen Städten werden Arbeitsgruppen eingerichtet, die herausfinden sollen, wie die neuen Anbieter unter Kontrolle zu bringen wären.

Auf der anderen Seite wird die «Sharing Economy» von jenen gefeiert, denen die auf Bedienung individualistischer Instinkte abgerichtete Marktwirtschaft seit jeher suspekt war. Sie bejubeln den neuen Trend als bahnbrechende Entwicklung, weil das gemeinschaftliche Nutzen von Dingen in der Lage sei, den auf Besitz fixierten Kapitalismus abzulösen. Das ist aus zweierlei Gründen bemerkenswert. Erstens, weil auch Teilen Besitz voraussetzt. Zweitens, weil der Trend nicht wirklich neu ist. Es gibt ihn schon lange, er läuft nur unter einem anderen Namen. Kaum jemand hat einen eigenen Pool im Garten stehen, vielmehr teilen sich die Menschen öffentliche Schwimmbäder. Nur auf die wenigsten wartet der eigene Jet am Flughafen, die meisten Menschen steigen in die Flugzeuge anderer. Dasselbe gilt für Hotels, Restaurants, Papierfabriken, Kraftwerke, Stromleitungen, Tankstellen, Autoproduktionen. Die industrialisierte Gesellschaft teilt sich seit Erfindung der Arbeitsteilung nicht nur Fabrikflächen und Fertigungshallen, sondern Millionen von Arbeitskräften. Diese Form des Teilens von Ressourcen nennt sich allerdings nicht «Sharing Economy», sondern Kapitalismus. Die grosse Neuerung besteht nun darin, dass die gemeinsame Nutzung durch die fortschreitende Digitalisierung noch einfacher, schneller und günstiger geworden ist. That’s it.

«Diese Wirtschaft» tötet nicht, sie löst die Probleme von Millionen von Verbrauchern in allen Teilen der Welt. Nicht zuletzt jene der weniger begüterten Menschen. Es sind nicht gemeinwohlorientierte Genossenschaften, die den ressourcenschonenden Gemeinschaftskonsum möglich machen, sondern die nach Profit strebenden neuen wie eingesessenen Anbieter der Marktwirtschaft. Auch wenn sich diese Erkenntnis nicht für ein Evangelii Gaudium zu eignen scheint. Schade eigentlich.

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