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Die nächste Generation
Illustration von Christina Baeriswyl.

Die nächste Generation

Die grossen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen unserer Tage beeinflussen auch die Philanthropie. Das bedeutet: neue Herausforderungen beim Geben. Aber auch: bessere Werkzeuge dazu! Wie also könnte Stiftungsarbeit im 21. Jahrhundert aussehen? Perspektiven eines Insiders, der nicht nur die Stiftungswelt gut kennt.

Philanthropie ist eine komplexe Angelegenheit. Sie wird von Leidenschaft, Verlangen und Ehrgeiz befeuert, enthält aber durchaus auch Aspekte von Pflicht und Schuld. Deshalb gibt es auch nicht nur eine Philanthropie, sondern eine Vielzahl verschiedener Ausprägungen, in der sich die Verschiedenheit der Zwecke bzw. der Spender ausdrückt. Philanthropie hat tiefe Wurzeln: Frühe Formen der Organisation des philanthropischen Engagements sind die Liturgien der griechischen Antike sowie verschiedene Formen religiöser Almosen. Kleinspenden und Grossschenkungen wohnte dabei seit jeher dasselbe Prinzip inne: Ein Übel oder einen Mangel gedachte man durch das Geben von Geld zu beheben. Das führte zu absolut erstaunlichen Ergebnissen, etwa dem Bau von Bibliotheken, der Schaffung künstlerischer Meisterwerke, bahnbrechender medizinischer Entdeckungen oder der Rettung vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Sogar Notfallrettung oder Katastrophenhilfe konnte und kann so betrachtet werden: plötzliche Notstände, teilweise gemildert durch Menschen, die nicht direkt betroffen sind. Kurz gesagt: Philanthropie war, wenn jene, die viel hatten, denen etwas gaben, die weniger hatten.

«Indem wir das ‹Warum?› unseres Engagements untersuchen, hinterfragen wir unsere Werte und gleichen sie mit dem Status quo ab.»

Damit könnte man es an sich bewenden lassen – aber reicht das, wenn es um die Philanthropie von morgen geht? Als Investor und Alumnus der London School of Economics, aber auch als Vorstandsmitglied zweier wohltätiger Stiftungen bin ich ein grosser Freund der regelmässigen Inventur. Das heisst: Nicht stehen bleiben, sondern zwischendurch immer wieder pausieren, einen Schritt zurücktreten und das eigene Handeln untersuchen – um dann in die richtige Richtung und im richtigen Tempo weiterzugehen. Besonders wichtig scheint mir das in komplexen, facettenreichen und vielschichtigen Zusammenhängen wie in der Philanthropie: Indem wir das «Warum?» unseres Engagements untersuchen, hinterfragen wir unsere Werte und gleichen sie mit dem Status quo ab. Und wenn wir das regelmässig tun, kalibrieren wir gleichsam das «Wie?» – um relevant und effizient zu bleiben. Dabei hilft uns ein Blick durch die Brille der Ökonomie.

Korrektur von Marktversagen

In ökonomischer Hinsicht ist Philanthropie heute oft nichts anderes als der Ausgleich von Marktversagen: Sie ist ein privater, individueller Beitrag zur Stillung eines wahrgenommenen öffentlichen «Bedarfs». Während die Absichten dabei jeweils edel sein mögen (es soll hier angenommen werden, dass sie es meistens sind), ist es wichtig, über die Legitimität, die Stiftern zugestanden wird, sowie ihre Macht über die Allokation wohltätiger Mittel zu diskutieren. Kern dieser Debatte ist das Konzept der Perpetuität und das missliche Verhältnis, das dieses zwischen einem Stifter und bestehenden Machtstrukturen wie dem Staat schafft. Wenn ein privater Stifter z.B. in einem Bereich agiert, der in die Verantwortlichkeit des Staates fällt, wer ist dann für eine faire und nachhaltige Unterstützung des Programms verantwortlich? In solchen Situationen ist eine nachhaltige Finanzierung entscheidend, die Finanzierungsfrage ist nämlich meist der grösste begrenzende Faktor bei philanthropischen Projekten: Wenn eine Gesellschaft von einem nicht nachhaltig finanzierten Projekt abhängt, wird der Stifter, allgemein gesprochen, zum begrenzenden Faktor gesellschaftlichen Fortschritts – was Grund zur Sorge bereitet. Zudem können zwar Stifter höchst wirksam Kapital für Themen einsetzen, die ihnen am Herzen liegen, doch entstehen so auch oft Insellösungen, wo eigentlich systemische Lösungen gefragt wären.

«Allzu oft drängen die Geber ihren Destinatären einfach ihre Vision auf, ohne zu bedenken, dass sie selbst nicht an der Front stehen.»

Der Philanthropiesektor der nächsten Generation muss sich mit diesen Zielkonflikten stärker auseinandersetzen, denn als systematisches Korrektiv für Marktversagen weist er zwei entschei­dende Schwachstellen auf: Philanthropie ist, erstens, von den Launen der Stifter getrieben und reduziert, zweitens, nur selten die Abhängigkeit von weiteren Zuwendungen. Das kann daher rühren, dass Philanthropie vor allem reagiert, insofern Geber äusseren Anreizen folgen, wenn sie über die Allokation ihrer Mittel entscheiden – mit dem Ergebnis, dass traditionelle Spendenpraktiken das Aufkommen von Ungleichverteilungen kaum verhindert haben. Das ist bemerkenswert, schliesslich sollte doch Philanthropie, wo sie denn wirklich Ungleichverteilungen mildern wollte, dies in Unabhängigkeit von Gebern tun. Das Ziel des Gebens ist ja nicht die Teilhabe an einer guten Sache, sondern der Anspruch, Probleme zu lösen. Das oberste Gebot aller Philanthropen sollte folglich sein, das eigene Engagement in Zukunft unnötig zu machen.

«Mach dich überflüssig!»

Ich glaube, dass hier die Chance für die Philanthropie der nächsten Generation liegt: Die Geber des 21. Jahrhunderts sollten sich deshalb die vier folgenden – aus verschiedenen Bereichen entlehnten – Grundsätze zu eigen machen, um sowohl die Launenhaftigkeit des Stiftens wie auch die geringe Nachhaltigkeit vieler Stiftungsinitiativen zu einem Fall für die Geschichtsbücher zu machen.
Ergebnisorientierung: Ergebnisorientierung heisst, sich vor allem auf das erwünschte Resultat zu fokussieren. Dadurch entsteht Flexibilität bezüglich der Mittel, die zu diesem Zweck eingesetzt werden, wodurch wiederum effektivere, wenn auch vielleicht ungewöhnliche Ansätze möglich werden. Auch wird auf diesem Wege systemisches Denken gefördert, das mit Hebelpunkten in einem multidisziplinären Ansatz arbeitet und ein mächtiges Werkzeug auf dem Weg zu resilienten und nachhaltigen Gesellschaften darstellt.
Kollaboration: Philanthropie muss kollaborativer werden, und zwar in dreierlei Hinsicht. Zunächst kommt es, erstens, auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen Empfängern und Gebern an. Es ist entscheidend, dass die Begünstigten eines Projektes über dessen Gestaltung und Ziele mitbestimmen. Allzu oft drängen die Geber ihren Destinatären einfach ihre Vision auf, ohne zu bedenken, dass sie selbst nicht an der Front stehen. Die Geber sind dafür verantwortlich, dass die Interessen der Empfänger priorisiert werden. Das ist nicht bloss eine Frage der Moral, sondern kann durchaus entscheidend zum Erfolg beitragen. Inter­essengruppen einzubeziehen erhöht die Teilnahme und befördert faire Ergebnisse.
Die zweite Art der Zusammenarbeit ist die der Geber unterein­ander. So plausibel es erscheint, die künstlichen Grenzen zwischen Stiftungen zu überwinden, so schwierig ist es in der Praxis. Wo aber Einigkeit über die Ziele besteht und diese dann zusammen angestrebt werden, sinken die Erfolgskosten für alle Beteiligten, was wiederum den Nutzniessern zugutekommt.
Drittens kann eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Empfängern zu einer wirtschaftlichen Entwicklung vor Ort führen und/oder die Attraktivität eines Projekts erhöhen. Dabei wird, ähnlich wie bei der Zusammenarbeit zwischen Gebern, das Pro­blem konkurrierender Programme gemildert. Auch wird der Fokus auf das zentrale Thema zurückgewonnen.
Schlankheit: Stiftungen sind mitunter höchst ineffiziente Maschinen. Unsicherheit hinsichtlich der künftigen Finanzierung oder – umgekehrt – der Druck, ein grosses Budget ausgeben zu müssen, tragen zur Ressourcenverschwendung bei. Ressourcenverschwendung ist es, wenn Geld oder Zeit in Aktionen gepumpt werden, die nichts zum Erreichen der Mission beitragen. Indem besondere Sorgfalt darauf verwandt wird, Programme zu verschlanken, mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen zu arbeiten und Ergebnisse zu messen, können Verluste reduziert und Ressourcen fürs Geben gespart werden.
Nachhaltigkeit: Zu guter Letzt ist es entscheidend, dass wohltätige Projekte ihren ursprünglichen Geldgeber überleben. Nur so können Geber ihr Versprechen einlösen, Ungleichverteilungen abzumildern. Es gibt verschiedene Wege zu diesem Ziel, unter anderem gemeinschaftliches Eigentum, der Einbau von Einnahmequellen ins Projekt bereits in der Gestaltungsphase, breit abgestützte Kofinanzierung oder Private-Public-Partner­ships. So bleiben Projekte relevant und schaffen Wert über lange Zeiträume.
Bisher setzten nur wenige Stiftungen diese vier Grundsätze so konsequent um wie die MAVA Fondation, die damit schon lange gute Erfahrungen macht. Das ist verständlich, wenn man die Zersplitterung sowie die überwiegend private Struktur des Stiftungssektors bedenkt. Setzen sie sich aber – spätestens in der nächsten Generation von Stiftern – immer mehr durch, wird das die Wirksamkeit ihrer Initiativen mittel- bis langfristig maximieren.

Impact Investing und Renditeerwartung

Ein neuer, erfreulicher Trend in dieser Hinsicht ist die wachsende Zahl sogenannter Impact-Investoren, die an zu lösende Probleme mit einer unternehmerischen Denkweise herangeht. Sie fragen sich: Wie kann Wert geschaffen werden, der zugleich fair verteilt und nachhaltig ist? Hierbei deutet das Überwiegen sogenannter «Next Gens», also der Kinder von Stiftern, auf den Wunsch hin, die Art und Weise, wie Geber Wohltätigkeit verstehen und ausüben, neu zu denken. Impact Investing zieht deshalb auch wachsende Finanzierungssummen an und könnte sich als wichtiges Instrument gesellschaftlichen Fortschritts erweisen. Aber so attraktiv es auch ist und noch werden wird, die «klassische» Philanthropie kann es nicht vollständig ersetzen.
Denn sie erlaubt den Gebern einzigartige Flexibilität und Kreativität: Wo Geben nicht an Renditeerwartung geknüpft ist, können Programme innovativer sein – und mehr Risiken eingehen als im Umgang mit klassischem Anlagekapital. Stiftungen sind also Nährböden für ungewöhnliche Ansätze und disruptive Methoden. Ihre einzigartige Stellung muss und wird erhalten bleiben, da sie von Leidenschaft getriebenen Menschen erlaubt, Geld dort einzusetzen, wo sie es für wichtig halten – unabhängig von den Gesetzen des Marktes, die nicht selten gegen solche Investments sprechen. Wahr ist aber auch: Märkte sind (meist) finanziell potenter als einzelne private Geber. Und manch philanthropisches Projekt könnte bedeutend (auf)skaliert werden, wenn es gelänge, auch diese Reserven anzuzapfen. Vielleicht weisen solche Kooperationen sogar Wege zu einer ganz neuen Fortschrittsdynamik. Entscheidend dafür ist das gegenseitige Verständnis und Vertrauen der Stiftungs- und der Wirtschaftswelt, was es auch politisch zu fördern gilt. Philanthropie kann auf diesem Weg zu einem noch wichtigeren Baustein in der Entwicklung globaler, geteilter Prosperität werden. Wenn ich, als Vertreter der nächsten Generation in der Philanthropie, meinen Kolleginnen und Kollegen in der Stiftungswelt nur einen Ratschlag mit auf den Weg geben sollte, so wäre es wohl dieser: Ihr solltet euch bemühen, Markterfolge zu schaffen, statt (nur) Marktversagen auszugleichen!


 

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