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Nacht des Monats mit Christa de Carouge

Nacht des Monats mit Christa de Carouge

Auf ihrem Klingelschild im Zürcher Seefeld stehen zwei Namen: Christa Furrer und Christa de Carouge. Ihren Künstlernamen verdankt Christa Furrer der Stadt, in der sie ihre erste Kollektion noch gemeinsam mit ihrer Mutter nähte. Mit dem Segen des damaligen Bürgermeisters verwendet sie ihn aber auch heute noch. Die 75jährige Designerin öffnet – sich entschuldigend – die Tür, ein Telephon am Ohr. Ich bin zum Essen eingeladen. Und etwas zu früh.

Unsichtbare Lautsprecher plätschern Chilloutklänge in indirekt ausgeleuchtete Räume, deren Wände ausschliesslich aus blankem, kaltem Ziehbeton bestehen. Bauhaus trifft Le Corbusier. Es dominieren klare Formen, nichts ist überflüssig, vieles bewusst kontrastierend. Hineinkomponiert sind dunkelgraue Statuen, die Christa de Carouge, nun nebenan telephonierend, von ihren Asienreisen mitgebracht hat. Früher regelmässig. Heute seltener, denn Asien habe an Anziehungskraft verloren. Gute Ideen hole sie sich aber noch immer auf der ganzen Welt, sagt sie, als sie kurz darauf ohne Telephon ins Wohnzimmer kommt. Und vor allem bei den einfachen Leuten, die mit dem Wort «Design» nichts anfangen können, wohl aber wissen, dass sich Kleidung im Tagesgeschäft bewähren muss. Sie selbst trägt ein langes schwarzes Etwas, das seidig glänzt und der kleinen Frau mit dem Stirndutt beinahe die Aura einer modernen Geistlichen verleiht.

Ihr schwarzer Hund Sushi wuselt um unsere Beine. «Als ich ihn bekam, hiess er noch Gucci – ich habe ihn augenblicklich umbenannt», lacht de Carouge, als sie mich in die Küche bittet. Kurz darauf füttert sie den schwarzen Vierbeiner zur Feier des Abends mit Darvida-Abspeck-Keksen. «Die liebt er», sagt sie und öffnet den Champagner. In einem kleinen schwarzen Emailletopf auf dem Herd hinter ihr köchelt bereits der Reis. Daneben, in einem schwarzen Löffelkorb, steckt ein ungerahmtes Bild ihres verstorbenen Mannes, das jeweils auch noch einmal im Bad und im Schlafzimmer steht. In kleinen Schälchen ruhen, fein und sauber, die Zutaten für den Risotto. Sie reicht Brot mit Thunfischmousse und Tessiner Rohschinken.

Während sie kocht, sprechen wir über ihre Kleidung. Obwohl viele ihrer Stücke sperrige Namen wie «Tempel» oder «Podium» tragen, sollen sie in erster Linie praktisch und komfortabel sein. Könnte sie noch einmal wählen, sagt sie, während sie heisse Bouillon in den Topf gibt, sie würde Architektin werden. Sie glaubt, dass sie das Nützlichkeitsprinzip instinktiv aus der Architektur übernommen hat. Kleidungsstücke, verstanden als Behausungen, als Rückzugsgebiete. Ihre Schnittmuster ähneln grundrissartigen Bauzeichnungen. Ein Stück liess sich tatsächlich zum vollwertigen Schlafplatz umfunktionieren – und wurde zum modernen Klassiker.

Dann, ganz plötzlich, aber ohne Hast: zu Tisch. In einem weissen Schälchen: Salat. Ein Dressing aus drei verschiedenen Senfsorten, Walnussöl, Zitrone statt Essig. Mehr verrät sie aber nicht. Ein Cabernet Sauvignon, dazu Risotto mit Poulet und grünem Spargel. Und Morcheln. Ein Genuss! Das Geniessen, findet sie, sei ein gutes Stichwort, mehr noch: ihr Anspruch ans Leben. Schon kurz darauf geniesst sie – nein, sie zelebriert – eine Filterzigarette. Dabei merkt sie an, dass sie Rauchverbote als Spielart der Bevormundung ablehne, auch wenn sie selten rauche. Ich frage nach der Nichtfarbe Schwarz. Sie lacht. Das sei ihre Lieblingsfarbe, gar «die Farbe unserer Zeit». Schwarz biete Schutz und Sicherheit – was man in der heutigen Unruhegesellschaft als Ausgleich brauche. Schwarz lasse Raum und sei eben eine Genussfarbe. In ihrem Unternehmen, das sie international erfolgreich in einer Nische für stil- und qualitätsbewusste Frauen etabliert hat, verkaufe sie zwar auch farbige Kleider, irgendwann werde aber ohnehin alles…schwarz.

Sie glaube nicht an ein Leben nach dem Tod, sagt sie während des Desserts. Tiramisu mit Birnen, zubereitet von ihrer Schwester. «Es darf ruhig einfach schwarz werden, wenn es so weit ist. Diese Vorstellung gefällt mir.» Das gelte auch für ihr Unternehmen. Keine Übergabe, keine Erben? Kinder, nein, die habe sie nie gewollt. Als Älteste von fünf Geschwistern sei sie lang genug erzieherisch tätig gewesen. «Es hört dann einfach auf. Schauen Sie sich an, was im Hause anderer verstorbener Designer abläuft. Die würden sich im Grabe umdrehen, sähen sie, was mit ihren Ideen passiert.»

Zum Abschied noch einmal Kekse für Sushi, Espresso für die Tischgäste. Für mich mit Zucker. Für sie, selbstverständlich, schwarz.

Nachtrag: Christa de Carouge verstarb im Januar 2018.

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