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Nacht des Monats mit Andreas Thiel

Nacht des Monats mit Andreas Thiel

Eine halbe Stunde vor Beginn der Show ärgert sich Andreas Thiel vor dem Bühneneingang des Theaters am Hechtplatz in Zürich. Die Parkuhr neben seinem Land Rover ist abgelaufen, unter dem Scheibenwischer klemmt eine Busse. Ein Fluchen, ein Lachen. «Der Staat büsst die staatskritische, freie Kunst», moniert er bereits mit Rampenstimme. Ausserdem müsste für den Gastgeber, also ihn, Champagner bereitstehen, stattdessen steht Prosecco in der Garderobe. «Und Prosecco», sagt Thiel, «ist für Sozialdemokraten.»

Er verschwindet, ins Theater, über eine schmale Treppe nach unten. Sie mündet in die Eingeweide des Kleintheaters, in einen Raum, der nach Pausenbrot, Bier und Leder riecht. Hier sitzen Giorgio, Peter und René, die später, oben, anders heissen werden. Einer von ihnen wird sein Programm unter Beifall durchziehen können, ein weiterer wird das Publikum lautstark in Euphoriker und Vernichter teilen. Und ein letzter wird unter Buhrufen und Stampfen gnadenlos von der Bühne fliegen. Noch ist das Zukunftsmusik. Andreas Thiel, Erfinder und Gastgeber des «Bösen Montags», der bekanntesten offenen Bühne der Schweiz, weiss vielleicht schon, was auf die Künstler zukommt. Er steht beobachtend im Durchgang, eine elektrische Zahnbürste summt in seinem Mundwinkel.

Eigentlich ist Andreas Thiel ja gar nicht mehr da. Ausgewandert. Nach Reykjavik, Island, schon vor zwei Jahren. «Es blieben mir genau zwei Möglichkeiten. Auswandern oder das Bundeshaus in die Luft sprengen.» Harter Tobak aus dem Munde eines Berufssarkasten, eines eidgenössischen Beinahe-Guy-Fawkes? Es mache ihn wahnsinnig, sagt er, zusehen zu müssen, wie der Staat mit Verordnungen und Verboten die freie Kunst sabotiere, mit Steuern und Abgaben deren Produktionsbudgets pulverisiere, nur um dann mit dem eingestrichenen Geld subventionierte Kunst zu produzieren. Thiels dunkelbraune Augen wandern nachdenklich die Wände des kleinen Raumes unter der Bühne auf und ab. Er ging. Flog. Mit Frau. Nun trifft man ihn längs der Alpen nur noch anlässlich fester Termine, die ihm die Zurückgezogenheit Islands finanzieren. Ausser heute. An seiner eigenen Show verdient er nämlich nichts.

Als prominenter Spassvogel nutzt er das Kabarett, um Kritik an Bern loszuwerden. Eingepackt hat er sie in einen trügerisch harmlosen, charmanten Panzer aus schwarzem Humor und Sarkasmus. Eine eigentlich erhabene Position, die der Berner innehat: «Vor- und Nachteil des Kabarettistendaseins ist, dass man nicht ernst genommen wird. Schade um all die Anliegen, aber wenn die Besucher der Shows wüssten, dass ich tatsächlich meine, was ich sage, hätte man mich wohl längst eingesperrt.» Oder verboten.

Dann ist es so weit. Vorhang auf, Thiel flaniert ins Rampenlicht, scharmützelt, kündigt an, lobt, warnt – und kniet während der Darbietungen bübisch versteckt in der Gasse am Bühnenrand, schlägt die Hände vor den Kopf und verschüttet vor Lachen den sozialdemokratischen Schaumwein.

Die Anziehungskraft der Kleinkunst habe einen einfachen Grund, sagt Thiel weit nach Mitternacht bei einem Espresso im benachbarten «Odeon». Es sei Kunst für diejenigen, die sie nachfragten, von denen, die etwas zu bieten hätten. Kabarett, das ist für Thiel ein Wachstumsmarkt. Was woanders längst funktioniere, werde in der Schweiz vom trägen staatlichen Fernsehen sträflich vernachlässigt. Die Zahlen in Zürich geben ihm recht: Thiels böse Montage sind stets ausverkauft. Sie beeindrucken mit dem Ungeschliffenen, dem Tatsächlichen. Kunst als Generalprobe: auf seiner Bühne seien Künstler nur dann Künstler, wenn sie sich vor zahlendem Publikum bewährten, sagt Thiel. Das sei manchmal hart, oft rauh, aber immer ehrlich. Wer erfolgreich sein statt im subventionierten Kuchen veröden wolle, müsse sich dem Publikum stellen. Punkt. Der Profi geht mit gutem Beispiel voran, von Ungeschliffenheit kann bei ihm nach 15 Jahren auf der Bühne keine Rede mehr sein. Thiel ist der professionelle Kitt zwischen den Auftritten, verleiht der allmonatlichen Melange von Liedern, Handstand und Zoten am Hechtplatz den Touch von glamouröser Seriosität – jederzeit spürbar ist, dass er den Beginn seiner Karriere eben jenen Bühnen verdankt, auf denen andere nun unter seinen Augen ihr Glück versuchen. Und er honoriert ihren Mut, gibt unbeschwert eine Runde Wein für die heutigen Teilnehmer, egal, ob beklatscht oder ausgebuht. «Welchen?», fragt der Wirt. «Den besten», antwortet Thiel.

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