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Die Mutter aller Reformen

Die Leistungen der deutschen Politik der letzten Jahre stehen in keinem Verhältnis zur Grösse der anstehenden Probleme: Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsflaute, Haushaltskrise. Wir haben jenen Punkt erreicht, bei dem man die tieferen Ursachen der Krise behandeln sollte, wenn man nicht in der Symptomtherapie stecken bleiben will. Dies führt wohl unweigerlich dazu, sich über die Rahmenbedingungen der Politik […]

Die Mutter aller Reformen

Die Leistungen der deutschen Politik der letzten Jahre stehen in keinem Verhältnis zur Grösse der anstehenden Probleme: Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsflaute, Haushaltskrise. Wir haben jenen Punkt erreicht, bei dem man die tieferen Ursachen der Krise behandeln sollte, wenn man nicht in der Symptomtherapie stecken bleiben will. Dies führt wohl unweigerlich dazu, sich über die Rahmenbedingungen der Politik Gedanken zu machen. Auch die Politik braucht den Wettbewerb. Eigentlich sollte man annehmen, dass der deutsche Föderalismus den Wettbewerb um die beste Lösung erzwinge. Der Einwand, es sei gerade die in Deutschland gegenwärtig praktizierte Variante des Föderalismus, die den Reformstau verursacht habe, ist allerdings berechtigt. Die Reform muss bei den Rahmenbedingungen ansetzen.

Der deutsche Föderalismus ist mit dem Schweizer Föderalismus nur bedingt vergleichbar, denn er hat äusserst wenig mit dem Subsidiaritätsprinzip zu tun. Er basiert nicht auf eigenständigen und exklusiven Kompetenzen und Hoheitsrechten der Länder, sondern auf deren Mitspracherecht im Bundesrat. Tatsächlich ist er ein Zentralismus, der es möglichst vielen Beteiligten ermöglicht, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Verschärft wird dieser Missstand durch einen Finanzausgleich, der den verfassungsrechtlich an sich möglichen Steuerwettbewerb neutralisiert. Das System verspricht den Ländern scheinbare Umverteilungsgewinne zu Lasten anderer Länder und des Bundes. Damit ist ein Anreiz für das Abtreten von Kompetenzen zu Gunsten dieser scheinbaren Umverteilungsgewinne gesetzt. Der so initiierte Umverteilungskampf zwischen den Gebietskörperschaften führt zu einem Kompetenzwirrwarr, der durch das Prinzip der Mischfinanzierungen zwischen den Ebenen noch undurchsichtiger wird. Aufgeblähte Haushalte, Schuldenberge und Misswirtschaft auf allen Ebenen sind die Folge.

Aus diesen Gründen wird die Föderalismusreform zur zentralen Grundfrage der deutschen Politik. Sie ist die Mutter aller Reformen. Leider neigten in Deutschland die Politiker – auch die liberalen – bisher zur Forderung nach mehr Zentralismus, anstatt für mehr echte Kompetenzen bei den Ländern zu kämpfen. Die Aufgabenteilung von Bund und Ländern muss aufgrund eines Trennsystems transparenter werden. Das Subsidiaritätsprinzip und das Prinzip des Wettbewerbs müssen auch im politischen System verankert werden. Gute Politik muss sich lohnen und das Anliegen, die Steuerlasten zu mindern, muss politisch attraktiv sein.

Ein föderalistischer Wettbewerb unter den Ländern würde zu einem Machtverlust des Bundesrates führen. Aber wäre das so schlimm? Schon jetzt scheint bei vielen Ländern (vor allem den «Nettozahlern» im gegenwärtigen System) eine gewisse Bereitschaft vorhanden zu sein, die bisher schale Mitbestimmung durch eine echte Selbstbestimmung zu ersetzen. Im jetzigen System ist die destruktive «Blockierfunktion» des Bundesrates schon strukturell vorgegeben. Schwächung des Bundesrates und Stärkung der Bundesländer, so lautet das Gebot der Stunde. Die aus der Zentralisierung und der Vermischung von Kompetenzen entstehenden scheinbaren Vorteile für die Länder sind in Wirklichkeit langfristige Nachteile. Wie üblich sind Vorteile, die durch politische Transfers gewonnen werden, ein schleichendes Gift, das abhängig macht, aber die Krankheit nicht heilt.

Unsere massgebenden Politiker liessen viel wertvolle Zeit verstreichen und machten sich nur halbherzig an die Umsetzung von Lösungsvorschlägen wie sie viele Experten – darunter die von mir geleitete Föderalismuskommission der Friedrich-Naumann-Stiftung mit fünf Reformmanifesten – seit Jahren ausgearbeitet haben. Mitte letzen Jahres beriefen Bundesregierung und Länder eine Kommission zur Reform des Bundesstaates ein. Im Dezember war sie gescheitert.

Man hatte gleich zwei Fehler begangen. Erstens wurde der zugegebenermassen schwierige Teil der föderalen Finanzverfassung von vornherein ausgeklammert. Zweitens wurde, nachdem es trotz des dadurch recht niedrigen Erwartungshorizonts einige Fortschritte (etwa bei der Dezentralisierung der Entlohnung im öffentlichen Dienst) gab, eine Diskussion um die Zentralisierung von Kompetenzen im Bildungswesen entfacht. Zu Recht liessen sich die Länder hier nicht entmachten. Damit war die Kommission «geplatzt».

Immerhin ist der durch das Scheitern verursachte Problemdruck so stark, dass es wohl spätestens nach der nächsten Bundestagswahl 2006 zu einem neuen Anlauf kommen wird. Schon jetzt gibt es Anzeichen dafür, dass man sich eventuell sogar schon vorher «zusammenraufen» will. Das wäre gewiss im Interesse des Landes.

Dr. Otto Graf Lambsdorff ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung.

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