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Die liberale Mühe  mit der Demokratie

Die liberale Mühe mit der Demokratie

Oliver Zimmer: Wer hat Angst vor Tell?

 

Als Schweizer Geschichtsprofessor, der an der Oxford University lehrt, ist Oliver Zimmer nicht der naheliegendste Autor für eine Fundamentalkritik an den liberalen Eliten und der «Hyperglobalisierung». Andererseits verleiht sein persönlicher Hintergrund seinem neuen Buch auch eine gewisse Glaubwürdigkeit. «Wer hat Angst vor Tell?» ist eine provokative Kritik dessen, was Zimmer als «neuen Liberalismus» bezeichnet, der einen «Hang zu technokratischen Lösungen mit einem auf das Individuum und seine Rechte zentrierten Supranationalismus» verbindet und seine Anhängerschaft in einer «Allianz von Geld und Geist» findet. Die Idee einer einheitlichen globalistischen Ideologie, welche die Politik dominiert, wirkt etwas konstruiert, zumal die Politik in westlichen Demokratien in den vergangenen Jahren nicht eine sonderlich liberale Richtung eingeschlagen hat.

Letztlich geht es Zimmer aber um etwas anderes, nämlich um das schwierige Verhältnis des Liberalismus zur Demokratie. Er stellt fest, dass «ein republikanischer Liberalismus, der auf demokratische Teilnahme und bürgerliche Verantwortung setzt, (…) fast überall zur gefährdeten Spezies geworden» sei. Der Bezug auf Wilhelm Tell im Titel verweist darauf, dass liberale Freiheitsrechte für Zimmer notwendigerweise in einer kollektiven Gemeinschaft verwurzelt und verankert sein müssen. Hier setzt seine Kritik am «neuen Liberalismus» an, der den Nationalstaat als vormodern und moralisch defizitär verachtet, während er supranationale Institutionen wie die EU mit derselben mythologischen Verklärung betrachtet, die er am Nationalismus belächelt. Anhand von Beispielen wie der Rechtsprechung des EuGH und des EGMR zeigt er auf, wie die Demokratie auf nationalstaatlicher Ebene unter Berufung auf höhere Zwecke unterhöhlt wird. Konsequenterweise steht er auch dem Rahmenabkommen mit der EU äusserst kritisch gegenüber. Als mögliches Gegenmodell tönt Zimmer einen Konservatismus an, der «‹progressive›, nach ‹Europa› und ‹zur Welt› hinführende Mythenerzählungen genauso ab[lehnt] wie die nationalistischen, die uns im ‹nationalen Reduit› verewigen wollen».


Oliver Zimmer: Wer hat Angst vor Tell? Basel: Echtzeit-Verlag, 2020.

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