Die Konsumenten wollen nicht auf Fleisch verzichten
In der öffentlichen Diskussion ist der Trend hin zu pflanzlicher Ernährung allgegenwärtig. Im Verhalten der Konsumenten ist er aber kaum sichtbar: Der Fleischkonsum bleibt hoch. Auch Laborfleisch wird es gegen das Original schwer haben.
Vegetarische und vegane Ernährung scheinen im Trend zu sein: Immer mehr Restaurants bieten vegetarische Menüs an, die Zeitschriften sind voll mit Rezepten für fleischlose Gerichte und bei den Grossverteilern standen noch nie so viele pflanzenbasierte Fleischalternativen in den Regalen wie heute. Steuern wir also auf eine Gesellschaft zu, in der kaum mehr Fleisch gegessen wird?
Bleiben wir zuerst bei den Fakten, die gar nicht so recht zu einer Zukunft ohne Fleisch passen wollen. In der Schweiz verzichtet nur eine Minderheit der Konsumenten konsequent auf den Genuss von Fleisch. Wobei der durchschnittliche Fleischkonsum bei ungefähr einem Kilogramm pro Woche liegt, was einem Tagesverbrauch von etwa 150 Gramm pro Kopf entspricht. Dieser Konsum ist deutlich höher als die von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung empfohlene Konsummenge von maximal 100 bis 120 Gramm an 2 bis 3 Tagen pro Woche. Am häufigsten wird Schweinefleisch gegessen, gefolgt von Geflügel- und Rindfleisch. In den letzten Jahren war der Konsum von Schweinefleisch rückläufig, doch wurde dies durch eine Zunahme beim Geflügelkonsum kompensiert. Der Wunsch der Konsumenten nach weniger Fett im Essen dürfte sich in diesem Trend widerspiegeln.
Weltweit steigt der Konsum
Da die meisten Menschen sehr konservativ sind, wenn es ums Essen geht, können wir deshalb auch keine raschen Veränderungen für den Fleischkonsum in der Schweiz erwarten. Denn dieser hat sich auf einem hohen Niveau stabilisiert. Dennoch könnte der Fleischkonsum in den folgenden Jahren leicht zurückgehen, weil in Mensen, Kantinen und Altersheimen weniger Fleischgerichte angeboten werden und bei der Jugend die Fleischabstinenzler etwas stärker vertreten sind als bei der älteren Generation. Betrachten wir aber den weltweiten Fleischkonsum, dann sieht die Situation ganz anders aus. Die Nachfrage nach Fleisch wird nämlich immer grösser und ein Ende ist nicht abzusehen. In vielen Ländern essen die Menschen heute kein oder wenig Fleisch, weil sie es sich schlicht und einfach nicht leisten können. Würde die Kaufkraft in diesen Ländern zunehmen, dann würde auch die Nachfrage nach Fleisch steigen. Denn das erste, was sich diese Menschen neben den überlebenswichtigen Dingen leisten, ist der Luxus von Fleisch.
Skeptische und unwissende Konsumenten
Die pflanzenbasierten Fleischalternativen hatten in den letzten Jahren grosse Zuwachsraten, obwohl es sich dabei immer noch um Nischenprodukte handelt. Zudem ist die Idee, den Leuten «Pflanzenfleisch» zu verkaufen, alles andere als neu. Bereits 1908 machten die Obodo-Werke in Mannheim Werbung für das Pflanzenfleisch «Obodo», welches als vollständiger Ersatz für Tierfleisch angepriesen wurde, ein laut Firmenversprechen «garantiert reines Naturprodukt», welches einen hohen Nährwert habe und um die Hälfte billiger sei als Fleisch. Heute verfolgen «Impossible Burger» und Co. ein ähnliches Ziel. Ausser beim Preis, denn ihre Imitate sind keinesfalls billiger als Fleisch. Doch werden diese neuen Produkte erfolgreich sein oder das gleiche Schicksal erleiden wie «Obodo»?
Die Schweizer Konsumenten stehen diesen neuen Produkten eher skeptisch gegenüber. Sie glauben nicht, dass pflanzliche Fleischersatzprodukte so gut wie Fleisch schmecken. Neben dem Geschmack ist für die Konsumenten natürlich auch der Preis wichtig, und dieser ist im Vergleich zu Fleisch nach wie vor sehr hoch. Studien zeigen zudem, dass die Wahrnehmungen der Konsumenten über den tatsächlichen Umwelteinfluss zum Teil stark auseinanderklaffen. So unterschätzen die Verbraucher den Umwelteinfluss von rotem Fleisch, und sie überschätzen den Umwelteinfluss von pflanzenbasierten Fleischalternativen. Darüber hinaus werden die Fleischimitate auch nicht als besonders gesund wahrgenommen.
«Studien zeigen, dass die Wahrnehmungen der Konsumenten über den tatsächlichen Umwelteinfluss zum Teil stark auseinanderklaffen.»
Unsichere Zukunft für das Laborfleisch
Fleischkonsum ist mit einem moralischen Dilemma verbunden, denn es müssen Tiere getötet werden, was Unbehagen auslösen kann. Es dürfte deshalb auch kein Zufall sein, dass heute die meisten Schlachthöfe weit weg von den Konsumenten sind. Diese blenden die Fleischproduktion und den Schlachtprozess aus. Viele Fleischerzeugnisse erinnern deshalb auch nicht mehr an das Tier: Nicht das ganze Kaninchen wird gekauft, sondern lediglich das Filet. Die Entfremdung des Konsumenten von der Fleischproduktion ist in der Schweiz stark fortgeschritten. Das realisiert man bei einem Marktbesuch in Italien oder Frankreich; dort ist die Herkunft des Fleisches vom Tier noch deutlich erkennbar: Das tote Huhn liegt mit dem Kopf in der Auslage und nicht nur das Pouletbrüstchen. Eine noch stärkere Trennung von Tier und Lebensmittel wäre die Fleischproduktion im Labor, wo Zellen die Tiere ersetzen. Doch könnte Fleisch mit Hilfe von neuen Technologien tier- und umweltfreundlich produziert werden?
Laborfleisch wird als Lösung propagiert: Weniger Tiere leiden und weniger Land wird benötigt. In den USA und Singapur ist kultiviertes Hühnerfleisch bereits zugelassen, obwohl noch viele Fragen offen sind. Es kann noch nicht abgeschätzt werden, wie umweltfreundlich und gesund diese neuen Lebensmittel im Vergleich zu traditionellem Fleisch sind. Auch die Konsumentensicht ist wenig ermutigend. Sie nehmen Laborfleisch nämlich als unnatürlich wahr und ekeln sich vor Fleisch, das im Bioreaktor produziert worden ist.1 Zudem dürfte es noch Jahre gehen, bis das Laborfleisch in Textur, Geschmack und Preis dem Original entsprechen wird. Wobei traditionelles Fleisch als Goldstandard dient, an dem sich das Laborfleisch messen muss. Zudem ist Laborfleisch lediglich ein Imitat. Ob weisser Trüffel oder Vanille, das Original ist üblicherweise begehrter und teurer als die Kopie. Selbst wenn Laborfleisch zu Dumpingpreisen verkauft werden könnte, scheint es wenig wahrscheinlich, dass dieses das traditionelle Fleisch jemals zu einem substantiellen Teil ersetzen wird.
Wie könnte die Zukunft aussehen? Aus meiner Sicht gibt es starke Evidenz dafür, dass der Fleischkonsum weltweit weiterwachsen wird. In der Schweiz dürfte er auf hohem Niveau stagnieren oder leicht rückläufig sein. Zudem wird es sicherlich einen Nischenmarkt für die pflanzlichen Fleischersatzprodukte geben. Eine offene Frage bleibt aber, in welchem Umfang diese Fleischersatzprodukte das Fleisch auch ersetzen und tatsächlich weniger Tiere geschlachtet werden. Denn Fleischalternativen müssen nicht notwendigerweise zu einer nachhaltigeren Ernährung führen. Wenn Chicken Nuggets und Aufschnitt durch Fleischimitate ersetzt werden, die Konsumenten aber weiterhin gleich viele Edelstücke wie Steaks und Filets essen, dann wird zwar der Fleischkonsum, aber möglicherweise nicht der Umwelteinfluss reduziert. Die meisten Konsumenten sind nicht bereit, ihren Fleischkonsum drastisch zu senken. Gefahr für das Fleisch droht aber von der Politik. Natürlich hätte ein generelles Fleischverbot keine Chance bei der Wählerschaft. Aber mit immer neuen Vorschriften und Auflagen lässt sich die Fleischproduktion so verteuern, dass Fleisch auch in den industrialisierten Ländern zu einem raren Luxusgut werden könnte
Michael Siegrist und Christina Hartmann: Perceived Naturalness, Disgust, Trust and Food Neophobia as Predictors of Cultured Meat Acceptance in Ten Countries. In: Appetite, Dezember 2020. ↩