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Die Klimabilanzen zu Fleisch führen in die Irre
Mathias Binswanger, zvg.

Die Klimabilanzen zu Fleisch führen in die Irre

Umweltschützer predigen eine vegetarische Ernährung zur Rettung des Planeten. Dabei stützen sie sich auf Zahlen, die der Komplexität der Realität nicht standhalten.

Soll der Mensch dazu erzogen werden, vom Allesfresser zum Pflanzenfresser zu werden? Fleischkonsum, so hören wir immer öfter, sorge nicht nur für Tierleid, sondern schade wie das Fliegen auch dem Klima. Inzwischen ist nicht nur von Flugscham, sondern auch von Fleischscham die Rede. Wie beim Fliegen hat dies aber keine Auswirkungen auf das tatsächliche Verhalten der Menschen. Genauso wie die Menschen munter weiterfliegen, essen sie auch weiterhin Fleisch. 2022 stieg der Fleischkonsum in der Schweiz sogar nochmals um 1,8 Prozent an. Die einzige Veränderung besteht darin, dass die Menschen mehr Geflügelfleisch essen und dafür weniger Schweinefleisch sowie Kalbfleisch.

Sind also Anstrengungen notwendig, um den Fleischkonsum tatsächlich zu reduzieren? Sollen Menschen generell weniger Fleisch essen? Und woher weiss man überhaupt, wie viele Treibhausgasemissionen mit dem Konsum von 1 Kilogramm Fleisch verbunden sind? Organisationen wie der WWF scheinen klare Antworten auf diese Fragen zu haben. Die Umweltschutz­organisation schreibt: «Je weniger Fleisch, desto besser für das Klima, für unsere Umwelt und damit für unsere Lebensgrundlagen.» Ein vegetarisches Gericht belastet das Klima im Durchschnitt dreimal weniger als ein Gericht mit Fleisch. Vegane Gerichte sind noch besser. Auch für die mit Fleischkonsum verbundenen Treib­hausgasemissionen gibt es präzise Zahlen. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit in Deutschland «weiss», dass 1 Kilogramm Rindfleisch mit 13,3 Kilogramm CO2-Äquivalenten, 1 Kilo­gramm Geflügelfleisch mit 3,5 Kilogramm und 1 Kilogramm Schweinefleisch mit 3,3 Kilogramm CO2-Äquivalenten verbunden ist. Die Frage ist allerdings, ob man aus solchen Zahlen tatsächlich allgemeingültige Schlussfolgerungen zur Klimaschädlichkeit des Fleischkonsums ziehen kann.

Die Berechnung der Emissionen, welche der Nutztierhaltung zugeschrieben werden, gehen vor allem auf die Studie «Livestock’s Long Shadow» der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) aus dem Jahr 2006 zurück. In diesem Bericht wurde festgestellt, dass 14,5 Prozent der globalen Emissionen aus der Nutztierhaltung stammten. Dieser Anteil war gemäss dem Bericht sogar grösser als der Anteil des Verkehrs, dessen Anteil an den globalen Emissionen auf 14 Prozent beziffert wurde. Allerdings, so stellte sich bald heraus, waren die Methoden für die Berechnung der Emissionen bei der Tierhaltung und beim Verkehr nicht identisch. Es wurden Äpfel und Birnen zusammengezählt: Für die Fleischproduktion wurden alle Faktoren vom Dünger über die Entwaldung durch mehr Weideland bis hin zum Anbau von Futtermitteln miteinbezogen. Beim Verkehr wurden hingegen nur die Emissionen der fertig produzierten Verkehrsmittel im Betrieb betrachtet. Die FAO hat diesen Fehler inzwischen korrigiert, aber der irreführende Vergleich ist immer noch weit verbreitet.

Inkonsistente Emissionsberechnungen

Bei den Treibhausgasemissionen durch die Nutztierhaltung geht es weniger um CO2, sondern vor allem um die als besonders klimaschädlich eingestuften Gase Methan (CH4) und Lachgas (N2O). Diese betreffen hauptsächlich das Rindvieh. Rund 87 Prozent der Methan- und Lachgasemissionen in der Landwirtschaft werden durch die Rinderhaltung verursacht. Diese Gase verbleiben zwar wesentlich kürzer in der Atmosphäre als CO2, aber sie sind, so sagt uns die Forschung, noch viel klimaschädlicher. Methan gilt gemeinhin als etwa 25mal klimaschädlicher und Lachgas sogar als fast 300mal klimaschädlicher als CO2. Ein Kilogramm erzeugtes Methan wird deshalb in CO2-Äquivalente umgerechnet und entspricht 25 Kilogramm emittiertem CO2. Oder um ganz präzise zu sein: Ein emittiertes Kilogramm Methan ist auf 100 Jahre gesehen genauso klimaschädlich wie 25 Kilogramm Kohlendioxid.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch der Zeitraum. Da Methan in der Atmosphäre viel schneller abgebaut wird als CO2, erscheint Methan umso gefährlicher, je kürzer der Zeitraum ist. Nehmen wir statt dem Zeitraum von 100 Jahren einen Zeitraum von 20 Jahren, dann ist Methan mehr als 80mal so klimaschädlich wie CO2. Doch welches ist der richtige Zeitraum für die Berechnung von CO2-Äquivalenten? Das ist unklar. Irgendwann hat man in der Wissenschaft einfach beschlossen, dass 100 Jahre richtig seien. Aber selbst wenn wir von 100 Jahren ausgehen, gibt es immer noch grosse Diskrepanzen. Ursprünglich, in den 1990er-Jahren, wurde Methan nur als 21mal so klimaschädlich wie CO2 betrachtet. Neuerdings gibt es sogar Studien, die Methan als 36mal so schädlich wie CO2 einstufen. Je nach verwendetem Umrechnungsfaktor ergeben sich aber ganz andere Klimabilanzen für den Fleischkonsum. Zahlen zu den Emissionen pro Kilogramm Fleisch sind deshalb stark davon abhängig, welche Annahmen in bezug auf die Umrechnung in CO2-Äquivalente gemacht werden.

«Zahlen zu den Emissionen pro Kilogramm Fleisch sind stark davon

abhängig, welche Annahmen in bezug auf die Umrechnung in

CO2-Äquivalente gemacht werden.»

Doch die Unsicherheit bei der Umrechnung von Methan in CO2-Äquivalente ist nur ein Aspekt, welcher exakte Berechnungen von mit Fleisch verbundenen Treibhausgasemissionen in Frage stellt. Methan entsteht in der Nutztierhaltung zum grössten Teil im Verdauungsprozess von Wiederkäuern. Bei der Haltung von Schweinen und Geflügel entstehen so gut wie keine Methanemissionen. Das heisst: Methanemissionen haben mit dem Fleischkonsum direkt nicht viel zu tun, sondern vielmehr mit der Haltung von Wiederkäuern und insbesondere der Haltung von Rindvieh. Beim Rindvieh stammt aber ein grosser Anteil der Emissionen von Milchkühen, die nicht der Fleischproduktion dienen. In dieser Hinsicht wäre dann nicht der Fleischkonsum an sich problematisch, sondern generell der Verzehr von tierischen Produkten, welche vom Rindvieh stammen. Aber auch diese Schlussfolgerung wäre voreilig.

Importierte Futtermittel sind problematisch

Betrachten wir nicht nur die Haltung von Kühen, sondern beziehen auch die Vorleistungen mit ein, dann sehen wir, dass der grösste Teil der Emissionen gar nicht durch die Verdauung in Kuhmägen verursacht wird, sondern durch die Produktion und den Transport von Futtermitteln. Das Problem ist somit nicht der Rindfleischkonsum an sich, sondern der Fleischkonsum, welcher von Hochleistungstieren stammt, die hauptsächlich mit importierten Futtermitteln gefüttert werden, statt Gras von der Wiese zu fressen. Eine Kuh in einem nachhaltig betriebenen Graslandproduktionssystem weist eine viel günstigere Klimabilanz auf als eine intensiv mit Soja oder anderen Proteinen gefütterte Kuh. Entscheidend sowohl für Treibhausgasemissionen als auch für das Tierwohl ist die Art der Nutztierhaltung.

Ernähren sich Wiederkäuer in erster Linie von Gras, dann sind sie für die lokale Ernährung in hochalpinen Gegenden von grösster Bedeutung, denn über das Verdauungssystem von Wiederkäuern wird Gras in Form von Fleisch und Milchprodukten der menschlichen Ernährung zugänglich gemacht. Das ist eine enorme kulturelle Leistung, ohne welche das Leben über Jahrhunderte in grossen Teilen der Schweiz gar nicht möglich gewesen wäre. Denn in der Schweiz sind etwa 80 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Grasland, das hauptsächlich in den Alpen liegt. Dort kann man alternativ kaum Getreide oder andere pflanzliche Nahrungsmittel anbauen. Eine sich vegetarisch oder vegan ernährende Schweiz wäre deshalb stark von Lebensmittel­importen abhängig. Dann wäre schnell Schluss mit Konzepten wie Versorgungssicherheit oder Ernährungssouveränität.

Eine fleischfreie Welt ist undenkbar

Damit kommen wir zum letzten wichtigen Punkt. Es macht keinen Sinn, pauschale Aussagen zu machen, ob Fleischkonsum nachhaltig sei oder sich mit Tierwohl vereinbaren lasse. Die Antwort fällt je nach geografischer Lage oder Topografie völlig unterschiedlich aus. Es gibt trockene Gegenden wie etwa in Ostafrika, wo die Menschen fast ausschliesslich auf tierische Nahrung angewiesen sind. Die Masai in Kenia oder Tansania ernähren sich traditionell fast nur von Fleisch und Milch. Sollen sie jetzt auf pflanzliche Nahrung umstellen, die sie zu fast 100 Prozent importieren müssten und für die sie das Geld gar nicht haben? Das kann kein vernünftiger Mensch im Ernst wollen. Nicht in allen Gegenden der Welt ist dieselbe Ernährung für Klima und Tierwohl richtig.

Generell sollte man sich deshalb von pauschalen Aussagen verabschieden, wie etwa der Behauptung, dass Fleischkonsum klimaschädlich sei oder dass wir umso nachhaltiger lebten, je weniger Fleisch wir essen würden. Und genauso wenig sollte man Zahlen vertrauen, die angeben, wie viele Treibhausgasemissionen durch den Konsum von einem Kilogramm Fleisch verursacht werden. Entscheidend für die Klimabilanz ist vielmehr, welche Tiere wo und unter welchen Umständen gehalten werden. In der Schweiz geht es darum, die graslandbasierte Nutztierhaltung zu fördern, statt weiterhin auf Hochleistungsmilchkühe und hochproduktive Rinderrassen zu setzen. Denn diese müssen hauptsächlich mit importierten Futtermitteln gefüttert werden, welche die Klimabilanz des Fleischkonsums deutlich verschlechtern.

«Entscheidend für die Klimabilanz ist,

welche Tiere wo und unter welchen Umständen gehalten werden.»

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