Die Jugend ist Afrikas Trumpf
Die junge Bevölkerung ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Um ihn zu nutzen, braucht Afrika ein neues Selbstverständnis – weg vom Opfer- hin zum Chancenkontinent.
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Wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen, werden im Jahr 2100 fast die Hälfte der 18-Jährigen in Afrika leben.1 Das ist ein beispielloses demografisches Kapital, aber auch eine erhebliche Bedrohung für die Stabilität der Region. Die wichtigen Akteure in Kultur, Bildung und Wirtschaft in Afrika haben eine grosse Verantwortung: Sie müssen die jugendliche Bevölkerung fördern, um Wirtschaftswachstum und Wohlstand zu ermöglichen.
Die Bevölkerung der 54 Nationalstaaten und über 1000 ethnischen Gruppen des Kontinents wird sich bis 2100 mehr als verdoppeln auf gegen 4 Milliarden. Mit 1,4 Milliarden ist die Bevölkerung Afrikas bereits heute doppelt so gross wie jene Europas (743 Millionen) und holt Asien (4,7 Milliarden) mit Riesenschritten ein.
Afrika hat die jüngste Bevölkerung der Welt. 70 Prozent der Einwohner in Subsahara-Afrika sind unter 30 Jahre alt. Mit einem Medianalter von 18,8 Jahren im Jahr 2100 wird Afrika voraussichtlich die jüngste Region der Welt bleiben. Junge, vitale Bevölkerungen können Produktivität, Innovation und Konsum befeuern. Jugendliche zeichnen sich durch Lernbereitschaft, Enthusiasmus, Tatkraft, Belastbarkeit, Offenheit und Kreativität aus. Wenn sie jedoch nicht gut kanalisiert wird, kann jugendliche Energie soziale Unruhen entfachen und enorme Herausforderungen wie Arbeitslosigkeit und Migrationsdruck schaffen.
Megatrends und demografische Veränderungen
Kontinentale und globale Megatrends wie Freihandelszonen, technologische Fortschritte, Klimawandel, Urbanisierung und geopolitischer Wettbewerb werden die Art und Weise beeinflussen, wie Afrika sein demografisches Kapital und seine Dividenden nutzt.
- Die Gründung regionaler Wirtschaftsblöcke wie des Gemeinsamen Marktes für das Östliche und Südliche Afrika (COMESA) oder der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) hat bereits eine Dynamik für Mobilität und Chancen für Afrikaner innerhalb Afrikas geschaffen.
- Die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (AfCFTA) soll den innerafrikanischen Handel um 52 Prozent ankurbeln. Die AfCFTA hat die Währungskonvertibilität in ganz Afrika durch das Panafrikanische Zahlungs- und Abwicklungssystem (PAPSS) erleichtert, um Beschränkungen der Währungskonvertibilität zu überwinden. PAPSS umgeht die Notwendigkeit einer Drittwährung wie des US-Dollars oder des Euros, um die dringend benötigten innerafrikanischen Investitionen zu katalysieren und den wachsenden Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden.
- Technologische Fortschritte, insbesondere die digitale Revolution, breiten sich in Afrika rasant aus. Sie bieten das Potenzial, den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und wirtschaftlichen Möglichkeiten zu verbessern. Gemäss der Weltbank gibt es allein in Subsahara-Afrika bereits rund 21,7 Millionen digitale Gig Worker. Die Gig Economy schafft neue Möglichkeiten für das Wachstum und die Entwicklung des Unternehmertums sowie Beschäftigungsmöglichkeiten für Millionen von Menschen in Afrika.
- Die rapide Urbanisierung verwandelt afrikanische Städte in Megastädte. Sie könnten zu Hubs werden, die das dringend benötigte Wirtschaftswachstum ankurbeln und Chancen für die wachsende junge Bevölkerung bieten. Schätzungen zufolge wächst die städtische Bevölkerung Afrikas mit 3,5 Prozent pro Jahr schneller als auf jedem anderen Kontinent. 6 der 20 am schnellsten gewachsenen Städte zwischen 2000 und 2020 liegen in Afrika.
- Geopolitische Konkurrenz dürfte die politische und wirtschaftliche Landschaft Afrikas prägen. Sie kann positive Investitionen auslösen, welche das Potenzial der Bevölkerung nutzen und erweitern. Andererseits können Grossmachtkonkurrenzen Abhängigkeiten und Spannungen schaffen, die zu Instabilität führen. Den Kampf um Einfluss in Afrika veranschaulichen zwei grosse konkurrierende Investitionsprojekte: Chinas Belt and Road Initiative und das Global Gateway unter der Führung der Vereinigten Staaten und der EU.
Historisch gesehen haben Kolonialmächte einen erheblichen Einfluss auf die mentalen Modelle von Völkern. Ein mentales Modell ist wie eine unsichtbare Hand, die den Weg einer Gemeinschaft zum Erfolg und Glück lenkt und bestimmt. Mentale Modelle haben Systeme wirtschaftlichen Zwangs wie Sklaverei, Kolonialisierung, Rassismus und Tribalismus geprägt. Der demografische Aufschwung Afrikas erfordert ein strategisches und wohlüberlegtes mentales Modell, um die kreativen Kräfte in der Bevölkerung zu nutzen.
In Bildung investieren
Seine junge Bevölkerung kann Afrikas grösstes Kapital sein. Sie repräsentiert eine beachtliche Arbeitskraft und steigert die Wirtschaftskraft, was sowohl innerhalb als auch ausserhalb Afrikas genutzt werden kann. Eine wachsende Bevölkerung bietet Marktchancen für Waren und Dienstleistungen, die ausländische Investitionen anziehen und den globalen Einfluss des Kontinents erhöhen. Junge Menschen sind offen für neue Ideen und treiben soziale Reformen, Innovationen und kulturelle Veränderungen voran.
Um Afrikas demografisches Kapital und seine Dividenden zu nutzen, braucht es bessere Bildung und Kompetenzentwicklung, Arbeitsplätze und Unternehmertum, Gesundheits- und Sozialdienste, politische Stabilität, gute Regierungsführung und Infrastrukturentwicklung. Investitionen in Bildung sind notwendig und müssen unbedingt auf moderne Volkswirtschaften innerhalb und ausserhalb des Kontinents ausgerichtet sein. Afrikaner mit guten Kenntnissen europäischer Sprachen haben einen Vorsprung auf westlichen Arbeitsmärkten. Die Politik muss ein günstiges Umfeld für florierende Unternehmen schaffen und gleichzeitig Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen fördern. So können neue Arbeitsplätze entstehen und die Kreativität der Jugend genutzt werden.
Die geopolitischen Auswirkungen
Der Aufstieg aufstrebender Marktformationen wie der BRICS-Staaten, die die liberale Demokratie des Westens als einzigen Weg zu wirtschaftlicher Entwicklung und Wohlstand in Frage stellen, wird sich auf die Entscheidungen Afrikas auswirken. Afrika gewinnt unter den neuen Formationen an Gewicht. Das könnte auch zu einem neuen mentalen Modell in der afrikanischen Bevölkerung beitragen: weg vom Bild eines Kontinents, der ständig gerettet werden muss, hin zu einem Kontinent, der Chancen und florierende Märkte bietet.
Afrika dürfte auch eine Rolle für Europa spielen, das bis 2050 schätzungsweise 95 Millionen weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter haben wird. Automatisierung und Digitalisierung werden nicht ausreichen, um den Arbeitskräftemangel im globalen Norden zu kompensieren. Die demografische Dynamik verschafft Afrika einen komparativen Vorteil gegenüber dem alternden globalen Norden. Der derzeitige Arbeitskräfteaustausch, der auf der Nachfrageseite von den USA und auf der Angebotsseite von Asien dominiert wird, wird sich wahrscheinlich in Richtung Afrika als Hauptlieferant verlagern.
Afrika kann seine demografischen Vorteile nutzen, indem es Lehren aus Asien zieht, wo gezielte Massnahmen zur Arbeitsmigration und darauf abgestimmte Qualifizierungsinitiativen eingeführt wurden, um die Nachfrage der entwickelten Märkte zu decken. In der Praxis sollte jedes afrikanische Land Qualifizierungszentren einrichten, welche die Bildungssysteme ergänzen und schnell auf die globale Nachfrage nach Qualifikationen reagieren können. In den regionalen Wirtschaftsblöcken sollten Technologie-Hubs geschaffen werden. Diese könnten Akteure aus entwickelten Märkten anziehen, Innovation fördern und die Kreativität junger Start-ups nutzen.
Investitionen in digitale und Energienetze werden der afrikanischen Bevölkerung die Möglichkeit bieten, an der digitalen Gig Economy teilzunehmen. Die Regierungen müssen wachstumshemmende Regulierungen proaktiv abbauen. Gleichzeitig sollte die Afrikanische Union für einheitliche Arbeits- und Sozialschutzgesetze sorgen.
Afrikas junge demografische Struktur bietet Wachstumschancen in allen Bereichen, einschliesslich aufstrebender Technologien wie künstlicher Intelligenz, Urbanisierung und klimasensibler Industrialisierung. Es ist unsere Pflicht, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, um Investitionen in strategische Infrastrukturen zu priorisieren. So kann Afrika sein demografisches Kapital in dringend benötigte Dividenden umwandeln.
Mo Ibrahim Foundation: Global Africa: Africa in the World and the World in Africa. 2023. ↩