Die Intelligenz wird künstlich – umso wichtiger wird Weisheit
Die Kreativität als letzte Domäne des menschlichen Geistes fällt. Das wird auch die Werbebranche grundlegend verändern.

Der Jahreswechsel bietet sich für einen Blick in die Zukunft der Werbebranche an: kein Horoskop für 2025, sondern ein im Dialog mit künstlicher Intelligenz entstandener Beitrag, der Megatrends aufzeigt, welche die Werbebranche im Jahr 2035 prägen werden und damit einhergehend auch die Geschäftsmodelle der Medien. Das Ziel? Entwicklungen frühzeitig für sich und die jeweilige berufliche Tätigkeit erkennen. Nachfolgend einige Hypothesen. Das Gute daran: Kaum jemand wird mich 2035 an meine Irrtümer erinnern.
Die neue Algopathie
Das «KI-Kalifornikat» erzwingt die bislang grösste Transformation der Schweizer Werbebranche. Die Frage ist nicht, ob Veränderung stattfindet, sondern wer in dieser neuen Realität bestehen kann. Der Mythos, Kreativität sei das letzte Bollwerk gegen KI, wird schon bald widerlegt sein (analog dem ersten Schachcomputer): KI wird uns auch punkto Kreativität überlegen sein – es nützt nichts, den Kopf zu schütteln, dessen Gehirnkapazität im Vergleich zum «KI-IQ» schon bald nur ein Schneckenhirn ist. KI wird Kampagnen entwickeln, Designs gestalten und schneller sowie präziser entscheiden als wir Menschen. «Wie viel CO₂ kostet dein Produkt?» wird zum entscheidenden Kriterium bei der Kaufentscheidung, und KI wird die Infos offenbaren. Werbung wird ein Akt radikaler Transparenz – KI entlarvt jede oberflächliche Behauptung.
«KI wird Kampagnen entwickeln, Designs gestalten und schneller sowie präziser entscheiden als wir Menschen.»
Im Marketing der Zukunft verschmelzen Algorithmus und Empathie – vielleicht wird man eines Tages von «Algopathie» sprechen. Marken, die sich ausschliesslich auf Daten stützen, werden seelenlos; Marken, die nur auf Emotionen setzen, werden irrelevant.
Herkömmliche Werbeagenturen schrumpfen oder verschwinden. Übrig bleiben spezialisierte Firmen, die Technologie und Markenführung verbinden. Mediaagenturen werden zu Kontrollinstanzen, die Transparenz und Fairness in der KI-gestützten Verbreitung von Botschaften garantieren.
KI und Automatisierung machen viele heutige Berufsprofile überflüssig, während neue spezialisierte Rollen und Agenturmodelle entstehen. Vorstellbar sind etwa:
- Kreativkuratoren: Sie trainieren Algorithmen und kuratieren KI-generierte Inhalte.
- Verhaltensdesigner: Sie orchestrieren Customer Journeys basierend auf Daten und psychologischen Modellen.
- Emotionsingenieure: Sie kreieren Algorithmen, die menschliche Emotionen erkennen und sofort darauf reagieren.
«Zielgruppe» ist 2035 ein Relikt. Marketing spricht künftig meistens nur noch Einzelpersonen an. Algorithmen erkennen Bedürfnisse, lange bevor sie jemandem bewusst werden, und passen Botschaften fortlaufend an, zum Beispiel mit Echtzeitmarketing (KI-Systeme evaluieren Zielpersonen, um Content individuell zu adaptieren), mit dynamischen Kampagnen (KI kreiert, testet und optimiert Botschaften kontinuierlich) oder mit emotionalen Datenmodellen (Marketing stützt sich nicht mehr bloss auf Verhalten, sondern auch auf emotionale Zustände).
Gespaltene Identität
«Wer bin ich noch, wenn die KI mich in- und auswendig kennt?», fragen sich schon jetzt Millionen Menschen, während soziale Netzwerke und Avatare unser Selbstbild formen. Virtuelle und physische Realitäten verschmelzen. Digitale Identitäten lösen traditionelle Ausweise ab. Auch wenn Blockchain die Transparenz und Datensicherheit erhöht, wird sich die Debatte um Datenschutz verschärfen – Regulierung ist entscheidend, um Innovation und Privatsphäre in einem sinnvollen Gleichgewicht zu halten.
Trotz starker Vernetzung wächst die soziale Isolation. Psychische Probleme nehmen zu (werden allerdings durch KI intensiv betreut). Hinzu kommt: Menschen vertrauen nicht mehr anderen Menschen, sondern der schlaueren KI. Gleichzeitig verlieren viele das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Schon heute entscheidet die KI auf Dating-Apps, wer mit wem eine Beziehung eingeht – letztlich also, welche Menschen geboren werden.
«Menschen vertrauen nicht mehr anderen Menschen, sondern der schlaueren KI. Gleichzeitig verlieren viele das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.»
Swiss Made als neues Synonym für Innovation und Ethik
Die Geschwindigkeit des Wandels wird sich nochmals drastisch erhöhen. Was bis 2025 über 40 Jahre beanspruchte, vollzieht sich nun in 15 Jahren. Die Schweiz muss entscheiden, welche Rolle sie spielt. Ihr Erfolg misst sich nicht daran, wie gut sie die Vergangenheit bewahrt, sondern wie entschlossen sie die Zukunft mitgestaltet.
Die Schweiz hat das Potenzial, im Umgang mit KI ganz vorne mitzuspielen: Die Zukunft ist nicht nur eine Frage technologischer und wirtschaftlicher Möglichkeiten, sondern auch eine Frage der Ethik und des Vertrauens – mit ihrer humanitären Tradition kann die Schweiz beim ethischen Umgang mit KI eine führende Rolle einnehmen. Vielleicht wird das Label «Swiss Made» 2035 weniger für die Qualität von Schweizer Schokolade und Sackmesser stehen, sondern vor allem für verlässliche, vertrauenswürdige Technologie und Innovationskraft.
Der Physiker Stephen Hawking mahnte in seinem letzten Buch: «Wir müssen sicherstellen, dass die Computer Ziele verfolgen, die auf einer Linie mit unseren Zielen liegen.» Doch wer definiert diese Ziele? Staaten? Unternehmen? Oder gar die Algorithmen selbst? Die Antworten auf diese Fragen bestimmen, wie wir als Menschheit unsere Zukunft gestalten.
Stephen Hawkings Überlegungen zu KI enthalten nicht nur dystopische Warnungen, sondern auch eine Einladung: Verantwortung zu übernehmen. Intelligenz mag die Fähigkeit zur Veränderung sein – doch Weisheit bleibt die Fähigkeit, diese Veränderung sinnvoll zu lenken. Lasst uns weise handeln für eine lebenswerte Zukunft!