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(4) Die Ideologie der Altermondialisten

In der Herbstausgabe der Zeitschrift «Commentaire» charakterisiert der Autor den Altermondialismus als eine politische Strömung, die in Frankreich vor allem die Gruppierung Attac und die Anhänger von José Bové bewegt und trägt. Sie hat ihre Wurzeln im Marxismus und in der revolutionären Gewerkschaftsbewegung. Ihre Protagonisten stammen aus den USA.

Wer den französischen Altermondialismus verstehen will, muss Theorie und Praxis der amerikanischen Altermondialisten studieren, deren fundamentale Thesen vom «International Forum on Globalization» in einem Buch mit dem Titel «Alternatives to Economic Globalisation: A better world is possible» (San Francisco: Berrett-Koehler, 2002, hier abgekürzt AEG) formuliert sind. Die radikale Variante wird entwickelt von Naomi Klein in «Fences and Windows» (New York: Picador, 2002, hier abgekürzt FW), und die reformistische von Noreena Hertz in «The Silent Takeover: Global Capitalism and the Death of Democracy», (New York: The Free Press, 2001, hier abgekürzt ST). Keine der in diesen Büchern entwickelten Thesen ist wirklich neu. Historikern wird es leicht fallen, die klassischen Argumente wiederzufinden, die seit der Antike gegen den Kapitalismus vorgebracht worden sind und gegen den Rechtsstaat, der zwingend mit ihm verknüpft ist. Dies ist von Jerry Z. Muller in seinem Buch «The Mind and the Market» (New York: Alfred A. Knopf, 2002) schlüssig nachgewiesen worden. Aber diese alten Argumente werden in einer durchaus originellen Konfiguration präsentiert (beispielsweise als «nicht-etatistischer Dirigismus»), sodass die Verteidiger der Marktwirtschaft und des Rechtsstaates gut daran tun, jene Bewegung etwas näher unter die Lupe zu nehmen, die aus den Trümmern sozialistischer und faschistischer Ideen aufblüht und uns auch in Zukunft zweifellos beschäftigen wird.

Die Altermondialisten erinnern uns mit ihrer Fundamentalkritik an Markt und Recht daran, dass es auch nach dem Fall der Berliner Mauer so etwas wie einen Revolutionären Internationalismus gibt. In den Augen der Altermondialisten gibt es zwischen Moral und Interesse einen unüberwindbaren Widerspruch, der sich etwa so charakterisieren lässt: Wir, die Altermondialisten, gehen von der Moral aus, die andern basieren auf dem individuellen Interesse. In dieser simplistischen Zweiteilung wird bestritten, dass die Marktwirtschaft in der Lage sei, ethische Ideale wie «Freiheit» und «Wohlstand für alle» zu verwirklichen. Auf der einen Seite stehen für die Altermondialisten jene, die «die menschliche Fähigkeit haben zu kooperieren, Sympathie zu bekunden, kreativ zu sein und verantwortungsbewusst zu entscheiden» (AEG 5). Auf der anderen Seite sehen sie jene, deren Moral nur die Maske des Interesses ist – eine kleine Gruppe von Egoisten, die Individuen und Völker ausbeuten und «die Vielfalt der Kulturen durch eine Kultur des Profits und des Materialismus» ersetzen.

Die altermondialistische Fundamentalkritik kommt häufig im Gewand eines ursprünglichen Liberalismus daher. Man klagt darüber, dass die Multis die selbstorganisierten lokalen Märkte durch ein zentralisiertes geplantes Wirtschaften ersetzt hätten. So kann sich der Altermondialismus als eine Strömung präsentieren, die gleichzeitig die Unsichtbare Hand des Marktes und die Sichtbare Hand des Staates ablehnt. Er wird damit als Erbe des Egalitarismus sowohl zum Nachfolger des Liberalismus als auch des Sozialismus, indem er sich der Autonomie verpflichtet fühlt, dem Grundwert der freiheitlichen Demokratie.

Allein dieses alternative System gewährleiste «die ökonomische Selbstbestimmung des Individuums, der kleinen Gemeinschaft, und der Nation, das Recht eines jeden, die eigenen ökonomischen Präferenzen zu bestimmen und die Regeln für sein wirtschaftliches Verhalten, indem jedes Individuum politisch mitbestimmen kann» (AEG 9). Man versteht, dass mit solchen Argumentationen sowohl die Anhänger der individuellen Autonomie angesprochen werden als auch jene, die der eigenständigen Nation nachtrauern.

Postuliert wird ein Projekt, das die durch das Geld definierten Beziehungen durch «demokratisch mitbestimmte, verantwortungsvollere mitmenschliche Beziehungen, beruhend auf der Selbstorganisation, der Teilung der Gewalt und einer möglichst reduzierten Zentralgewalt» (AEG 8) ersetzt. In neuer Terminologie begegnen wir nichts anderem als den totalitären Ideologien des letzten Jahrhunderts. Effizienz des ökonomischen und politischen Dirigismus, abgestützt auf Basisdemokratie, deren anthropologische Wurzeln der utopische Sozialismus und der Anarchismus sind. Solche autarken Gesellschaften würden, so wird erwartet, als friedliche Nachbarn nebeneinander leben, was erlauben würde, die Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit auf ein Minimum zu reduzieren.

Der Marxismus stellte im Gegensatz zum utopischen Sozialismus und Anarchismus wenigstens die Frage nach dem Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus. Der Altermondialismus macht sich darüber kaum Gedanken. Trotz seiner radikalen Tendenz lehnt er die politische Machtübernahme ab. «Das Ziel ist nicht die zentrale Machtübernahme, sondern die Infragestellung der Zentralmacht als solcher» (FW 26). Naomi Klein lobt den anarchistischen Gehalt der Bewegung und der Manifeste, die lediglich «durch eine gemeinsame Sache» zusammengehalten würden: durch das gemeinsame Leiden an der «Kapitalistischen Globalisierung» (FW 16). Das «International Forum on Globalization» – eine Allianz von 60 führenden Aktivisten, Wissenschaftern, Ökonomen, Forschern und Publizisten, die ein neues Denken und gemeinsames Handeln und öffentliches Aufklären als Antwort auf die ökonomische Globalisierung zum Ziel haben – richtet sich an ein ziemlich vage definiertes Publikum, nämlich an «die Armen»: «Die Gewerkschafter, die Bauern, die Landlosen, die Gläubigen, die Feministinnen, die Jugendorganisationen, die Kleineigentümer, die Handwerker, die Verteidiger der sozialen Gerechtigkeit, die Strafvollzugs-Reformer, die Umweltschützer, die Gesundheitsreformer, die Militanten zur Unterstützung der Aids-Kranken, ausgewählte Politiker, die Vertreter unabhängiger Medien, die Funktionäre, die Obdachlosen, die Verteidiger der Menschenrechte, die Friedensbewegung, die Schwulen- und Lesbenbewegung, die Intellektuellen, die Konsumentenschützer und selbst einige kapitalistische Unternehmer – aus allen Altergruppen, Religionen, Rassen und Nationalitäten» (AEG 11).

Die Abstützung auf derart heterogene Gruppierungen zeigt auf, dass die Marktwirtschaft in Verbindung mit dem Rechtsstaat den Gegensatz zwischen Arm und Reich nicht verschärft haben kann. Im Gegenteil. Obwohl viele unter dem ökonomischen Strukturwandel leiden, gibt es für eine revolutionäre Bewegung keine definierbare Trägerschaft mehr. Als Surrogat müssen Frustrationen unterschiedlichster Art herhalten und unter dem künstlichen Dach eines gemeinsamen Anliegens versammelt werden. Mit grosser Eloquenz wird überspielt, dass es eigentlich unmöglich ist, für die Umsetzung des altermondialistischen Programms eine gemeinsame soziale Basis zu definieren.

Die Unfähigkeit, den Systemwechsel zu beschreiben, lässt den revolutionären Diskurs zur reinen Rhetorik degenerieren: «Man muss die Multis zum Tode verurteilen, weil ihre Aktivitäten kriminell sind.» (AEG 131). Eine andere Ausweichmöglichkeit ist ein mehr oder weniger mutiger Reformismus. Die Diskrepanz zwischen dem Ideal und der Realität, der Utopie und den Reformvorschlägen ist oft frappant: Man belässt grundsätzlich das Privateigentum, man will es lediglich beschränken und kontrollieren. Man will die Regeln des internationalen Handels «neu aushandeln», die transnationalen und internationalen Investitionen will man «re-regulieren», die Kapitalflucht will man «umleiten», man will generell «ermuntern». Anstelle der Erstürmung des Winterpalais kann man wenigstens McDonalds bei bestellter Medienpräsenz handgreiflich attackieren. Das böse Erwachen in der Realität manifestiert sich entweder in einem widersprüchlichen Programm («Das bestehende ökonomische System beibehalten, aber es am Funktionieren hindern») oder in moderaten Reformen. Der Altermondialismus kann sogar Glaubwürdiges hervorbringen, beispielsweise im letzten durchaus stimulierenden Kapitel des Buches von Noreena Hertz, das Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft zur Lektüre empfohlen sei. Da sich die Autorin mehr auf die Zivilgesellschaft als auf den Staat stützt, rückt sie in die Nähe des aktuellen aggiornamento der Sozialdemokratie, wie es etwa von Tony Blair angestrebt wird.

Die Unfähigkeit, den Weg zur postulierten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Alternative zu beschreiben, sowie das Eingeständnis, dass nur eine Minderheit ihre Analysen und Vorschläge teilt, führt zu einem Phänomen, das allen utopischen Bewegungen gemeinsam ist. Die Schuld wird der allgemeinen Manipulierbarkeit von Mehrheiten zugeschrieben. Mit dieser Theorie kann man aber weder die politische Realität in den USA und in Europa, noch jene in China adäquat erklären, das ja kürzlich der WTO beigetreten ist. Die Altermondialisten verkennen auch die Positionen der Entwicklungsländer. Diese divergieren erheblich von dem, was die Exponenten der Bewegung behaupten.

Die Bewegung der Altermondialisten, die zweifellos noch in den Anfängen steckt, trägt sowohl archaische als auch innovative Züge. Man fragt sich allerdings, ob und wie es ihr gelingen wird, den derzeitigen Spannungszustand innerer Widersprüche zu meistern. Nirgends sind die archaischen Züge dieser Bewegung spürbarer als in der von ihr angestrebten Politik, die Nähe statt Distanzüberwindung postuliert, Stabilität statt Beweglichkeit, und mit dem Land verwurzelte Gemeinschaften, obwohl die derzeitige politische Elite alles über Bord wirft, «was uns loyal an Orte und Personen bindet». So lautet die Formel des «International Forum on Globalization», die an die Blut-und-Boden-Rhetorik der Zwischenkriegszeit erinnert. Die Wurzeln einer solchen reaktionären Romantik reichen zurück in die Anfänge des 19. Jahrhunderts. Der Handel dient aus dieser Sicht nur der Beseitigung eines unvermeidlichen temporären Ungleichgewichts und ist weit davon entfernt, ein taugliches Mittel zu sein, um ganz allgemein die menschlichen Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Der einzig gangbare Weg, um dieses mythische Gleichgewicht wieder herzustellen, ist nach dieser Auffassung das politische Aktionsprogramm einer Rückkehr zur romantischen Tradition, in der übrigens auch Marxismus und Anarchismus wurzeln. Es geht um die Wiederherstellung der Einheit von Ökonomie und Politik. Die zwei intermediären Institutionen sollen abgeschafft werden: der Markt im ökonomischen Bereich und die repräsentative Demokratie in der Politik.

Der erwähnte archaische Zug erscheint klar im Bild, das sich die Altermondialisten von den internationalen Institutionen machen, die jene Probleme lösen sollen, die den lokalen und nationalen Rahmen sprengen. Die Theorien der Regulierung führen zu einem Hirngespinst, bei dem nicht mehr der Staat als politisches System entscheidend ist, sondern eine ökonomische Weltregierung. Die nostalgische Bezugnahme auf ein Modell der Allmende (commons), die «ein Geschenk der Natur» (AEG 81) sei, verschleiert die Unfähigkeit, das zu definieren, was dieser neue Dirigismus denn beinhalten soll. Anstelle von Marktwirtschaft und Rechtsstaat sollen kleine selbstorganisierte Gemeinschaften, in Verbindung mit einer universellen demokratischen Versammlung (deren Zusammensetzung nie präzisiert wird), die Verteilung der Güter auf globaler Ebene organisieren. Es ist zu befürchten, dass die Leere, die diese nicht vorhandene «Theorie der ökonomischen Weltregierung» offen lässt, schnell durch altbekannte dirigistische Rezepte gefüllt werde. Das Bild, das von einer living democracy auf lokalem Niveau vermittelt wird, unterscheidet sich kaum von der Praxis des real existiert habenden Sozialismus.

Angesichts des Kernthese, mit der man uns einreden will, der Markt sei nichts anderes als ein Naturzustand, basierend auf einer vorgesellschaftlichen gegenseitigen Praktizierung von Gewalt, muss folgendes in Erinnerung gerufen werden:

Erstens: Der Markt ist eine Institution, für die eine Gesellschaft optiert, weil sie gewisse Aktivitäten effizient koordinieren will, ohne dass eine Zentralgewalt eingreift. Er führt zu einer konsistenten Interaktion, bei der Individuen ihre gegenseitigen Interessen aufeinander abstimmen.

Zweitens: Der Markt ist eine moralerzeugende Institution, die von einem bestimmten Menschenbild ausgeht, bei dem freie und gleichwertige Menschen sich entschieden haben, durch diese Art der Koordination zusammenzuarbeiten, damit jene Werte, an denen sie hängen, verwirklicht werden können. Eine solche Theorie impliziert weder, dass der Markt alle menschlichen Aktivitäten koordinieren könne, noch dass die real existierenden Märkte automatisch eine gerechte Verteilung bewirkten, noch dass der Staat dazu verurteilt sei, in dem Moment abzusterben, in dem der Bereich der Ökonomie in die Privatautonomie entlassen würde.

Diese Auffassung vom Markt wird von den Altermondialisten verworfen, da sie naiverweise nur die unmittelbare menschliche Beziehung als wertvoll gelten lassen. Wenn aber bei wirtschaftlichen Transaktionen nur die face-to-face-Beziehung spielen darf, lauert im Hintergrund das Phantom des alles überwuchernden Dirigismus.

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(0) Weltwirtschaft ohne Weltregierung

Globalisierung wird sehr häufig mit einer schädlichen «Entfesselung der Marktkräfte» gleichgesetzt. Bei einer längerfristigen und grundsätzlichen Betrachtungsweise ist es aber gerade diese Entfesselung, die weltweit die Armen reicher macht. Die Frage, ob eine globalisierte Wirtschaft nicht letztlich auf einen Weltstaat angewiesen wäre, wird immer wieder aufgeworfen. Der autarke «geschlossene Handelsstaat», mit seiner Übereinstimmung von politischen […]

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